4 KONJUNKTUR
Sonderveröffentlichung zum Thema „IMMOBILIENWIRTSCHAFT“ | November 2019 HandelsblattJournal
Ist Kaufen und
Mieten noch
erschwinglich?
von Prof. Dr. Michael Voigtländer
D
er Wohnungsmarkt steht derzeit im poli
tischen und öfentlichen Fokus. Dabei
geht es meist um die starken Miet und
Preissteigerungen der letzten Jahre, ins
besondere in den Großstädten wie Mün
chen, Stuttgart und Berlin. Doch auch abseits der
begehrten Großstädte haben Immobilien teils stark an
Wert gewonnen. Daraus aber zu folgern, dass Wohn
raum unerschwinglich geworden ist, greift zu kurz.
Schließlich muss auch die Entwicklung der Löhne
berücksichtigt werden. Deutschland erlebt seit nun
fast zehn Jahren nicht nur einen Wohnungsmarkt
boom, sondern einen Arbeitsmarktboom. Jedes Jahr
steigt die Zahl der Erwerbstätigen auf ein neues
Rekordhoch – der Fachkräftemangel sorgt dafür, dass
die Löhne in vielen Berufen deutlich ansteigen.
Stellt man Lohn und Mietentwicklung gegenüber,
erhält man sehr erstaunliche Ergebnisse: Nur in einem
Drittel der Kreise sind die Mieten schneller gestiegen
als die Löhne – diese Kreise liegen vor allem in Bay
ern und BadenWürttemberg. In zwei Dritteln der
Kreise ist Wohnraum dagegen für den Durchschnitts
verdiener erschwinglicher geworden. Dies gilt auch
für Großstädte. In Frankfurt am Main etwa sind die
Mieten zwischen 2014 und 2018 um etwa sechs Pro
zent gestiegen, die Löhne aber im Durchschnitt um
8,3 Prozent. Ähnlich sieht es in Hamburg, Köln und
Düsseldorf aus.
Insbesondere Wohneigentum ist erschwinglicher
geworden. Zwar sind die Preise mitunter viel stär
ker als die Mieten gestiegen, aber die Zinsentwick
lung gleich das wieder aus. Das Institut der deut
schen Wirtschaft vergleicht regelmäßig die Kosten
eines Selbstnutzers und die Kosten eines Mieters, die
die gleiche Wohnung nutzen. Durchschnittlich liegen
die Kosten der Selbstnutzer rund 30 Prozent niedri
ger als die des Mieters. Zwischen den Kreisen gibt es
zwar Unterschiede, aber aktuell ist Kaufen in 94 Pro
zent der Kreise günstiger als Mieten. Eine andere
Rechnung belegt, dass es heute vielfach möglich ist,
die eigene Wohnung nicht nur günstiger zu nutzen,
sondern auch in der Erwerbsphase komplett abzube
zahlen, ohne stärker als ein Mieter belastet zu sein.
Entsprechend ist der mit dem Wohneigentum verbun
dene Vermögensaufbau quasi kostenlos, einschließ
lich der besseren Altersvorsorge.
Aus diesen Befunden sollten drei Schlüsse gezogen
werden:
Das Problem ist nicht primär die Mietentwicklung,
sondern das fehlende Wohnraumangebot.
Nach wie vor wird in den meisten Metropolregi
onen zu wenig gebaut, sodass Wohnungssuchende
nicht das Angebot inden, das zu ihren Bedürfnis
sen passt. Um den Wohnungsbau anzuregen, braucht
es vor allem mehr Bauland und eine insgesamt ofe
nere Haltung gegenüber dem Wohnungsbau. Schließ
lich scheitern viele größere Stadtentwicklungen am
Widerstand der Bürger, die etwa zunehmenden Ver
kehr, den Verlust von Freilächen oder schlichtweg
geringere Preissteigerungen ihrer eigenen Immobi
lien fürchten.
Allerdings müssen auch die Städte selbst überzeugt
werden, sich zu vergrößern. Viele Städte sind schlicht
nicht in der Lage, den notwendigen Ausbau der Inf
rastruktur zu inanzieren. Hier sollten der Bund und
das jeweilige Land bessere inanzielle Anreize bieten.
Städte wie Wien mit der Seestadt Aspern oder aber
Kopenhagen zeigen, wie neue Stadtquartiere entwi
ckelt werden können, die mehr Wohnraum, Gewer
„ In zwei Dritteln
der Kreise ist
Wohnraum für
den Durchschnitts-
verdiener
erschwinglicher
geworden. Dies
gilt auch für
Großstädte.“
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