Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1
S

ogenannte Schriftsteller-Roman-
tik war ihm bis zuletzt fremd.
Entsprechend ungerührt antwor-
tete er einmal auf die Frage nach
der Art seiner Profession: „Ich
bin Geschäftsmann. Ich vertreibe Produk-
te, die ich herstelle.Writing is my busi-
ness.“
Offensichtlich pflegte der deutsche, am



  1. Juli 1987 – dem Morgen nach seinem

  2. Geburtstag – auf der Autobahn A 94 bei
    München unter nie abschließend geklär-
    ten Umständen ums Leben gekommene
    Schriftsteller Jörg Fauser ein eher nüchter-
    nes Verhältnis zu seinem Gewerbe. Pfauen-
    hafte Gespreiztheiten waren seine Sache
    nicht. Dafür wusste er viel zu gut, wie arm-
    selig sich einer vorkommt, der vor der in
    die Underwood gespannten leeren Seite
    sitzt und flucht, weil der erhoffte Einfall
    partout nicht kommen will. Doch wenn er
    sich warm geschrieben hatte, verwandelte
    sich der auf Fotos wie ein Versicherungs-
    vertreter in Sakko und mit umgebunde-
    nem Schlips daherkommende vermeintli-
    che „Normalo“ in einen Besessenen, der im
    Laufe seines viel zu kurzen schnellen Le-
    bens drei Romane, zwei Dutzend Erzählun-
    gen und nicht zuletzt große, zeitlos schöne
    Reportagen hervorstieß, die nach wie vor
    zum Besten zählen, was in den letzten fünf-
    zig Jahren hierzulande auf der journalisti-
    schen Langstrecke geschrieben wurde.
    Mit seinem an Dashiell Hammett,
    Charles Bukowski, Raymond Chandler
    oder Fallada geschulten Stil erschrieb sich
    der 1944 im hessischen Bad Schwalbach
    als Sohn des expressionistischen Malers
    Arthur Fauser und der Schauspielerin Ma-
    ria Razum geborene Selbsterfinder den
    Ruf eines Mannes, der in seinen Texten
    das Kunststück vollbrachte, die nacht-
    schwarze Melancholie eines Joseph Roth
    mit dem kalifornischen Fernweh eines
    Jack Kerouac zu etwas Neuem, Eigenstän-
    digen zu amalgamieren. Seine 1984 als Ull-
    stein-Taschenbuch in der Reihe „Populäre
    Kultur“ erschienene Aufsatzsammlung
    „Blues für Blondinen“ zirkuliert unter Ein-
    geweihten seit Jahrzehnten wie eine Bibel



  • und sein Erzählungsband „Mann und
    Maus“ von 1982 zählt zu den Höhepunkten
    der deutschen Kurzgeschichte nach 1945.
    Dem Hochfeuilleton seiner Zeit aber
    war Fauser mit seiner Art zu schreiben su-
    spekt. Denn in seinen metaphernwilden Ar-
    beiten pfiff der Frankfurter Autodidakt läs-
    sig auf die von den seinerzeit tonangeben-
    den Hohepriestern starrköpfig geforderte
    Trennung zwischen E und U, Ernst und Un-
    terhaltung. Das Resultat waren mitreißen-
    de, wie von selbst im Hirn abrollende Sto-
    rys über glücklose Verlierer, Kleinkriminel-
    le und ihre Möglichkeiten überschätzende
    Zocker; Typen wie der Protagonist seines
    1984 von Peter F. Bringmann mit Marius
    Müller-Westernhagen launig verfilmten
    Romans „Der Schneemann“, in dem Fau-
    ser die Schwarz-Weiß-Maler des Literatur-
    betriebs mit einem lakonischen Achselzu-
    cken hinter sich ließ.


Fauser, der früh ein Faible für den ameri-
kanischen Kriminalroman entwickelte,
ging fest davon aus, dass sich die inneren
Zerreißproben und Widersprüche, der sich
eine offene Gesellschaft permanent ausge-
setzt sieht, am besten von ihren Rändern
her, wo das Soziale zu brodeln beginnt,
und in Form der Kriminalerzählung ver-
anschaulichen lassen – im Idealfall am
Beispiel der Geschichte des Mannes, der
nach der verborgenen Wahrheit sucht in ei-
ner Welt, die ihm dabei alles andere als
freundlich gesinnt ist. In seinem letzten
und vielleicht gelungensten Roman „Das
Schlangenmaul“ von 1985 trägt dieser un-
erschrockene Wahrheitssucher den Na-
men Harder, ist Journalist – und eine Art


deutscher Bruder Philip Marlowes, fest
entschlossen, dem Bösen die Stirn zu
bieten, um der Gerechtigkeit zu ihrem
Recht zu verhelfen. Auch auf die Gefahr
hin, „am Ende mit einem dummen Gesicht
dazustehen“.
Fauser war mit seinem Roman seiner-
zeit ein perfekt geöltes Genrestück ge-
glückt, über das Friedrich Ani in seinem
schönen Nachwort zur aktuellen Diogenes-
Neuausgabe des Romans schreibt: „Sensa-
tionell, wie er dem flatterigen, ebenso desil-
lusionierten wie von professioneller Neu-
gier getriebenen Investigativ-Journalisten
Heinz Harder die Aura eines geradezu klas-
sischen Privatdetektivs verpasst, der auf
der Suche nach einem angeblich ver-
schwundenen Mädchen in die Klauen ei-
nes abscheulichen Verbrechens gerät.“
Rolf Becker sah es 1981 in seinerSpiegel-Re-
zension des „Schneemann“ ähnlich und
klassifizierte Fauser darin abschließend
als einen „Kenner deutscher Wirklichkei-
ten, mit dem in der deutschen Literatur
noch zu rechnen ist.“ Zum großen Feuille-
ton-Ding entwickelten sich seine Romane
trotzdem nicht. Fauser blieb einer am
Rand, nur scheinbar auf dem Sprung nach
oben. Seine Nichtbeachtung hat Fauser
nach außen hin sportlich genommen und
wahrscheinlich dann und wann mit dem ei-
nen oder anderen dreistöckigen Wodka
runtergespült – an seiner sensiblen Schrei-
berseele genagt aber hat sie zweifellos.

„Mit seinen Büchern kam Fauser dem
amerikanischen Krimi so nahe, wie das ei-
nem Deutschen nur möglich ist“, konsta-
tierte der ebenfalls viel zu früh verstorbe-
ne Fauser-Aficionado Michael Althen einst
bewunderungsvoll. Wer sie heute liest, aus
dem großen zeitlichen Abstand zu ihrer
Entstehung betrachtet, begegnet darin
noch einmal der alten Bundesrepublik
samt ihren das damalige gesellschaftliche
Klima bestimmenden inneren Widersprü-
chen. „Dalli-Dalli“ und Peter Schillings
„Major Tom“, Oktoberfest-Attentat,
„Miami Vice“, Startbahn-West, Flick-Spen-
den-Affäre, Nato-Doppelbeschluss, Ver-
mummungsverbot oder die Verhaftung
der RAF-Terroristen Mohnhaupt, Klar und
Schulz – all das flimmert darin untermalt
von einem ironischen, Howard-Carpenda-
le-haften „Hello Again“ noch einmal als
Hintergrundfilm am Leser vorüber.
„Gegenwart wird aus Geschichte ge-
macht“ sagte Fauser einmal, der seine Stof-
fe immer dem Leben selbst entnahm: in Is-
tanbuls Junkie-Viertel Tophane, wo er, der
Ex-Junkie, einen kalten Entzug durchzit-
terte, ebenso wie am Treiben einer Bocken-
heimer Eckkneipe, in welcher er den Plot
seiner legendärer Story „Die Bornheimer
Finnin“ bei ein paar schnell gekippten
Schnäpsen aufschnappte. Und tatsächlich
begreift man, ist man einmal lesend durch
den Kosmos seiner Geschichten gestreift,
die aktuelle Gegenwart besser, sieht man
sie im Rückspiegel der Siebziger und Acht-
ziger plötzlich klarer. Denn Fauser – ausge-
stattet mit einem hellwachen Sensorium –
wusste, dass treffende, unverstellte Be-
schreibungen der immer irgendwie auch
politischen Gegenwart im Bestfall das
Kommende mit aufscheinen lassen.
Doch wer die Legende Fauser verstehen
will, muss dorthin zurückblicken, wo sie
Mitte der Sechzigerjahre ihren Anfang
nahm, nämlich im tristen Nordwest-Gür-
tel der Main-Metropole, in die sogenannte
Frankfurter Römerstadt, wo die Fausers
wohnten und „zwischen den Bürgerhäu-
sern und der Wohlanständigkeit schon das
billige Neon flackert“. Er muss sich in den
Zug in die Vergangenheit setzen und zu-
rückkehren zu Fausers Anfängen als
Schreiber für Underground-Magazine wie
Gasolin 23,UfooderUlcus Molle Info, als er

jenen ganz eigenen, am amerikanischen
Storytelling angelehnten Stil auszubrüten
begann, der ihn später, in den Achtzigern,
in Form seiner Romane berühmt machen
sollte.
Nach Fauser-Land.
Und eintauchen in die Schluchten Main-
hattans, wo die Luft an manch heißen Ta-
gen nach Äppelwoi und Pisse riecht – und
die neuen Kämpfe ums Überleben die al-
ten sind. Denn es müssen von allerlei auf-
keimenden Sehnsüchten und eigenen
Künstlervorstellungen bestimmte Lehrjah-
re gewesen sein, die Fauser in der öden En-
ge der Römerstadt zwischen sozialem Woh-
nungsbau, Gebrauchtwagenhändlern und
Imbissbuden zubrachte. Dort, wo die Ge-
linkten und Abgehängten in den Kaschem-
men und Eckkneipen zwischen Ringmau-
er, Hadrianstraße und dem Burgfeld all-
abendlich ihre verwelkten Träume in Hoch-
prozentigem konservierten – und man
sich am Ende der Nacht in den Armen oder
in den Haaren lag.
Im sogenannten Milieu trieb er sich
früh anekdotenlüstern rum, studierte er
hautnah jenes von ihm später vielfach be-
schworene Verlierertum, das ihn anzog wie
die Motten das Licht – und ihn darüber ir-
gendwann zu Harry Gelb und Heinz Har-
der werden ließ, den Sprechern der Ge-
strauchelten, die in seinen Texten eine
Sprache für das fanden, was die anderen
nur noch ein müdes Grinsen kostete.
Für ihn waren diese Leute respektable
„Bewohner eines Reichs, dessen Sonne un-
tergegangen war“, Rebellen und Besiegte
in einer Person. Leute wie er selbst. Dass er
sie in seinen Büchern romantisierte und
darüber wohl auch überhöhte, ist das eine;
die empathische Intensität aber, mit der er
dies bis zuletzt tat, ist es gleichsam, die

ihre Geschichten bis heute so verlockend
macht.
Seine kraftvolle Parteinahme – gepaart
mit dem Furor einer Sprache, die – wenn
ihr Schöpfer in Hochform war – seine Sät-
ze zum Vibrieren brachte. So lief er nächte-
lang dem Leben hinterher, lauschte dem
Blues der Blondinen, trank mit den Auf-
schneidern und kleinen Drückern, lieh ih-
nen sein Ohr. Denn Fauser hat immer ge-
wusst, „dass realistische Literatur nicht
machbar ist ohne genaue Kenntnis des Ma-
terials“. Und nur die wollte er.
Sätze, an denen noch die Rückstände ge-
lebten Lebens kleben, von Bier- und Korn-
Dunst legierte Formulierungen, die sich
nicht mal eben so im geschützten Raum
der eigenen vier Wände nachstellen und
aufs Papier zaubern lassen. Genau das
macht die solide Menschlichkeit seiner
Texte aus, die Stimmigkeit seiner Figuren.
Jörg Fauser entstammte einer Künstlerfa-
milie – und hatte lange Jahre die anhalten-
de Nichtbeachtung der Arbeiten des Vaters
vor Augen, während die Mutter als Radio-
sprecherin den Unterhalt der Familie si-
cherte. Nicht zuletzt das lehrte ihn früh,
was es heißt, als Künstler auf verlorenem
Posten zu agieren – und einen Beifall rau-
schen zu hören, der immer nur den ande-
ren gilt. Dieser Umstand dürfte mitent-
scheidend gewesen sein für ihn, sich und
dem eigenen Vater beweisen zu wollen,
dass es auch anders geht. Dass man sehr
wohl Erfolg haben kann, wenn man nur
hart genug dafür kämpft – und das Schick-
sal, dieses launische Ding, sich einem ir-
gendwann ergibt.
„Darum hat er sich auch nie von negati-
ven Kritiken umhauen lassen“, erinnert
sich sein ehemaliger Freund und Wegge-
fährte Rainer Weiss, der dem gleichnami-

gen Frankfurter Weissbooks-Verlag sei-
nen Namen gab. „Er nahm sie zur Kennt-
nis. Doch sie kratzten ihn nicht. Denn er
wusste, dass er sich durchsetzen würde.“
Inzwischen ist Fauser eine Legende. Als
Kultfilm läuft sie seit nunmehr 35 Jahren
in den Köpfe derer, die ihn unverändert
den „Champ“ nennen. Seinen wirklichen
Durchbruch aber erlebte er nicht mehr,
auch wenn der „Schneemann“-Erfolg die-
sen seinerzeit anzukündigen schien. So ist
Fauser ein Held der Subkultur geblieben,
den lange keiner so richtig auf der Rech-
nung hatte. Entsprechend liest sich eine
Selbstauskunft, die er 1986 verfasste, wie
die eines Mannes, der weiß, dass er sich ge-
schnitten hat, wenn er auf Hilfe von außen
setzt: „Keine Stipendien, keine Preise, kei-
ne Gelder aus der öffentlichen Hand, keine
Gremien, kein Mitglied eines Berufsver-
bands, keine Akademie, keine Clique. Ver-
heiratet, aber sonst unabhängig.“
Tatsächlich aber garantierte ihm genau
dieser Umstand im Umkehrschluss bis zu-
letzt jene künstlerische Unabhängigkeit,
die seine Texte bis heute mit jeder Silbe auf
so verlockende Weise atmen: Den Geist ei-
nes im wahrsten Sinne des Wortes freien
Schriftstellers, der daran glaubte, dass
man nur lange durchhalten muss, um am
Ende als Sieger dazustehen. In Frankfurt
oder anderswo. Und sei es auch als Toter –
in Form der eigenen, darüber unsterblich
gewordenen Bücher.

Der Autor ist Schriftsteller und lebt in Köln.
In diesem Herbst erschien sein neuer Ro-
man „Die Tüchtigen“ (Luchterhand).

Die im Text erwähnten Bücher Jörg Fausers sind im
Zürcher Diogenes Verlag als Neuedition erschie-
nen.

„Keine Stipendien, keine
Preise,keine Gelder aus
der öffentlichen Hand.“

Sein Held läuft Gefahr,
„am Ende mit einem
dummen Gesicht dazustehen“

Süchtig


nach


Leben


Jörg Fauser führte seine Leser in


die Welt der Abgehängten, der


Kaschemmen und verwelkten


Träume: Warum der Frankfurter


Kultautor der Achtziger nun


ein Revival erfährt


von peter henning


Von den Lesern
geliebt, von
denFeuilletons
verachtet:
Jörg Fauser (1944
bis 1987), Pionier
der Underground-
Literatur in
Deutschland.
FOTO: JOHANNES
DZIEMBALLA

DEFGH Nr. 253, Samstag/Sonntag, 2./3. November 2019 HISTORIEGESELLSCHAFT 55

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