Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

Dass der Musk-Konzern weitergeht bei seiner


Werbung in Sachen autonomes Fahren als andere


Hersteller, stößt der Konkurrenz schon länger auf.


Während deutsche Autobauer wie VW, BMW und


Daimler bisher den Begriff „Autopilot“ für ihre


Fahrassistenzsysteme noch vermeiden, hat Tesla


sich nicht davon abhalten lassen, ihn bereits als


vorhanden zu propagieren. Und das, obwohl das


Bundesverkehrsministerium noch Mitte 2017 mit


Blick auf die Modelle S und X betont hatte, dass


das Kraftfahrt-Bundesamt den „Autopiloten“ von


Tesla als „reines Fahrerassistenzsystem“ einstufe.


Gleichzeitig warnte das Bundesverkehrsministeri-


um die Besitzer der Fahrzeuge, bei dem Einsatz


der Technik stets wachsam zu bleiben.


Ein Gerichtsverfahren könnte deshalb nun klä-


rende Wirkung haben. Was darf Tesla behaupten


und was nicht? Diese Frage drängt sich vor allem


auch deshalb auf, weil die Versprechungen auf der


Homepage des Konzerns mittlerweile immer wei-


ter reichen – und von Technikexperten sehr kri-


tisch gesehen werden.


So wird Kunden, die auf der Tesla-Website einen


Wagen der Modelle S, X, Y und 3 bestellen und


nach ihrem Geschmack konfigurieren wollen, ne-


ben dem Autopiloten mittlerweile auch die Sonder-


leistung „Volles Potenzial für autonomes Fahren“


angeboten. Neben der automatischen Fahrt auf Au-


tobahnen und selbstständiger Überholung ist dort


auch das Herbeirufen vom Parkplatz aufgeführt.


„Ihr geparktes Fahrzeug findet Sie auf Parkplätzen


und kommt zu Ihnen“, so der Werbetext.


Und noch etwas steht da, dass den klagenden


Verband und dessen Beschwerdeführer offenbar


besonders erzürnt: „Bis Ende des Jahres“ werde


Folgendes möglich sein: die „Ampel-/Stoppschilder


Erkennung mit Anhalte-/Anfahrautomatik“ sowie


„automatisches Fahren innerorts“. Kostenpunkt


des gesamten Pakets: 6 300 Euro.


Gerade das „automatische Fahren innerorts“ bis


zum Ende des Jahres hält die Branche für völlig un-


realistisch. So heißt es etwa bei der FSD Fahrzeug-


systemdaten GmbH in Dresden, dass die Fahrzeuge


zwar aufgerüstet worden seien, aber noch immer


nicht sicher Personen erkennen könnten. Das ma-


che automatische Fahrten in der Stadt unmöglich.


Jürgen Bönninger, Chef der FSD, eines von Tüv


und Dekra ins Leben gerufenen Instituts, hatte


schon 2016 in einem Gutachten die damalige Versi-


on des Autopiloten als Sicherheitsrisiko eingestuft.


Aber auch das Herbeirufen eines Teslas auf Park-


plätzen, wo bekanntlich reger Verkehr herrscht,


dürfte schon rein rechtlich kaum durchsetzbar


sein. Das Unfallrisiko wäre jedenfalls hoch. BMW-


Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich wird noch


deutlicher: Im Gegensatz zu manchen „Marketing-
genies“ sehe er keinen Hersteller, der vor 2021 au-
tonomes Fahren anbieten könne. BMW will diese
Technik 2021 im „Inext“ anbieten.
Noch hält Tesla jedoch an seiner Werbung fest.
Auch auf mehrfache Nachfragen zu der nun einge-
reichten Klage in Deutschland reagiert das Unter-
nehmen nicht.
Auf seiner Homepage im „Kleingedruckten“ re-
duziert der Konzern seine technischen Errungen-
schaften allerdings selbst nahezu auf null. Unter-
halb der beanstandeten Aussagen heißt es unter
anderem: „Die gegenwärtig aktivierten Funktionen
verlangen eine aktive Überwachung durch den
Fahrer – ein autonomer Betrieb des Fahrzeugs ist
damit nicht möglich. (...) Die Aktivierung und Ver-
wendung von Autonomiefunktionen verlangen (...)
den Nachweis über Milliarden von gefahrenen Kilo-
metern, dass ihre Zuverlässigkeit das Vermögen
von menschlichen Fahrern weit überschreitet. Zu-
dem sind für den autonomen Betrieb gesetzliche
Genehmigungen erforderlich, die je nach Recht-
sprechung noch länger dauern dürften.“

Fahrer in Gefahr?
Aber reicht das, um die Klage erfolgreich abzuwen-
den? Nach Ansicht von Verbandsführer Ottofülling
muss das Landgericht München I nicht nur den
Wettbewerb schützen, sondern auch die Verbrau-
cher. Schließlich zeige die Berichterstattung über
Unfälle mit Tesla-Fahrzeugen, dass es offenbar
Menschen gebe, die der Werbung Glauben schenk-
ten und sich vom „Autopiloten“ chauffieren ließen.
Tatsächlich gibt es vereinzelt tödliche Unfälle mit
Tesla-Fahrzeugen, in denen als Grund der Autopi-
lot vermutet wird. In Usedom etwa geriet Anfang
September ein 61-jähriger Fahrer mit seinem Tesla
in den Gegenverkehr, zwei Menschen kamen ums
Leben. Ob dahinter aber wirklich der Versuch ei-
nes autonomen Fahrens steckte, wird laut Auskunft
der Stralsunder Staatsanwaltschaft derzeit noch
untersucht.
In den USA dagegen sind die Ermittler des Ver-
kehrsministeriums schon einen Schritt weiter. Dort
raste im März ein Modell 3 mit etwa 100 km/h un-
ter den Auflieger eines Lkw-Anhängers. In einem
vorläufigen Bericht kommt das Verkehrsministeri-
um zu dem Ergebnis, dass der tödlich verletzte
Fahrer kurz vor dem Crash den Autopiloten einge-
schaltet hatte – und ihm offenbar das Steuer über-
ließ.
„Weder die vorläufigen Daten noch die Videos
weisen darauf hin“, so der Bericht, „dass der Fah-
rer oder der Autopilot Ausweichmanöver durchge-
führt haben.“

Autonomes Fahren in Deutschland


Großer Abstand


zu Waymo


L


ange Zeit haben die deutschen Automobil-
hersteller einen Bogen um das autonome
Fahren gemacht. Die Entwicklungsabtei-
lungen in Wolfsburg, Stuttgart und München
kümmerten sich lieber um neue Motoren und die
Abstimmung der Fahrwerke. Aber inzwischen
haben auch Volkswagen, BMW und Daimler er-
kannt, dass das autonome Fahren sehr wohl ein
aussichtsreiches Geschäftsmodell werden könn-
te, vor allem in Kombination mit Mobilitäts- und
Shuttle-Diensten. „Das Thema ist adressiert“, be-
stätigt Stefan Bratzel, Professor am Center of Au-
tomotive Management in Bergisch Gladbach.
Die lange gepflegte Zurückhaltung der deut-
schen Hersteller hat bis heute Konsequenzen: Sie
liegen bei der Entwicklung autonomer Autos
deutlich zurück. „An erster Stelle steht Waymo,
und dahinter gibt es einen großen Abstand zu
den ersten Verfolgern“, ergänzt der Hochschul-
lehrer. Der Alphabet-Konzern aus den USA, zu
dem außer der Autotochter Waymo auch Google
gehört, hatte die wachsende Bedeutung des auto-
nomen Fahrens früher gesehen und besitzt des-
halb größere Testflotten. Damit konnten die
Amerikaner viel schneller Erfahrungen sammeln.
Allerdings ist es auch nicht ganz so einfach,
beim autonomen Fahren marktreife und vor al-
lem profitable Produkte zu entwickeln. Zweistel-
lige Milliardenbeträge werden mindestens als In-
vestment gebraucht. Summen, die sich nicht
mehr jeder Autokonzern leisten kann, wenn zu-
sätzlich auch noch eine ganze Flotte von Elektro-
fahrzeugen neu entwickelt werden muss.

Autonomes Fahren ist sehr teuer
Privatkunden sind nicht die ersten Adressaten
für das autonome Fahren. Nur wenige Autofahrer
dürften bereit sein, bis zu 100 000 Euro aus der
privaten Schatulle für ein Robo-Taxi aufzubrin-
gen. Ganz anders sieht das bei kommerziellen
Nutzungen aus. Wenn Taxi-Firmen oder Ride-
Sharing-Dienste keinen Fahrer brauchen und
nicht mehr durch Lohnkosten belastet werden,
dann lohnen die Investments für ein Robo-Taxi.
Insbesondere der Volkswagen-Konzern setzt
jetzt darauf, solch ein Geschäftsmodell anzubie-
ten. Die Wolfsburger wollen dafür eine Software-
Plattform entwickeln, die bei einem erfolgrei-
chen Abschluss der Entwicklungsarbeiten hun-
derttausendfach in Transportern und leichten
Nutzfahrzeugen verwendet werden könnte.
Volkswagen beschreitet diesen Weg nicht al-
lein. Wegen der immens hohen Kosten ist der
Wolfsburger Konzern eine Allianz mit dem US-
Wettbewerber Ford eingegangen. „Eine Koopera-
tion ist die richtige Antwort auf den großen Ent-
wicklungsaufwand“, so Autoprofessor Bratzel.
Zusätzlich hat VW zu Wochenbeginn eine eige-
ne Tochter für das autonome Fahren gegründet.
„Etwa Mitte des kommenden Jahrzehnts wollen
wir mit der Kommerzialisierung des autonomen
Fahrens in großem Maßstab beginnen“, kündigte
Markenvorstand Alexander Hitzinger an. Ihren
Sitz soll die Volkswagen Autonomy GmbH (VWAT)
in München und Wolfsburg sowie bei einer Toch-
tergesellschaft im Silicon Valley haben. 2021 soll
in China eine weitere Gesellschaft dazukommen.
Bis 2023 investiert der Konzern rund 14 Milliar-
den Euro in Digitalisierung, die Entwicklung neu-
er Mobilitätsdienste und das autonome Fahren.
Auch Daimler und BMW reagieren auf den Vor-
sprung der Google-Schwester Waymo mit einer
Kooperation. Die bei ihren Fahrzeugen ansonsten
scharfen Konkurrenten wollen bei der Entwick-
lung autonomer Systeme gemeinsame Wege be-
schreiten. „Durch die Zusammenführung der gro-
ßen Kompetenzen unserer Häuser erhöhen wir
die Innovationskraft und beschleunigen die Ver-
breitung dieser Technologie“, betont BMW-Ent-
wicklungsvorstand Klaus Fröhlich. Stefan Menzel

Die Stufen zum fahrerlosen Auto


Das System ...


HANDELSBLATT • Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen

... kann höchstens einparken.


1


?


2
... übernimmt bspw. auf der Autobahn zum
Teil das Lenken, Bremsen und Beschleunigen.

4
... fährt ganz alleine, ruft aber den Fahrer
zum Eingreifen auf, wenn es überfordert ist.

... fährt ganz alleine und kann selbst
Risiken minimieren.
Wird von der Autoindustrie nicht mehr
weiterverfolgt.

3
... fährt auf der Autobahn alleine.

Das ist eine


gravierende


Benachteili -


gung der


Fahrzeugher -


steller, die


sich an die


Werberege -


lungen halten.


Andreas Ottofülling
Wettbewerbszentrale

Unternehmen & Märkte


MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209


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