Die Welt Kompakt - 18.11.2019

(Tina Sui) #1
Dabei haben Sie selbst vor ein
paar Tagen gesagt, dass die er-
hoffte Schubumkehr ausgeblie-
ben sei, nachdem Kramp-Kar-
renbauer den Parteivorsitz von
Merkel übernommen hatte.
Das sollte keine Personaldiskus-
sionen befeuern, aber es ist trotz-
dem eine zutreffende Beschrei-
bung der Realität, die sich auch in
Wahlergebnissen und schlechten
Umfragewerten ausdrückt. Diese
Situation reflektiert ja auch AKK
in meinem Erleben sehr selbst-
kritisch. Jeder sollte hinterfra-
gen, woran es liegt, dass unsere
Performance im Moment so
schlecht bewertet wird.

Zu welchem Schluss kommen
Sie?
Dass wir so schlecht dastehen,
hat vor allem damit zu tun, dass
wir uns den SPD-Fehler zu eigen
machen, nach außen den Ein-
druck permanenter Selbstbe-
schäftigung zu erwecken. Das ist
nicht hilfreich. Deswegen wün-
sche ich mir genau das nicht für
den Parteitag.

Die aktuelle Selbstbeschäfti-
gung kann nicht der einzige
Grund sein für die schlechten
Wahlergebnisse bei der Euro-
pawahl im Mai oder bei den
Landtagswahlen in Branden-
burg und Thüringen.
Das Einbrechen bei der Europa-
wahl liegt an ganz anderen Fakto-
ren: In der Klimapolitik hatten

P

hilipp Amthor kann
noch lachen – trotz der
schwierigen Lage, in der
seine CDU steckt. Die
Verbissenheit, die aktuell in der
Partei um sich zu greifen scheint,
ist ihm im Gespräch mit WELT
jedenfalls nicht anzumerken. Als
es um interne Querelen und
Schuldzuweisungen geht, findet
der jüngste Abgeordnete seiner
Fraktion allerdings klare Worte.


VON RICARDA BREYTON
UND GELI TANGERMANN

WELT:Herr Amthor, die CDU-
Vorsitzende Annegret Kramp-
Karrenbauer steht nach der
Landtagswahl in Thüringen
parteiintern heftig in der Kri-
tik. Zu Recht?
PHILIPP AMTHOR: Selbstbeschäf-
tigung hilft uns in der aktuellen
Lage nicht weiter. Dieser Ein-
druck entsteht aber, wenn wir
permanent Personaldiskussionen
führen, die schon deshalb wenig
ertragreich sind, weil sie im Mo-
ment nicht zur Entscheidung an-
stehen. Gleichzeitig ist es aber so,
dass wir als Union schon selbst-
kritisch reflektieren müssen, dass
unsere Wahlergebnisse und Um-
fragewerte unserem eigenen An-
spruch im Moment nicht gerecht
werden. Das würde ich jetzt aber
nicht allein bei der Parteivorsit-
zenden abladen.


Junge-Union-Chef Tilman Ku-
ban schießt gegen die Partei-
chefin, Friedrich Merz gegen
die Kanzlerin, Schleswig-Hol-
steins Ministerpräsident Daniel
Günther gegen Merz. Das passt
nicht zu dem, was Sie sagen.
Personaldiskussionen scheinen
generell mehr Interesse auszulö-
sen als Sachdiskussionen, aber sie
helfen uns nicht weiter. Mit Blick
aaauf den Parteitag finde ich es scha-uf den Parteitag finde ich es scha-
de, dass die Sachthemen, die auf
der Agenda stehen, nicht dieselbe
AAAufmerksamkeit erfahren. Das be-ufmerksamkeit erfahren. Das be-
trifft die Leitanträge zur Sozialen
Marktwirtschaft und zur Digital-
charta, aber auch andere wichtige
Themen, um die wir auf dem Par-
teitag ringen werden, zum Bei-
spiel die Frage, ob und inwieweit
sich chinesische Ausrüster wie
Huawei oder ZTE am Ausbau un-
seres 5G-Netzes beteiligen dürfen.


Merz hat die Regierungsarbeit
pauschal als „grottenschlecht“
bezeichnet – und damit vor al-
lem auf die Kanzlerin gezielt.
Finden Sie das falsch?
Ich würde mir den Begriff „grot-
tenschlecht“ nicht zu eigen ma-
chen. Gleichwohl ist es aber
nicht von der Hand zu weisen,
dass Friedrich Merz eine Unzu-
friedenheit mit der Bundespoli-
tik adressiert hat, die auch an un-
serer Parteibasis an vielen Stel-
len vorhanden ist. Wir sollten
aber ein Schwarz-Weiß-Denken
mit gegenseitigen Schuldzuwei-
sungen vermeiden. Wir müssen
gemeinsam eine Schubumkehr
schaffen. Und das geht nur, wenn
wir geschlossen handeln.


Sie tun nun so, als wäre Ihnen
die Personaldiskussion fremd.


zu versteuernde Einkommen ge-
prüft wird, das natürlich auch
Mieteinnahmen erfasst, und dass
auch für Kapitalerträge eine Lö-
sung gefunden wird. Das ist weni-
ger als unsere Wunschvorstellun-
gen, aber deutlich mehr als der
indiskutable SPD-Vorschlag.

Dem Vernehmen nach denkt
die Mittelstandsunion darüber
nach, die Grundrente auf dem
Parteitag infrage zu stellen.
Würden Sie das unterstützen?
Ich schätze die Mittelstandsunion
und ihren Chef Carsten Linne-
mann sehr und werde sie auf dem
Parteitag sachdienlich unterstüt-
zen. Ein konkreter Antrag liegt al-
lerdings noch nicht vor. Jenseits
der schwierigen Frage eines Auf-
schnürens des ausverhandelten
Pakets sollten wir aber auch darü-
ber reden, was wir daraus für die
Zukunft lernen. Etwa der Präsi-
dent des Bundessozialgerichts hat
zu Recht vor Auswirkungen des
Grundrentenkompromisses auf
das gesamte Sozialrecht gewarnt,
wenn wir die Grundlogik einer
Bedürftigkeitsprüfung infrage
stellen würden.
Zudem wirft die Grundrenten-
debatte auch die ohnehin schon
ffflagrante und ungeklärte Fragelagrante und ungeklärte Frage
auf, wie wir das Rentensystem in
den nächsten Jahren gestalten. Es
ist dringend notwendig, dass wir
in der Union hier zu einer eigenen
Haltung kommen – so wie wir es
beim Thema Klima und auch Mi-

Hat genug von den
CDU-Personalquerelen:
der Bundestagsabgeordnete
Philipp Amthor
MARLENE GAWRISCH/ WELT

6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,18.NOVEMBER


wir zu lange eine programmati-
sche Lücke, die uns Stimmen ge-
kostet hat. Hinzu kam die Debat-
te um die EU-Urheberrechtsre-
form, die den falschen Eindruck
erweckte, als ginge es uns um die
Zensur des Internets. Wenn wir
uns dann anschauen, warum wir
in aktuelleren Umfragen schlecht
dastehen, so hat das mehrere
Gründe: Zum einen neigen wir
dazu, unser Regierungshandeln
schlechtzureden. Wenn ich etwa
an den Bereich Migration denke,
haben wir mit dem Fachkräftee-
inwanderungsgesetz und dem
Geordnete-Rückkehr-Gesetz ei-
nen gordischen Knoten zerschla-
gen, ohne das in der Öffentlich-
keit ausreichend gewürdigt zu ha-
ben. Zum anderen verunsichern
wir unsere Stammwähler manch-
mal mit einer unklaren Sprache.
In meinem Wahlkreis in Meck-
lenburg-Vorpommern haben et-
wa die Diskussionen um das
Agrarpaket oder um das Waffen-
recht viele enttäuscht. Anstatt
das Problem illegalen Waffenbe-
sitzes stärker herauszuarbeiten,
entstand der Eindruck, wir woll-
ten unbescholtene Sportschützen
und Jäger unverhältnismäßig re-
gulieren. Das müssen wir jetzt im
Parlament reparieren.

Ist es nicht auch ein Problem,
dass vielen nicht mehr klar ist,
wofür die CDU eigentlich steht?
Wir müssen ganz sicher wieder zu
einer offensiveren Argumentati-

onshaltung kommen. Und wir soll-
ten nicht schon von vornherein für
Kompromisse werben, sondern
noch häufiger für eine eigene Hal-
tung. Selbst wenn wir Kompromis-
se eingehen, müssen die Men-
schen trotzdem wissen, was 100
Prozent Union gewesen wären.

Wurde das bei der Grundrente
richtig gemacht?
Die Grundrente mit einer derart
modifizierten Bedürftigkeitsprü-
fffung ist für viele ein schwer ver-ung ist für viele ein schwer ver-
daulicher Kompromiss. Darüber
gibt es gerade in der jungen Gene-
ration eine große Enttäuschung.
Das Grundanliegen des Projekts
bleibt aber trotzdem richtig: Dass
derjenige, der ein Leben lang ge-
arbeitet hat, mehr Rente bekom-
men muss, als derjenige, der nicht
so lange gearbeitet hat, ist über-
zeugend – gerade auch aus einer
christlichen Perspektive.

Sie haben früher gesagt, dass es
ein Gerechtigkeitsproblem sei,
wenn die Grundrente ohne Be-
dürftigkeitsprüfung durchgeht.
Genau das ist jetzt passiert.
Nein, das ist nicht passiert. Unse-
re Verhandler haben erreicht,
dass die Grundrente nicht mit
der von Hubertus Heil (SPD,
Bundessozialminister, d. Red.)
vorgeschlagenen Gießkanne pau-
schal an Menschen verteilt wird,
die eine solche Unterstützung gar
nicht brauchen. Der Kompromiss
sieht unter anderem vor, dass das

„Die Leute erwarten,


dass wir größer denken“


Vor dem CDU-Parteitag warnt Nachwuchshoffnung Philipp Amthor seine Partei vor


permanenter Selbstbeschäftigung. Die Union müsse eine Agenda entwickeln

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