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an sieht ihn vor sich, wie er da
im großen Trubel auf der „Paris
Photo“ auf dem Stand von Bene-
dikt Taschen steht, wie stets in
heller Chino-Hose und Jeans-
hemd, und mit einer Mischung von Ungeduld
und Güte in die vielen Kameras blickt. Und auf
die ewige Frage: „Was ist das Geheimnis Ihrer
besonderen Technik?“ so etwas antworten wird
wie: „Ich mache es so.“ Und leise hinter sagen:
„Ich bin ein Junge aus dem Ruhrpott.“
Doch die Vorstellung ist eine Schimäre. Denn
für Peter Lindbergh, der am 6. November der
Ehrengast von Verleger Benedikt Taschen sein
sollte, wird nur noch sein letztes großes Projekt
sprechen. Der Fotograf war am 3. September
überraschend gestorben.
VON INGA GRIESE
Am Konzept für den Stand, die Präsentation
und die Gäste auf der wichtigen Fotomesse hat
sich nichts verändert, er ist vollständig den Bild-
bänden „Dior Lindbergh“ gewidmet. Mit dem ein-
zigen Unterschied, dass es nun eine Hommage in
Gedenken an einen großen Künstler ist. Es ist die
vierte Gemeinschaftsarbeit von Lindbergh und
Taschen, zwei Wochen vor dem Tod hatten die
beiden Freunde noch getüftelt an dem Projekt,
das sich gedanklich über Jahre zog: die Kombina-
tion von Kostbarkeiten aus dem Dior-Archiv mit
der Gegenwart auf den Straßen New Yorks. Oder
wie Lindbergh es formulierte: „Ich hatte einfach
ganz große Lust, 70 Jahre Couture aus dem be-
schützten Dior-Museum mit dem Leben von heu-
te zu konfrontieren. Und zwar da, wo es am här-
testen zugeht: auf den Straßen in New York. Vor
dem Hintergrund der größten Gegensätze zeigen
sich oft unerwartete Emotionen.“
Dass Dior für ihn sein Archiv öffnete, verwun-
dert kaum. Herausgekommen ist tatsächlich ein
Dialog zwischen zwei besonderen Männern:
Christian Dior und Peter Lindbergh, den es als
Flüchtlingskind aus Polen erst nach Bayern und
dann in den Ruhrpott verschlagen hatte, was ihn
auf ewig prägen sollte. Es zeugt von verlegeri-
schem Respekt, aber auch von der Sensibilität
des Fotografen, dass das Projekt in zwei (Dior)-
grauen Bänden in einem Schuber präsentiert
wird. Der eine ist dem Archiv gewidmet, mit teils
nie veröffentlichten Aufnahmen, der andere
zeigt die Fotos aus New York. Nah beieinander
und doch getrennt, kein Vergleich, sondern Part-
ner. Vereint im Wagemut. 80 Fotos hatte Lind-
bergh für New York geplant, unzählige, unbe-
zahlbare Kleider und Accessoires wurden aus
dem Museum unter größtem Sicherheitsauf-
wand verschifft. Und dann einfach auf der Straße
angezogen. Ein Bruch nach Peter Lindberghs
Geschmack. Mit allem Respekt, gleichwohl.
Die Texte hat der britische Kunsthistoriker
und Ausstellungs-Kurator Martin Harrison ver-
fffasst. Mit ihm hatte Lindbergh schon in denasst. Mit ihm hatte Lindbergh schon in den
8 0er- und 90er-Jahren gemeinsam an Projekten
gearbeitet, es wurde Freundschaft daraus, auch
wenn sie sich immer wieder mal aus den Augen
verloren. Harrison, der für Benedikt Taschen
unter anderem ein Buch mit Linda McCartney
verfasst hat, schreibt in seinem Vorwort, wie
diese Kooperation begann. Die Männer trafen
sich in Paris just an dem Tag, als ein paar Stun-
den später Notre Dame in Flammen stand.
„Es war“, schreibt Harrison, „ein merkwürdi-
ger Zufall und es schien eine Art von Schicksal
darin zu liegen, da ich bei Peters Fotografien im-
mer an Gotik dachte – so gotisch eben wie die
berühmte Kathedrale von Paris.“ An ein Omen,
dass sein Freund die Veröffentlichung des
prächtigen Bandes nicht mehr erleben würde,
dachte er natürlich nicht.
Lindberghs besondere Bildsprache entspringe
seiner Menschlichkeit und der Haltung gegen-
über Frauen. Die Passion, sie natürlich zu foto-
grafieren, habe die Fotogeschichte verändert.
Und „selbst wenn er sie manchmal in eigenartige
oder überraschende Locations versetzt hat, so
waren sie immer aktiv Beteiligte und Partner bei
diesen Foto-Séancen. Die Frauen, die er fotogra-
fierte, trauten ihm immer“. Wobei das allein die
Magie seiner Aufnahmen nicht erklärt, es ist eine
Mischung aus vielen Talenten und Blickfeldern.
Und so begibt sich auch Harrison gedanklich
noch einmal auf den Weg nach Paris, zum Philo-
sophen Walter Benjamin und dessen „Passagen“-
Werk, der großen Kulturkritik, die der Denker
zwischen 1927 und 1940 verfasste, aber nicht
vollendete. „Für Benjamin war Mode der Inbe-
griff von Modernität, sich stetig verändernd als
Antwort auf kulturelle und politische Verschie-
bungen, war Mode eine Möglichkeit, die Tempe-
ratur des Zeitgeistes zu messen.“ Benjamin habe
im ewigen Transformationsprozess der Mode
„das Potenzial gesehen, die Ästhetik zu politisie-
ren“. In diesem Kontext sei auch das Werk Lind-
berghs, der ja seine Leben lang in Bewegung
blieb, ein wesentliches kulturelles Artefakt. Er
schuf einen ganz neuen Look, und damit schließt
sich der Kreis zum Haus Dior.
Zumal der „New Look“ von Monsieur Dior
nicht nur zum Synonym für die neue Zeit nach
dem Krieg wurde, sondern geprägt war von dem
tiefen Respekt, den der Modeschöpfer Frauen
gegenüber hegte. Dior erzählte davon mit Stoff,
Lindbergh mit der Linse. Was für Männer.
Das VERMÄCHTNIS
Für sein letztes Projekt brachte der Fotograf Peter Lindbergh Kleider aus dem Archiv
Diors auf die Straßen New Yorks. Und entfaltete damit noch einmal seine ganze Magie
Peter Lindbergh. Dior.
New York / Archives. Zwei
Bände im Schuber, XL-For-
mat. Taschen, 150 Euro
1. Lily Nova in einem „Chérie“-Kleid aus der Haute-
Couture-Kollektion F/S 1947 von Christian Dior
2 Alek Wek in einem Kleid aus der Kollektion H/W
2 018 von Maria Grazia Chiuri 3 FFFelice Noordhofelice Noordhof
trägt die „Liane“-Robe aus der Haute-Couture-
KKKollektion F/S 1997 von John Galliano ollektion F/S 1997 von John Galliano 4 FFFreja Behareja Beha
Erichsen in einem Kleid aus der Haute-Couture-
KKKollektion H/W 2012 von Raf Simons. ollektion H/W 2012 von Raf Simons. 5 Cara Taylor
in Haute Couture H/W 1985 von Marc Bohan
6 Eines von Lindberghs letzten Porträts: Verleger
Benedikt Taschen auf Ibiza im Sommer 2019
PETER LINDBERGH; TASCHEN VERLAG
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02.11.19 Samstag, 2. November 2019DWBE-VP1
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