Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1
North Carolina können die 175 Millionen
Dollar nur ein Anfang sein, »ein erster
Schritt«.
In der Tat hätten FIA und Liberty Me-
dia die Budgetgrenze gern bei 130 oder
150 Millionen Dollar angesetzt. Aber das
war gegen die Front der Teams von Mer-
cedes, Ferrari und Red Bull nicht durchzu-
setzen. Fraglich erscheint auch, ob es der
FIA gelingt, die Teams zu kontrollieren,
und zu überprüfen, inwieweit die Deckel
eingehalten werden. Unabhängige Wirt-
schaftsprüfer sollen dazu einen Blick in
die Bücher erhalten – was bei verschach-
telten Riesenunternehmen wie Mercedes
oder Fiat/Ferrari eine echte Herausforde-
rung werden dürfte.
So können ausgerechnet jene Platzhir-
sche die wahren Profiteure des Kosten-
dämpfungsprogramms werden, die seit
Jahren die Siege unter sich aufteilen. Denn
die Motorsportabteilungen aller Autoher-
steller stehen unter erhöhtem Rechtferti-
gungsdruck.
Die Teilnahme an Autorennen war nie
unumstritten. Interne Kritiker konnten
jedoch meist durch Erfolge beruhigt
werden – wenn etwa Firmen wie Porsche
(Le-Mans-Siege), Audi (Rallye), BMW
(Tourenwagen) oder Mercedes (Formel 1)
über den Sport das Image der Marke zu
stärken vermochten.
Das wird nun immer schwieriger in Zei-
ten, da das Konzept des Verbrennungs -
motors zum Auslaufmodell erklärt worden
ist. Zumal Ressourcenschonung und Nach-
haltigkeit die Werte jener Menschen sind,
die künftig noch die Produkte der Auto-
werke kaufen sollen.
Das Cost Cap ist somit auch ein Signal
in die Führungsetagen bei Mercedes, Hon-
da und Renault. Denn dass all diese Un-
ternehmen noch dabei sind, wenn das
neue Reglement 2021 zum Tragen kommt,
ist keineswegs sicher.

109

Sport

1992
1,8

2001
10,4

2010
6,3

Stand


  1. Oktober
    2019
    4,0


Ausgebremst
TV-Zuschauer* bei der Formel 1, in Mio. pro Saison

Michael Schumacher
Sebastian Vettel
Nico Rosberg

WM-Titel:

* Durchschnitt ab 3 Jahren bei RTL, in Deutschland

Der derzeit größte Wackelkandidat ist
Renault. Das Team ist chronisch erfolglos,
der motorsportfreundliche Vorstandschef
Thierry Bolloré musste vor drei Wochen
seinen Stuhl räumen, wer ihm folgen wird,
ist offen.
Auch Honda, das neben Red Bull auch
Toro Rosso mit Motoren versorgt, denkt
über die Verlängerung seines Engagements
nach. Selbst die Firma Mercedes, die seit
sechs Jahren ohne Unterbrechung Fahrer-
wie Markentitel gewinnen konnte, hat sich
bislang nur bis Ende 2020 verpflichtet.
Hinter den Kulissen gibt es deshalb
Gespräche, wie auch die Kosten für die
Motorenentwicklung eingedämmt werden
können. Red Bulls Chefstratege Helmut
Marko sieht sonst Gefahr in Verzug: Wenn
die Motoren für Hersteller nicht billiger
würden, »bleibt da kaum einer übrig«.
Seit 2014 fährt die Formel 1 mit sehr
modernen und komplizierten Hybrid -
motoren, die aus einem Sechszylinder-Ver-
brennungsmotor und einer Batterieeinheit
bestehen. Die Batterie wird gespeist durch
die Abgaswärme des Motors und die Rück-
gewinnung der Bremsenergie. Die Antrie-
be sind Meisterwerke an Effizienz, inzwi-
schen aber auch so ausgereift, dass jede
Ausbaustufe nur noch kleine Fortschritte
ermöglicht, aber irrsinnig viel Geld ver-
schlingt. Doch werden sich die Hersteller
wirklich auf ein Einfrieren der Motoren-
entwicklung einigen können?
Wie mühsam es ist, Einigkeit unter den
Teams zu erzielen, haben FIA und Liberty
Media gemerkt, als sie das neue technische
Regelwerk aufgesetzt haben. Monatelang
trafen sich Rennstallchefs, Ingenieure, Funk-
tionäre. Aber im Effekt, so analy sierte es
»auto motor und sport«, wurde der Prozess
von den großen Teams verzögert: »Die Kri-
tiker sagten den Experten der FIA nur, was
ihnen nicht gefällt, hatten selbst aber keinen
Gegenvorschlag zu bieten.«
Liberty Media kam es vor allem darauf
an, Rennen mit mehr Überholmanövern,
mehr Spektakel, einem engeren Teilneh-
merfeld zu erreichen – etwa durch neu kon-
struierte Heckflügel. Bislang produzieren
die Leitbleche so viel Luftverwirbelungen
(»dirty air«), dass ein dahinter fahrendes
Rennauto seine Stabilität verliert. Künftig
sollen Fahrer leichter in den Windschatten
hineinfahren und dann überholen können.
Die Ingenieure aller zehn Teams wür-
den nun versuchen, den besten Heckflügel
auszutüfteln, prophezeit Haas-Teamchef
Steiner. Und zwar einen, der es dem fol-
genden Auto wieder schwer macht zu
überholen.
Noch haben sie dafür genug Zeit und
Geld zur Verfügung. Bis zum Saisonstart
2021 können die Teams schließlich so viel
Geld ausgeben, wie sie wollen.
Alfred Weinzierl

zu bewältigen sein. Der Grand-Prix-Zirkus
ist geprägt von einer Zweiklassengesell-
schaft. Drei Rennställe – Mercedes, Ferrari
und Red Bull (der mit Honda-Motoren
fährt) – geben pro Jahr jeweils mindestens
300 Millionen Dollar aus. Die sieben üb-
rigen Teams müssen mit einem Budget von
100 bis 200 Millionen Dollar auskommen.
Die Folge: Von 54 Podestplätzen bei bis-
lang 18 Grand-Prix-Läufen errangen die
Fahrer der drei Topteams 53.
Das spricht nicht gerade für Rennen mit
Überraschungsmomenten. Nico Hülken-
berg aus Emmerich am Niederrhein ist seit
zehn Jahren Formel-1-Fahrer. Er gilt als
schnell, mutig, hoch professionell. Aber in
174 Einsätzen hat der 32-Jährige nicht ein
einziges Mal an der Siegerzeremonie der
ersten drei teilnehmen dürfen. Auch nicht,
nachdem er vor drei Jahren beim Werks-
team von Renault anheuerte.
Ein ähnliches Schicksal befürchtet für
sich der Däne Kevin Magnussen. 2014
schaffte er den Sprung in die Formel 1, weil
er zuvor in anderen Klassen Siege einge-
fahren hatte. »Mein Traum waren Grand-
Prix-Siege und der WM-Titel«, sagt der
27-Jährige. Nun hat er seit sechs Jahren
kein Autorennen mehr gewonnen, sein
Team des amerikanischen Werkzeug -
maschinenherstellers Gene Haas hat weni -
ger als die Hälfte des Budgets der großen
drei zur Verfügung.
»Eigentlich sollte der Fahrer den größten
Unterschied ausmachen – in der Formel 1
ist er der kleinste«, sagt Magnussen, »wir
20 Fahrer liegen ein paar Zehntel aus -
einander, aber nicht zwei Sekunden.« Den
Unterschied mache das Auto.
Liberty Media will diese Zweiklassen-
gesellschaft aufbrechen. Und bedient sich
dazu eines Mittels, das in US-Profisport-
arten wie Basketball oder Eishockey bei
den Gehältern schon lange angewendet
wird: Es geht um die Limitierung der
Budgets.
Laut dem neuen FIA-Reglement dürfen
die Rennställe künftig maximal 175 Mil-
lionen Dollar pro Saison ausgeben. Aus-
genommen von dem sogenannten Cost-
Cap sind die Gehälter der Fahrer und
von drei weiteren höchstbezahlten Mitar-
beitern sowie die Kosten für Reisen und
Marketing.
Doch diese Ausnahmen zeigen, wie frag-
würdig der Etatdeckel ist: Die Topteams
können künftig immer noch geschätzt
230 bis 240 Millionen Dollar ausgeben –
während bis auf Renault die kleineren
Rennställe die Obergrenze von 175 Millio-
nen sowieso nie erreichen werden.
Dass das Cost Cap mehr Fahrer aufs Sie-
gerpodest bringen wird, das glaubt auch
Haas-Teamchef Günther Steiner nicht:
»Die Überlegenheit der großen drei wird
bei so einer finanziellen Differenz fortbe-
stehen.« Für den Südtiroler mit Dienstsitz

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