von titus arnu
E
in gemeinsames Essen mit
Freunden kann komplizierter
sein als Bruchrechnung. In der
Mathematik ist es noch verhält-
nismäßig einfach, einen gemein-
samen Nenner zu ermitteln – beim Kochen
wird das bei zunehmender Gruppengröße,
zunehmendem Individualismus und zu-
nehmendem Alter der Gäste immer schwie-
riger. Der eine verträgt keinen Knoblauch,
die andere kein Chili, keinen Koriander
oder um Gottes Willen keine Zwiebeln. Wei-
terere Gäste essen kein Fleisch und keinen
Fisch. Zudem ist in der geplanten Runde
Rücksicht zu nehmen auf Laktoseintole-
ranz, eine Nussallergie und Vorbehalte ge-
gen Kohlehydrate. Am Ende heißt es nicht
selten: zehn Menschen, zehn unterschiedli-
che Bestellungen. Das geht nun schon seit
Längerem so.
Wie praktisch wäre es da doch aus Sicht
des Gastgebers, man könnte sich (wieder)
auf ein einziges Gericht einigen. Ein ganz
einfaches. Einen Braten etwa. Einen gan-
zen Fisch. Einen Gemüseauflauf. Funktio-
niert aber alles nicht so ohne Weiteres.
Eine traurige Wahrheit ist, dass wir das
gemeinsame Essen nicht mehr gewohnt
sind. Immer seltener wird zu Hause ge-
kocht, immer seltener essen Familien ge-
meinsam an einem Tisch, obwohl das posi-
tive Auswirkungen auf das Ess- und Sozial-
verhalten hätte. Man muss kein Prophet
sein, um zu verkünden, dass Teilen Freude
macht, dass gemeinsames Essen auch see-
lisch verbindet. Menschen, die gemeinsam
essen, leben gesünder als solche, die es
nicht tun, wie amerikanische Wissen-
schaftler herausfanden. Forscher der Uni-
versität von Illinois werteten dazu Daten
von mehr als 180 000 Kindern und Jugend-
lichen aus. Das Ergebnis: Wer gemeinsam
mit der Familie isst, nimmt mehr frische
Früchte, Gemüse sowie faser- und kalzium-
reiche Nahrungsmittel zu sich. Auch das ist
natürlich kein Wunder.
Doch wo ein Mangel ist, da entsteht
meist auch eine Gegenbewegung. Seit Län-
gerem wird in Familien und Freundesgrup-
pen, in Kochbüchern, Blogs oder im Restau-
rantmarketing fast mantrahaft das nostal-
gische Lied von der großen Tafel für alle
gesungen. Halbprivate Supperclubs sind
in vielen Großstädten überbucht. Lokale
stellen Gemeinschaftstische bereit, an de-
nen Fremde nebeneinander sitzen sollen,
auf dass der Abend hoffentlich fröhlich
werde. Kaum eine Speisekarte, die heute
ohne Sharing-Gerichte auskommt, sogar
deutsche Klassiker werden als Tapas ser-
viert, damit sich der Gast fühlen kann wie
in einer spanischen Großfamilie der Sechzi-
gerjahre. Libanesische Mezze sind beliebt
wie nie, chinesischer Feuertopf auch. Und
die „Big Bowl“ für mehrere Esser wirft Su-
perfood und Sharing in einen schicken ge-
meinsamen Topf. Sogar Drei-Sterne-Kö-
che wie der Schweizer Superstar Andreas
Caminada haben in Nobelorten wie St. Mo-
ritz und Bad Ragaz gerade Restaurants er-
öffnet, in denen nur noch Sharing Dishes
serviert werden.
Das ist die Ironie an Vereinzelung und In-
dividualismus, sie haben das Teilen zum
Trend gemacht. Und der neueste Trumpf
dieser Gegenbewegung lautet: Auch das ei-
ne zentrale Gericht, von dem alle gemein-
sam essen, ist wieder da. Ob als guter alter
Braten, im Ganzen gegarter Fisch oder am
Stück gebackenes Gemüse ist unerheblich.
Tatsache ist: Die Gastronomie feiert das
Comeback des „Grosse Pièce“, des großen
Stücks. Es geht also endlich mal wieder
ums große Ganze.
Bis vor gar nicht so langer Zeit stand der
Sonntagsbraten auf dem Speiseplan der
meisten Familien, und ins Gasthaus ging
man gern zu acht oder zehnt. Der Braten ist
nur eine Spielart des „Grosse Pièce“, auch
„Masterpiece“ oder „Centerpiece“ ge-
nannt, ein Bestandteil des klassischen fran-
zösischen Menüs, das stilprägend war für
die gehobene Küche in ganz Europa. Es
handelte sich dabei um einen Hauptgang,
meistens Fleisch, der auf dem Tisch tran-
chiert und verteilt wurde, etwa eine Kalbs-
haxe, einen am Stück gegarten Fisch oder
einen ganzen Kalbskopf. Das „Praktische
Handbuch der höheren Kochkunst“ von
1822 führt unter der Rubrik „Grosse Pièce“
exotisch klingende Gerichte auf, die heut-
zutage kaum noch einer kennt: „Schweins-
kopf garniert mit Gelee, auf der Serviette
dressiert“, „Welschhahn (Pute) mit Trüf-
feln farciert“, „Kapaunen mit Kresse“.
Menüs mit zwei Fischgängen, drei
Fleischgängen und zwei Desserts sind
längst aus der Mode gekommen, was für
den Cholesterinspiegel, für die Linie und
für das Weltklima durchaus positive Fol-
gen hat. Und wer soll bei einer durch-
schnittlichen Personenzahl von zwei Men-
schen pro Haushalt auch kiloschwere
Fleischbrocken in den wöchentlichen Spei-
seplan einbeziehen?
Im Restaurant ist das natürlich anders;
und – Fleisch hin, Fisch her – es ist ausge-
rechnet die Political Correctness, die dem
Erfolg des Grosse Pièce in die Hände spielt.
Schließlich weiß man um die Nachhaltig-
keit der „Nose to Tail“-Küche, die lehrt,
alle Teile vom Tier zu verwerten. Ein
Trend, der übrigens schon länger auch die
Gemüseküche erreicht hat. Viele Köche be-
mühen sich darum, immer weniger wegzu-
werfen. Kochbücher wie „Leaf to Root“ pro-
pagieren, mit der kompletten Pflanze zu ko-
chen und sind Bestseller.
Das Berliner Lokal „Herz und Niere“ ver-
arbeitet grundsätzlich ganze Tiere, es ist
Grundlage des Konzepts. Küchenchef
Christoph Hauser serviert zum Beispiel
Karpfen in drei Gängen: erst die Leber,
dann den Rücken mit Fasskraut und Birne
und anschließend den Rest mit wilder Möh-
re. Die Gäste können sich aber auch zusam-
men an einer gemeinsamen Tafel einen
ganzen Hasen oder einen Nierenzapfen
vom Rind teilen. „Diese Art des Kochens
hat zum einen den Vorteil, dass man ein
Produkt perfekt präsentieren kann, zum
anderen, dass eine familiäre und intime Si-
tuation entsteht“, sagt Christoph Hauser.
Und es macht optisch etwas her. Das Zwei-
Sterne-Restaurant „SoSein“ im fränki-
schen Heroldsberg verteilt das Grosse Piè-
ce lieber auf alle Gäste: Ein im Ganzen ge-
bratenes Maishühnchen wird im Speise-
saal tranchiert, die Teile dann an den ein-
zelnen Tischen serviert.
Oft ist das Centerpiece aber auch vegan
oder vegetarisch: Der israelisch-britische
Spitzenkoch Yotam Ottolenghi backt gan-
ze Sellerieknollen im Ofen und serviert sie
im Stück. Eines der berühmtesten Signatu-
re-Gerichte des bayerischen Sternekochs
Thomas Kellermann ist ebenfalls: Sellerie-
knolle im Salzmantel. Und Eyal Shani, der
Restaurants in Tel Aviv, New York und
Wien betreibt, wird für seinen im Ganzen
gegarten Blumenkohl gefeiert.
Ottolenghis Sellerierezept ist überra-
schend schlicht. Man braucht dazu nur das
Gemüse, Olivenöl und Salz – und drei Stun-
den Geduld, während die Knolle im Ofen
schmort. Eyal Shanis Blumenkohl ist ähn-
lich simpel: Das Gemüse wird in Salzwas-
ser gekocht, anschließend liebevoll mit Oli-
venöl massiert, gesalzen und am Ende so
lange im Ofen gebacken, bis der Blumen-
kohl außen knusprig und innen butter-
weich ist. Eigentlich keine große Kunst –
entscheidend ist jedoch die Art des Servie-
rens. Das Grosse Pièce kommt traditionell
als Ganzes auf den Tisch, wird dort aufge-
schnitten und an die Gäste verteilt. Für die
Restaurants ist die Planung allerdings
nicht ganz einfach. Weil selten acht bis
zwölf Personen spontan auftauchen, um al-
le dasselbe Gericht zu essen, bieten die
meisten Lokale das Centerpiece nur auf
Vorbestellung an.
Peter Fetz, Junior-Chef des Gasthauses
„Hirschen“ im österreichischen Schwar-
zenberg (Vorarlberg), will deshalb versu-
chen, das Grosse Pièce in seinem Lokal da-
durch zu institutionalisieren, dass er regel-
mäßig einen „Social Table“ veranstaltet. Ei-
ne große Tafel für zehn Personen steht
schon im Salon bereit, die Teilnehmer müs-
sen sich vorher nicht unbedingt kennen,
sie kommen sich dann beim Teilen des Es-
sens garantiert näher. Jonathan Burger,
Chefkoch im „Hirschen“, will künftig ein
Menü ausschließlich mit teilbaren Gerich-
ten anbieten: Kürbis, Blumenkohl, Ziegen-
keule, große Steaks – alles kommt als Gros-
se Pièce, auch das Dessert, eine riesige Me-
ringue, gefüllt mit Mascarpone, Sahne,
Nüssen und Feigen.
Auch aus kulinarischer Sicht könne die-
se Art des Kochens sinnvoll sein, findet Bur-
ger: „Eine Kalbshaxe, ein gefülltes Hühn-
chen oder eine Ente schmecken einfach
besser, wenn man sie im Ganzen gart.“ Für
Burger hat diese Art des Kochens auch den
Vorteil, dass er seine Vorräte besser verwer-
ten kann. Er kauft ganze Schweine und ver-
wendet alle Teile, auch die Innereien und
die Füße. Teilen ist nachhaltig und mini-
miert neben dem Abfall auch den Arbeits-
aufwand. Denn wo im Normalfall zwei bis
drei Kellner einzelne Teller servieren, ist
beim geteilten Essen lediglich eine Person
für den Service nötig.
Der Geselligkeitsfaktor wird durch das
Grosse Pièce sowieso gehoben. In den meis-
ten Restaurants kann man heutzutage an
fast allen Tischen ja recht traurige Szenen
beobachten: Paare schaufeln stumm und
gelangweilt ihr Essen in sich hinein, wäh-
rend sie auf ihre Smartphones starren.
Beim Verzehren eines Grosse Pièce ist das
kaum möglich. Die Gäste sind gefordert,
sie müssen mitmachen: selber schnippeln,
filetieren oder tranchieren, Portionen auf
Teller verteilen, Beilagen herumreichen.
Das Teilen am Tisch ist da nicht nur Lippen-
bekenntnis oder ein Nebeneinander von
Tapas-Schüsselchen; es hat einen geselli-
gen, festlichen Charakter – und einen sym-
bolischen Wert. Man sitzt familiär am
Tisch, bricht gemeinsam das Brot und
kommt ins Gespräch. Das Eisbrecherthe-
ma ist dann nicht selten das Huhn oder die
Sellerieknolle auf dem Tisch. Mehr kann
man von einem Essen eigentlich nicht ver-
langen.
Als invasiv bezeichnet man Tier- und
Pflanzenarten, die in fremde Ökosysteme
eindringen und diese schädigen oder zu-
mindest durcheinanderbringen. Zu ihnen
gehört in Deutschland seit einiger Zeit
auch der Rote Amerikanische Sumpf-
krebs, den wohl überdrüssige Aquarienbe-
sitzer in den Tümpeln des Berliner Tiergar-
tens aussetzten, wo er sich seither mit ei-
ner Geschwindigkeit ausbreitet, die man
sonst nur von Kaninchen kennt – oder von
bestimmten Kochstilen.
Dem Fermentieren zum Beispiel. Die-
ses Verfahren, bei dem durch Bakterien
oder Pilze Lebensmittel haltbar gemacht
und/oder geschmacklich veredelt werden,
hat der Welt zwar Köstlichkeiten wie Soja-
sauce, Spätburgunder und Mailänder Sala-
mi beschert, geriet jedoch darüber hinaus
seit der Erfindung des Tiefkühlfachs in
Vergessenheit. Bis vor einigen Jahren nor-
dische Spitzenköche wie René Redzepi
und Magnus Nilsson das kulinarische
Potenzial der mikrobiellen Zubereitung er-
kannten und erweiterten – seither breitet
sich die alte Technik wieder aus. Kaum ein
Koch zwischen Halensee und Helmholtz-
kiez, der nicht irgendetwas Selbstfermen-
tiertes auf der Karte hat, und seien es nur
Kombucha oder Kimchi. Das ist grundsätz-
lich positiv, weil die Fermentation uns
ganz neue Geschmackswelten erschließt.
Doch sind Bakterien und Pilze keine Kö-
che: Sie können gute Produkte in noch bes-
sere Produkte verwandeln, aber über
Hochgenuss oder nicht entscheidet am En-
de allein der Mensch, der sie in der Küche
zum Einsatz bringt.
Im „Mrs. Robinson’s“, einem minimalis-
tisch eingerichteten und von Köchen wie
Gastrokritik häufig gelobten Lokal in
Prenzlauer Berg, verwendet man fermen-
tierte Produkte gerne und viel. Vor allem
den Koji-Schimmelpilz, der auch zur Her-
stellung von Sake, Miso und Mirin verwen-
det wird – aus mit Koji fermentiertem Reis
und Salz zum Beispiel wird nach ein paar
Tagen ein feines, glutamatreiches Küchen-
gewürz. Mit guter Rohmilchbutter und
sehr gutem, hausgebackenem Brot berei-
tet dieses Hipster-Maggi viel Vergnügen
(5,50 Euro). Das Produkt hat also Potenzial
- allerdings braucht es dafür einen Spar-
ringspartner.
Die „gegrillten ganzen Flusskrebse“,
mit denen die Shio-Koji-Butter, diesmal
aufgeschäumt, auf den Teller kommt, sind
das nicht – dazu schmeckt das wenige, das
man aus den Panzern pult, viel zu lasch
und eindimensional. Kein Wunder, denn
es handelt sich in Wirklichkeit um jene in-
vasiven Sumpfkrebse aus dem Tiergarten,
die ein hiesiger Händler mal als „Berlin
Lobster“ verkauft hat, während sie in ihrer
Heimat am Mississippi ehrlicher als „Mud-
bugs“ bezeichnet werden, also „Schlamm-
wanzen“. Dort werden sie übrigens mit gro-
ßen Mengen Gewürzen gekocht, um ihnen
wenigstens etwas Geschmack aufzuzwin-
gen. Im Mrs. Robinson’s sorgt nur etwas
verbrannte Zitrone für ein bisschen Leben
auf der Zunge (24 Euro).
Der Wille zur guten Küche ist auch beim
„Wolfsbarsch mit Mais, scharfer Blaubee-
re & Lardo“ erkennbar – doch auch hier
fehlt das Händchen. Das Fischfleisch
selbst: in Ordnung. Der Speck dazu: prima.
Die fermentierte Blaubeerpaste: wird von
viel Chili mundtot gemacht, was nicht wei-
ter schlimm wäre. Doch es findet sich noch
mehr auf dem Teller, nämlich unaromati-
sche, knorpelige Maiskörner, ein fader
Maissud und – ein ganzer Berg Maisfäden.
Nichts gegen Zero-Waste-Cooking, aber
wenn man etwas nach langem Kauen wie-
der ausspucken muss wie eine Katze ihr
Gewölle, dann ist das nicht nachhaltig, son-
dern Quatsch (28 Euro).
Auch bei der „60 Tage gereiften Hol-
stein-Kuh“ treffen erstklassige Produkte
auf komplette Ideenlosigkeit, was damit
anzustellen wäre. Das wirklich sehr aroma-
tische, gut durchwachsene Fleisch ist
zwar perfekt gegart, auch die Kartöffel-
chen dazu haben Geschmack – doch sie
sind pappweich. Darüber hinaus düm-
peln sie in einer Creme aus Eigelb und
Rinderfett vor sich hin, die das Fleisch-
aroma nicht kontrastiert oder unter-
streicht, sondern bloß wiederholt, was da-
zu führt, dass man sich von all dem Rin-
derfett auf dem Teller fast umzingelt
fühlt. Gut, das Schälchen Ponzu-Sauce
muntert mit etwas Säure auf, der geröste-
te Buchweizen cruncht ein wenig – doch
beiden gelingt es nicht, das Gericht aus
seiner redundanten (und 86 Euro teu-
ren!) Bräsigkeit herauszuholen. Dazu
passt die Luft im Lokal: Im Mrs Robin-
son’s sitzt man mangels leistungsfähiger
Abzugshaube in einem kopfweherzeu-
genden Mief.
Aromenakkorde oder Kontraste? Kräu-
ter oder Gemüse? Frische oder wenigs-
tens etwas, das irgendwie belebend
wirkt? Nichts davon erleben wir an die-
sem Abend – allein das Dessert, ein Ama-
zake-Eis (wieder aus fermentiertem
Reis, quasi einer Sake-Vorstufe) ist fein
und säuerlich und interessant, und der
Weiße-Spargel-Essig dazu bringt eine
Frische, die nach den Gängen davor wie
eine kalte Dusche erquickt (12 Euro).
Eigentlich schade: Grundsätzlich sind
Lokale, die sich biodynamischer und lo-
kaler Landwirtschaft verschrieben ha-
ben, ja unterstützenswert – zumal das
Personal im Mrs. Robinson‘s wirklich
ganz herzig ist. Als kulinarische Idee
reicht das jedoch nicht aus. Leider.
Das große Ganze
Wo viele Menschen gemeinsam essen, geht oft nichts zusammen, weil jeder heute
Sonderwünsche hat. Nun erlebt das Grosse Pièce ein Comeback: das eine Gericht für alle
Es gibt Trendzutaten, die viel über Köche er-
zählen, etwa weil die Erstverwendung ver-
rät, ob ein Küchenchef Pionier oder Nachah-
mer ist. Und vergliche man Speisekarten
der letzten 25 Jahre, könnte man nur an-
hand der Häufung solcher Zutaten erken-
nen, aus welcher Zeit die Karten stammen.
Evergreens wie Rote-Bete-Carpaccio gehö-
ren dazu, Exoten wie Rochenflügel, Des-
serts mit Passionsfrucht, Tonkabohne oder
Yuzu. Vergleichsweise jung ist eine Gewürz-
mischung, deren Name Ferne und Geheim-
nis transportiert: Purple Curry verdankt
sein Purpur und seine zarte Säure der Hibis-
kusblüte; die milde Schärfe basiert allein
auf schwarzem Pfeffer; Zimtblüte, Nelke
oder Kardamom verleihen der Mischung ei-
ne komplexe Blumigkeit. Sie stammt aller-
dings nicht aus Kerala, sondern aus Main-
franken, wo Gewürzmüller Ingo Holland sie
vor zehn Jahren entwickelte, als ihm bei der
Herstellung von Hibiskussalz das Aroma ge-
mahlener Blüten auffiel. Holland mariniert
mit Purple Curry am liebsten Huhn, es
passt aber auch gut zu Fisch oder Gemüse.
Zuletzt hat sich die Mischung in vielen Res-
taurants durchgesetzt. Zum Angeben
taugt das beeindruckend lilafarbene Pulver
also nicht mehr. Andere Hersteller kopie-
ren es bereits und schreiben: „Indisches Ge-
heimrezept“ dazu. Ach ja. MARTEN ROLFF
GESCHMACKSSACHE
Purple Curry
In einem Satz:DerService
imMrs. Robinson’s ist
reizend, das Konzept der
Küche wirkt indes noch
nicht ganz ausgereift.
Qualität: ●●○○○
Ambiente:●●●○○
Service:●●●●○
Preis/Leistung: ●●○○○
Als Koch kann man heute
mit Sellerieknolle im Salzmantel
berühmt werden
Haxe, Hühnchen oder Ente
schmecken schlicht besser, wenn
man sie im Ganzen gart
FOTO: ALTES GEWÜRZAMT
LOKALTERMIN
Fermentation ist ein Prozess, bei dem Lebensmittel durch
Bakterien oder Pilze haltbar gemacht und veredelt werden.
Mit Erfindung des Tiefkühlfachs geriet das Wissen darüber
etwas in Vergessenheit. Doch seit Starköche mit Mikroben
und Edelschimmel wahre Wunder bewirken, kommt kaum
ein Restaurant mehr ohne Miso, Spargel in Essigwasser oder
fermentierte Beeren aus. Leider ersetzt all das noch nicht
den Koch, warntHarriet Köhler. Auch für dasMrs. Robinson’s
in Berlin gilt: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht
Ein bisschen retro mag es wirken, aber in der Gruppe gemeinsam einen ganzen Lachs zu verspeisen, steigert die Geselligkeit enorm.FOTO: STOCKFOOD
60 STIL ESSEN UND TRINKEN Samstag/Sonntag,2./3. November 2019, Nr. 253 DEFGH
Das ist die Ironie
an der Vereinzelung: Sie macht
das Teilen zum Trend