interview: johanna adorján
SZ: Frau Harfouch, wie gut spielen Sie
Klavier?
Corinna Harfouch: Gar nicht. Ich spiele
überhaupt kein Instrument.
Ihr Vater war Lehrer, Ihre Mutter Erziehe-
rin. Klingt nach einem Elternhaus, in dem
man Klavierstunden bekommt.
So ein Elternhaus bedeutete in der DDR kei-
neswegs, dass man in irgendeiner bürgerli-
chen Anständigkeit mit Klavier oder Flöte
großgezogen worden wäre. Meine Eltern
hatten viel zu arbeiten, und bei vier Kin-
dern hat man als Kind sowieso nicht beson-
ders viel Erziehung mitbekommen.
In „Lara“ spielen Sie eine Mutter, die ih-
ren Sohn für eine Pianistenkarriere erzo-
gen hat; sie selbst hatte sich von einem Pro-
fessor entmutigen lassen. Sie haben sich
auch mal entmutigen lassen: Sie haben
nach dem Abitur die Aufnahmeprüfung
an der Schauspielschule nicht bestanden
und dann erst mal was anderes gemacht.
Ich muss aber im Nachhinein sagen, dass
sie schon recht hatten, mich nicht zu neh-
men. Ich sollte den Giftmonolog aus „Ro-
meo und Julia“ vorsprechen und konnte
mit dem Text damals überhaupt nichts an-
fangen. Ich habe gar nicht verstanden, was
ich da sage. Insofern war die Entscheidung
schon richtig. Der Professor hat es nur sehr
generell formuliert.
Sie hätten kein Feuer und keine Leiden-
schaft, sagte er.
Und es hätte auch gar keinen Sinn, noch
mal wiederzukommen. Ich solle wirklich
keine weitere Lebenszeit mit dieser Idee
verschwenden. Das habe ich dann auch
geglaubt. Natürlich. Das sind ja die Fach-
leute, die das beurteilen können, und ich
kannte niemanden, der das hätte relativie-
ren können. Oder mich motivieren.
Sie sind dann erst mal Krankenschwester
geworden. Waren Sie eine gute Kranken-
schwester?
Ich war, glaube ich, eine mitfühlende, em-
pathische Krankenschwester. Ich war na-
türlich Anfängerin, da macht man auch
Fehler. Es gab einen Vorfall, das weiß ich
noch, den hatte ich verursacht. Da hatte
ich einer Patientin ein Schmerzmittel in
den Tropf gespritzt, woraufhin die kolla-
bierte. Es stellte sich heraus, dass ich das
viel zu schnell gespritzt hatte. Das war
schrecklich. Es ging sofort ein Alarm los,
und es hätte möglich sein können, dass ich
da etwas Schlimmes verursacht hätte. Es
ging gut, aber ich konnte mich darüber ta-
gelang nicht beruhigen, bin immer wieder
in Tränen ausgebrochen. Meine Oberärz-
tin riet, mir ein dickeres Fell zuzulegen,
doch dazu kam es dann nicht mehr.
Woher nahmen Sie den Mut, es doch noch
mal an der Schauspielschule zu versu-
chen?
Ach, na ja, Mut. Es war ein eher irrationaler
Schritt. Ich hatte die Hoffnung schon ganz
aufgegeben und war auch in einer völlig
anderen Lebenssituation.
Sie waren da schon verheiratet und hatten
ein Kind.
Es war völlig abwegig, mich noch einmal
auf der Schauspielschule zu bewerben,
und ich glaube, das war der Grund, warum
ich es gemacht habe.
Die zweite Aufnahmeprüfung haben Sie
bestanden.
Musste ich. Anders wäre es nicht gegan-
gen, da war ein ungeheurer Druck drauf,
denn das war ja eine ganz existenzielle,
alles verändernde Entscheidung, die ich
ganz alleine getroffen habe. Ich weiß gar
nicht, wie ich das gewagt habe damals. Es
gibt so ein Wesen in mir, nicht nur eines,
mehrere, die machen bestimmte Dinge.
Innere Kräfte wirken da, und denen muss
ich irgendwie folgen.
Ihr Mann, ein Syrer, ist dann ohne Sie
nach Syrien zurückgegangen.
Ja. Die Ehe ging auseinander, weil ich ent-
schieden hatte, dass ich Schauspielerin
werden will, anstatt mit nach Damaskus
zu ziehen. So stark war dieses Wesen in
mir. Dabei war der Mann ganz toll. Das war
eine schwere und einsame Entscheidung.
Ich konnte mit niemandem darüber reden,
man kann auch seinen Eltern schwer erklä-
ren, dass man sich scheiden lässt, weil
man einer inneren Stimme folgt. Damals
war das jedenfalls eine große Sache. Und
ich hatte riesige Zweifel, ob ich mir das
erlauben darf, ob man sich so etwas erlau-
ben darf, moralisch.
Sie haben den Nachnamen Ihres Mannes
behalten. Bedeutet Harfouch etwas auf
Arabisch?
Mein Mann hat gesagt, es hieße Rückenwir-
bel vom Krokodil, aber ich weiß nicht, ob
das stimmt. Ich spreche kein Arabisch.
Aber mir gefällt diese Erklärung.
Was, außer Talent, braucht man, um eine
gute Schauspielerin zu sein?
Zuspruch.
Und Glück, dass einem so eine Rolle wie
Lara angeboten wird?
Ja, das geschieht eher selten. Eigentlich so
gut wie nie. Allerdings muss ich sagen,
dass ich nicht so schnell zugesagt hätte, wä-
re der Regisseur nicht Jan Ole Gerster gewe-
sen, dessen Film „Oh Boy“ mich sehr beein-
druckt hat. Ich habe nie einen deutschen
Film gesehen, in dem Vergangenheit und
Gegenwart mit einer solchen Leichtigkeit
verknüpft sind. Das Klebrige in unserer
deutschen Vergangenheit, diese Bau-auf-
bau-auf-Energie, der Leistungsanspruch
und der Glaube, dass man nur fleißig sein
muss, um alles vergessen zu machen, führt
vielleicht bei der Generation von Jan Ole
Gerster und Tom Schilling zu einem Inne-
halten und Nachdenken. Der Film erzählt
es zumindest. Sonst hätte ich wohl gezö-
gert, die Rolle der Lara anzunehmen.
Warum?
Ich würde auch gerne mal wieder was Hei-
teres spielen, nicht immer nur die depressi-
ven Mütter, die traurig sind, dass die Kin-
der aus dem Haus sind.
Das wird Ihnen oft angeboten?
Damit hat Lara natürlich gar nichts zu tun,
aber es gibt so ein ganz bestimmtes Frau-
enbild im deutschen Film, das möchte ich
nicht mehr darstellen. Dieses grauenhaft
konventionelle und abgrundtief falsche
Bild einer Frau, deren Leben zusammen-
stürzt, weil der Mann sie verlässt, natür-
lich für eine jüngere. Davon hab ich abso-
lut die Nase voll und das spiel ich auch
nicht mehr. Was soll das überhaupt? Ich er-
lebe in meinem Lebensumfeld etwas ande-
res. Die Männer bleiben oft zurück, wissen
überhaupt nicht mehr, was sie machen sol-
len ab der Rente. Die Frauen starten
durch, sind kreativ, haben Einfälle, treffen
sich miteinander und haben wesentlich
weniger Probleme mit dem Älterwerden
als die Männer. Wieso müssen wir das also
bitte immer wieder erzählen und erzählt
bekommen, dass unser Leben zusammen-
stürzt, wenn kein Mann mehr an unserer
Seite ist?
Ihre Lara ist auch traurig, aber sie ist auch
noch ganz viele andere Sachen. Mitunter
ist sie auch richtig boshaft.
Ja, und sie entschuldigt sich nicht dafür.
Das hat mir so gefallen an ihr. So etwas
wird normalerweise in einem Frauenleben
nicht erlaubt.
Dass man nicht nett ist?
Dass man nicht nett ist, nicht lieb ist, dass
man eins zu eins sagt, was man denkt und
dazu steht. Dass man Illusionen zerstört,
Sentimentalitäten zerstört, das wird bei
Frauen ja nicht so gerne gesehen.
Ich bin mir ziemlich sicher, schon mal ge-
hört zu haben, dass es schwierig sein
kann, Sie zu interviewen. Ich höre das
aber eigentlich bei jeder Schauspielerin,
die über 40 ist. Über einen Schauspieler
habe ich das noch nie gehört.
Was ich nicht aushalte tatsächlich in Inter-
views, sind gewisse Klischees. Oder wenn
Interviewer so faul sagen: Ihre Rolle Lara,
erzählen Sie uns etwas darüber. Was soll
ich da sagen? Ja, Lara ist eine Frau, die ...
Da könnte ich wahnsinnig werden. Die ha-
ben doch den Film gesehen. Da denke ich
immer, erzähl du mir doch darüber. Ich ha-
be es gespielt, was hast du denn gesehen?
Sie spielen in diesem Film sehr konzen-
triert, minimalistisch. Man merkt, dass
Lara denkt, aber man weiß nicht, was.
Eine handwerkliche Frage: Muss man als
Schauspielerin immer genau das denken,
was die Rolle an dieser Stelle denkt, oder
könnte man auch etwas anderes denken,
Hauptsache, man denkt?
Es sollte schon zur Rolle passen.
Ich habe mal über Julianne Moore gele-
sen, dass die in einer Theaterrolle Zeitung
las, und das muss so faszinierend gewirkt
haben, dass sie anschließend gefragt wur-
de, wie sie das hergestellt habe. Sie habe
von eins bis sechzig gezählt, sagte sie.
Das lernen die Amerikaner vielleicht so, da
haben wir, glaube ich, hier eine andere
Schule. Bei Bob Wilson, dem amerikani-
schen Theaterregisseur, zählt man auch.
Da machen die Schauspieler Bewegungen
in einem innerlich mitgezählten Takt. Das
ist nicht so meine Lehre. Aber ich könnte
mir vorstellen, wenn ich auf einer Bühne
sitze und Zeitung lese, dass ich dann diese
Zeitung lese. Lieber richtig als technisch.
Im Drehbuch stand nicht, was Lara denkt,
oder?
Nein. Gott sei Dank. Ich hasse Drehbücher,
wo das drinsteht. Das ist für mich einen-
gend, und ich streich das sofort weg, also
wenn ich schon sehe, dass da was steht,
male ich da schwarz drüber.
Auch wenn nur in Klammern dabeisteht:
ärgerlich, heiter, belustigt, höhnisch?
Kommt alles sofort weg. Furchtbar, ganz
schrecklich. Das verhagelt einem doch völ-
lig die Fantasie. Und wenn man so sprach-
versessen ist, wie Schauspieler nun mal
sind, dann kleben diese Worte an dir und
du wirst sie nicht mehr los. Meistens sagen
die Schreiber, das ist ja nur für die Förde-
rer, die Produzenten, dass die sich was vor-
stellen können, die haben ja keine Fanta-
sie ... Aber fürs Spielen muss das weg, da-
mit man den Gang in die Figur schafft.
Sind Sie jemand, der während der Drehar-
beiten in der Rolle bleibt, so wie Daniel
Day Lewis? Also müssen alle Sie immer
mit Ihrem Rollennamen ansprechen und
aushalten, dass Sie beim Catering mit nie-
mandem reden und grimmig abseits sit-
zen?
Das kam schon mal vor. Ich habe beispiels-
weise mal eine autistische Mörderin ge-
spielt in einem Film von Matthias Glasner.
In der Vorbereitung hab ich mir alle mögli-
chen autistischen Persönlichkeiten ange-
schaut, wie die sich bewegen und so. Nor-
malerweise bereite ich mich nicht so bio-
grafisch auf Rollen vor, aber das war spezi-
ell. Und da habe ich entschlossen, dass ich
bitte nicht angesprochen werden möchte,
um nicht aus dieser Konzentration zu kom-
men. Das war zu schwierig. Das hätte ich
sonst nicht geschafft.
Was brauchen Sie, um in eine Rolle zu
kommen? Das passende Parfum? Musik?
Die richtigen Schuhe?
Schuhe sind schon wichtig. Kostüm ist
überhaupt hilfreich. Da gibt es oft unver-
mutete Geschenke. Bei Lara zum Beispiel
hatten wir eine ganz fantastische Kostüm-
bildnerin, Anette Guther. Wir haben viel
ausprobiert, um das Richtige zu finden.
Ganz am Ende wurde es dann dieser rote
Mantel. Der ist in sich ein bisschen steif, da-
zu die Schuhe, halbhohe Absätze, die sor-
gen für einen unsicheren, wackligen Gang,
und das Kleid ist gerade so eng, dass sie
sich darin nicht hundertprozentig wohl-
fühlt. All das macht etwas mit der Figur.
Renée Zellweger spielt jetzt die Sängerin
Judy Garland, und die Kostümbildnerin
hat die Kostüme nicht auf sie, sondern auf
Garland zugeschnitten. Um hineinzupas-
sen, musste Zellweger eine spezielle Kör-
perhaltung annehmen, und das war dann
eben die für die Rolle richtige Haltung.
Ja, das verstehe ich. Ein Kostüm kann irr-
sinnig hilfreich sein, sich darin so oder an-
ders zu bewegen und sich gleichzeitig auch
unterschiedlich zu fühlen. Das macht so-
fort was mit einem.
Brauchen Sie biografischen Hintergrund
für die Figur?
Nein. Bitte nicht. Es gibt doch nicht eine
lückenlose Erklärung dafür, warum ein
Mensch so oder so ist.
In deutschen Filmen schon oft.
Ja, das ist ja so schade, denn so sind Men-
schen ja nicht. Wer versteht sich schon völ-
lig? Lara macht teilweise völlig irrationale
Dinge, aber ich glaube, einiges geschieht
aus dem Moment heraus, anschließend
könnte sie es vielleicht nicht erklären.
Gibt es ein Detail, einen Satz, eine Geste,
irgendwas, wo Sie dachten: Jetzt hab ich
diese Lara, jetzt weiß ich, wer die ist?
Am allerersten Drehtag hatte ich einen
Gang im Kostüm. Ich hatte mir gar nichts
überlegt, bin einfach losgelaufen, das war
in einem Park, und plötzlich wusste ich,
das ist eine Frau, die ist in der Mitte ihres
Körpers ganz fest. Da hält sie sich. Die
muss sich halten. Sonst wäre alles vorbei.
Ich habe ihren Gang vorher nicht geübt,
das kam einfach. Und mit ihren Schuhen
und diesem Festhalten in der Körpermitte
ergab sich ein bestimmter Gang, in dem so
eine irrsinnige innere Beherrschung lag.
Es war gleich richtig. Und vom Gang aus
erschließt sich auch ganz viel von der restli-
chen Figur. Das ist wie bei dieser Yoga-
übung, bei der man eine Minute lang lä-
chelt. Allein die gehobenen Muskeln im
Gesicht senden ein positives Signal ans
Gehirn, und die Stimmung hellt sich auto-
matisch auf. Eine Körperhaltung gibt ein
Signal ans Denken, da gibt es so eine
Außen-innen-Wechselwirkung. Manch-
mal reicht es, wie jemand zu gehen, und
dann hat man die ganze Figur.
„Dass man Illusionen zerstört,
das wird bei Frauen ja nicht
so gerne gesehen.“
Corinna Harfouch,1954 in Suhl, Thürin-
gen,geboren und in Großenhain, Sach-
sen, aufgewachsen, studierte von
1978 bis 1981 an der Hochschule für
Schauspielkunst Berlin und hatte so-
fort Engagements an Bühnen und
dann auch im Film. Nach der Wende
war sie einer der Stars an Frank Cas-
torfs Volksbühne, wurde für ihre
Hauptrolle in Zuckmayers „Des Teufels
General“ 1997 Schauspielerin des Jah-
res. Man hat sie als Magda Goebbels in
„Der Untergang“ gesehen und in „Wer
hat Angst vor Virginia Woolf?“ am
Deutschen Theater Berlin. Jüngere Zu-
schauer kennen sie aus „Fuck ju Göhte
3“ oder „Bibi Blocksberg“. Am Donners-
tag kommt „Lara“ ins Kino, der zweite
Spielfilm von Jan-Ole Gerster, in den
Hauptrollen Corinna Harfouch als Lara
und Tom Schilling als ihr Sohn Victor.
„Es gibt nicht eine lückenlose
Erklärungdafür, warum
ein Mensch so oder so ist.“
FOTO: ANDREAS PEIN/LAIF
„Es gibt so ein Wesen in mir,
nicht nureines, mehrere, die
machen bestimmte Dinge.“
CORINNA HARFOUCH
ÜBER
DISZIPLIN
56 GESELLSCHAFT DAS INTERVIEW Samstag/Sonntag,2./3. November 2019, Nr. 253 DEFGH
Corinna Harfouch sitzt in einem Berliner Hotelzimmer im Gegenlicht
vor dem Fenster, strahlend schön, die blonden Haare gekonnt nach oben
verwuschelt, und mit einer guten Laune, die augenblicklich ansteckend
ist. Im Vorzimmer der grauen Business-Suite sitzen mehrere
Pressebetreuerinnen und haben ebenfalls beste Laune. Man kann sich
die Atmosphäre als geradezu elektrisierend heiter vorstellen
Zur Person