Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

Hans-Peter Siebenhaar Wien


P


rotestbilder von Klima-
schützern gegen die ei-
gene Firma schätzt Rai-
ner Seele, CEO des Öl-
und Gaskonzerns OMV,
nicht gerade. Zuletzt initiierte die
Grünalternative Jugend eine Sitzblo-
ckade vor dem Tanklager des Ener-
giekonzerns am Stadtrand von
Wien. Die Polizei trug schließlich die
Demonstranten der Nachwuchsorga-
nisation der Grünen weg. Die Öko-
Aktivisten protestierten mit dieser
Aktion gegen die aus ihrer Sicht kli-
mafeindliche Politik des Konzerns.
„OMV bohrt nach Öl und Gas, als
ob es die Klimakrise nicht gäbe. Der
Konzern weigert sich bis heute, aus
fossilen Energieträgern auszustei-
gen“, sagte Naomi Sametinger, Che-
fin der Grünalternativen Jugend.
Seele nimmt derartige Proteste wie
die gesamte Ölbranche nicht mehr
auf die leichte Schulter. „Es ist ein
klarer Weckruf, dass wir unsere An-
strengungen für den Umweltschutz
verstärken müssen. Das ist für mich
Anlass, unsere Nachhaltigkeitsstrate-
gie zu prüfen“, sagte Seele dem Han-
delsblatt. „Mein Ziel ist es dabei, ei-
nen Konzern mit den geringsten
CO 2 -Belastungen in der Branche zu
schaffen.“
Für den Kurswechsel der OMV im
Klimaschutz gibt es handfeste Grün-
de. Der politische Druck auf das teil-
staatliche Unternehmen wächst kon-
tinuierlich. In Österreich sondiert
Altkanzler und ÖVP-Chef Sebastian
Kurz mit den Grünen die Bildung ei-
ner Regierungskoalition. Der öster-
reichische Staat ist mit 31,5 Prozent
der größte Aktionär der OMV. Zu-
dem hat der österreichische Bundes-
präsident und ehemalige Grünen-
Chef Alexander Van der Bellen den
Klimaschutz ohnehin zur größten
Herausforderung erklärt.

Thema Ökologie gewinnt
an Bedeutung

Seele, der bislang keine ausgewiese-
ne Affinität zu Umweltschutzthemen
besaß, reagiert und lenkt den Kon-
zern in Richtung mehr Ökologie.
„Wir müssen uns im Umweltbereich
höhere und ehrgeizigere Ziele set-
zen“, sagte Seele, dessen Vertrag vor
Kurzem bis Mitte 2022 verlängert
wurde. „Wir werden uns bei der
Neuausrichtung des Konzerns in Zu-
kunft stärker an der Symbiose zwi-
schen wirtschaftlichen und ökologi-
schen Zielen orientieren. Das heißt,
wir werden uns als OMV anstrengen,
die CO 2 -Emissionen zu senken.“ Die-
ses Ziel will Seele vor allem über
neue Techniken erreichen. „Die
OMV wird in einigen Jahren techno-
logische Konzepte in Sachen Nach-
haltigkeit haben. Wir werden unsere
CO 2 -Emissionen sehr deutlich sen-
ken“, verspricht der 59-Jährige.
Um ihre Klimabilanz zu verbes-
sern, beschäftigt sich die OMV ne-
ben der Verbesserung von Prozes-
sen und Verfahren mit der unterirdi-
schen Speicherung von CO 2 , die
allerdings hochumstritten ist. „Wir
sehen Vorteile, wenn wir CO 2 in aus-
gelagerten, unterirdischen Lagerstät-
ten sammeln“, sagte Seele. Der
OMV-Chef will CO 2 als Ausgangsstoff
für neue Produkte einsetzen und
künftig nutzen, um synthetische
Kraftstoffe herzustellen.
Das Verpressen von Kohlendioxid
in alte Öl- und Gasfelder gilt als we-

nig erforschte Technologie. Norwe-
gen ist in der Ölbranche der Pionier
bei der in der Branche unter CCS
(carbon capture and storage) be-
kannten Technologie. Das umstritte-
ne CCS-Verfahren hat sich aber bis-
her nur in einigen Testanlagen in
und außerhalb Norwegens bewährt.
In Deutschland stieß CCS bei ge-
planten Testversuchen bereits vor
Jahren auf entschiedenen Wider-
stand. Umweltschützer fürchten, das
gespeicherte CO 2 könnte irgend-
wann wieder entweichen und dann
die Umwelt massiv schädigen. Kriti-
ker der Technologie sprechen daher
auch von einer „Zeitbombe im Bo-
den“. Bislang gibt es in Deutschland
auch nur eine einzige Testanlage zur
CO 2 -Speicherung im Havelland.
In Österreich ist das unterirdische
Speichern von Kohlendioxid genau-
so wenig erlaubt wie in Deutschland.
Die OMV setzt unterdessen auf eine
Liberalisierung durch die künftige
Regierung in Wien. „Wir können

über Innovationen auch relativ kurz-
fristig einen nachhaltigen Beitrag
leisten. Dafür brauchen wir einen
entsprechenden Rechtsrahmen“,
sagt Seele in Anspielung auf eine er-
hoffte Gesetzesänderung. Unterstüt-
zung kommt vom Umweltbundes-
amt, das im vergangenen Jahr er-
klärte, es sei strittig, „ob globale
Klimaschutzziele international lang-
fristig ohne CCS erreicht werden
können“. Auch der Klimarat der Ver-
einten Nationen geht davon aus,
dass die Pariser Klimaziele ohne
Kohlendioxid-Speicherung nicht
mehr zu erreichen sind.
Seele gibt den Optimisten. „Die
Technologie um die Speicherung,
Verwendung und Abscheidung von
Kohlendioxid besitzt großes Potenzi-
al. Die Bereitschaft der Politik, mit
uns neue Wege zu gehen, sollte vor-
handen sein“, sagt der ehemalige
Wintershall-Chef. „Mit der CO 2 -Spei-
cherung können wir kurzfristige Kli-
maziele erreichen“, ist sich der Kon-

zernchef sicher. OMV überprüfe ge-
eignete Lagerstätten für CO 2.
Zum grünen Anstrich, welche sich
OMV geben will, gehört auch, die
Wiederverwertung von Plastik aus-
zubauen. „Im Recycling werden wir
uns stärker engagieren. OMV hat das
Potenzial, mit Kunststoffabfällen ei-
ne komplexe Chemie- und Energie-
produktpalette anzubieten“, sagte
Seele. „An der Wiederverwertung
forschen wir intensiv.“
Mit dieser Ökostrategie ist OMV in
der Ölbranche nicht allein. Auch der
ungarische Konkurrent MOL hat die-
ses Geschäftsfeld für sich entdeckt. In
Deutschland hat MOL zuletzt die Re-
cyclingfirma Aurora Kunststoffe in
Neuenstein bei Heilbronn übernom-
men. Die Firma kann den Müll durch
chemische Prozesse trennen. Der
Konzern hat bereits eine Pilotanlage
in Merseburg in Kooperation mit
dem ebenfalls zu MOL gehörenden
Recyclingtechnologie-Unternehmen
APK gestartet. „Wir wollen unsere
Wertschöpfungskette über das indus-
trielle Recycling verlängern. Wir wer-
den nach Deutschland kommen. Un-
sere beiden ersten Investitionen sind
nur der Auftakt für weitere Zukäufe“,
sagte MOL-CEO Zsolt Hernadi dem
Handelsblatt zuletzt.

Seele dämpft zu hohe Er-
wartungen an Wasserstoff

Beim Wasserstoff geht OMV unter-
dessen auf Distanz zur Euphorie in
der Politik. „Wasserstoff hat ein riesi-
ges Potenzial. Doch wir dürfen kurz-
fristig keine großen Erwartungen er-
wecken. Machen wir uns nichts
vor“, sagte Seele dem Handelsblatt.
Die Automobilindustrie setze vorerst
auf Elektromobilität. Die Bereit-
schaft, in Richtung Wasserstoffmobi-
lität zu gehen, sei „sehr gering“ aus-
geprägt.
Zuletzt hat ÖVP-Chef Kurz im
Wahlkampf angekündigt, Österreich
zum Wasserstoff-Pionier in Europa
machen zu wollen: „Wasserstoff ist
eine große Chance für Österreich.“
Seele dämpft hingegen die hohen
Erwartungen. „Wasserstoff nur aus
erneuerbaren Energien herzustellen
ist schwierig. Denn aufgrund der ho-
hen Energiekosten macht das wirt-
schaftlich keinen Sinn. Grüner Was-
serstoff ist heute noch keine wettbe-
werbsfähige Energie“, sagte Seele.
Grüner Wasserstoff wird mithilfe
von Strom aus erneuerbaren Ener-
gien gewonnen.
Die nachlassende Konjunktur in
Europa macht dem Energiekonzern
unterdessen immer größere Sorgen.
Laut Seele sei vom Abschwung ins-
besondere die Petrochemie betrof-
fen. Immer mehr Kunden würden
„zunehmend verhalten“ bestellen.
Aufgrund der trüben Konjunktur-
aussichten in Europa will sich OMV
weiter internationalisieren. „Wir ha-
ben Asien als Wachstumsmarkt ins
Visier genommen“, sagte Seele. Der
Konzern werde sich sehr viel stärker
in Richtung Chemie bewegen. „In
Abu Dhabi und Indonesien prüfen
wir derzeit Einstiegsmöglichkeiten
im Bereich der Petrochemie“, kün-
digt Seele an.
Mit dem milliardenschweren Raffi-
nerie-Einstieg in Abu Dhabi und
dem Kauf eines 50-prozentigen An-
teils am Öl- und Gaskonzern Sapura
Energy in Malaysia hat OMV bereits
einen Anfang gemacht.

Ölbranche


OMV richtet


Konzern auf mehr


Klimaschutz aus


CEO Rainer Seele will den Konzern mit den


geringsten CO 2 -Belastungen der Branche erschaffen.


Dazu setzt der Manager auf eine umstrittene


Speicher-Methode unter der Erde.


OMV-Tankstelle:
Der Ölkonzern steht
mit seiner Ökostrate-
gie nicht allein.

OMV Solutions GmbH

OMW-CEO Rainer
Seele: „Wir müssen
uns im Umweltbereich
höhere und ehrgeizi-
gere Ziele setzen.“

Michael Appelt für Handelsblatt

Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209

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