Focus - 09.11.19

(singke) #1
MEDIZIN

FOCUS 46/2019 81

direkt in bestimmte Gehirn-
regionen. Das verstärkt die Aktivität
der Nervenzellen in manchen Berei-
chen und schwächt sie in anderen. Bei
Gesunden habe die Methode, so Göder,
„in einer Reihe von Studien gewisse
kognitive Vorteile“ gebracht. „Die Ver-
suchspersonen lernen etwas leichter,
denken vielleicht eine Spur schneller.“
(s. auch FOCUS 33/18)
In Versuchen mit psychisch Kranken
zeigten die Stimulationen ebenfalls
„ermutigende“ Ergebnisse, berichtet
Göder. Um zu überprüfen, wie Strom-
stöße oder Töne auf das Gedächtnis
wirken, führen die Wissenschaftler
zahlreiche standardisierte Vorher- und
Nachher-Tests durch, zeigen Patien-
ten etwa abstrakte Figuren und bit-
ten sie am Tag nach dem Versuchs-
durchlauf, sie nachzuzeichnen. Weil
die Ergebnisse auf diese Weise auch
zuverlässiger und besser vergleichbar

werden, gibt es je-
weils eine Placebo-
Gruppe, Teilnehmer,
denen die elektri-
schen oder hörbaren
Impulse nur vorge-
gaukelt wurden.
Aber auch der von
Träumen geprägte REM-
Schlaf lässt sich offenbar zu
therapeutischen Zwecken beeinflus-
sen. Gegen wiederkehrende Albträu-
me, die etwa nach Schockerlebnissen
besonders belastend sein können, set-
zen Ärzte auf Verfahren, bei denen die
quälenden Inhalte gleichsam „über-
schrieben“ werden.

Tagsüber proben für die Nacht
„Der Träumende lenkt das Gesche-
hen aktiv und verliert so die Angst
vor dem Albtraum“, beschreibt der
Hamburger Facharzt und Schlafex-
perte Holger Hein das Verfahren, das
den Namen „Imagery Rehearsal The-
rapy“ trägt. Das lässt sich mit „Ein-
üben durch Sich-etwas-Vorstellen“
übersetzen und stellt sich in der The-
orie tatsächlich verblüffend einfach
dar. Der Patient, der zum Beispiel an
einer posttraumatischen Belastungs-
störung leidet, identifiziert mithilfe

seines Therapeuten die belastenden
Traumpassagen und ersetzt sie durch
harmlosere Inhalte. Tagsüber spielt
er die neuen Szenen probeweise in
Gedanken durch.
In vielen Fällen wirke das, versichern
Psychiater wie auch Schlafmediziner
und verweisen auf Studien. Einmal
mehr erstaunt es, dass das mensch-
liche Gehirn mit einem vergleichswei-
se geringen Aufwand zu überlisten
und zu manipulieren ist. Das könnte
Anlass geben zu zukunftspessimisti-
schen Erörterungen. Vorerst lindern die
Mediziner mit ihren Strategien das Leid
kranker und seelisch belasteter Men-
schen.n

KURT-MARTIN MAYER

Verästeltes Wunderwerk
Mit neuen Techniken stellen Frankfurter
Hirnforscher neuronale Netzwerke –
im Bild von einem Maushirn –
detaillierter dar als je zuvor

Simulierte Dämmerung
Kommerzielle Anbieter ver-
sprechen, dass derartige
Lampen in allen Phasen der
Nacht die optimale Schlaf-
tiefe gewährleisten

Gehirnstrommessung
Versuchsaufbau in einer
Pariser Klinik: Elektroden
registrieren Hirnwellen.
Das soll Auskunft geben
über die Schlafqualität
der Probandin

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