Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1
Jakob Blume Frankfurt

A


ktienähnliche Kursge-
winne mit extrem si-
cheren Staatsanleihen:
Dieses Phänomen ge-
hörte wohl zu den bis-
lang größten Überraschungen im An-
legerjahr 2019. Wer sich im Januar ei-
ne zehnjährige deutsche Bundesan-
leihe ins Portfolio gelegt hatte, konn-
te sich in den ersten acht Monaten
über ein Kursplus von über neun
Prozent freuen. Bei 30-jährigen deut-
schen Zinspapieren lag das Plus bis
Anfang September sogar bei rund 30
Prozent. US-Staatsanleihen lieferten
vergleichbare Erträge.
Doch mittlerweile bekommen An-
leger die Kehrseite der Entwicklung
zu spüren: Derzeit geht es bei Staats-
anleihen in aktienähnlicher Manier
abwärts. Seit dem Höchststand An-
fang September hat die zehnjährige
Bundesanleihe rund drei Prozent ver-
loren, bei der Anleihe mit 30-jähriger
Laufzeit waren es zwölf Prozent.
Grund für den jüngsten Abverkauf
ist aus Sicht von Christian Lenk, An-
leihestratege bei der DZ-Bank, eine
Korrektur der Zinserwartungen unter
Investoren. Sie hatten mit einem
deutlichen Zinsschritt der Europäi-
schen Zentralbank (EZB) im Septem-
ber und einem massiven neuen An-
kaufprogramm für Staatsanleihen ge-
rechnet – und wurden enttäuscht.
Die Zinssenkung von 0,4 auf 0,5
Prozent fiel vergleichsweise homöo-
pathisch aus, das Anleihekaufpro-
gramm mit einem Volumen von 20
Milliarden Euro monatlich ist trotz
der unbegrenzten Laufzeit aus Sicht
vieler Marktbeobachter eher klein.
Die Folge war eine „extreme Berg-
und-Talfahrt“, insbesondere bei eu-
ropäischen Anleihen, sagt DZ-Bank-
Analyst Lenk. Die Rendite der zehn-
jährigen Bundesanleihe sank vor der
EZB-Sitzung im September von mi-
nus 0,25 auf minus 0,7 Prozent. Seit-
her ist sie wieder um rund 0,4 Pro-
zentpunkte gestiegen.
Diese scheinbar geringe Bewegung
in der Rendite der Bundesanleihe hat

deutliche Auswirkungen auf den Kurs
der Papiere. Ein Anstieg der Rendite
einer zehnjährigen Bundesanleihe
um 0,5 Prozentpunkte lässt den Kurs
des Papiers um fünf Prozent sinken.
Bei länger laufenden Anleihen wir-
ken sich steigende Renditen noch
stärker negativ auf den Kurs aus.
Mittlerweile haben sich die Erwar-
tungen der Marktteilnehmer über
den zukünftigen Leitzins der EZB der
DZ-Bank zufolge bei minus 0,5 Pro-
zent eingependelt – das bedeutet,
dass sie weitere Zinssenkungen der
EZB für unwahrscheinlich halten.

Das hat auch den Fall der Bund-Ren-
diten gestoppt. „Flankiert wurde die
Entwicklung von steigendem Opti-
mismus in Bezug auf den US-chinesi-
schen Handelsstreit“, so Lenk.
So nahmen seit Anfang Oktober
die Befürchtungen ab, die Weltwirt-
schaft stehe kurz vor der Rezession.
Das ließ die Nachfrage nach sicheren
Häfen bei Anlegern schwinden.
Staatsanleihen aus den USA und
Deutschland sowie Gold stehen seit-
her unter Druck.
Zu einem ähnlichen Ergebnis wie
Lenk kommt auch Christoph Rieger,

Chefanlagestratege für Anleihen bei
der Commerzbank. „Die Neubewer-
tung der Zentralbankerwartungen
erklärt den Abverkauf “ bei lang lau-
fenden europäischen und US-Zins -
papieren. Rieger beobachtet: „Das
Zusammenspiel von Brexit, Handels-
optimismus und nachlassender EZB-
Euphorie hat Bundesanleihen stark
zugesetzt.“

„Lockerungsmüdigkeit“
Bitter dürfte die Entwicklung auch
für den kürzlich abgelösten EZB-Prä-
sidenten Mario Draghi sein. Er hatte
mit einer Rede beim Notenbanker-
treffen im portugiesischen Sintra im
Juni die Wende zu einer erneuten Lo-
ckerung der Goldpolitik eingeleitet.
Damals lag die Rendite der Bundes-
anleihe bei rund minus 0,25 Prozent.
Fünf Monate und einen Zinsschritt
später liegt die Rendite etwa auf dem
gleichen Niveau. Die Hoffnung der
EZB, durch ihre lockere Geldpolitik
die Zinsen im Euro-Raum zu drücken
und damit neue Impulse für die Kon-
junktur und die Inflation setzten zu
können, erfüllte sich nicht.
Stattdessen macht Commerzbank-
Stratege Rieger eine „Lockerungsmü-
digkeit“ bei den Investoren aus. Der
Stimmungsumschwung droht zudem
die glänzende Jahresbilanz vieler
Fondsmanager zu belasten. Viele
nehmen daher kräftig Gewinne mit,
wie Rieger beobachtet. Das führe da-
zu, dass die seit Oktober herrschende
Ausverkaufsstimmung noch stärker
ausfalle. Bei Bundesanleihen drohe
das schlechteste Quartal seit 2015.
Sich vorzeitig in den Weihnachtsur-
laub zu verabschieden können sich
die Investoren jedoch nicht leisten.
In den kommenden Wochen steht
noch eine Reihe wichtiger Konjunk-
turzahlen an. Aus Sicht von DZ-Bank-
analyst Lenz überwiegt das Risiko
negativer Überraschungen. „Es ist
unwahrscheinlich, dass sich der Han-
delskonflikt auf absehbare Zeit lösen
lässt.“
Die Null-Linie bei der zehnjährigen
Bundesanleihe dürfte daher weiter-
hin unerreichbar bleiben.

Bondmärkte


Ausverkauf bei


Zinspapieren


Deutsche Staatsanleihen gehörten zu den


überraschenden Gewinnern des Jahres 2019. Doch


zuletzt gab es eine deutliche Korrektur.


Staatsanleihen: Laufzeiten im Vergleich

HANDELSBLATT Quelle: Bloomberg

Rendite in Prozent

Laufzeit: 30 Jahre

Laufzeit:
10 Jahre

Laufzeit:
10 Jahre

Laufzeit: 30 Jahre

USA

2,32 %

1,84 % -0,34 %

1.7.2019 15.11.

2,75

2,25

1,75

1,25

Deutschland

0 ,18 %

1.7.2019 15.11.

0,4

0

-0,4

-0, 

Illustration: Handelsblatt

Private Geldanlage
MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
36

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