Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

A


ls Donald Trump am vergange-
nen Sonntag das Stadion der Wa-
shington Nationals besuchte, war
die Hauptstadt schon seit Tagen
im Ausnahmezustand. Zum ersten Mal seit
Jahrzehnten fand in Washington wieder
die World Series statt, die Finalrunde der
amerikanischen Baseballsaison. Es war un-
gefähr so, als stünde Hertha BSC kurz da-
vor, deutscher Meister zu werden.
Anwälte und Beamte gingen mit »Nats«-
Kappe ins Büro, Damen mit Kleidern im
leuchtenden Rot des Teams. Selbst Bank-
filialen waren mit Fandevotionalien aus-
geschmückt. Es ist eine Stimmung, die
man als Präsident gern ausnutzt. Aber als
Trump am Sonntagabend das Stadion be-
trat und auf dem riesigen Bildschirm er-
schien, drang ein Buhkonzert aus tausend
Kehlen zu ihm hinauf in die VIP-Lounge.
Dazwischen der Ruf: »Lock him up!«,
sperrt ihn ein. In einem Video, das hun-
derttausendfach geklickt wurde, ist zu se-
hen, wie Trump das Lächeln im Gesicht
gefriert.
Unter normalen Umständen müssten
sich die Republikaner spätestens seit dieser
Woche die Frage stellen, ob es noch klug
ist, zu einem Präsidenten zu halten, der so
erkennbar die Unterstützung der Bevölke-
rung verliert. Seit die Demokraten im Re-
präsentantenhaus vor fünf Wochen ihre
Impeachment-Untersuchungen begonnen
haben, ist die Zustimmung der Amerikaner
für ein Verfahren zur Amtsenthebung kon-
tinuierlich gestiegen. Inzwischen spricht
sich eine knappe Mehrheit dafür aus.
Dazu kommt, dass es schon jetzt keinen
vernünftigen Zweifel mehr daran gibt, dass
Trump seine Macht missbraucht hat. Min-
destens vier Mitarbeiter des Außenminis-
teriums und des Weißen Hauses erklärten
in nicht öffentlichen Sitzungen vor dem
Kongress, der Präsident habe Militärhilfen
für die Ukraine davon abhängig gemacht,
dass die Regierung in Kiew Wahlkampf-
munition gegen die Demokraten liefere.
Selbst Trumps Stabschef Mick Mulvaney
bestätigte dies vor laufender Kamera, auch
wenn er danach den tölpelhaften Versuch
startete, seine Worte wieder einzufangen.
Der Präsident steckt im Überlebens-
kampf. Am Donnerstag haben die Demo-
kraten im Repräsentantenhaus beschlos-
sen, die Ukraine-Affäre nun auch in öffent-
lichen Sitzungen auszuleuchten. Das zeigt,
dass sich die Opposition gegen Trump ih-


rer Sache immer sicherer wird. Die öffent-
liche Befragung von Zeugen dient weniger
der Beweisaufnahme; es ist der Versuch,
das amerikanische Volk von der Schuld
des Präsidenten zu überzeugen.
Als im Sommer 1974 die Beweislage ge-
gen den damaligen Präsidenten Richard
Nixon erdrückend wurde, bat Barry Gold-
water, einer der damals einflussreichsten
republikanischen Senatoren, um einen Ter-
min im Weißen Haus. Goldwater teilte Ni-
xon mit, dass die Republikaner das Ver-
trauen in den Präsidenten verloren hätten.
Zwei Tage später trat Nixon zurück. Wie-
derholt sich nun Geschichte?
Die Vergehen Trumps sind in ihrer Bri-
sanz durchaus mit denen Nixons zu ver-
gleichen. Dieser schickte ein Team von
Einbrechern in die Zentrale der Demokra-
tischen Partei im Watergate-Komplex;
Trump nutzte die geballte Macht und das
Geld der Vereinigten Staaten, um die
Ukraine dazu zu zwingen, Schmutz gegen
den demokratischen Präsidentschaftsbe-
werber Joe Biden zu sammeln.

Unter dem Deckmantel der Korruptions -
bekämpfung agierten Trumps Emissäre
wie Vertreter eines Bananenstaates: allen
voran Rudy Giuliani, der als Trumps per-
sönlicher Anwalt auftrat, als wäre er der
Außenminister der Vereinigten Staaten.
Als sich Marie Yovanovitch, die Botschaf-
terin der USA in der Ukraine, nicht zum
Instrument Giulianis machen lassen wollte,
wurde sie von Trump gefeuert.
Aber anders als die Republikaner in der
Ära Nixon scheint die Partei heute dem
Präsidenten blind zu folgen – zumindest
bislang. Sie blickt wie gebannt auf Umfra-
gewerte, wonach rund 90 Prozent der re-
publikanischen Anhänger immer noch mit
Trump zufrieden sind. Ein großer Teil der
Republikaner im Kongress fürchtet den
Zorn der Parteibasis, die trotz zahlreicher
Fehltritte weiter zum Präsidenten hält.
Trump hatte immer ein offenes Ohr für
die Wünsche der Republikaner. Er besetz-
te Richterstellen mit erzkonservativen Ju-

risten, darunter Posten im Obersten Ge-
richtshof; er kippte Umweltstandards und
senkte Steuern vornehmlich für Reiche.
Im Gegenzug waren republikanische Funk-
tionäre wie Mitch McConnell, der Mehr-
heitsführer im Senat, dazu bereit, über
Trumps Charakter und seine Skandale hin-
wegzusehen.
Aber kann eine Partei langfristig über-
leben, die sich zum Instrument eines Ga-
noven macht?
Wie sehr Trumps perfider Stil die De-
batte vergiftet hat, zeigte sich am Dienstag
nach dem Auftritt von Alexander Vind-
man vor Ermittlern im Repräsentanten-
haus. Wenn man sich nach einer geglück-
ten Einwanderungsbiografie umsehen
müsste, würde man wohl zwangsläufig bei
einem wie ihm landen. Vindman war als
kleiner Junge mit seinem Vater aus der
Ukraine nach New York gezogen, der Va-
ter arbeitete hart, um die Familie zu er-
nähren. Alexander Vindman kämpfte sich
durch Schule und Universität, am Ende
hatte er einen Harvard-Abschluss in der
Tasche. Er ging zur Army und wurde bei
einem Einsatz im Irak durch eine Bombe
verletzt. Seither trägt er den Verwundeten -
orden »Purple Heart«.
Eigentlich gehört es zu den Ritualen der
Republikanischen Partei, sich vor Kriegs-
helden zu verneigen. Was aber über Ale-
xander Vindman hereinbrach, nachdem
er ausgesagt hatte, war eine üble Schmutz-
kampagne.
Der 44-Jährige ist seit Sommer 2018 der
Ukraine-Experte im Nationalen Sicher-
heitsrat der USA, in jenem Gremium, das
den Präsidenten in Fragen von Krieg und
Frieden berät. Deshalb wurde er von den
Demokraten zur Aussage vorgeladen.
Vindman erklärte, dass er gleich zweimal
bei dem Topjuristen des Sicherheitsrats
die Politik des Präsidenten gerügt habe:
das erste Mal am 10. Juli 2019, als George
Sondland, der amerikanische Botschafter
bei der EU, ein Treffen Trumps mit dem
neuen ukrainischen Präsidenten Wolody-
myr Selenskyj davon abhängig gemacht
habe, dass Kiew Ermittlungen gegen Joe
Biden und dessen Sohn Hunter einleite.
Das zweite Mal, als Trump selbst in einem
Telefongespräch mit Selenskyj am 25. Juli
um den »Gefallen« bat, Untersuchungen
gegen Biden anzustrengen.
»Ich war der Ansicht, dass es nicht rich-
tig ist, eine fremde Regierung um Ermitt-
lungen gegen einen US-Bürger zu bitten«,
sagte Vindman vor dem Kongress laut
seinem schriftlichen Statement. Die Aus-
sage ist für Trump gefährlich, weil der Prä-
sident sich bisher mit dem Argument ver-
teidigt hat, für ein schmutziges Geschäft
auf Gegenseitigkeit mit der Ukraine gebe
es nur wertlose Zeugen, die über Dritte
von dem Telefonat mit dem ukrainischen
Präsidenten wussten. Vindman aber hatte

94 DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019


Ausland

Blick in den Abgrund


USAIm Kampf ums politische Überleben hat Donald Trump einen
Krieg gegen den eigenen Apparat angezettelt. Wie lange
folgen ihm die Republikaner auf dem Pfad der Selbstzerstörung?

Trumps Emissäre
agierten wie Vertreter
eines Bananenstaates,
allen voran Giuliani.
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