Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1
Silke Kersting, Klaus Stratmann
Berlin

E


s sind Unternehmer wie
Lars Baumgürtel, die in
diesen Tagen mit Sorge
in Richtung Berlin schau-
en. Dort befassen sich
Bundestag und Bundesrat am Freitag
in erster Lesung mit dem Entwurf
des Brennstoffemissionshandelsge-
setzes (BEHG). Das Gesetz regelt die
Einführung der nationalen CO 2 -Be-
preisung in den Sektoren Verkehr
und Wärme. Es steckt voller Tücken.
Für Baumgürtel, geschäftsführen-
der Gesellschafter der Verzinkerei
Voigt & Schweitzer aus Gelsenkir-
chen, sind die Folgen des Gesetzes
leicht auszurechnen: Wenn der
CO 2 -Preis von zehn Euro je Tonne wie
geplant 2021 eingeführt werde, verur-
sache er zu Beginn jährliche Zusatz-
kosten von 200 000 Euro, sagt
Baumgürtel. „2026, wenn der Preis
zwischen 35 und 60 Euro schwankt,
können es schon bis zu 1,2 Millionen
Euro sein. Das Geld fehlt uns für In-
novationen“, sagt Baumgürtel. Kom-
pensationen kann er zunächst nicht
erwarten.
Die Anlagen, die Baumgürtel be-
treibt, sind zu klein, um zur Teilnah-
me am europäischen Emissionshan-
del verpflichtet zu sein. Die Koalition
hat aber nur den Unternehmen, die
am europäischen Emissionshandel
teilnehmen, zugesagt, die dort gel-
tenden Ausnahmeregeln analog an-
zuwenden. Baumgürtels Unterneh-
men fällt damit durch den Rost. Die
Anlagen seines Unternehmens ver-
brauchen – verteilt auf mehrere
Standorte – etwa 100 Millionen Kilo-
wattstunden Gas und emittieren
20 000 Tonnen CO 2 pro Jahr. Dafür
wird er den vollen Preis zahlen.
Quer durchs Land sind Unterneh-
men mit hohem Energiebedarf be-
troffen, deren Anlagen nicht am eu-
ropäischen Emissionshandel teilneh-
men: Gießereien, Härtereien,
kleinere Papierhersteller – oder eben
eine Verzinkerei wie Voigt & Schweit-
zer. Es sind industrielle Mittelständ-
ler mit ein paar Dutzend oder mehre-
ren Hundert Mitarbeitern. Sie sorgen
sich um ihre Wettbewerbsfähigkeit,
streichen ihre Investitionen zusam-
men, einzelne sehen gar ihr Unter-
nehmen gefährdet.

Investitionen gefährdet
Ob und in welchem Umfang ihnen
geholfen wird, ist offen. Im Gesetz-
entwurf heißt es lediglich, dass ab
2022 Beihilfen durch finanzielle Un-
terstützung für klimafreundliche In-
vestitionen gewährt werden können.
Eine belastbare Zusage ist das nicht.
„Seit Jahren steigende Energiekos-
ten und jetzt obendrauf der Preis für
CO 2 : Diese hausgemachten Belastun-
gen sind für Unternehmen kaum zu
schultern. Das gefährdet Investitio-
nen und unsere Arbeitsplätze am
Standort Deutschland, das sehen Un-
ternehmen und Mitarbeiter als große
Gefahr“, sagt Hans-Toni Junius, Vor-
sitzender des BDI-Mittelstandsaus-
schusses. Junius ist im Hauptberuf
mittelständischer Unternehmer in
der metallverarbeitenden Industrie.
Lars Baumgürtel will allerdings
nicht aufgeben. „Wir werden unsere
Prozesse von Gas auf Wasserstoff um-
stellen. Aber das braucht Zeit und
kostet Geld“, sagt er. Geld, das ihm
über den CO 2 -Preis entzogen wird.
„Wir sehen in dem CO 2 -Preis einen
Tabubruch. Verschiedene Energieträ-
ger werden dadurch gegeneinander
ausgespielt. Die Bedeutung von Erd-
gas für Prozesswärmeanwendungen
wird unterschätzt und gleichzeitig

unterstellt, die deutsche Industrie
könnte zwangselektrifiziert werden“,
kritisiert Baumgürtel. Auch Nachhal-
tigkeitsaspekte würden ausgeblendet,
beklagt der Gelsenkirchener. „Die
Frage, wofür Energie eingesetzt wird,
spielt in den Betrachtungen der Bun-
desregierung offenbar keine Rolle.
Der CO 2 -Preis funktioniert wie eine
reine Input-Steuer, es findet keine Le-
benszyklus-Betrachtung statt. Mit der
Verzinkung verlängern wir die Le-
bensdauer von Produkten um Jahr-
zehnte, doch das bleibt völlig unbe-
rücksichtigt“, klagt er.
Aber nicht nur industrielle Mittel-
ständler, die nicht am Emissions-
handel teilnehmen, haben ein Pro-

blem. Größere CO 2 -Emittenten, die
am europäischen Emissionshandel
teilnehmen, fürchten Doppelbelas-
tungen. Das kann die Sektoren In-
dustrie und Energie gleichermaßen
treffen. „Konkret besteht die Ge-
fahr, dass für Gas beim Einkauf na-
tionale und bei der Verbrennung
desselben Gases im Kraftwerk euro-
päische Emissionshandelszertifika-
te erworben werden müssen. Auf
dieser Basis wird niemand in neue,
für die Versorgungssicherheit drin-
gend notwendige Gaskraftwerke in-
vestieren“, sagt Katherina Reiche,
Hauptgeschäftsführerin des Verban-
des Kommunaler Unternehmen
(VKU).

Die Bundesregierung hatte in der
Debatte über die Einführung eines
CO 2 -Preises für die Sektoren Verkehr
und Wärme zwar zugesagt, Doppel-
belastungen verhindern zu wollen;
mit dem Gesetzentwurf wird diese
Zusage aber zunächst nicht eingelöst.
Dem Entwurf ist anzusehen, dass
er mit heißer Nadel gestrickt wurde.
Bei nur 23 Paragrafen enthält das Ge-
setz 13 Verordnungsermächtigungen.
Wichtige Fragen bleiben damit zu-
nächst ungeklärt. In einigen Fällen ist
der gute Wille des Gesetzgebers he-
rauszulesen, noch für Entlastungen
zu sorgen. In anderen Fällen bleiben
die in Aussicht gestellten Kompensa-
tionen nur sehr vage formulierte
Kann-Bestimmungen.

Kompensationen fraglich
Die FDP sieht die Belastung vieler Un-
ternehmen durch den doppelt zu zah-
lenden CO 2 -Preis nicht nur als „Affront
gegen die Industrie“. Sie sei auch aus
klimapolitischer Sicht fatal, sagte Lu-
kas Köhler, klimapolitischer Sprecher
der FDP-Bundestagsfraktion, dem
Handelsblatt. Investitionen in klima-
freundliche Innovationen seien der
Schlüssel für erfolgreichen Klima-
schutz. Darum wäre es völlig kontra-
produktiv, dem Markt unnötig Liquidi-
tät zu entziehen. Wenn Anlagen bereits
am europäischen Emissionshandel
teilnähmen, „müssen die Emissionen,
die dort bei der Verbrennung entste-
hen und bereits mit einem CO 2 -Preis
belegt sind, von den Emissionen abge-
zogen werden, die für den Bezug von
Brennstoffen berechnet werden“,
heißt es in einem Entschließungsan-
trag, den die Liberalen am Freitag ins
Parlament einbringen. „Die Unterneh-
men, die den Klimaschutzplan der
Bundesregierung am Ende umsetzen
müssen, dürfen nicht die Leidtragen-
den einer völlig überstürzten Gesetzge-
bung ohne echte öffentliche Beteili-
gung sein“, sagte Köhler.
Das „Bündnis faire Energiewen-
de“, in dem sich mehrere mittelstän-
disch geprägte Industrieverbände zu-
sammengeschlossen haben, kriti-
siert, das BEHG sei nicht zu Ende
gedacht: „Wenn wir mit unserer Kli-
mapolitik nicht aufpassen und die
Produktion in Deutschland weiter
verteuern, werden wir unsere Pro-
dukte in Zukunft von ausländischen
Produzenten mit weitaus schlechte-
ren ökologischen Standards und
CO 2 -Werten beziehen“, warnt Inge-
borg Neumann vom Bündnis faire
Energiewende.
Während für einige Branchen
Kompensationen oder Beihilfen we-
nigstens möglich erscheinen, schau-
en andere komplett in die Röhre, da-
runter auch solche, die im internatio-
nalen Wettbewerb stehen.
Ein typisches Beispiel ist die Logis-
tikbranche. Jörn Wahl-Schwentker
vom Bielefelder Speditionsunterneh-
men Wahl rechnet vor: „Wenn der
CO 2 -Preis von zehn Euro je Tonne ab
2021 eingeführt wird, haben wir
30 000 Euro Mehrkosten beim Die-
sel. Wenn dann ab 2026 der Preis
zwischen 35 Euro und 60 Euro
schwankt, bewegen sich die zusätzli-
chen Kosten zwischen 100 000 und
180 000 Euro.“ Sein Unternehmen
steht wie die gesamte Branche in
Deutschland im mörderischen Wett-
bewerb insbesondere mit osteuropäi-
schen Unternehmen mit wesentlich
günstigeren Kostenstrukturen. „Es
wird immer schwieriger, da mitzuhal-
ten. Wenn nun ausländische Unter-
nehmen Aufträge übernehmen, ver-
bessert das zwar rein rechnerisch die
deutsche CO 2 -Bilanz. Tatsächlich wird
aber keine einzige Tonne CO 2 einge-
spart“, sagt Wahl-Schwentker.

Nationaler Emissionshandel


Wenn der Staat


doppelt kassiert


Der CO 2 -Preis setzt viele Unternehmen unter Druck.


Entlastungen gibt es in vielen Fällen zunächst nicht.


Aus der Opposition kommt Kritik.


Stromverbraucher
Stahlwerk: Angst vor
zu hoher Belastung.

imago images / Jochen Tack


Wirtschaft & Politik


(^14) WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216

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