Berliner Zeitung - 02.11.2019

(nextflipdebug5) #1

Politik


4 * Berliner Zeitung·Nummer 255·2./3. November 2019 ·························································································································································································································································································


NACHRICHTEN


Rentner zahlen immer


mehr Steuern


RentnerzahlenvonJahrzu Jahr
mehrEinkommensteuer.Sof lossen
nachdenjüngstenZahlen2015rund
34,65MilliardenEuroEinkommen-
steuervonSteuerpflichtigenmit
RenteneinkünftenandenStaat.Das
gehtauseinerAntwortdesBundesfi-
nanzministeriumsaufeineAnfrage
derLinkenimBundestaghervor.Im
Jahrdavorwarenes31,44Milliarden
Euro,2013rund29,15Milliarden
Euroundim Jahrdavor27,13Milliar-
denEuro.Währendesbeimgesam-
tenSteueraufkommenzwischen
2005und2015eineSteigerungvon
rund50Prozentgab,warenesbeider
EinkommensteuerderRentnerrund
130Prozent.(dpa)


UN-Klimakonferenz findet


in Madrid statt


DieUN-Klimakonferenzfindetin
Madridstatt.DieseEntscheidung
gabdasKlimasekretariatderVerein-
tenNationenamFreitagin Bonnbe-
kannt.DieKonferenzwerdewiege-
plantinderZeitvom2.b is13. De-
zemberabgehalten,hießesweiter.
EigentlichwarChilealsGastgeber-
landfürdiediesjährigeUN-Klima-
konferenzvorg esehen.Angesichts
derpolitischenUnruheninseinem
LandhatteChilesStaatschef
SebastiánPiñerajedochamMitt-
wochdieKonferenzabgesagt.Zur
Klimakonferenzwurden25000De-
legierteinSantiagoerwartet,unter
ihnenauchGretaThunberg,dienun
umHilfebeiderReisenachMadrid
bat:ThunbergwaraufeinemSegel-
schiffüberdenAtlantikmitgefahren,
weilsiealsZeichenfürmehrKlima-
schutznichtfliegenwollte.Sie
sprachinNewYorkvordenVereinten
Nationen,aberauchdiegeplante
KlimakonferenzinSantiagodeChile
wareinGrundfürdiemühsame
Reise.(AFP)


Brexit-ParteichefFarage


erhöht Druck auf Johnson


NigelFarage, derVorsitzende der briti-
schen Brexit-Partei DPA


KnappsechsWochenvorderNeu-
wahlin GroßbritannienhatderChef
derBrexit-Partei,NigelFarage,den
Druckauf PremierministerBoris
Johnsondeutlicherhöht.Erforderte
Johnsondazuauf,denmitderEuro-
päischenUnionvereinbartenBrexit-
Dealzu verwerfen. DasAbkommen
habenichtsmehrmitdemBrexitzu
tun,sagteFarageam Freitagzum
AuftaktseinerWahlkampagnein
London.„Gib'denDealauf!“, riefFa-
rage.Fürden FallboterdemPre-
mierministereineArt„Nichtan-
griffspakt“an.FallsJohnsonaber
nichteinerAllianzzustimme,werde
dieBrexit-ParteiumjedenSitzbei
derNeuwahlam12.Deze mber
kämpfen,drohteFarage.(dpa)


„AlanKurdi“ nähertsich


eigenmächtig Italiens Küste


DasdeutscheRettungsschiff„Alan
Kurdi“,dasmitderzeitnoch88Mi-
grantenanBordseitknappeiner
WocheaufdemMittelmeerunter-
wegsist,istamFreitageigenmäch-
tiginitalienischeHoheitsgewässer
eingefahren.DieOrganisationSea
Eyebegründetedasmitdem
schlechtenWetter.DemSchiffsei
nochimmerkeinsichererHafenzu-
gewiesenworden.(dpa)


Russenund


Türkenauf


Patrouille


Assad:WillKontrolleüberdas
gesamteStaatsgebietzurück

N


achdemAbzugderkurdischen
Volksverteidigungseinheiten
(YPG)ausdemGrenzgebietzurTür-
kei in Nordsyrien haben amFreitag
gemeinsamePatrouillen der türki-
schen undrussischenStreitkräfte in
der Region begonnen.DiePatrouil-
len entlang der türkischenGrenze
begannen imGebiet um Al-Darba-
sija.SyriensMachthaberBascharal-
Assadkündigtean,künftigwolleDa-
maskuswieder die volle Kontrolle
überdieGebieteerlangen.
Dertürkische Präsident Recep
TayyipErdoganhattediePatrouillen
vergangeneWochebeieinemTreffen
mit Russlands Staatschef Wladimir
Putin in Sotschi vereinbart, um den
Abzug der YPG aus demGebiet zu
überprüfen.Nach An gabenaus tür-
kischen Militärkreisen bewegte sich
amFreitagein Konvoitürkischerund
russischer Militärfahr zeugeinö stli-
cherRichtungvonAl-Darbasija,um
ineinemStreifenvonmehreren Dut-
zend KilometernLänge zu patrouil-
lieren. Dierussische Armee teilte
mit, derKonvoi bestehe aus neun
Fahrzeugen,der voneinem gepan-
zertenFahrzeugbegleitetwerde. Das
türkischeVerteidigungsministerium
bestätigte,dass die Patrouillen „mit
Boden- und Lufteinheiten im
Gange“seien.Überdieskündigtedas
Ministeriuman,esseieinTreffenmit
einerrussischenMilitärdelegationin
Ankarageplant, um „taktische und
technischePunkte“anzusprechen.
DieTürkeihatteam9.Oktobermit
pro-türkischen und islamistischen
MilizeneineMilitäroffensivegegen
diesyrischeKurdenmilizbegonnen,

nachdem die USA ihreTruppen aus
dem Gebiet abgezogen hatten.Dies
stießinternationalaufscharfeKritik,
weildie Kurdenenge Verbündetedes
Westens imKampf gegen die Dschi-
hadistenmilizIslamischerStaat(IS)in
Syrienwaren.ZudemwurdederEin-
marschunteranderemvonderBun-
desregierung als völkerrechtswidrig
eingestuft. Hunderttausende Men-
schenwurdenvertri eben .DieTürkei
willindemvonihrkontrolliertenGe-
bietsyrischeFlüchtlingeansiedeln.
Nach der Militäroffensivehatten
sichdieTürkeiundRusslandaufeine
Aufteilungdeszuvorvonkurdischen
Einheiten kontrolliertenNordostens
Syriensgeeinigt. DieTürkei kontrol-
liertnunalleineinGebietvon120Ki-
lometernLängeundetwa30Kilome-
ternBreite auf syrischerSeite.Die
russischen und syrischenTruppen
wiederum kontrollieren dieGebiete
westlichundöstlichdavon.Dortsol-
lenzudemineinemStreifen vonzehn
KilometernBreiteauchdie nun be-
gonnenen, gemeinsamen türkisch-
russisc henPatrouillenstattfinden.In
einemöstlichenTeildesGrenzgebiets
patrouillierenzudemseitDonnerstag
auch wieder US-Soldaten.EinSpre-
cherderUS-geführtenAnti-IS-Koali-
tion versicherte aber,dass die US-
Truppen nicht inKonflikt mit ande-
renAkteuren in derRegion geraten
werden.Erbekräftigte ,dassWashing-
tonseineTruppenvonNords yrienin
dieöstlicheRegionumDeirEssoran
derGrenzezumIrakverlege.Dadurch
sollendieÖlfelderindemGebietgesi-
chertwerden.(AFP)

Russisch-türkischePatrouille an der syri-
schen Grenze AP

ZwischenMerzundGandhi


KanzlerinMerkelsuchtinIndienBündnispartner.RückhalthatsieauchinderCDUnötig


VonDanielaVates, Neu Delhi

B


undeskanzlerin Angela
Merkelhataufdiemassive
Kritik und die indirekten
Rücktrittsforderungenvon
Ex-Unionsfraktionschef Friedrich
Merzreagiert–undsichdemonstra-
tiv ungerührtgezeigt. „Ich freue
mich, dass ich inDeutschland für
meineArbeitauchsehrvielUnter-
stützungbekomme.WirlebeninDe-
mokratien,damussmanauchmit
Kritikumgehen“,sagteMerkelam
Freitag am Rande vonRegierungs-
konsultationen in der indischen
HauptstadtNeuDelhiaufeineFrage
vonJournalisten.Zuvorhattederin-
dische MinisterpräsidentNarendra
Modi Merkel als „außerordentliche
Führerin,nichtnurfürEuropa,son-
dernfürdieganzeWelt“gewürdigt.
MerzhatteMerkelnachderWahl
in Thüringen Führungsschwäche
und Untätigkeitvorgeworfen und
daraufauchdieNiederlagederCDU
zurückgeführt. Unterstützunghatte
Merz vomfrüheren Ministerpräsi-
dentenRolandKochbekommen.
MerkelwaramDonnerstagzuih-
remviertenBesuchinIndienaufge-
brochen, gemeinsammit Außenmi-
nisterHeikoMaas,Bildungsministe-
rinAnja Karliczek, Agrarministerin
Julia Klöcknerund Kulturstaatsmi-
nisterin Monika Grütters.Wirt-
schaftsministerPeter Altmaierhatte
nach seinem Sturzvon einer Bühne
kurzfristigabgesagt.

EinstrategischesInteresse
22 Vereinbarungen unterzeichnen
dieVertreterderbeidenStaaten,vom
Austauschüber Raumfahrtbis zur
Würdigung vonYoga und der indi-
schen Heilkunst Ayurveda. Verein-
bartwurde auch die Zusammenar-
beit bei Rüstungsprojekten der Ma-
rine,wie etwa bei U-Booten. Grund
seidas „gemeinsameInteresse an
der Stabilität der Region des Indi-
schenOzeans“.
FürdieKanzlerinhatdieReiseei-
nenstrategischenWert,wirtschaftlich
wie politisch.Es geht der Bundesre-
gierung darum, anderePartner ne-
bendemzurSupermachtaufsteigen-
denChinazugewinnen,aufdassich
der Fokus deutscherUnternehmen
undauchderPolitikbishervorallem
gerichtethat.IndiensWirtschaftsent-
wicklung hinkt zwar hinter der Chi-
nas hinterher,das Land ist aber eine
Demokratie.Unddie Potenzialeseien
groß,soheißtesinderRegierung.

Angela Merkelund Narendra Modi vor einer Statue von Mahatma Gandhi.AFP/HANDOUT MEA INDIA

In rund 15 Jahren, so wirdge-
schätzt,wirdIndienChinaalsbevöl-
kerungsreichstes Land überholt ha-
ben–eininteressanterAbsatzmarkt.
Schon jetzt ist Deutschland der
wichtigste HandelspartnerIndiens
in der EU.Eines derHaupthinder-
nissefürInvestitionenscheintinIn-
diendieBürokratiezusein.
DieBundesregierung versucht
auch,IndienalsdrittgrößtenEmit-
tentenklimaschädlicherGaseinder
KlimapolitikbeiderStangezuhal-
ten. Beide Länder bekräftigen die
KlimazielevonParis zur Reduktion
des CO 2 -Ausstoßes.Über Delhi
hängt amFreitag eine dickeSmog-
Wolke.Eine Milliarde Euro Unter-
stützungsagt Merkel bei dem Be-
suchfürgrüneInfrastrukturzu.

GlaubeaneinefriedlicheRevolution
Maas ist zufrieden, weil das große
Land der „Allianzfür Multilateralis-
mus“beigetretenist,die>einenKon-
trapunkt setzen soll zur Abschot-
tungspolitikvonUS-Präsident Do-
naldTrump.DochModiwerdenauch
NationalismusunddieBevorzugung
der Mehrheitsbevölkerung der Hin-
dus vorgeworfen. Undgerade hat
ModierneutProtesteChinasundPa-
kistansprovoziert,weilerfürdieum-
stritteneRegionKaschmirneue–in-
dische –Verwaltungsstrukturen ein-
geführthat. Merkel forderte Indien
und Pakistan auf, gemeinsam eine
LösungfürdieRegionzufinden.Die
Abriegelung des Gebiets und Aus-
gangssperren gehören für Merkel
nichtdazu:„SowieimAugenblickdie
Situation für die Menschen ist, ist es
nicht nachhaltigund nicht gut. Das
musssicherlichverbessertwerden.“
DieKanzlerin forderte auchVer-
besserungen der Situation der
FraueninIndienein.„ImBereichder
Gleichberechtigungkannnocheini-
ges getan werden“, sagte sie.Eines
dergroßenProblemeIndiensistun-
teranderemGewaltgegenFrauen.
Merkel verband ihren Besuch
auch mit einer Würdigung des indi-
schen Nationalhelden Mahatma
Gandhi,dersichmitfriedlichemWi-
derstandfür die indischeUnabhän-
gigkeiteingesetzthatte.Gandhi,des-
sen 150. Geburtstag in diesem Jahr
begangenwird,habe„mitseinemtie-
fenGlaubenandiefriedlicheRevolu-
tiondieWeltverän dert“,schrieb Mer-
kelins GästebuchderGandhi- Ge-
denkstätte .„Auchbe iunsin Deutsch-
land.“ DenGedenkstein hatte sie
zuvoraufSockenumrundet.

Bruttoinlandsprodukt
zu Preisenvon2010,
in Bio.US-Dollar

Bevölkerung
in Millionen

BIPproKopf
zu Preisenvon2010,
in US-Dollar

Deutschland und Indien im Vergleich


3,

82

1,

2,

3,

83

1220

1350

40 086

1268 2104

47 502

2009 2018 2009 2018 2009 2018 2009 2018 2009 2018 2009 2018
BLZ/GALANTY; QUELLE: WELTBANK, DPA

Deutschland Indien

Einspruchnichtvorgesehen


JensSpahnwillDatenohneEinverständnisderVersichertenfürForschungfreigeben.Datenschützersindentsetzt


VonTim Szent-Ivanyi

D


ieGesundheitsdatender73Mil-
lionen gesetzlichVersicherten
sollenkünftigohneihrEinverständ-
nis für die Forschung verwendet
werdenkönnen.Dassiehteinbisher
in der Öffentlichkeit nicht beachte-
terPassusimsogenanntenDigitale-
Versorgungs-Gesetz vonGesund-
heitsministerJensSpahn(CDU)vor,
das bereits in der kommendenWo-
che im Bundestag beschlossenwer-
densoll.Danachmüssendiegesetz-
lichen Krankenkassen die persönli-
chen Daten sowie sämtliche Be-
handlungsdaten allerVersicherten
an den Spitzenverband derKassen
melden,dersiedannderForschung
zur Verfügung stellt. Damit ent-
stünde eine der umfangreichsten
DatensammlungeninderBundesre-
publik.EineMöglichkeitfürdieVer-
sicherten, derWeitergabe der hoch-
sensiblenDaten zu widersprechen,
siehtderGesetzentwurfnichtvor.
Dievon denKassen gelieferten
Datensätzewerden lautGesetzent-
wurferst beimKassen-Spitzenver-
band pseudonymisiert, aber nicht
verschlüsselt.Siesollen denPlanun-
gen zufolge dann an ein neuesFor-

schungsdatenzentrumweitergeleitet
werden. DieDaten können lautGe-
setzentwurfvon Behörden, For-
schungseinrichtungenoderUniversi-
tätskliniken genutztwerden. DieIn-
dustriewirdnichtgenannt,aberauch
nichtexplizitausgeschlossen.InEin-
zelfällendürfensogarDatensätzevon
einzelnenPersonen verwendet wer-
den. Eine Löschung derDaten ist
nicht vorg esehen. „DieSozialdaten
der Krankenkassen sind einewert-
volle Datenquelle nicht nur für die
Steuerung und Weiterentwicklung

cherten dasRecht haben müssten,
über dieVerwendung derDaten zu
entscheiden. „Das heißt insbeson-
dere, wenn beispielsweise ethische
Bedenken vorliegen, sollte einPati-
entdieMöglichkeithaben,vonStu-
diezu Studiezuentscheiden,meine
Daten dürfen benutztwerden oder
nicht“,sagteSchröder.Erw iesauch
darauf hin, dass der Datenschutz
nichtgewährleistetsei.
DerBundesrat äußerte ebenfalls
Bedenken.Esbestünden„erhebliche
Zweifel, ob (...) derGrundsatz der
Verhältnismäßigkeit imHinblick auf
die Persönlichkeitsrechte derVersi-
cherten gewahrtbleibt“, heißt es in
der Stellungnahmeder Länderkam-
mer zumGesetzentwurf.DasFazit:
„VordiesemHintergrundisteineum-
fassende Überprüfung derRegelun-
genunterdemGesichtspunktdesSo-
zialdatenschutzesnotwendig.“
Scharfe Kritik kamvonden Grü-
nen: „Es ist hoch bedenklich, dass
SpahnimS chweinsgalopp,praktisch
ohne gesellschaftliche Diskussion,
die kompletten Gesundheitsdaten
der gesetzlichVersicherten für die
Forschung zugänglich machen
möchte“, sagte dieGesundheitsex-
pertin MariaKlein-Schmeink.

derGesundheitsversorgunginderge-
setzlichen Krankenversicherung,
sondernauch für die wissenschaftli-
cheForschung“,heißtesinderGeset-
zesbegründung.DieDaten vonPri-
vatver sicherten werdennichterfasst.
Beider öffentlichen Anhörung
des Gesetzentwurfs imBundestag
MitteOktober hatten IT-Sachver-
ständige dasVorhaben sc harf kriti-
siert. So forderte derDatenschutz-
Experte Dominique Schrödervon
der UniversitätErlangen-Nürnberg
laut Wortprotokoll, dass dieVersi-

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plant ein neuesForschungsdatenzentrum.DPA
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