Süddeutsche Zeitung - 18.11.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
von christiane schlötzer

Bursa/Ankara– Früher, sagt der türki-
sche Unternehmer Alper Kanca, so als rede
er über eine andere Epoche, da hätten sei-
ne deutschen Kunden einen Betriebsbe-
such bei ihm in Istanbul gern übers Wo-
chenende ausgedehnt. „Heute fragen sie
mich, ob wir nicht alles am Telefon erledi-
gen können“, sagt Kanca. „Das tut weh.“
Die Spannungen in den deutsch-türki-
schen Beziehungen spüren auch Unterneh-
mer. Jüngstes Beispiel: Wegen der türki-
schen Militäroffensive in den syrischen
Kurdengebieten legte der Volkswagen-
Konzern die Entscheidung über den Bau ei-
nes Werks in der Türkei auf Eis. Das trifft
auch die weit verzweigte Industrie der tür-
kischen Autozulieferer. Alper Kanca, 56,
ist der Vorsitzende ihres Verbands.
„Unter den gegenwärtigen Bedingun-
gen“ sei eine solche Investition in der Tür-
kei für ihn „persönlich nicht vorstellbar“,
sagte Niedersachsens Ministerpräsident
Stephan Weil Mitte Oktober, wenige Tage
nach Beginn der Militäroffensive. Der Kon-
zernbetriebsrat sprach sich kurz darauf
ebenfalls gegen den Fabrikneubau aus, „so-
lange die Türkei versucht, ihre politischen
Ziele mit Krieg und Gewalt zu erreichen“, zi-
tierte das BetriebsratsblattMitbestimmen!
den Vorsitzenden Bernd Osterloh. Der
Braunschweiger Zeitungsagte er, VW habe
wegen der Konzerngeschichte in der Nazi-
zeit eine besondere Verantwortung: „Volks-
wagen darf und muss moralisch sein.“

Im Juli klang das noch anders. Da sagte
Weil, „ganz egal“ wie die Entscheidung
über ein Werk in der Türkei ausfalle, „es
wird eine wirtschaftliche Entscheidung
und keine politische Aussage sein“. Diese
Formel – Wirtschaft statt Politik – gefiel
auch der türkischen Regierung. Industrie-
und Technologieminister Mustafa Varank
wiederholt sie nach wie vor gern: „Wir er-
warten von einem globalen Unternehmen,
dass es bei seinen Entscheidungen kom-
merzielle Interessen berücksichtigt.“
Varank war lange Berater von Präsident
Recep Tayyip Erdoğan, bevor er im Juli
2018 Minister wurde. Zum Fall VW sagte er
vergangene Woche in Ankara: „Wenn Un-
ternehmen anfangen, politische Entschei-
dungen zu treffen, berücksichtigen sie
nicht mehr die Interessen ihrer Investo-
ren.“ Die Militäraktion verteidigt Varank
als „Antiterrorkampf“. Fragt man ihn nach
der Justiz, die beispielsweise den türki-
schen Unternehmer Osman Kavala seit
mehr als zwei Jahren in Haft hält, ohne Ur-
teil, verweist er auf eine geplante Justizre-
form. Und er erzählt von seinem Bruder,
der während des Putschversuchs 2016
ums Leben kam. Wenn Journalisten hinter
Gittern säßen, sagt er, habe dies „mit jour-
nalistischen Tätigkeiten“ nichts zu tun.
Alper Kanca stellt Zahnräder und Kur-
belwellen her, er weiß, dass viele Dinge in-
einandergreifen müssen, damit eine Ma-
schine läuft. Kanca sagt, diejenigen, die
jetzt die Türkei meiden würden, „um Erdo-
ğan nicht zu unterstützen“, täten dies „in
gutem Glauben“. Aber es treffe eben alle.
Auch die, die Erdoğan nicht wählten. Das
sagt Kanca nicht, aber so ist es wohl ge-
meint. Izmir, die drittgrößte Stadt der Tür-
kei, in deren Nähe das VW-Werk entstehen
sollte, wird von der Opposition regiert, Is-
tanbul auch.
Die Arbeitslosigkeit stieg im August –
das sind die letzten offiziellen Zahlen – auf
14 Prozent, das sind fast drei Prozentpunk-
te mehr als vor einem Jahr. Den stärksten
Job-Einbruch gab es in der Industrie. Die
Inflation – im Oktober 8,55 Prozent – nagt
an der Kaufkraft. Die Autoproduktion in
der Türkei ging 2018 deutlich zurück, auf
642000 Stück, Nutz- und Personenwagen.
2016 waren es noch gut eine Million. Gestie-
gen sind die Exporterlöse, auch wegen des

fallenden Lirakurses, berichtet der Ver-
band der türkischen Automobilindustrie.
Deren Zentrum ist die Autostadt Bursa,
die viertgrößte Metropole des Landes, mit
drei Millionen Einwohnern und einer lan-
gen Industrietradition. Das „Detroit der
Türkei“, nennen sie Bursa. Eine Krise, wie
sie die amerikanische Autostadt vor ein
paar Jahren erlebte, blieb Bursa bislang er-
spart. Warnzeichen aber sieht man auch
hier. Deshalb stellen sich einige Unterneh-
men nun eiligst auf die Zukunft ein: zum
Beispiel Karsan. Die 1966 von der Koç-

Gruppe gegründete Firma baut jetzt Elek-
trobusse, im Klein- und Großformat. Die
Batterien kommen von BMW. Erste Bestel-
lungen aus Deutschland für die Busse, die
300 Kilometer fahren können bevor sie
ans Netz müssen, gebe es bereits, sagt Vor-
stand Okan Baş. Er rechnet mit einem „gro-
ßen Wandel“ im öffentlichen Stadtver-
kehr, weg vom Diesel, hin zu Elektro. Bei
Karsan haben sie eine Teststrecke mit den
unterschiedlichen Straßenbelägen euro-
päischer Kommunen. „Jetzt kommt Belgi-
en“, warnt der Fahrer des Testbusses, be-

vor es über eine Hubbelpiste geht. Die Pro-
duktion ist großteils automatisiert. An ei-
nem Schaltpult steht die Ingenieurin Öz-
lem Kapitan, sie ist 37 Jahre alt und seit
acht Jahren in der Firma. „Ich liebe Autos“,
sagt sie und schiebt die Schutzbrille auf die
Stirn. Dass sie Frauen fördern, betonen tür-
kische Autofirmen nun gern, wohl auch
um zu zeigen, dass man den Anschluss an
Europa schaffen kann.
Perihan Inci muss nichts mehr bewei-
sen. In fünfter Generation sind Frauen füh-
rend in ihrer Firma. Sie war Chefin, nun
macht das die Enkelin. Die Inci Holding
produziert Autofelgen, ihr Sitz ist nicht
weit davon entfernt, wo Volkswagen ein
Grundstück angeboten wurde. „Für uns
wäre es gut, wenn VW käme“, sagt Perihan
Inci bei einem Treffen in Istanbul. Sie ist
auch Vizepräsidentin des Zuliefererver-
bands.
Dessen Präsident Kanca sagt, VW habe
sich seit zwei Jahren auf den Bau der Fa-
brik in der Türkei vorbereitet. „Sie haben
sogar geprüft, wie viele Kindergärten und
Schulen es gibt.“ Vor ein paar Monaten hät-
ten Leute aus Wolfsburg auch damit ange-
fangen, „die Zulieferer zu organisieren“.
Alper Kanca macht das Hoffnung, „dass
sie doch noch kommen“.
Nach einer Sitzung des Aufsichtsrats
teilte das Unternehmen am Freitag mit:
Bis Jahresende werde VW über ein Werk in
der Türkei entscheiden.

Mit knapp 60 Milliarden Euro will Volkswa-
genbis 2024 wichtige Zukunftsthemen vor-
antreiben. Rund 33 Milliarden Euro sollen al-
lein in die Elektromobilität fließen. Nach ei-
ner Aufsichtsratssitzung teilte VW mit, das
Milliardenpaket für die Bereiche E-Mobilität,
Hybridantriebe und Digitalisierung entspre-
che mehr als 40 Prozent aller Sach- und Ent-
wicklungsinvestitionen. Bei der E-Mobilität
gibt es noch einmal eine deutliche Aufsto-
ckung im Vergleich zur letzten „Planungsrun-
de“ 2018. Damals hatte der Aufsichtsrat ei-
nen Betrag von 44 Milliarden Euro für den
Ausbau der Elektro-Flotte, autonomes Fah-
ren, Vernetzung und Mobilitätsdienste über
die bevorstehenden fünf Jahre freigegeben.

„E-Mobilität ist auf dem Vormarsch. Unauf-
haltsam“, sagte Konzernchef Herbert Diess.
Schon in wenigen Monaten werde man nicht
mehr über Technologieoffenheit bei den An-
triebskonzepten sprechen, sagte er. „Die
E-Mobilität wird sich dann durchgesetzt ha-
ben.“ Die Gesamtzahl der Elektromodelle sol-
le bis zum Jahr 2029 schrittweise auf etwa 75
steigen.
Bisher hatte der Konzern bis 2028 mit
knapp 70 Modellen kalkuliert. Hinzu kom-
men sollen in den nächsten zehn Jahren
noch 60 Hybridversionen. In Vernetzung, Mo-
bilitätsdienste und autonomes Fahren sollen
in den kommenden zehn Jahren insgesamt
rund 27 Milliarden Euro fließen. DPA

Was Kai Robert Paulus nicht mag, ist Lan-
geweile. Nicht im Leben, schon gar nicht in
seiner Küche. „Kreativität ist wichtig. Ich
konnte nach zwölf Jahren keinen Filet-Tel-
ler mehr sehen“, sagt er. Der 49-Jährige ist
gelernter Koch und führt zusammen mit
seinem Partner Joachim Schreiber die Vil-
la Paulus, einen Hotel- und Restaurantbe-
trieb in Remscheid im Bergischen Land.
Wer bei ihnen einkehrt, bekommt deshalb
seit ein paar Wochen statt der üblichen
Speisekarte ein fast täglich wechselndes
Angebot an Gerichten. „Wir bereiten 30
Portionen von einem bestimmten Gericht
zu. Wenn die weg sind, kochen wir etwas
Neues“, erklärt der Küchenchef. So muss
er auch weniger Lebensmittel wegwerfen.
Auch sonst läuft in der Villa Paulus eini-
ges anders. Der Gastronom hat sein eige-
nes Rezept gegen den Fachkräftemangel
in der Branche entwickelt. Gleich neben
dem Eingang hängt ein Bilderrahmen mit
Fotos der Mitarbeiter. 34 sind es insge-
samt, ein Drittel ist fest angestellt. Das ist
viel für ein Haus mit elf Zimmern und 40
Plätzen im Restaurant. „Wir brauchen so
viel Personal, weil wir sieben Tage die Wo-
che geöffnet haben“, sagt Paulus.


Doch genau das bereitet ihm auch Sor-
gen. Besonders schwer zu finden sind Kö-
che und Restaurantfachkräfte. Laut Bun-
desagentur für Arbeit waren im Septem-
ber im Gastgewerbe knapp 47 000 offene
Stellen gemeldet. „In den Köpfen junger
Menschen geistert herum, dass die Ausbil-
dung zum Koch besonders hart ist, weil
man mit cholerischen Küchenchefs arbei-
ten muss“, sagt der Gastronom. Hinzu kom-
me manchmal schwieriges Verhalten der
Gäste. „Das wollen sich heute viele nicht
mehr antun.“ Ein anderes Problem ist das
niedrige Lohnniveau der Branche.
Paulus bekämpft die Nachwuchskrise
auf seine Weise. Die Mitarbeiter in seinem


Betrieb stammen aus 13 verschiedenen Na-
tionen. „Das ist sehr bereichernd, gerade
was die Küche angeht“, sagt er. Darunter
sind auch Flüchtlinge aus dem Irak, Iran
und Syrien, die zu Köchen ausgebildet wer-
den. „Wir sind auf Flüchtlinge zugegan-
gen, haben uns bemüht ausbildungsfähige
Leute zu finden. Das ist uns auch gelungen
und hat uns in der Küche weiter gebracht.“
Nur eine berufliche Perspektive zu bieten,
das reiche in dem Fall aber nicht. „Flücht-
linge brauchen auch unsere Hilfe beim Auf-
bau eines sozialen Umfelds“, sagt er. Dazu
gehöre etwa Hilfestellung bei Ämtergän-
gen oder in Familienangelegenheiten.
Dass es dem Gastronom nicht an Mut
zur Eigeninitiative fehlt, zeigt sein Lebens-
lauf. Paulus ist in Bochum geboren, nach
der Realschule lernte er Koch, holte das Ab-
itur nach und ging danach zur Bundes-
wehr. Dann kehrte er in die Gastronomie
zurück, auf die harte Tour. Mit einem Im-
bisswagen versorgte er fünf Jahre lang gut
500 Bauarbeiter auf einer Großbaustelle.
Mit seinem Partner betreibt er heute ne-
ben Hotel und Restaurant noch ein Gäste-
haus sowie ein paar Tankstellen. Die histo-
rische Villa haben sie 2009 gekauft und
von Grund auf renoviert. „Das Gebäude
war damals in abrissreifem Zustand. Auf
dem Dachboden standen 42 Eimer, die bei
Regen regelmäßig geleert werden muss-
ten“, sagt er. Die beiden haben viel inves-
tiert. Paulus ist zufrieden. Das Gesamtkon-
zept stimme, sagt er, auch wenn es nicht
einfach sei wirtschaftlich zu arbeiten.
Weiter expandieren will er nicht mehr.
Für ihn geht es bereits um die Nachfolgefra-
ge. Schließlich habe er nicht vor mit 70
noch in der Küche zu stehen, sagt er mit ei-
nem Augenzwinkern. „Wir haben aber das
Glück, dass einige frühere Fachkräfte, die
bei uns gelernt haben, zurückkommen.
Das sind junge Leute, die bei uns flexibel ar-
beiten können, damit ihnen Zeit für die Fa-
milie bleibt.“ Er sieht darin auch eine Bestä-
tigung dafür, dass er einiges richtig ge-
macht haben muss. silvia liebrich

DEFGH Nr. 266, Montag, 18. November 2019 17


Es ist angerichtet


Wie einGastronom dem Fachkräftemangel trotzt


Wien– Die Österreicher dürfen in dieser
Woche ihre Stimme für ein bedingungslo-
ses Grundeinkommen (BGE) abgeben.
Vom 18. bis 25. November läuft die Eintra-
gungsfrist für ein Volksbegehren. Die Initi-
atoren fordern, dass jedem österreichi-
schen Staatsbürger über 18 Jahren an je-
dem Monatsanfang 1200 Euro ausgezahlt
werden. Unterzeichnet werden kann das
Volksbegehren online oder in jedem Ge-
meindeamt. Wenn es von mindestens
100000 Stimmberechtigten unterstützt
wird, muss sich das Parlament damit befas-
sen. Allerdings reicht eine bloße Debatte,
ein entsprechender Gesetzentwurf muss
nicht daraus folgen.
Hinter dem österreichischen Volksbe-
gehren stehen weder Parteien noch sonsti-
ge größere Organisationen, sondern ein
einzelner Initiator, der sich in der Öffent-
lichkeit bislang äußerst bedeckt hält. Sein
Name: Peter Hofer. In der Tageszeitung
Der Standarderklärte er, dies sei eine
„Spontanaktion“ gewesen. Er habe ur-
sprünglich nur 50 Personen per Mail mit
der Bitte um Unterstützung und Weiterver-
breitung angeschrieben. Am Ende seien
daraus knapp 15 000 Unterschriften ge-
worden.
In Österreich reichen 8401 Unterschrif-
ten für die Einleitung eines Volksbegeh-

rens, dies entspricht einem Promille der Be-
völkerung.
Die geforderte Höhe des bedingungslo-
sen Grundeinkommens von 1200 Euro
liegt knapp über der für Österreich errech-
neten Armutsgrenze. Die Auszahlung soll
allen Bürgern „ein Leben in Freiheit, Wür-
de und Selbstbestimmung“ ermöglichen,
heißt es in der offiziellen Begründung für
das Volksbegehren, die auf der Webseite
des Innenministeriums veröffentlicht wur-
de. So habe „jeder Mensch die Möglichkeit,
frei von Existenzsorgen diejenige Arbeit zu
übernehmen, die er selbst für sinnvoll
hält“. Jeder hätte ein Einkommen, „auch
wenn er durch die Automatisierung und Ra-
tionalisierung in Produktion und Verwal-
tung aus der Arbeit entlassen wird“.
Als eines der „reichsten Länder auf die-
sem Planeten“ könne Österreich sich das
bedingungslose Grundeinkommen leis-
ten. Finanziert werden sollen die Zahlun-
gen „über eine Finanztransaktionssteuer
in Höhe von 0,94 Prozent aller in Öster-
reich getätigten Finanztransaktionen“,
heißt es in der Begründung. Allerdings ge-
hen in der Finanzierungsfrage die Begriff-
lichkeiten durcheinander.
Auf der vom Initiator Hofer eingerichte-
ten Webseite ist statt von einer Finanz-
transaktionssteuer von einem „Solidari-

tätsbeitrag von 0,94 Prozent“ die Rede. „Je-
de/r bezahlt, wenn sie/er in irgendeiner
Form Geld ausgibt.“ Damit sei dann „nicht
nur das BGE locker finanzierbar, sondern
es bleibt auch viel Geld für sehr nützliche
Dinge übrig (Bildung, Gesundheit, Infra-
struktur usw.), die der Allgemeinheit zugu-
tekommen“.

Das bedingungslose Grundeinkom-
men wird seit längerer Zeit weltweit disku-
tiert. Verfechter finden sich nicht nur in lin-
ken Kreisen, sondern bisweilen auch unter
Wirtschaftsliberalen, die auf einen mögli-
chen Bürokratieabbau im Sozialsystem
und somit auf einen schlanken Staat ver-
weisen. In Italien war das BGE von der
Fünf-Sterne-Bewegung propagiert wor-
den, in Finnland und den Niederlanden hat
es erste Feldversuche gegeben. In der
Schweiz war 2016 eine Volksabstimmung
über die Einführung eines bedingungslo-
sen Grundeinkommens in Höhe von 2500
Franken gescheitert. Nur 23 Prozent hat-
ten sich dort dafür ausgesprochen. Auch in
Österreich ist das jetzige Volksbegehren

nicht der erste Anlauf in dieser Sache. 2017
bereits ist ein Verein namens Generation
Grundeinkommen gegründet worden, der
das Thema in den öffentlichen Fokus rü-
cken wollte. Ziel war es, per Crowdfunding
eine halbe Million Euro zu sammeln, um
damit eine wissenschaftliche Studie zu fi-
nanzieren, einen Kongress abzuhalten und
weitere Kampagnen zu finanzieren. Es
kam jedoch bei Weitem nicht genügend
Geld zusammen.
Der Vereinsobmann Helmo Pape nann-
te imStandarddas aktuelle Volksbegehren
„einen Schritt in die richtige Richtung“. Er
kritisierte allerdings, dass nur österreichi-
sche Staatsbürger und nicht alle in Öster-
reich lebenden Menschen vom bedin-
gungslosen Grundeinkommen profitieren
sollen. Der Initiator Hofer verwies darauf,
dass die Initiative noch zu Zeiten der ÖVP-
FPÖ-Regierung gestartet worden war, mit
der eine Einbeziehung von Ausländern
ganz gewiss nicht möglich gewesen wäre.
Langfristig schwebe ihm aber ohnehin ein
globales Grundeinkommen vor.
Die Latte für einen Erfolg seiner Initiati-
ve hat Hofer selbst sehr hoch gelegt.
„Wenn das Volksbegehren eine Million Un-
terstützungserklärungen erhält, mache
ich weiter“, sagte er. „Sonst lasse ich es
sein.“ peter münch

VW-Werk wird zum Politikum


Der Autokonzern verschiebt den Bau einer Fabrik in der Türkei. Das trifft auch die türkischen Autozulieferer.
Die Bevölkerung leidet unter gestiegener Arbeitslosigkeit und höherer Inflation

Milliarden für die E-Mobilität


von uwe ritzer

E


ntspannt, zufrieden, ja geradezu eu-
phorisiert wirkte ADAC-Präsident
August Markl, als ihm die Delegier-
ten des Automobilklubs bei der Hauptver-
sammlung am Donnerstag in zwei Punk-
ten fast hundertprozentig folgten. Sie er-
höhten die Mitgliedsbeiträge, überarbeite-
ten die Satzung – und schrieben dabei den
Klimaschutz als Ziel fest. So viel Zustim-
mung hatte der ADAC-Präsident schon
lange nicht mehr erlebt.
Noch im Frühjahr hatte ein gutes Drit-
tel der Delegierten gegen Markls Amtsfüh-
rung opponiert, in dem sie dem Präsidium
die Entlastung verweigerten und bei diver-
sen Postenbesetzungen gegen seine Kan-
didaten stimmten. Ein stummer Protest
in einem Verein, der keine öffentlich-de-
mokratische Streitkultur kennt. Gezofft
wird sich beim ADAC allenfalls intern.
Und dabei nicht selten hinterrücks.


Der Automobilklub als Verein ist kein le-
bendiger Organismus aus Gleichgesinn-
ten, die mehr oder minder engagiert ge-
meinsame Ziele verfolgen. Sondern eine
überschaubare, künstliche und wenig
durchlässige Funktionärswelt alter Schu-
le, eine Nomenklatura. Sie macht nur ei-
nen winzigen Bruchteil der 21 Millionen
Mitglieder aus; die große Masse sieht im
ADAC nur eine Pannenversicherung.
Auch die Reformen seit dem großen
Skandal im Jahr 2014 haben daran nichts
geändert. Damals flogen Manipulationen
bei einer eigentlich läppischen, bis dahin
aber selbst von der Autoindustrie aberwit-
zig wichtig genommenen Wahl zum „Lieb-
lingsauto der Deutschen“ auf. Anschlie-
ßend kamen auch noch allerhand unsau-
bere Geschäftspraktiken des Automobil-
klubs ans Tageslicht.
Als Konsequenz hat sich der ADAC un-
ter großen Schmerzen dreigeteilt. Er hat
klarere Strukturen geschaffen und
nimmt Compliance, in jeder Hinsicht kor-
rektes Wirtschaften also, ernster als frü-
her. Und er kommt politisch nicht mehr so
breitbeinig und anmaßend daher wie lan-
ge Zeit, was angenehm ist. Bei alledem üb-
rigens schritt August Markl mit einer be-
harrlichen Konsequenz voran, die dem
heute 71-Jährigen bei seinem überstürz-


ten Amtsantritt auf dem Höhepunkt der
Krise nur wenige zutrauten.
Doch fünf Jahre danach ist der ADAC
noch immer hauptsächlich mit sich selbst
beschäftigt. Mit seiner Organisation, mit
Management- und Compliance-Themen.
Und vor allem mit der Frage, wie die im-
mensen Geldströme gelenkt werden.
Dem ADAC-Verein reichen die Einnah-
men nicht mehr, um die laufenden Kosten
zu decken. Also erhöht er die Mitgliedsbei-
träge. Daneben aber fährt die ADAC SE, so-
zusagen der kommerzielle Arm des Kon-
glomerats, nicht nur riesige Gewinne ein,
sondern entwickelt zunehmend ein Eigen-
leben. Der kommerzielle Arm nutzt die
vier schwarzen Großbuchstaben auf gel-
bem Hintergrund nur noch als profittrei-
bendes Marketinginstrument. Hier ist das
Mitglied nur noch Kunde.
Und dann ist da noch die mutmaßlich
größte Herausforderung in der Geschich-
te des Vereins, der immerhin schon 116
Jahre alt ist. Die Frage nämlich, wo dieser
gelbe Riese in einer Zukunft, in der sich
Mobilität radikal verändern wird, seinen
Platz haben wird. Markl will den ADAC
zum „Mobilitätsdienstleister“ ausrichten.
Den Begriff „Automobilklub“ hört und
liest er nicht (mehr) gerne. Ein solch rund-
erneuerter ADAC soll für alle da sein, die
sich bewegen; für Fußgänger und Radler,
Bahnfahrer und Flieger und, ja schon
auch noch, für Autofahrer. Das wird
schwer und ist mit einem satzungsmäßi-
gen Bekenntnis zum Klimaschutz allein
nicht getan.
Denn nicht nur im Namen, sondern
auch im Erbgut des ADAC ist das Auto
(und zwar jenes mit Verbrennungsmotor)
dominant. Mehr noch: Es war über viele
Jahrzehnte das einzige verbindende Glied
zwischen rasenden Motorsportlern,
schraubenden Autofreaks und Otto Nor-
malfahrern, genauso aber zwischen (vie-
len) Mitgliedern und (wenigen) Funktionä-
ren des Automobilklubs. Davon abzukom-
men hieße mehr als nur das Etikett oder
die Satzung zu verändern.
Der ADAC braucht nach der organisato-
rischen nun auch von innen her eine Neu-
ausrichtung seiner Identität. Klappt sie
nicht, droht dem Verein die nächste Glaub-
würdigkeitskrise. Nur dass es dieses Mal
nicht um die Folgen einer gefälschten Au-
towahl geht. Sondern beispielsweise um
die Frage, wie man authentisch für Klima-
schutz eintreten will, wenn man gleichzei-
tig viele Millionen in den klassischen Mo-
torsport steckt.

Die Mitarbeiter in seinem Betrieb


stammen aus 13 Nationen


Ein erster Anlauf
führte 2017
ins Nichts

WIRTSCHAFT


InManisa nahe Izmir in Westanatolien soll das VW-Werk errichtet werden. FOTO: MAURITIUS IMAGES

NAHAUFNAHME


„Wirsind auf Flüchtlinge
zugegangen, haben uns
bemüht, ausbildungsfähige
Leute zu finden.“
Kai Robert Paulus
FOTO: OH

ADAC

In der Glaubwürdigkeitsfalle


Österreicher stimmen über Grundeinkommen ab


Initiator fordert 1200 Euro im Monat. Findet er Unterstützer, muss sich das Parlament mit der Idee zumindest befassen


Der ADAC will mehr sein als


nur Automobilklub. Dafür


braucht es viel Veränderung


Die Formel „Wirtschaft
statt Politik“ gefiel auch der
türkischen Regierung
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