WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211 Konjunkturtief in Deutschland^45
Seit dem Sommer produzieren die Unternehmen
aus 20 von 30 Industriesektoren weniger als im
Vorjahr. Anstiege gab es nur noch in konjunktur -
unempfindlichen Bereichen wie Nahrungsmittel,
Kleidung und Möbel. „Damit kann in der Industrie
von einem bloßen Durchhänger schon lange keine
Rede mehr sein“, kommentiert Commerzbank-
Volkswirt Ralph Solveen, „vielmehr befindet sie
sich in einer der schwierigsten Phasen seit der Wie-
dervereinigung.“
Dass in dieser seltsamen Rezession die Aktien-
kurse dennoch seit Wochen steigen, verdanken An-
leger einem besonderen Umstand. Anleihen er-
wirtschaften angesichts der Nullzinspolitik und der
Anleihekaufprogramme der Notenbanken schon
lange keine Renditen mehr. Die Preise für Immobi-
lien sind kräftig gestiegen. Bleiben Aktien als ver-
meintlich einzige Alternative. Darüber hinaus fällt
die Krise in der Realwirtschaft aus Sicht vieler Bör-
sianer bislang schwächer aus als noch bis zur Jah-
reswende befürchtet. Sie mündet trotz Handels-
konflikt, Protektionismus und China-Schwäche im-
merhin nicht in eine weltweite Rezession.
Wie weit der Abschwung allerdings in Deutsch-
land bereits fortgeschritten ist, zeigt sich am Ma-
schinenbau. Mit über einer Million Beschäftigten
und einem Jahresumsatz von mehr als 200 Milliar-
den Euro ist er Deutschlands wichtigste Branche.
Schon Anfang des Jahres musste der Verband Deut-
scher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) seine
Prognose kürzen – und rechnet für 2019 nunmehr
mit einem Produktionsminus von zwei Prozent.
Die Aufträge liegen im Vergleich zum Vorjahr um
neun Prozent im Rückstand. Dass sich die Lage
bald bessert, erwartet niemand mehr.
Selbst beim Leitstern der Branche, bei Trumpf in
Ditzingen, bereitet man sich nun auf den Ab-
schwung vor. Zeitkonten der Mitarbeiter werden
nach und nach abgebaut, Verträge von Leiharbei-
tern nicht verlängert. Nur von Entlassungen will
die Chefin des Familienkonzerns, Nicola Leibinger-
Kammüller, vorerst absehen. Für 2020 rechnet
Trumpf laut Geschäftsbericht mit einem „leicht
rückläufigen“ Umsatz und Ergebnis. Doch die Lage
verschlechtert sich stetig. Schon bei der Präsenta-
tion des Berichts Ende Oktober musste Leibinger-
Kammüller den Wortlaut präzisieren: „Der Ge-
schäftsbericht ist vor zwei Wochen fertiggestellt
worden. Ich würde dieses ‚leicht‘ heute nicht mehr
verwenden. Ich würde sagen: ‚rückläufiger Umsatz‘
- mal sehen, wie der ausfällt.“
Ähnlich wie in der Chemiebranche haben der-
zeit vor allem jene Maschinenbauer Probleme, die
die Autoindustrie beliefern – wie zum Beispiel der
Maschinen- und Anlagenbauer Aumann AG, der
Fertigungslinien für Teile von Antriebssträngen
produziert und bereits Ende August eine Gewinn-
warnung aussprach. Doch erst ein Blick in die Zah-
len von Aumann offenbart, wo genau derzeit die
größten Probleme liegen: Das Geschäft mit den
Herstellern von traditionellen Fertigungslinien vor
allem für die Automobilindustrie ist innerhalb ei-
nes Jahres um fast zehn Umsatzprozente gefallen.
Während das Geschäft mit Anlagen für die Produk-
tion von E-Antrieben um 16 Prozent zugelegt hat.
Von einem Ausgleich des Stammgeschäfts kann
aber keine Rede sein, das Elektrogeschäft befindet
sich absolut gesehen auf einem niedrigeren Niveau.
Die Autobranche zählt mit einem Anteil von
rund 30 Prozent zu den wichtigsten Kunden der
Maschinenbauer. Die unsichere Zukunft von Auto-
herstellern angesichts des Trends zur E-Mobilität
wird so in rasender Geschwindigkeit zum Problem
der gesamten deutschen Volkswirtschaft.
Mit einer Entlassungswelle im Maschinenbau
rechnet VDMA-Konjunkturexperte Olaf Wortmann
zwar nicht. „Die Maschinenbauer beschäftigen
häufig speziell ausgebildetes Fachpersonal, das
man auch in wirtschaftlich schweren Zeiten ungern
ziehen lässt“, sagte der Ökonom dem Handelsblatt.
Doch Zeitarbeit und die Beendigung von Leihar-
beitsverhältnissen dürften in Zukunft häufiger zu
beobachten sein, so der Experte.
Derzeit rechnet der VDMA auch für das kom-
mende Jahr mit einem Produktionsrückgang von
zwei Prozent. Die Maschinenbauer drängen daher
auf eine Ausweitung der Kurzarbeiterregelung auf
24 Monate, wie sie die Bundesregierung nach der
Finanzkrise 2009 schon einmal beschlossen hatte.
„Damals kam Deutschland von allen Ländern am
schnellsten aus der Krise. Das würde den Unter-
nehmen helfen, die anstehende Dürreperiode zu
überstehen“, so Wortmann.
Deutschlands Schlüsselbranche ruft nach der Po-
litik. Fragt sich nur, ob die zuhört.
Wo Deutschland steht
Wachstumsprognosen der Institute für Deutschland, Reales BIP-Wachstum in Prozent
für vom
2019
2020 Sept. ’18
April ’19
März ’19
Dez. ’18
April ’19
+1,9 %
+1,8 %
+0,5 %
+1,1 %
Reales Bruttoinlandsprodukt, Veränderung zum Vorquartal in Prozent
Dax
Kurs-Gewinn-Verhältnis* und
Gewinne der Dax-Unternehmen in Mrd. Euro
für das jeweils noch nicht
abschlossene Geschäftsjahr
Ifo-Geschäftsklima
Index in Punkten
Eurozone Deutschland USA Welt China
HANDELSBLATT Quellen: DIHK, Institute, Thomson Reuters, Bloomberg, Oxford Economics
Vorjahresprognose Aktuelle Prognose
für vom
2019
2020 Okt. ’19
Gemeinschaftsgutachten
ifo München
HWWI Hamburg
IWH Halle
DIW Berlin
RWI Essen
IfW Kiel
iw Köln
IMK Hans Böckler
Handelsblatt Research
IWF
OECD
EU-Kommission
Bundesregierung/
Deutsche
Forschungsinstitute
Stiftung
Institute
BMWi
Bundesbank
2019
2020 Sept. ’18
+1,9 %
+1,7 %
+0,5 %
+1,2 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020 Dez. ’18
+1,4 %
+1,7 %
+0,6 %
+1,4 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020 Sept. ’18
+1,7 %
+1,8 %
+0,5 %
+1,1 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020 Sept. ’18
+1,7 %
+1,8 %
+0,5 %
+1,4 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020 Sept. ’18
+1,7 %
+1,9 %
+0,4 %
+0,9 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020 Sept. ’18
+2,0 %
+1,9 %
+0,4 %
+1,0 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020
Sept. ’18 +1,4 %
+1,5 %
+0,5 %
+0,8 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020
Dez. ’18 +1,7 %
+1,6 %
+0,4 %
+0,7 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020
Sept. ’18 +1,4 %
+2,0 %
+0,3 %
+0,6 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020 Okt. ’18
+1,9 %
+1,6 %
+0,5 %
+1,2 %
2019
2020 Okt. ’19
2019
2020 Nov. ’18
+1,6 %
+1,4 %
+0,5 %
+0,6 %
2019
2020 Sept. ’19
2019
2020 Nov. ’18
+1,8 %
+1,7 %
+0,5 %
+1,4 %
2019
2020 Juli ’19
2019
2020
Okt. ’18 +1,8 %
+1,5 %
+0,5 %
+1,0 %
2019
2020 Okt. ’19
2019
2020 Juni ’18
+1,9 %
+1,6 %
+0,6 %
+1,2 %
2019
2020 Juni ’19
+2
± 0
-2
+16
+8
±0
-8
-16
+0,2 % +0,5 % +0,6 %
+10,9 %
-0,1 %
- Q.
2017 - Q.
2019 - Q.
2017 - Q.
2019 - Q.
2019 - Q.
2017 - Q.
2019 - Q.
2017 - Q.
2017 - Q.
2019
96,1 14,98
Mrd. € 89,5
Mrd. €
77,5
Mrd. €
2017 2018 2019
15,5
14,5
13,5
12,5
11,5
94,6 Pkt.
Jan. 2017 Okt. 2019
106
103
100
97
9
Japan: Langfristige BIP-Entwicklung
Veränderung zum Vorjahr in Prozent
+0,5 %
1996 2024
+6
+3
±0
-3
-6
Prognose Prognose
Entwicklung der weltweiten Exporte
real, in Mrd. US-Dollar zum Vorjahr
5 592 Mrd. US$
+0,3 %
- Q. 2017 4. Q. 2019
5 800
5 400
5 000
4 600
4 200
+6,0
+4,5
+3,0
+1,5
0