Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

A


lle paar Monate reisen die wich-
tigsten CDU-Funktionäre aus den
Bundesländern für eine Konfe-
renz in die Parteizentrale nach
Berlin. Als die Geschäftsführer und Gene-
ralsekretäre in dieser Woche wieder einmal
im Konrad-Adenauer-Haus eintrafen, um
sich über strategische und organisatorische
Fragen auszutauschen, wartete ein promi-
nenter Referent auf sie: Karl Nehammer,
Generalsekretär der österreichischen ÖVP.
Der 47-Jährige berichtete den CDU-
Leuten, wie es der österreichischen Part-
nerpartei gelungen ist, den jungen Spitzen-
mann Sebastian Kurz nach Ibiza-Skandal
und Koalitionsbruch wieder zum Kanzler
zu machen.
In diesem Wahlkampf, so soll Neham-
mer Teilnehmern zufolge berichtet haben,
hätten die österreichischen Konservativen
weitgehend auf Werbeanzeigen verzichtet
und dafür auf die eigenen Leute als Multi-
plikatoren gesetzt. Die ÖVP-Mitglieder
und Sympathisanten, ob Unternehmer,
Frauenverbände oder Landburschen, sei-
en darauf getrimmt worden, ihre Freunde,
Kollegen, Nachbarn mit eigenen Aktionen
für Sebastian Kurz zu mobilisieren.
Im kleinen Österreich funktionierte das
Experiment: Die »Liste Kurz« erhielt
37,5 Prozent und hat die Wahl klar gewon-
nen. Schön für die Parteifreunde in Wien.
Nur: Wo ist ein solcher Heilsbringer für
die CDU?
Es gibt ihn nicht.
Da ist die schwer angeschlagene Partei-
chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die
ihr Amt auch nach bald einem Jahr noch
nicht ausfüllt. Ihre Umfragewerte sind ver-
heerend, ihre Autorität wird in CDU-Gre-
miensitzungen sogar vom Chef der Partei-
jugend offen infrage gestellt. Größer kann
die Blamage kaum sein.
Klar, es gibt auch die frühere CDU-Vor-
sitzende Angela Merkel, die immer noch
hohe Beliebtheitswerte genießt, aber auf
den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft
jeden Gestaltungsanspruch aufzugeben
scheint. Seit Monaten hält sie sich bei den
vielen Konfliktherden in Partei und Koali-
tion zurück, ob Grundrente oder Syrien-
krieg. Sie lässt die Dinge laufen.
In der Union wachsen Zorn und Frust
über die beiden Frauen an der Spitze. Die
eine hat Macht, will aber nicht führen. Die
andere kann nicht führen, weil sie macht-
los ist. Bei wichtigen Landtagswahlen ver-
zeichnete die CDU starke Verluste, die
Bundespartei stagniert in Umfragen und
zerreibt sich sogar über fundamentale
Prinzipien wie die Ablehnung der Links-
partei als politischen Partner.
»Meine Hoffnung war, das Doppel
Kramp-Karrenbauer mit Merkel würde
uns als Partei stark nach vorne bringen«,
sagt der CDU-Innenexperte Armin Schus-
ter. »Das hat leider gar nicht funktioniert.«


Das Führungsvakuum in Partei und Re-
gierung setzt destruktive Kräfte frei. Es
melden sich Möchtegern-Kanzlerkandida-
ten, Politpensionäre und ehrgeizige Jung-
spunde zu Wort, die mal die Parteichefin
und mal die Bundeskanzlerin attackieren,
mal lauter, mal leiser.
Zu ihnen zählt der Beinahe-Parteichef
Friedrich Merz, der 2018 die Stichwahl ge-
gen Kramp-Karrenbauer knapp verlor. Er
arbeitet sich vor allem an der »grotten-
schlechten« Regierungsarbeit seiner alten
Rivalin Angela Merkel ab, kritisiert ihre
»Untätigkeit und mangelnde Führung«.
Ähnlich agiert der ehemalige hessische Re-
gierungschef Roland Koch, der Merkel in
der Zeitschrift »Cicero« vorwirft, »Argu-
mentationsenthaltung« zu betreiben.
Die zweite Front formiert sich gegen
Parteichefin Kramp-Karrenbauer und
stellt ihre Kompetenz und Autorität
infrage. Da wäre Armin Laschet, Chef
des stärksten CDU-Verbands Nordrhein-
Westfalen, mit eigenen Ambitionen auf
die Kanzlerkandidatur. Er nutzt manche
Gelegenheit, hier einen Vorschlag der
Parteivorsitzenden zu kritisieren und dort
ein schiefes Zitat von ihr sanft zu korri-
gieren.
Richtig gefährlich wird es für Kramp-
Karrenbauer, wenn sich Zweifler und
Kritiker melden, denen man nicht vor -
werfen kann, nur die eigene Karriere be-
schleunigen zu wollen. So wie Parteifreun-
din Susanne Eisenmann, die Kultusminis-
terin in Baden-Württemberg, die klagt:
»Die Handschrift der CDU ist nicht klar
erkennbar. Da muss mehr Führung und Li-
nie rein.« Es brauche politische Köpfe,
»die authentisch für christdemokratische
Grundüberzeugungen eintreten«. Eisen-
mann: »Derzeit herrscht in der Partei eine
gewisse personelle Austauschbarkeit.«
Oder Michael Brand, Innen- und Ver-
teidigungsexperte der Union, der fordert,
die CDU müsse endlich wieder »inhaltlich
kontrovers diskutieren und damit die Mei-
nungsführerschaft zurückerobern«.
Ist Kramp-Karrenbauer schlicht nicht
kanzlertauglich, fragen sich selbst die, die
es eigentlich gut mit »AKK« meinen, wie
Heinz Eggert, ein Urgestein der sächsi-
schen CDU. Eggert hat die Saarländerin,
anders als viele sächsische Kollegen, an-
fangs unterstützt. »Inzwischen habe ich
allerdings den Eindruck, die erhoffte Wen-
de ist nicht eingetreten.«
Entweder gelinge Kramp-Karrenbauer
noch ein Befreiungsschlag, der ihre Akzep-

tanz bei den Wählern steigere, sagt Eggert.
»Oder man muss neu nachdenken.«
Man könnte diesen Machtkampf als rein
innerparteiliches Spektakel abtun, wenn
nicht viel mehr auf dem Spiel stünde. Mit
der Union gerät nach der SPD die letzte
verbleibende Volkspartei ins Schlingern.
Die Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 hat
die CDU in eine Sinnkrise gestürzt, aus
der sie sich bis heute nicht befreit hat.
Und wenn schon die CDU an der eige-
nen Führung zweifelt – warum sollten die
Wähler ihr dann vertrauen?

Zwei Bilder von Annegret Kramp-Kar-
renbauerillustrieren ihr Drama, zwischen
ihnen liegen gut zehn Monate: Das eine
zeigt die CDU-Frau auf dem Gipfel, das
andere am Abgrund.
Da ist das Bild des Parteitags vom De-
zember 2018: Kramp-Karrenbauer winkt
den Delegierten zu, mit Tränen der Rüh-
rung kämpfend. Gerade hat sie erfahren,
dass sie Friedrich Merz im Rennen um den
CDU-Vorsitz besiegt hat, mit dem knap-
pen Vorsprung von 35 Stimmen. Der Saal
jubelt, auch die Merz-Anhänger klatschen
für die Parteifreundin aus dem Saarland.
Das andere Bild ist jenes, das »AKK«
diese Woche im Konrad-Adenauer-Haus
abgibt. Blass und schmallippig tritt sie vor
die Journalisten, es ist die Pressekonferenz
nach der Thüringenwahl, bei der die CDU
eine historische Niederlage kassiert hat:
Nur noch drittstärkste Kraft, ausgerechnet
ein linker Ministerpräsident und ein
Rechtsaußen an der AfD-Spitze haben sich
vor den CDU-Spitzenkandidaten Mike
Mohring geschoben.
Stimmt es, fragt ein Reporter, dass in
der Vorstandssitzung am Morgen Kramp-
Karrenbauers Position als Bundesvorsit-
zende infrage gestellt worden sei? Ja, be-
stätigt sie, »die Führungsfrage wurde ge-
stellt«. Sie selbst finde zwar, dass die CDU
erst 2020 einen Kanzlerkandidaten küren
müsse. Aber: »Wer immer meint, diese
Frage müsse jetzt in diesem Herbst ent-
schieden werden, der hat auf dem Bundes-
parteitag die Gelegenheit dazu.«
Damit hat die Vorsitzende selbst den
Machtkampf in der CDU für eröffnet er-
klärt. Seitdem scheint es, als würde vor al-
lem Kramp-Karrenbauers Nervenstärke
sie noch im Amt halten. In Krisensituatio-
nen, wenn sie direkt angegriffen wird, be-
hält sie die Ruhe. Es ist höchst unwahr-
scheinlich, dass einer ihrer Rivalen es wagt,
sie auf dem Parteitag in Leipzig Ende
November offen herauszufordern.
Andererseits ist die Dynamik solcher
Treffen unberechenbar. Und wie stark
ist eine Parteichefin, die sich nur mit ver-
zweifelten Kampfansagen im Amt halten
kann?
Schuld an ihrer Misere sind nicht allein
eigene Fehler. Ausgerechnet ihre Verbün-

DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019 31


Deutschland

Richtig gefährlich wird
es, wenn sich Kritiker
melden, die »AKK« bis-
lang unterstützt haben.
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