Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1

FOKUS → ROCHE


Mit jedem einzelnen Datensatz wird unser


Bild von Erkrankungen schärfer


Ob nun die elektronische Patientenakte, Telemedizin oder
Gesundheits-Apps: Die Diskussion um die Digitalisierung
des Gesundheitswesens ist in vollem Gange – und sie ist
vielfältig wie nie zuvor. Eine, die sich täglich mit der
digitalen Transformation in der Medizin beschäftigt, ist
Susanne Schach. Bei der Roche Pharma AG im südba-
dischen Grenzach-Wyhlen leitet die promovierte Biologin
den Bereich für Real World Data.

Was versteht man unter Real World Data?
Unter dem Sammelbegrif der Real World Data werden
ganz allgemein Daten zum Gesundheitszustand zusam-
mengefasst, die in der medizinischen Versorgung erhoben
werden. Das können beispielsweise Informationen aus
Krankheitsregistern oder Patientenakten sein. Aber auch
Daten, die heute über Gesundheits-Apps oder die soge-
nannten Wearables erfasst werden, fallen letztlich in
diesen Bereich. Gemeinsam ist diesen Daten, dass sie
die tatsächliche Realität im Behandlungsalltag abbilden –
und damit unterscheiden sie sich deutlich von jenen Infor-
mationen, die im Rahmen klinischer Studien unter sehr
kontrollierten Bedingungen erhoben werden.

Das klingt nach sehr vielen Daten ...
In der Tat, und das Volumen wächst mit jedem Tag weiter
an. Wir gehen beispielsweise davon aus, dass rund 95
Prozent aller potenziell vorhandenen Daten in der Onkolo-
gie im Rahmen der alltäglichen Versorgung generiert
werden. Es ist kaum vorstellbar, was für ein Wissensschatz
für die Forschung in diesen Daten steckt. Bislang werden
Real World Data aber viel zu selten in wertvolle Informa-
tionen überführt, und das Potenzial, das diese Informati-
onsquelle bietet, wird nur unzureichend genutzt.

Wie könnten diese Daten genutzt werden?
Potenziell kann die Analyse von Real World Data mit ent-
sprechender Qualität insgesamt dazu beitragen, den
medizinischen Fortschritt und die Patientenversorgung
efektiver zu gestalten. Das fängt bereits bei der frühen
Forschung an: Mit jedem Datensatz wird unser Bild von
Erkrankungen schärfer und es ergeben sich potenzielle

neue Ansatzpunkte für die
Arzneimittelentwicklung.
Aber auch klinische Studien
und regulatorische Prozes-
se, beispielsweise Zulas-
sungs- und Erstattungsver-
fahren, können durch die
Auswertung qualitativ
hochwertiger Real World
Data beschleunigt werden.
In der Versorgung kann die
Analyse dieser Daten letzt-
lich dazu beitragen, dass
mehr Patientinnen und Pa-
tienten genau die Behand-
lung erhalten, die optimal an
ihre Krankheits- und Lebenssituation angepasst ist. Unterm
Strich muss es darum gehen, eine Art forschende Gesund-
heitsversorgung zu etablieren, in der wir von jeder einzelnen
Patientin und jedem einzelnen Patienten dazulernen. Wenn
uns dies gelingt, werden wir nicht nur immer besser verste-
hen, wie wir Patientinnen und Patienten besser behandeln
können – langfristig werden wir Erkrankungen möglicher-
weise sogar verhindern können.

Woran scheitert es bislang?
Der Schlüssel liegt in der Vernetzung und der Qualität der
Daten. Denn interessant sind tatsächlich nicht die Daten der
einzelnen Patientin und des einzelnen Patienten. Erst die
Vernetzung von vielen Tausend Datensätzen macht es über-
haupt möglich, Muster zu erkennen, die dann wiederum für
die Forschung, aber auch für individuelle Therapieentschei-
dungen genutzt werden können. In der Realität sind wir
davon hierzulande noch ein gutes Stück entfernt: Viele
Daten entsprechen nicht den qualitativen Ansprüchen, sind
unstrukturiert und viel zu oft liegen sie noch immer nur auf
dem Papier vor. Um das Potenzial von Real World Data für
den medizinischen Fortschritt zu nutzen, brauchen wir ein-
heitliche Qualitätsstandards – und eine Infrastruktur, die die
Vernetzung und den Austausch von Daten zu wissenschaft-
lichen Zwecken überhaupt ermöglicht.

FOTO:

© ROCHE PHARMA AG

Wie kann das gelingen?
Mit den entsprechenden Investitionen – und vor allem
einem gemeinsamen Willen aller Beteiligten im Gesund-
heitssystem. Denn rein technisch sind die Möglichkeiten
dank Digitalisierung und moderner Informationstechno-
logien längst gegeben: In den USA hat Flatiron Health,
einer unserer strategischen Partner, beispielsweise in
Kooperation mit Kliniken und Forschungseinrichtungen
innerhalb weniger Jahre eine Plattform etabliert, die Ver-
sorgungsdaten von Krebspatienten standardisiert erfasst,
miteinander vernetzt und somit nutzbar macht. Mittler-
weile sprechen wir hier von den Daten von mehr als zwei
Millionen Krebspatienten. Und diese Daten können
sowohl von Zulassungsbehörden, Kliniken, der Wissen-
schaft als auch anderen forschenden Unternehmen
genutzt werden.

Daten sind ein sensibles Thema ...
Absolut, und das ist insbesondere im Kontext von Gesund-
heitsdaten auch gut so. Für uns als forschendes Gesund-
heitsunternehmen, das in der Vergangenheit Tausende
klinische Studien mit Millionen von Patientinnen und
Patienten durchgeführt hat, steht außer Frage: Der Schutz
aller Daten zu Einzelpersonen hat immer oberste Priorität.
Gleichzeitig glaube ich aber, dass die Diskussion momentan
von difusen Ängsten vor unerlaubten Datenzugrifen
dominiert wird. Datenschutz ist wichtig – darf aber nicht
zur Blockade werden. Denn für uns ist klar: Wir müssen
einen Ausgleich inden zwischen den Rechten des Indivi-
duums an seinen Daten und dem gesamtgesellschaftlichen
Nutzen, den ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen
Daten in Aussicht stellt. Gerade der gesellschaftliche
Aspekt wird in der Debatte bisher viel zu wenig berück-
sichtigt. In diesem Zusammenhang ist am Ende vor allem
auch die Politik gefragt, die einen bundeseinheitlichen
Rechtsrahmen für die Nutzung von Patientendaten zu
wissenschaftlichen Zwecken schafen muss.

Weitere Informationen inden Sie unter:
→ http://www.roche.de

DR. SUSANNE SCHACH
ROCHE PHARMA AG
REAL WORLD DATA DIRECTOR

Speerspitze der modernen Medizin


Moderne Medizin ist Hightech: Biotechnologische Arzneimitel


sorgen schon heute dafür, dass Krankheiten früher erkannt,
Patienten besser behandelt und öter geheilt werden können.


Und die Potenziale der Biopharmazeutika sind riesig.


Mehr als die Hälte der 2018 in Deutschland neu zugelassenen


Medikamente waren Biopharmazeutika, wurden also mit biotechno-
logischen Methoden in lebenden Zellen, zum Beispiel in Bakterien,


hergestellt. Diese Art von herapeutika umfasst unter anderem
Antikörper gegen Krebs, Rheuma oder Augenleiden, Hormone wie
das Insulin, Impfstofe gegen Grippe, Gebärmuterhalskrebs oder


Ebola und seit Kurzem auch Gen- und Zelltherapien gegen Erkran-
kungen des Blutes oder auch Krebs. Dazu gesellen sich zahlreiche


diagnostische Tests, die auf biotechnologischen Methoden basieren
und auch als Begleitdiagnostika für herapien eingesetzt werden.


POTENZIAL IST RIESIG

Biopharmazeutika haben Fachärzten revolutionäre Optionen zur
Behandlung ihrer Patienten eröfnet, so zum Beispiel bei entzünd-
lichen Autoimmunerkrankungen oder Brust- und Hautkrebs. Im


FOTO:

© BIO DEUTSCHLAND

REDAKTIONELLER
GASTBEITRAG

AUTORIN
DR. VIOLA BRONSEMA
BIO DEUTSCHLAND E.V.
GESCHÄFTSFÜHRERIN

Bereich der Gen- und Zelltherapien stehen wir dagegen noch am
Anfang. Hier werden in den nächsten Jahren zahlreiche weitere
Indikationen erschlossen. Das Potenzial der Biotechnologie in der
Medizin ist riesig; die Chancen, schwerwiegende Krankheiten lang-
fristig zu therapieren und sogar heilen zu können, ist enorm.

In der modernen Biotechnologie verschmelzen die Forschungs-
ergebnisse zahlreicher Fachgebiete in interdisziplinärer Anwen-
dung. Die Initiative „100 Jahre Biotechnologie“ des Biotechnologie-
Industrieverbands BIO Deutschland beleuchtet herausragende
Meilensteine biotechnologischer Forschung und Entwicklung, wie
die Produktion lebensretender Antibiotika, die Sequenzierung des
menschlichen Erbguts oder eben die Entdeckung der „Genscheren“.

Mehr über das Potenzial der Biotechnologie erfahren Sie unter
http://www.100Jahre-biotech.de und auf Twitter @100JahreBiotech.

CHANCEN DER MEDIZIN 13
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