Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1
Die Drummerin zählt ein:
MariaMoling (links)
zeigt den Mädchen,
worum es beim Spiel in
einer Band geht.
Die Teilnehmerinnen
können sich
erproben,
das Instrument wechseln
und das Programm für
das Abschlusskonzert
zusammenstellen.
FOTOS: STEPHAN RUMPF

von julius bretzel

D

ie Drummerin zählt ein, und
satte Pop-Klänge füllen den
kleinen Raum, der voll mit Ins-
trumenten, Mikrofonstän-
dern und Verstärkern steht.
Weinrote Vorhänge an den Wänden die-
nen zur Schalldämpfung. Sechs junge Mu-
sikerinnen stimmen gemeinsam Lykke Lis
„I follow Rivers“ an, das vor acht Jahren in
den Charts war. Manche wirken noch unsi-
cher an ihrem Instrument, anderen ist
mehr Erfahrung anzumerken. Mit Gitar-
ren, Bass, E-Piano, und Schlagzeug geben
sie der Komposition etwas Neues, testen
aus, wie sie das Song-Intro instrumentie-
ren könnten. „Will jemand vielleicht die
Melodie pfeifen?“, fragt Maria Moling. Sie
leitet den Band-Coaching-Workshop
beim Mädchen-Musik–Camp der neuen
Jazzschool in Pasing.
An vier Workshop-Tagen will die Jazz-
Schule jungen Frauen mehr Selbstbe-
wusstsein vermitteln. „Der Anteil von
Frauen und Mädchen in Bands ist sehr ge-
ring. Oft trauen sich Mädchen nicht“, er-
klärt Katrin Neoral, die das Musik-Camp
organisiert hat. In drei verschiedenen
Workshops – neben dem Band-Coaching
auch Gesang und Rap – können sich die
Teilnehmerinnen erproben, allein oder
mit anderen. „Musikmachen ist nicht nur
gut für die eigene Persönlichkeit, wir wol-
len bei den Workshops zeigen, wie aus Ein-
zelkämpfern Teams werden“, sagt Neoral,
die selbst in ihrer Jugend viel Musik ge-
macht hat. Die insgesamt 19 Teilnehmerin-
nen erfahren nebenbei, welche Bereiche
die Musikwelt für sie offenhält. „Wir wol-
len den Blick für die möglichen Berufsfel-
der weiten“, sagt Neoral. Ihr sei gerade des-
halb wichtig gewesen, als Dozentinnen
Frauen zu gewinnen, die hauptberuflich
als Musikerinnen arbeiten.

Mit Maria Moling hat sie eine erfahrene
Schlagzeugerin und Sängerin für die Work-
shop-Leitung gewinnen können. Als lang-
jähriges Mitglied der erfolgreichen ladini-
schen Frauen-BandGanesoder gemein-
sam mit Hubert von Goisern konnte sich
Moling in der europäischen Pop-Musiksze-
ne einen Namen machen. Seit 2015 ist die
gebürtige Südtirolerin im Indie-Folkrock-
DuoMe + Marieunterwegs.
Für die vier Tage beim Musik-Camp
überlässt die 35-Jährige das Musizieren je-
doch größtenteils den Teilnehmerinnen,
nur gelegentlich steigt sie ein, singt eine
zweite Stimme oder schlägt mit einem
Tamburin zur Musik. Viele Vorgaben
macht sie nicht, sondern überlässt die mu-
sikalischen Entscheidungen den Mäd-
chen. Diese experimentieren mit ihren Ins-
trumenten. Nur wenn ein Problem auf-
taucht – mit welchen Instrumenten spie-
len wir die zweite Strophe? Ist die Gitarre
an der Stelle passend? –, moderiert Mo-
ling die Diskussion. Sie hat als Vorberei-
tung für den Workshop zwar ein paar Lied-
vorschläge mitgebracht, doch die Mäd-
chen tragen selbst viel bei, stellen ihr eige-
nes Programm auf die Beine, mit Cover-
Songs und eigenen Kompositionen.
Auch wenn manche Teilnehmerinnen
schon ein Instrument spielen können und
teilweise ihre eigenen Songs schreiben,
hält der Workshop für alle etwas Neues be-
reit. Das Zusammenspiel in einer Band ist
für viele ganz ungewohnt. Aber auch die
Instrumente werden nach jedem Song
bunt gemischt: Lilly beispielsweise, die
klassisches Klavier gelernt hat, spielt nun
zum ersten Mal Bass. Oder die 13-jährige
Maria. Sie kann Trompete spielen, setzt
sich im Workshop aber ans Schlagzeug.
Die Mädchen probieren aus, was ihnen
liegt und wie sie sich in das Band-Gefüge
einbringen können.

„Ich habe selbst genau so angefangen,
Schlagzeug zu spielen“, erinnert sich Mo-
ling. Im Musikunterricht sei ein Schlagzeu-
ger gebraucht worden, und sie habe sich
getraut, das Instrument auszuprobieren.
Dass dazu gerade für Mädchen viel Mut ge-
hört, hat sie selbst erfahren. Denn die Welt
der Popmusik gilt als Männerdomäne. „Es
gibt ganz viele Klischees der Instrumen-
tenaufteilung in Bezug auf Geschlechter“,
sagt Moling. Aktionen wie das Musik-

Camp hält sie deshalb für sehr wichtig.
„Die Mädchen sind dann unter sich und
trauen sich vielleicht eher, einfach mal zu
experimentieren.“
Der nächste Song wird angestimmt,
„Creep“ vonRadiohead. Die Instrumente
haben ihre Spieler gewechselt und das Tö-
nesuchen beginnt von vorn. Zuerst ist es
ein wildes Durcheinander, doch mit der
Zeit finden die Mädchen zueinander. Hin
und wieder geht Maria Moling zu einer der

jungen Musikerinnen, zeigt ihr, was sie
aus ihrem Instrument herausholen kann.
Währenddessen erklingen die vier Akkor-
de des Songs in Dauerschleife. „Wir ma-
chen das so lange, bis es groovt“, kündigt
die Workshop-Leiterin an. Noch zwei Tage
hat die frisch formierte Band Zeit, um die
Songs gemeinsam einzuüben.
Höhepunkt des Mädchen-Musik-
Camps ist am letzten Workshop-Tag ein
Abschlusskonzert im Pasinger Jugendzen-

trum „Aquarium“. Die Teilnehmerinnen
der drei Workshops stellen ihr Erlerntes
auf der Bühne vor. Doch es scheint, als set-
ze sie der Termin nicht unter Druck. Wenn
etwas nicht klappt oder unklar ist, gehen
die Dozentin und ihre sechs Musikerinnen
gelassen an das Problem. „Es ist egal, ob
wir Fehler machen. Wir haben ja noch
Zeit“, beruhigt Maria Moling. Also noch
einmal das Intro von vorn: „Die Drumme-
rin zählt ein.“

Bogenhausen– Musik ist ohne Frage sei-
ne Welt. Das wissen all jene, die Kevin
Conners regelmäßig auf der Bühne der
Bayerischen Staatsoper erleben. An die-
sem Sonntag, 3. November, beispielswei-
se als Spoletta in Puccinis „Tosca“ oder
demnächst im „Wozzeck“. Seit 1990 ist
der wandlungsfähige Tenor Mitglied im
Ensemble der Bayerischen Staatsoper,
seit 2005 darf er den Titel Bayerischer
Kammersänger tragen. Kevin Conners ist
auch Rotarier, für ein Benefiz-Konzert
des Rotary Club München-Hofgarten am
Sonntag, 10. November, 17.30 Uhr, in der
Nazarethkirche an der Barbarossastra-
ße 3 hat der Amerikaner ein sehr persönli-
ches Programm aus Jazz, Musical und
Klassik unter dem Titel des „Music is my
world“ zusammen gestellt. Begleitet wird
der Sänger am Klavier von Richard
Whilds, der speziell für diesen Abend die
Arrangements geschrieben hat. Weitere
Musiker sind Stefan Schneider, erster Kla-
rinettist beim Münchener Kammeror-
chester, sowie der Kontrabassist Thomas
Herbst und der Schlagzeug Maxime Pi-
doux, die beide sind Mitglieder im Bayeri-
schen Staatsorchester. Der Eintritt kostet
30 Euro an der Abendkasse. Mit dem
Spendenerlös wird der Aufbau des Ju-
gendhauses Riem unterstützt, zudem ein
Kinderheim und Schulzentrum im ländli-
chen Kenia. czg


Giesing– Ein Krimi passend zum Monat
und zur allgemeinen Grundstimmung:
„Novembertod“ heißt ein historischer
Thriller von Iris Leister. Am Montag,



  1. November, 19 Uhr, ist die Autorin zu
    Gast im Nachbarschaftstreff Giesing am
    Neuschwansteinplatz 12. Der Roman, in
    dem sie ihren Kommissar Hermann Kap-
    pe zu seinem mittlerweile fünften Fall los-
    schickt, spielt vor dem Hintergrund der
    Revolutionswirren von 1918. Die Giesin-
    ger Autorin, die auch Mitglied bei den
    „Mörderischen Schwestern“ ist, wird
    nicht nur aus ihren Krimis lesen, sondern
    dem Publikum auch verraten, wie es zu
    den Geschichten kam. Etwa zu der Hör-
    spielreihe „Der Ohrenzeuge“ oder ihren
    preisgekrönten Kurzgeschichten, von de-
    nen eine mit dem Titel „Kleine Fische“ so-
    gar in einem dänischen Deutschlehrbuch
    landete. Näheres zum Nachbarschafts-
    treff unter http://www.nt-giesing.de. czg


München– Blut tropft auf die Klaviertas-
ten, auf grazile weiße Finger. Der Pianist
fasst sich an die bleiche Nase, aus der ein
rotes Rinnsal fließt. Man sieht eine Hand
leblos nach unten baumeln, dann die Blut-
lache am Boden. 1982 – eine gute Woche
nach seinem 50. Geburtstag – starb der ge-
niale Sonderling des Klavierspiels, Glenn
Gould, an den Folgen eines Gehirnschlags.
Die französische Zeichnerin Sandrine Re-
vel versucht, das Phantom Glenn Gould in
einem Comic-Roman zu fassen zu bekom-
men. Sie erzählt non-linear, legt kaum Far-
be in diese Bildstrecken, mit einer noto-
risch einsamen Aura umgibt sie den exzen-
trischen Virtuosen. Revel hat Goulds Auf-
nahmen gehört, während sie die Graphic
Novel zeichnete. Am Freitag, 8. Novem-
ber, 20 Uhr, wird sie in der Pasinger Fabrik
an ihrem Gould-Comic weiter arbeiten,
live und wieder zu Klaviermusik.
Originalblätter von Sandrine Revel und
sieben weiteren, in Frankreich sehr popu-
lären Comic-Zeichnern sind derzeit in den
Galerieräumen der Fabrik zu sehen. Die
Schau ist das Herzzentrum des Festivals
„Bordeaux à Gogo“, das der nach 55 Jahren
etwas espritlos dahinschlummernden
Städtepartnerschaft zwischen München
und der Wein-Metropole einen Vitamin-
stoß versetzen soll. Dass Bordeaux mehr
zu bieten hat als ein paar gute Flaschen
Bordelais, wusste Thomas Linsmayer na-
türlich, der das Festival von Fabrik-Seite
mitbetreut. Überrascht war er dann aber
doch, als Éric Audebert ihm und der
Münchner Delegation bei einer Reise dort-
hin die hochaktive junge Comic-Szene der
Stadt ans Herz legte. Audebert leitet dort

das Comic-Festival „Regard 9“ und ist
Gründer eines Comic-Zentrums, das samt
Ateliers in einem Palais untergebracht ist.
Paradiesische Zustände, von denen die hie-
sige Graphic-Novel-Szene nur träumen

könne, findet Linsmayer. Weshalb das
Münchner Kulturreferat und das Goethe-
Institut Bordeaux nun zusammen mit den
französischen Partnern planen, Zeichner
von der Isar an die Garonne zu schicken.

Neben der jungen Comic-Szene gibt es
noch eine ganze Reihe anderer Festival-
Botschafter, die bis zum 1. Dezember Lust
machen sollen auf die Kulturmetropole
Bordeaux. Da ist beispielsweise das Team

des Independent International Film Festi-
val, kurz Fifib. Exklusiv für München hat
es eine Auswahl aktueller Werke junger Re-
gisseure aus der Bordelaiser Filmemacher-
Szene zusammengestellt. Zu sehen sind
sie im Gasteig und in der Fabrik. Morgan
Simons Regiedebüt „Compte tes blessu-
res“ etwa, ausgezeichnet beim Filmfesti-
vals von San Sebastián, erzählt die Ge-
schichte von Vincent, Sänger einer Post-
Hardcore-Band, schwer tätowiert, psy-
chisch labil. Seit dem Tod seiner Mutter
lebt er alleine mit seinem Vater, der ihm ei-
nes Tages Julia, seine weit jüngere Freun-
din vorstellt ... (15. November, 20 Uhr, in
der Fabrik).
Jung ist auch Bordeaux’ Musikszene,
die sich ebenfalls aufmacht zum Festival
in die Partnerstadt.Zebra Lovanennt der
Komponist und Multiinstrumentalist Sé-
bastien Brun sein Elektropop-Projekt, in
dem sich die Beats der Achtzigerjahre mit
aktuellen Sounds kreuzen (30. November,
20 Uhr, Pasinger Fabrik). Eine deutsche
Erstaufführung als Direktimport aus Bor-
deaux gibt es an diesem Samstag, 2. No-
vember, 20 Uhr, im kleinen Konzertsaal
im Gasteig mit „Digital und Pariétal“ des
Komponisten Thierry Alla. Ansonsten ste-
hen bei dem Jubiläumskonzert zu 55 Jah-
ren Städtepartnerschaft Musiker und Sän-
ger aus Bordeaux und München gemein-
sam auf der Bühne. Und schlagen mit Non-
chalance eine Brücke von Maurice Ravel
zu Richard Wagner. jutta czeguhn

Näheres zum Festival-Programm „Bordeaux à Go-
go“ unter http://www.pasinger-fabrik.de.

„Esgibtganz viele Klischees
der Instrumentenaufteilung
in Bezug auf Geschlechter.“

Lehel– Seine ersten Tage auf der Prager
Burg muss Václav Havel wohl als ziemlich
surreal empfunden haben. Sie hatten ihn
am 29. Dezember 1989 zum Staatspräsi-
denten gemacht. Knapp ein Jahr zuvor
hatte er vor Gericht gestanden. Der pro-
minenteste Dichter, Dramatiker und Dis-
sident der ČSSR war wegen „Aufwiege-
lung“ und „Störung der öffentlichen Ord-
nung“ zu neun Monaten Gefängnis ohne
Bewährung verurteilt worden. Und noch
im Oktober 1989 hatte man ihm die Aus-
reise nach Frankfurt verweigert, so dass
er den Friedenspreis des deutschen Buch-
handels nicht persönlich entgegenneh-
men konnte. Nun hatte sich in seinem
Land, und nicht nur dort, die Welt von un-
ten nach oben gekehrt. Wer 1990 als „Po-
lit-Tourist“ in Prag unterwegs war, konn-
te fast neidisch werden, wenn er diese un-
geheure, immer noch leicht ungläubige
Euphorie spürte. An den Häuserwänden
der Stadt sah man überall diese Graffiti,
ein Herz mit dem Namen „Václav“ drin-
nen. Wer war dieser Mann, den sie den
„Dichterpräsidenten“ nannten? Und der
heute, knapp acht Jahre nach seinem
Tod, so brennend vermisst wird? „Václav
Havel – Bürger und Dramatiker“ ist der
Titel einer Ausstellung, die am Donners-
tag, 7. November, 19 Uhr, im Tschechi-
schen Zentrum, Prinzregentenstraße 7,
eröffnet wird. Die Schau beleuchtet Ha-
vels Werdegang als großer Vertreters des
absurden Theaters. Zu sehen sind Foto-
grafien von tschechischen wie internatio-
nalen Inszenierungen seiner Werke aus
den Sechzigerjahren bis in die Gegen-
wart. Bei der Vernissage wird die Kurato-
rin der Schau, Helena Albertová, eine
langjährige Freundin Havels, einführen-
de Worte sprechen. Die Schau läuft bis



  1. Januar, Öffnungszeiten sind: Montag
    bis Mittwoch von 11 bis 17 Uhr, Donners-
    tag von 11 bis 19 Uhr und Freitag von
    11 bis 15 Uhr. Der Eintritt ist frei. czg


„Bis es groovt“


Bands sind nur etwas für Jungen – beim Mädchen-Musik-Camp der neuen Jazzschool München


zeigt Drummerin Maria Moling jungen Frauen, dass das ziemlicher Quatsch ist


Mörderischer


November


Rendezvous mit Vitaminstoß


Das Festival „Bordeaux à Gogo“ will eine schläfrig gewordene Städtepartnerschaft wiederbeleben


Musik


ist seine Welt


Vom Dissidenten zum Präsidenten: Vác-
lav Havel. FOTO: VIKTOR KRONBAUER/OH

Dramatiker und


Dichterpräsident


DasPhantom am Klavier: Sandrine Revel hat Glenn Gould einen Comic-Roman gewidmet. FOTO: SANDRINE REVEL/OH

R14 KULTUR IN DEN STADTVIERTELN PGS Samstag/Sonntag,2./3. November 2019, Nr. 253 DEFGH

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