Neue Zürcher Zeitung - 01.11.2019

(Brent) #1

Freitag, 1. November 2019 INTERNATIONAL


Die «Ocean Viking » fährt tagelang im Kreis


Italiens Strategiegegen die Immigrantenist umstritten, abersie funktioniert


ANDRESWYSLING,ROM


Diesmal sind es 104 Migranten, die
am Donnerstag mit dem Rettungs-
schiff «OceanViking» nach Italienge-
langt sind. Am Mittwoch gingen sie in
Pozzallo an der Südspitze Siziliens an
Land, die meistenkommen aus Côte
d’Ivoire und Mali. Am18.Oktober wur-
den sie im Mittelmeer entdeckt und an
Bord genommen. Sie waren in einem
Schlauchboot unterwegs, 50 Meilen vor
der libyschenKüste. Unter den Ge-
retteten befinden sich 10Frauen und


41 Kinder; 31 von diesen sind unbe-
gleitet. Zwei schwangereFrauen und
zwei Kinder wurden ins Spital gebracht.
Alle Geretteten haben die Krätze. 70
sollen nachFrankreich und Deutsch-
land gebracht werden, die Übrigen blei-
ben in Italien.


12 Tage Ungewissheit


EineReporterin an Bordder «Ocean
Viking» hat in der italienischen Zeitung
«L’A vvenire» über die Situation an Bord
undüber die Erlebnisse der Migranten
in Nordafrika berichtet. Etwa von einer
Frau, die dreimal die Überfahrt auf
dem Schlauchboot wagte; eines wurde
von deralgerischenKüstenwache auf-
gebracht, eines gingunter,Mitreisende


ertranken. Beim dritten Mal kam die
«OceanViking» zu Hilfe. Dazwischen
verbrachte dieFrau viel Zeit inLagern
und als Gratis-Putzkraft in einem Privat-
haushalt. Insgesamt vierJahre dauerte
ihreReise nach Europa.
Vermutlich liess dieRegierung die
«OceanViking» erst nach12Tagender
Ungewissheit einlaufen, weil sie die
Regionalwahl in Umbrien abwarten
wollte. Den Sieg derRechten vermochte
sie damit nicht abzuwenden. Die «Ocean
Viking» drehte während der ganzen Zeit
ihreRunden auf See und war faktisch
blockiert.Politiker unterschiedlicherLa-
ger äusserten Entrüstung über die gelb-
roteRegierung aus Cinque Stelle und
demPartito Democratico. Die einen kri-
tisierten, dassman dieMigranten 12 Tage
lang nicht anLand gehen und auf dem
Meer im Ungewissen dümpeln liess, die
andern, dass man sie schliesslich doch
aufnahm.
Matteo Salvini, der Anführer der
fremdenfeindlichenRechten in Italien,

verspricht, er werde die Grenzen nicht
nurkontrollieren, sondern versiegeln. Er
nimmt für sich in Anspruch, dass er als
Innenminister die Bootsmigranten von
den italienischenKüsten ferngehalten
habe. Jetzt drohe mit der neuenRegie-
rung aber ein neuer Ansturm. Die Stra-
tegie der Migrationsabwehr hatte aller-
dings SalvinisVorgänger entworfen,
der sozialdemokratische Innenminister
Marco Minniti. Salvinikonnte sie über-
nehmen und führte sie mit Entschieden-
heit und öffentlichkeitswirksam fort. Er
versuchtezudem, die Tätigkeit der pri-
vatenRetter zu unterbinden. Diese
machten mit den libyschen Menschen-
schmugglern gemeinsame Geschäfte,
unterstellte er ihnen.
Tatsache ist, dass seit Anfang 20 18
die Migration übers Mittelmeer in
Richtung Italien und Malta drastisch
zurückgegangen ist und dass die bis-
herige Strategie von der neuenRegie-
rungimWesentlichen fortgesetzt wird.
Sie beruht auf einem alten Modell, das

schon zu Zeiten des libyschen Dikta-
tors Ghadhafi funktionierte: Man über-
lässt die Abwehr der Migranten der
libyschenKüstenwache. Diese soll das
Auslaufen vonBootenverhindern und
Migranten inLagern versorgen.Für
diese Dienstleistung erhält die liby-
scheRegierung Sarraj Geld von Ita-
lien und der Europäischen Union, dazu
auch Schiffe und weitereAusrüstung so-
wieAusbildung. Unter anderem wur-
denKurse zumThema Menschenrechte
angeboten.

Augenmerk auf libyscheZentren


Die Abmachung mit derRegierung Sar-
raj läuft nächstens aus, wird aber auto-
matisch verlängert, falls sie nicht gekün-
digt wird. DieRegierung inRom will
daran festhalten, aber gewisseKorrek-
turen vornehmen. BesonderesAugen-
merk gelte denAufnahmezentrenin
Libyen und denVerhältnissen dort, er-
klärteAussenminister Luigi Di Maio am

Mittwochabend. Esgibt 19 solche Zen-
tren, nach Angaben der Uno floriert
dort der Menschenhandel, Insassinnen
und Insassen werden gefoltert und ver-
gewaltigt.Wegen der Zustände in den
Lagern – aber auch wegen der allge-
meinenKriegssituation imLand –kön-
nen auf See gerettete Migranten gemäss
Völkerrechtnicht nach Libyen zurück-
geschafft werden.
ZweiRettungsschiffe mit weiteren
105 Migrantenwarteten am Donners-
tagabend auf die Erlaubnis zurLan-
dung in Italien; die Insassen sollen nach
dem gleichen Schlüssel unter die drei
Länder aufgeteilt werden. Und auf dem
Meer wurde nach einem verscholle-
nen Gummiboot gesucht, unter ande-
rem mit einem Flugzeug. Die privaten
Rettungsorganisationen fordern, dass
die Staaten der Europäischen Union
sich endlich auf einen Mechanismus zur
Verteilung der Migranten einigen, da-
mit die Seenotrettung effizient funk-
tionierenkönne.

Neuer Austragungsort für den Uno-Klimagipfel gesucht


Chile hat als Veranstalter des Treffens im Dezember abgesagt – als Alternativen im Gespräch sind jetzt Bonn, New York und Genf


NICOLE ANLIKER, RIO DEJANEIRO


Nach der kurzfristigen Absage Chiles
läuft die Suche nach einem geeigne-
ten Ort für dieAusrichtung der Uno-
Klimakonferenz im Dezember auf
Hochtouren. DieVerantwortlichen wol-
len amFreitag über Madrid als neuen
Austragungsort entscheiden.DieLan-
desregierung von Nordrhein-Westfalen
hatte noch Bonn alsTagungsort ange-
boten.Das Klimasekretariat derVer-
einten Nationen hat seinen Sitz in der
Stadt. Bereits imJahr 20 17 richtetediese
den Gipfel ersatzweise aus. Der Uno-
Standort Bonn würde für die neuerliche
Durchführung derKonferenz über beste
Erfahrungen verfügen, liess ein Sprecher
derLandesregierung verlauten. Die chi-
lenische Umweltministerin nannte der-


weil die beiden Uno-Sitze in NewYork
und Genf als mögliche Optionen.
Die GrünliberalePartei Genf fordert
die städtischen und kantonalen Behör-
den in einem am Donnerstagveröffent-
lichen Communiqué auf, als Organisa-
tor für dieKonferenz einzuspringen.
Das Genfer Präsidialdepartement rich-
tet aber aus, dass es die Anfrage vor-
derhand nicht zu beantworten gedenke.
Der Kanton verweist darauf, dass er
dem Bund bereits früher vorgeschlagen
habe,die übernächste Klimakonferenz
zu organisieren – derVorschlag sei in
Bern aber auf taube Ohren gestossen.

Reformen haben Priorität


Die Klimabeauftragte der Vereinten
Nationen,Patricia Espinosa,liess ledig-

lich verlauten, dass alternativeAustra-
gungsorte ausgelotet würden.Auch eine
Verschiebung derKonferenz wird offen-
bar in Erwägung gezogen. Der Klimagip-
fel COP 25 sollte vom2. bis 13. Dezember
in der chilenischen Hauptstadt Santiago
stattfinden.Angesichts der anhaltenden
Massenproteste mit teilweisegewalttäti-
genAusschreitungen hatte Chiles Präsi-
dent Sebastián Piñeraden Klimagipfel so-
wie den Gipfel der Asiatisch-Pazifischen
Wirtschaftsgemeinschaft im November
abgesagt. DieRegierung müsse sich nun
der Befriedung sowie den notwendigen
Reformen widmen, um denForderungen
der Demonstranten gerecht zu werden,
begründete er die Entscheidung.
Die Proteste hatten sich vor gut zwei
Wochen an der Erhöhung der Preisefür
U-Bahn-Tickets in Santiago entzündet.

Daraus entstandeine generelle Protest-
bewegung gegen die soziale Ungleich-
heit in Chile. 19Personen sind dabei ums
Leben gekommen. DieRegierung ver-
hängte rund zehnTagelang denAus-
nahmezustand und Ausgangssperren
über diverse Städte. Beide wurden am
Wochenende aufgehoben. Die Proteste
gehen trotzdem weiter.
Die Klimagipfel derVereinten Natio-
nen dienen dazu, die Umsetzung desPari-
ser Klimaabkommens voranzutreiben. In
diesem hatten sich Ende 20 15 alle wich-
tigenVerursacher von klimaschädlichen
Tr eibhausgasen darauf geeinigt, die Erd-
erwärmung auf unterzwei Gradüber dem
vorindustriellen Niveau zu beschränken.
VergangenesJahr waren mehr als 20 000
Teilnehmer zur Klimakonferenz ins süd-
polnische Katowice gereist, unter ihnen

mehrere Staats- undRegierungschefs.
DiesesJahr soll es unteranderem darum
gehen, nach welchenRegeln Staaten mit
Verschmutzungsrechten handelnkönnen.

BereitsBras ilien sagte ab


DieKonferenz findet nach Möglichkeit
jederJahr in einer anderenWeltregion
statt.VorChilehatte bereits Brasilienals
Veranstalter abgesagt. Brasilia zog seine
Kandidatur vor einemJahr auf Druck
des damals frisch gewählten Präsidenten
Jair Bolsonaro zurück. Dieser begrün-
dete seine Entscheidung mit den hohen
Organisationskosten. Späterräumte er
aber ein, dass das Klimaabkommen Bra-
siliens Souveränität über den Amazonas-
Urwald bedrohe und er deshalbkein In-
teresse habe, den Anlass durchzuführen.

Ein Migrant auf der«Sea-Watch» bei Lampedusa. GUGLIELMO MANGIAPANE / REUTERS

Politiker
unterschiedlicher Lager
äusserten Entrüstung
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