Commerzbank
Strategie
auf Zeit
E
nttäuschend, wenig ambitio-
niert, ernüchternd: Wer mit
Investoren über die neue
Strategie der Commerzbank
spricht, hört wenig Positives. Mit ih-
rem Ziel, bis 2023 eine Eigenkapi-
talrendite von mehr als vier Prozent
zu erreichen, hat es das Institut ge-
schafft, die ohnehin niedrigen Er-
wartungen vieler Aktionäre zu un-
tertreffen. Auf der anderen Seite be-
tonen mehrere große Anteilseigner,
dass sie die strategischen Entschei-
dungen der Bank nachvollziehen
können und selbst keine Ideen ha-
ben, was der Vorstand grundsätz-
lich anders machen sollte.
Das Stimmungsbild zeigt: Die
Aussichten für deutsche Banken
sind angesichts der EZB-Zinspolitik,
des harten Wettbewerbs und der
Konjunkturabkühlung trübe. Und
die Commerzbank ist mit ihrem
starken Fokus auf Deutschland ein
Spiegelbild dieser Entwicklung.
Doch Jammern hilft in dieser Si-
tuation nicht weiter. Die Commerz-
bank muss versuchen, aus den Rah-
menbedingungen das Beste zu ma-
chen und gleichzeitig offen dafür
sein, sich von einem stärkeren Insti-
tut schlucken zu lassen. Zeitnah ist
eine Übernahme der Commerzbank
unwahrscheinlich, weil potenzielle
Käufer angesichts der Zinssituation
und der Konjunkturabkühlung lie-
ber die Füße still halten. Aber die
Wahrscheinlichkeit, dass es in zwei
bis drei Jahren zu einer Übernahme
kommt, ist durch die neue Strategie
eher gestiegen als gesunken. Denn
künftig wird das Institut kleiner, fo-
kussierter und folglich für Käufer
auch besser zu integrieren sein.
Denkbar ist perspektivisch so-
wohl eine Übernahme durch einen
europäischen Konkurrenten als
auch ein neuer Fusionsanlauf mit
der Deutschen Bank. Im April sind
die Gespräche über eine deutsche
Großbankenhochzeit auch deshalb
gescheitert, weil beide Institute in
keinem guten Zustand sind und vie-
le offene Baustellen haben – die
Deutsche Bank etwa die viel zu spät
eingeleitete Restrukturierung ihrer
Investmentbank. Doch wenn beide
Institute nun ihre Hausaufgaben
machen, sieht die Situation in ein
paar Jahren vielleicht besser aus.
Eine Übernahme der Bank könnte
in zwei bis drei Jahren wieder ein
Thema werden, prognostiziert
Andreas Kröner.
„Dass wieder mal etwas passiert, ist nicht
auszuschließen, weil Menschen zugange
sind. Aber man kann sicherstellen, dass man
sofort reagiert, wenn etwas passiert ist.“
Bettina Orlopp, Rechtsvorständin Commerzbank, über die Abwehr
von Betrug bei Banken
Worte des Tages
Der Autor ist
Finanzkorrespondent in Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
D
ie Beinahepleite von WeWork treibt
die Start-up-Szene um: Mit 47 Milliar-
den Dollar war der Bürovermieter
noch Anfang des Jahres bewertet wor-
den. Plötzlich ist davon nicht mehr
viel übrig. Der Börsengang ist abgesagt, das Unter-
nehmen braucht Milliarden zum Überleben. Die Fra-
ge lautet nun, ob hier bloß ein einzelnes Einhorn
oder eine ganze Herde entzaubert wurde. Platzt da
gerade eine Start-up-Blase?
Die Überbewertung von WeWork ist zwar kein Ein-
zelfall, aber doch ein extremer Auswuchs im Start-
up-Ökosystem. Falsch wäre allerdings jetzt der
Schluss, Start-ups bekämen per se zu viel Geld. Die
Sache muss differenzierter betrachtet werden.
Mit dem Internet ist eine ganz neue Art von Unter-
nehmen entstanden, die sehr schnell wachsen und
Werte generieren können – wenn sie Kunden welt-
weit begeistern, wenn sie Konkurrenz weltweit ver-
drängen und wenn sie nicht an Regulierungsgrenzen
scheitern. Das sind viele „Wenns“, auf die Geldgeber
wetten. Aber gerade deshalb sind Start-ups das Lieb-
lingsspekulationsobjekt unserer Zeit geworden. Geht
die Wette auf, kann ein Konzern wie Facebook ent-
stehen, eines der wertvollsten Unternehmen der
Welt. Geht sie nicht auf, geht das Unternehmen
schlicht pleite. Und das ist gar nicht so schlimm.
Start-up-Spekulation ist nämlich auch deshalb kein
typisches Blasenphänomen, weil sich die span-
nendste Phase schon abspielt, bevor die Objekte an
der Börse gehandelt werden. Das reduziert die Ge-
fahr, unbedarfte Anleger zu schädigen. Zwar kann
sich jeder an der Wette beteiligen, als Gründer, Mit-
arbeiter, Kunde oder auch nur als interessierter Be-
obachter. Kleinanleger sind aber weitgehend davor
geschützt, ihr Geld auf ein Start-up zu setzen und es
zu verlieren. Denn in den frühen Finanzierungs -
phasen sind Kleinanleger noch gar nicht dabei.
Als die Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende platz-
te, haben Tausende ahnungslose Geldanleger ihr Er-
spartes verloren. Die professionellen Investoren von
heute gehen dagegen bewusst ein millionenschweres
Risiko ein.
Am liebsten beteiligen sie sich in der sogenannten
„Series A“. Vor dieser ersten größeren Finanzierungs-
runde lässt sich das Potenzial eines Start-ups schon
einigermaßen abschätzen, zum Beispiel, weil das
Produkt oder die Dienstleistung gut bei Kunden und
Nutzern ankommt. Viele Gründer wollen in dieser
Phase mit möglichst billigen Produkten Konkurrenz
verdrängen, weil sie glauben, dass nur ein Unterneh-
men im Markt bestehen kann. Beteiligungsgesell-
schaften unterstützen dann zunächst ein Minusge-
schäft, rechnen sich aber auch große Gewinnchan-
cen aus. Wer zu diesem frühen Zeitpunkt einsteigt,
kann die Erfolgsaussichten des Start-ups weiter ver-
bessern und seinen Einsatz möglicherweise um ein
Vielfaches steigern. Später ist das viel schwieriger.
Im Englischen hat sich bereits der Begriff des
„Foie Gras’ings“ etabliert, man könnte das mit
„Stopflebereffekt“ übersetzen. Die Anspielung be-
zieht sich auf eine kulinarische Spezialität, die ent-
steht, wenn junge Gänse völlig überfüttert werden,
damit ihre Leber bei der Schlachtung schön fett ist.
Das Bild macht deutlich: Diesen Investoren geht es
nicht um das langfristige Bestehen eines Unterneh-
mens, sondern um den kurzfristigen Profit, den das
Start-up verspricht.
Tatsächlich lassen sich viele Gründer bewusst auf
diesen Deal ein. Wer eine gute Idee hat, schnell viel
Geld verdienen will und vielleicht auch keine Lust
auf die Verantwortung traditionellen Unternehmer-
tums hat, findet in der Zusammenarbeit mit solchen
Inkubatoren oder – um im Bild zu bleiben – mit der
Start-up-Mästung sein Glück.
Für die deutsche Wirtschaft springt bei diesen
Deals allerdings bisher nicht viel heraus. Denn die
tatsächlich erfolgreichen Unternehmen kommen in
der Regel aus den USA oder aus China. Sie profitie-
ren von ihrem großen Heimatmarkt. Wenn ein deut-
sches Start-up den Durchbruch schaffen kann, sind
meistens internationale Investoren beteiligt, die ei-
nen Großteil des Gewinns abschöpfen.
Deshalb darf man sich nicht blenden lassen von
den Wahnsinnssummen, die heimische Start-ups
2019 schon eingesammelt haben. Denn ungeachtet
der Milliardeninvestitionen ist die Forderung nach
einer Start-up-Finanzierung aus Deutschland weiter-
hin richtig. Nur mit heimischen Investoren lässt sich
ein nachhaltiges Wachstum in dem Sektor generie-
ren – und dafür gibt es reichlich Potenzial.
Denn es gibt auch Geschäftsmodelle, die auf konti-
nuierliches, aber nachhaltiges Wachstum setzen. Das
gilt vor allem im B2B-Sektor, also im Geschäft von
Unternehmen mit Unternehmen. Celonis ist ein Bei-
spiel dafür. Die Münchener Firma bildet Geschäfts-
prozesse digital ab und berechnet, wo es Verbesse-
rungspotenzial gibt. Solche Geschäftsideen brau-
chen ein gut finanziertes Start-up-Ökosystem. So
kann die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirt-
schaft gestärkt werden. Milliardensummen sind da-
bei aber nicht entscheidend.
Leitartikel
Die Milliarden sind
nicht entscheidend
WeWork ist Opfer
einer großen
Spekulation. Aber
kein Indiz für eine
generelle
Start-up-Blase,
meint Larissa
Holzki.
Falsch wäre
der Schluss,
Start-ups
bekämen per se
zu viel Geld.
Die Autorin ist Redakteurin im Ressort
Unternehmen & Märkte. Sie erreichen sie unter:
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Meinung
& Analyse
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209
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