WIRTSCHAFT MONTAG,18.NOVEMBER2019 SEITE 8
D
er geplante Mieten-
deckel des Berliner
Senats verstößt nach
Einschätzung des Bundesin-
nenministeriums gegen das
Grundgesetz. Das Land Berlin
sei „kompetenzrechtlich ge-
hindert“, Gesetze zur Mieten-
begrenzung zu erlassen,
schreibt das Innenministeri-
um in einer Mail an den Berli-
ner CDU-Bundestagsabge-
ordneten Kai Wegner, die die
Berliner CDU am Samstag
veröffentlichte. Der Grund:
Die Mietpreisbegrenzung sei
bereits durch den Bund „um-
fassend und abschließend ge-
regelt“ worden.
Weiter heißt es demnach
aus Horst Seehofers (CSU)
Ministerium: Solche Ent-
scheidungen des zuständigen
Bundesgesetzgebers dürften
nicht durch Einzelentschei-
dungen eines Landes „ver-
fälscht werden“. Die „Gesetz-
gebungskompetenz der Län-
der“ sei daher „gesperrt“. Die
„Berliner Morgenpost“ hatte
zuerst darüber berichtet. Die
Berliner Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung und
Wohnen teilte mit: „Allen Be-
teiligten war von Anfang an
bewusst, dass sie juristisches
Neuland betreten. Am Ende
wird ein Gericht entscheiden,
ob der Mietendeckel Bestand
hat.“ Die Co-Vorsitzende der
Linken, Katja Kipping, kriti-
sierte Seehofer scharf. Sein
Ministerium falle dem Bun-
desland „in den Rücken, das
gerade konsequenten Mieter-
schutz betreibt“, sagte sie
den Zeitungen der Funke-
Mediengruppe.
Sie forderte Finanzminister
und Vizekanzler Olaf Scholz
(SPD) auf, Seehofer „mal eine
Ansage“ zu machen und damit
der rot-rot-grünen Berliner
Mietenpolitik den Rücken zu
stärken.
Mietendeckel
verstößt gegen
die Verfassung
Das glaubt das
Innenministerium
Preise in Euroje 100 Liter bei Kauf
von 3000 Litern einschließlich
1 9Prozent Mehrwertsteuer
Stadt Diese Woche VVVorwocheorwoche
Berlin^6 7,75–71,35^6 9,45–75,
Hamburg 6 5,20–72,30 6 6,65–72,
Hannover^6 6,40–75,55^6 7,85–76,
Düsseldorf 6 5,40–71,30 6 8,90–74,
Frankfurt/M. 6 9,00–77,30 6 9,85–78,
Karlsruhe 6 8,80–70,70 7 0,60–74,
Stuttgart 7 0,05–73,00 7 1,85–74,
München 7 1,30–72,45 7 2,10–73,
Rostock 6 5,80–72,70 6 7,10–72,
Leipzig^6 5,70–71,10^6 7,35–74,
Bei höherer Abnahmemenge
sind Preisnachlässe möglich.
Quelle: Energie Informationsdienst
Heizöl-Preise aktuell
L
ancaster Gate und
Queensway liegen nur
einen Steinwurf von ei-
ner der großen Grünflä-
chen Londons entfernt: lediglich
die Bayswater Road trennt die
beiden U-Bahnhöfe von Ken-
sington Gardens. Doch trotz der
Nähe zur grünen Lunge, zeigt
sich die Underground, in der
Stadt gerne als „Tube“ bekannt,
zwischen den beiden Stationen
von einer ganz besonders
schmutzigen Seite.
VON CLAUDIA WANNER
AUS LONDON
In den Zügen und auf dem
Bahnsteig unter der Erde liegt
die Belastung mit winzigen Fein-
staubpartikeln um mehr als das
Zehnfache über dem empfohle-
nen Grenzwert der Weltgesund-
heitsorganisation (WHO) von
zehn Mikrogramm je Kubikmeter
im Jahresdurchschnitt.
Besonders belastet sind inner-
halb des inneren Stadtrings ne-
ben der Central Line, die Lan-
caster Gate und Queensway ver-
bindet, auch die Northern und
die Victoria Line, hat eine um-
fangreiche Messung der Luft-
werte laut „Financial Times“
Anfang des Monats ergeben.
„Das sind schockierende, be-
ängstigende Ergebnisse“, sagte
Jenny Bates, die bei der Umwelt-
schutzorganisation Friends of
the Earth für Luftverschmut-
zungsfragen zuständig ist. Es sei
höchste Zeit, etwas gegen die ex-
trem schlechte Luft in den Zü-
gen und auf den Bahnsteigen un-
ter der Erde zu tun.
Eine Anfang November veröf-
fentlichte Untersuchung von
Wissenschaftlern des King’s
College hat innerhalb des U-
Bahn-Netzes sogar noch deut-
lich schlechtere Werte gemes-
sen, von bis zu 734 Mikrogramm
je Kubikmeter. Die fünf Autoren
um den Geografen Brynmor
Saunders haben einen signifi-
kanten Anstieg der Feinstaubbe-
lastung entdeckt, je tiefer man
in die Tunnel des 156 Jahre alten
Systems einfährt.
Gemessen wurden bei den
Tests winzige Staubteilchen,
Wissenschaftlern als „PM 2,5“
bekannt, kurz für Particulate
Matter oder Schwebstoff, mit ei-
nem Durchmesser unter 2,5 Mi-
krometer. Das entspricht einem
Dreißigstel des Durchmessers ei-
nes menschlichen Haares. So
klein sind die Teilchen, dass sie
über die Lunge in den menschli-
chen Körper gelangen.
Mediziner bringen sie in Ver-
bindung mit Atemwegserkran-
kungen, aber auch mit Lungen-
krebs, Herzinfarkt oder Schlag-
anfall. Sieben Millionen Men-
schen weltweit sterben jährlich
als Folge von Luftverschmut-
zung einen zu frühen Tod,
schätzt die WHO.
In Verbindung gebracht wer-
den Staub- und Rußpartikel ge-
meinhin mit viel befahrenen
Straßen, überfüllten Kreuzun-
gen, dichtem Verkehr, Abgasen
von Fabrikanlagen. Von den bis
zu fünf Millionen Fahrgästen, die
die Londoner Tube jeden Tag
nutzen, wiegen sich viele in der
Sicherheit, dass sie unter der Er-
de der Luftverschmutzung auf
den Straßen entgehen.
Tatsächlich haben in den ver-
gangenen Jahren eine Reihe von
Untersuchungen in aller Welt
erhebliche Belastungenin den
Zügen, auf den Bahnsteigen und
in den Tunnels nachgewiesen.
„Gelegentlich war das auch
schon in Deutschland ein The-
ma“, sagte Volker Eichmann,
ÖPNV-Experte bei der Ver-
kehrsberatung KCW.
Im vergangenen Jahr testete
die Dekra in Stuttgart, auch sie
stellte eine deutliche Überschrei-
tung der Grenzwerte fest. Von
Seoul und New York über Barce-
lona bis Stockholm ist das Pro-
blem nachgewiesen. Menschliche
Haare, Fussel von Textilien,
Hautstückchen sammeln sich un-
ter der Erde, erläuterte ein Spre-
cher von Transport for London
(TfL), der Londoner Verkehrsbe-
hörde. Sie vermischen sich mit
winzigen Metallteilchen, die sich
durch Abrieb während der Fahrt
und beim Bremsen beispielswei-
se von den Gleisen und dem
Fahrwerk lösen.
Die Zusammensetzung des
Feinstaubs unter der Erde un-
terscheide sich deutlich von je-
nem am Straßenrand, erläuterte
das „committee on the medical
effects of air pollution“ (CO-
MEAP), eine unabhängige Kom-
mission, die die britische Regie-
rung in Fragen der Luftver-
schmutzung berät, Anfang des
Jahres im Rahmen einer Unter-
suchung. Der Anteil an metalli-
schem Staub ist unter der Erde
deutlich höher.
„Ein Vermächtnis des ältesten
U-Bahn-Systems der Welt ist,
dass da unten eine Menge Fein-
staub ist“, räumte Londons Bür-
germeister Sadiq Khan ein. 1863
gegründet ist die Londoner Tube
die älteste U-Bahn der Welt.
Khan, der selbst unter Asthma
leidet, hat den Kampf gegen die
Luftverschmutzung in der Me-
tropole zu einem zentralen An-
liegen gemacht.
Es sind aber nicht die ältesten
Strecken des Bahnnetzes, die die
stärkste Verschmutzung aufwei-
sen. Auf der Circle Line, der
Hammersmith and City Line und
der Metropolitan Line, auf denen
das Netz seinen Anfang nahm,
fuhren anfangs noch mit Dampf
betriebene Züge. Zum Teil wer-
den die Gleise hier im Freien ge-
führt, anderswo sind die Tunnel
nah unter der Straßenoberfläche,
was die Belüftung erleichtert.
Für die ersten elektrisch betrie-
benen Züge wurden dagegen tie-
Die Londoner Tube ist
die älteste U-Bahn
der Welt
GETTY IMAGES
/ANATOLEYA
Feinstaubschleuder
im Untergrund
Wer glaubt, in der
U-Bahn einer
geringen Belastung
mit Schadstoffen
ausgesetzt zu sein,
der irrt. Unter der
Erde ist die Luft viel
schlechter als am
Straßenrand – vor
allem in London