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Hongkong
»Wir befinden uns in einer
humanitären Krise«
Alfred Wong ist Kardiologe und arbeitet
in einem öffentlichen Krankenhaus in
Hongkong. Seit Beginn der Proteste arbei-
tet er mit manchen seiner Kollegen nach
Schichtende im Untergrund weiter. Er
behandelt dann Demonstranten, die nicht
in die öffentlichen Krankenhäuser wollen:
Sie haben Angst, dass ihre Daten dort
an die Polizei weitergegeben werden.
Wong und seine Kollegen haben für sie
eine Hotline eingerichtet.
SPIEGEL: Herr Wong, mit welchen Verlet-
zungen kommen die Demonstranten zu
Ihnen?
Wong:Das reicht von leichten Verletzun-
gen, etwa Hautirritationen durch Tränen-
gas, bis hin zu Brüchen und verletzten
Organen. Manche Patienten schweben in
Lebensgefahr. Wir bekommen Anrufe und
Textnachrichten und versuchen, so die
Situation zu erfassen. Wenn es geht,
geben wir Anweisungen über das Telefon.
Bei schweren Fällen vereinbaren wir
einen Treffpunkt für eine Behandlung.
Wo diese stattfinden, kann ich Ihnen nicht
sagen, um unsere Patienten zu schützen.
SPIEGEL: Über wie viele Patienten
sprechen wir?
Wong:Wir geben die
Zahl nicht heraus, aber
ich kann Ihnen sagen,
dass wir in etwa so
viele Menschen behan-
deln wie die Notauf -
nahme eines mittelgro-
ßen Krankenhauses.
Und es werden immer
mehr.
SPIEGEL: Wovor haben
die Demonstranten
Angst?
Wong:Es gibt zahlrei-
che Berichte darüber,
dass die Polizei an
Patientendaten aus den
Krankenhäusern gekommen ist. Die
Beamten können auf die Computer zu -
greifen. Das ist aber eigentlich ein Me -
chanismus für Notfälle. Seit Juni wird er
offenbar missbraucht, um den Demons-
tranten nachzuspüren. Außerdem
patrouillieren Beamte um die Kliniken
herum und behindern Ärzte bei der
Behandlung.
SPIEGEL: Wie sieht das aus?
Wong:Zum Beispiel indem sie sich wei-
gern, den Raum zu verlassen, wenn
Ärzte oder Krankenschwestern einen
mutmaßlichen Demonstranten unterhalb
der Gürtellinie untersuchen müssen. So
etwas habe ich vorher noch nie erlebt.
Sogar in Kriegszeiten haben Verletzte das
Recht, sich medizinisch untersuchen zu
lassen. Doch in Hongkong verzichten die
Menschen aus Angst vor der Polizei
darauf. Wir befinden uns in einer huma -
nitären Krise.
SPIEGEL: Begeben Sie sich durch diese
Behandlungen selbst in Gefahr?
Wong:Was wir tun, ist nicht illegal. Die
Leute um uns herum wissen, was wir
machen, es ist kein Geheimnis. Nur wo
und was wir genau behandeln, ist streng
vertraulich – nicht um uns zu schützen,
sondern die Patienten. Es ist aber schon
passiert, dass Spione mit angeblichen Ver-
letzungen zu uns gekommen sind. Das
merken wir schnell, wir alle sind erfahre-
ne Ärzte. VKS
Kasachstan
Zum Schweigen
verdammt
Das Büro der Nichtregierungsorgani-
sation »Atajurt« in der kasachischen
Stadt Almaty glich bis vor Kurzem
einem Bienenstock: Dutzende Familien
drängten sich dort, um Angehörige als
vermisst zu melden. Die Verschwunde-
nen gehören zu den 1,5 Millionen Mus-
limen, die in der chinesischen Provinz
Xinjiang in Lagern der Regierung in -
haftiert sind. Peking behauptet, Ui -
guren, Kasachen und andere Minderhei-
ten »umzuerziehen«, um Terrorismus
zu stoppen. Häftlinge, die entkommen
sind, berichten von Menschenrechts -
verletzungen. In dieser Woche haben
Deutschland und rund 20 weitere Län-
der China wegen seiner Unterdrückung
der uigurischen Minderheit vor der
Uno kritisiert. Der prominente China-
kritiker Serikschan Bilasch und seine
Kollegen von »Atajurt« dokumentier-
ten das Verschwinden der Kasachen in
Xinjiang. Der kasachischen Regierung
passt das nicht. Sie hat Bilasch unter
Androhung einer mehrjährigen Haft-
strafe jüngst verboten, politisch aktiv zu
sein. Er habe zu einem »Informations-
krieg« gegen China aufgerufen. China
ist Kasachstans zweitgrößter Handels-
partner. Das Megaprojekt »Neue Sei-
denstraße« führt durch das Land – mit
dem mächtigen Nachbarn will Kasachs-
tan es sich nicht verscherzen. KUK
EMILE DUCKE NYT / REDUX / LAIF
Chinakritiker Bilasch
Tansania
Saubermann auf Abwegen
Als Hoffnungsträger hatte John Pombe
Magufuli angefangen, seit 2015 regiert er
das ostafrikanische Tansania. Er bekämpf-
te Korruption und verbot Ministern teure
Flugreisen. In den sozialen Netzwerken
wurde »Was würde Magufuli tun?« zum
beliebten Hashtag seiner hoffnungsvollen
Unterstützer. Doch längst zeigt Magufuli
eine neue Seite: Systematisch lässt er die
politischen Freiheiten beschneiden, doku-
mentieren die Menschenrechtsorganisa -
tionen Amnesty International und Hu -
man Rights Watch in zwei neuen Berich-
ten. So beschränken neue Gesetze die
bisherige Versammlungs-, Meinungs-,
Rede- und Pressefreiheit. Seit 2018 etwa
müssen sich Blogger mit einer teuren
Lizenz staatlich registrieren lassen; der
Webverkehr aus Internetcafés darf ohne
richterliche Anordnung überwacht wer-
den. Opposi tionspolitiker dürfen de facto
keine politischen Versammlungen abhal-
ten. Journalisten werden an ihrer Arbeit
oft gehindert und juristisch verfolgt. Erick
Kabendera, ein bekannter Enthüllungs-
journalist, ist seit drei Monaten ohne Ver-
fahren in einem Hochsicherheitsgefängnis
inhaftiert. Zugleich häufen sich mysteriö-
se Attentate. 2017 trafen etwa den Oppo -
sitionspolitiker Tundu Lissu, einen laut-
starken Magufuli-Kritiker, 16 Kugeln aus
dem Hinterhalt. In einem Jahr soll die
nächste Präsidentschaftswahl stattfinden.
Die Frage, was Magufuli wohl tun würde,
hat in Tansania einen unheimlichen Bei -
geschmack bekommen. CHT
SHANNON STAPLETON / REUTERS
Polizist, Demonstranten in Hongkong