Die Welt Kompakt - 18.11.2019

(Tina Sui) #1

22 KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,18.NOVEMBER2019


V

on der „Nadel“ bis zu
den „Säulen der Er-
de“: Mit bemerkens-
werter Präzision hat
Ken Follett, 70, Bestseller auf
Bestseller folgen lassen. Mit
weit über hundert Millionen
verkauften Büchern zählt er zu
den erfolgreichsten Autoren
der Welt. Jetzt geht er mit den
ähnlich erfolgreichen Kollegen
Jojo Moyes, Kate Mosse und
Lee Child auf „Friendship
Tour“ durch Europa. Weil er
sich für den Brexit schämt, will
er bei seinen kontinentaleuro-
päischen Lesern ein Zeichen
setzen, am 23. November auch
in Berlin.


VON WIELAND FREUND

Wir erreichen Ken Follett im
„Follett Office“ außerhalb Lon-
dons, dem Herz des Follett-
Bestseller-Unternehmens, dem
mittlerweile seine Frau Barbara
als CEO vorsteht. 2010 ist die
langjährige Labour-Abgeordne-
te aus dem Unterhaus ausge-
schieden. Zuvor war sie eine
der Protagonistinnen des soge-
nannten „Spesen-Skandals“, in
dessen Folge sie dem Staat
32.000 Pfund zurückerstattete.
An „New Labour“ denkt Ken
Follett dennoch gern zurück.


WELT: Zusammen mit drei
Bestseller-Kollegen gehen Sie
in dieser Woche auf „Friend-
ship Tour“ durch Europa.
Welche Botschaft wollen Sie
vermitteln?
KEN FOLLETT:Wir wollen un-
seren Millionen Lesern in Kon-
tinentaleuropa sagen, dass wir
sie schätzen und dass uns der
Eindruck, den Großbritannien
gerade vermittelt – dass wir un-
sere Nachbarn nicht mögen
und nicht Teil ihres Klubs sein
wollen –, beschämt. Wir haben
es Freundschaftstour genannt,
weil wir die Freundschaft mit
den Millionen Lesern, die uns
in anderen europäischen Spra-
chen lesen, fortsetzen wollen.


Das klingt, als beobachteten
Sie eine gewisse Feindselig-
keit zwischen Großbritannien
und Kontinentaleuropa. Was
Ihre deutschen Leser angeht,
scheinen die aber gar keine
Feindseligkeit gegen das Kö-
nigreich zu hegen, selbst
wenn sie den Brexit ablehnen.
Es wäre aber vollkommen ver-
ständlich, wenn sich unsere eu-
ropäischen Freunde gekränkt
fühlten. Das ist es, was uns um-
treibt. Wir sind ja dankbar für
so viele Leser.


Glauben Sie denn, dass sich
etwa das deutsch-britische
Verhältnis im Falle des Brexits
verschlechtern wird? Manche
Beobachter glauben, Großbri-
tannien und Europa würden
dann zwangsläufig Rivalen,
zumindest wirtschaftlich.
Das weiß ich nicht. Ich möchte
auch keine Vorhersagen treffen.
Was ich sage, ist, dass wir fest
entschlossen sind, unser Ver-
hältnis nicht trüben zu lassen.


Ich wurde nicht gefragt. Ich
habe aber große Sympathien
fffür die Inhalte dieses Briefs.ür die Inhalte dieses Briefs.
Wir Linken haben die aller-
größten Schwierigkeiten mit
Corbyns Versagen, sich gegen
jeglichen Antisemitismus zu
stellen. Es ist erschreckend. Es
macht mich sprachlos. Als die-
se Vorwürfe laut wurden,
dachte ich, dass wenigstens
dieses Problem leicht zu lösen
sein dürfte. Alles, was Jeremy
hätte sagen müssen, war, dass
die einzig mögliche Reaktion
auf Antisemitismus null Tole-
ranz ist. Ende der Geschichte.
Ich bin bestürzt, dass er das
nie gesagt hat.

Am Anfang haben Sie gesagt,
der Brexit beschäme Sie. Sind
es vielleicht eher die Politi-
ker, die Sie beschämen? Oder
beides?
Es ist die geistige Haltung, die
dahinter offenbar wird, die
mich beschämt. Ich glaube,
dass wir dem anderen gegen-
über offen sein müssen. Ich ar-
beite in der Kreativindustrie.
Die Welt der Literatur ist inter-
national. Kein britischer
Schriftsteller täte, was er tut,
hätte er nicht auch fremdspra-
chige Autoren gelesen: Balzac,
Tolstoi oder Thomas Mann.
Gute Kunst verdankt sich dem
kulturellen Austausch. Die Bre-
xit-Politik aber ist gegen einen
solchen Austausch gerichtet.

Haben Sie eigentlich klamm-
heimlich noch Hoffnungen,
dass es doch nicht zum Brexit
kommt?
Die Hoffnung ist vergebens,
glaube ich. Um umzukehren, ist
es jetzt zu spät.

Haben Sie Verständnis für je-
ne Landsleute, die den Brexit
endlich wollen?
Ich teile ihre Meinung nicht,
aber ich kann sie verstehen. Es
ist eine emotionale Sache. Sie
haben sich emotional an eine
Idee von Unabhängigkeit ge-
bunden. Ich teile diese Gefühle
nicht, aber ich nehme sie wahr.

Sprechen Sie manchmal mit
Brexit-Befürwortern?
Das ist sehr schwierig. Die Fol-
gen des Brexits für die britische
Industrie kann man ja eigent-
lich nicht mit ihnen diskutie-
ren. Denn die Leute, die den
Brexit wollen, streiten einfach
alles ab. Erklärt man ihnen, wie
britische Unternehmen außer-
halb der EU leiden werden, sa-
gen sie einfach: stimmt nicht.

Könnten Sie sich vorstellen,
auch eine „Friendship Tour“
durch Großbritannien zu ma-
chen? Anders gefragt: Wie
kann man Großbritannien
wieder versöhnen?
Das wird extrem schwer. Ich bin
da sehr pessimistisch. Ich glaube,
das ganze Ethos des Brexits ist
gegen Versöhnung gerichtet. Es
ist auf Missachtung aus. Und
wenn die Probleme noch Jahre
weitergehen, wird auch die Miss-
achtung weitergehen.

PA/ DPA

/OLIVIER CORSAN

„Um


umzukehren,


ist es


zu spät“


Der britische Bestseller-Autor Ken Follett hat Sorge,


die Europäer könnten sein Land wegen des Brexits


hassen. Deswegen reist er jetzt durch Europa


Nach Medienberichten hält
Downing Street derzeit einen
Bericht zurück, von dem es
heißt, er beleuchte Verbin-
dungen zwischen in London
ansässigen russischen Oligar-
chen, die die Tories unter-
stützt hätten, und dem Kreml.
Sie sind mit Spionagethrillern
berühmt geworden. Was fällt
Ihnen dazu ein?
Politik ist kein Ponyhof. Wenn
Boris Johnson vor den Wahlen
einen Bericht zurückhalten
sollte, der ihn schlecht ausse-
hen lässt, dann würde mich das
nicht gerade überraschen.

Zuletzt schien der Ausgang
der Wahlen ein wenig offener
zu sein: Nigel Farage hatte an-
gekündigt, seine Brexit-Partei
würde in allen Wahlkreisen
antreten und den Konservati-
ven Stimmen abjagen. Mitt-
lerweile hat er einen Rückzie-
her gemacht. Dort, wo zuletzt
die Tories gewonnen haben,
tritt die Brexit-Partei nicht
an. Ist das unfair? Oder bloß
clever?
Unfair ist daran gar nichts. Ich
bin sicher, dass Farages Ent-
scheidung Boris Johnson freut.
Die Konservativen werden des-
halb besser abschneiden. Die
Frage ist aber gar nicht, ob sie
die meisten Sitze bekommen.
Die Frage ist, wie groß ihre

Mehrheit sein wird und ob sie
regieren können. Das weiß zur-
zeit niemand.

Sind Farage und Johnson Ver-
bündete oder Rivalen?
Sie sind Verbündete undRiva-
len. In einem Roman würde
sich das gut machen.

Sie sind ein Labour-Mann und
haben insbesondere New La-
bour immer unterstützt, auch
als Spender. Ihre Frau saß als
Labour-Abgeordnete im Un-
terhaus. Unter Gordon Brown
war sie sogar Ministerin.
Schwer vorstellbar, dass Sie
mit Jeremy Corbyn glücklich
sind.
Das sind wir auch nicht. Das
Entscheidende an den Regie-
rungen Blair und Brown war
doch, dass beide begriffen hat-
ten, dass die Pläne einer sozial-
demokratischen Regierung –
Fortschritte im Gesundheits-
system, bei der Bildung, den
Renten, der Wohnungssituati-
on, den öffentlichen Verkehrs-
mitteln – auf einen profitablen
Kapitalismus angewiesen sind.
Da kommt das Geld doch her.
Die Regierungen Blair und
Brown waren wirtschafts-
freundlich – und zugleich sozi-
aldemokratisch. Und das muss
auch so sein. Andernfalls endet
man wie Mitterrand. Mitter-

rand wurde 1982 gewählt, legte
sofort ein ziemlich linksgerich-
tetes Programm auf, zu dem ei-
ne 35-Stunden-Woche zählte,
und steckte nach zwei Jahren in
einer Wirtschaftskrise. Das ist
Blair und Brown nicht passiert.
Das war ihr Erfolgsrezept. Und
ich bin sehr sicher, dass die ge-
genwärtige Labour-Partei nicht
glaubt, dass man kapitalisti-
schen Geschäftsleuten freund-
lich begegnen muss, um eine er-
folgreiche sozialdemokratische
Regierung zu werden.

Manch einer glaubt dafür,
dass Corbyn das Produkt der
Katerstimmung nach New La-
bour ist.
Er ist eine Reaktion, ja. Die Re-
gierungen Blair und Brown wa-
ren äußerst pragmatisch. Die
Corbyn-Opposition ist äußerst
idealistisch.

In einem offenen Brief haben
Schriftsteller wie John le
Carré und William Boyd öf-
fentlich gemacht, dass sie
sich, obwohl sie den Brexit
ablehnen, außerstande sehen,
Labour zu wählen. Ein Pre-
mier Jeremy Corbyn sei auf-
grund seiner Nähe zu antise-
mitischen Kräften nicht trag-
bar. Sie zählen nicht zu den
Unterzeichnern dieses Briefs.
Warum?
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