Die Welt - 13.11.2019

(Martin Jones) #1

ES IST ZEIT FÜR EINEN NEUEN MUSIKPREIS


INTERNATIONAL MUSIC AWARD


VERTI MUSIC HALL, BERLIN



  1. NOVEMBER 2019


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MODERATION


BILLY PORTER & TONI GARRN


LIVE


STING


MAX HERRE & JOY DENALANE


PEACHES


ANNA CALVI HOLLY HERNDON


SPECIAL GUEST FROM SOUTH KOREA: THE ROSE


UND VIELE ANDERE MEHR


B


eginnen wir ganz woan-
ders. Am Hollywood Boule-
vard Nr. 6712 steht das
Egyptian Theatre, ein 1922
entstandenes Prachtkino
im altägyptischen Stil. Die Säulen am
Haupteingang haben einen Durchmes-
ser von 1,3 Metern und eine Höhe von

sechs Metern. Der Innenhof, ge-
schmückt mit Brunnen und Palmen, ist
ideal für Roter-Teppich-Zeremonien.
Seit zwanzig Jahren gehört das Kino
der American Cinematheque, sie hat die
Auflage, es als Baudenkmal zu erhalten.
In den beiden Sälen laufen jeden Tag al-
te Filme. Von heute an läuft vier Tage

ein neuer Film, ein von Netflix produ-
zierter: Martin Scorseses „The
Irishman“ mit den elektronisch täu-
schend echt verjüngten Robert De Niro,
Al Pacino, Joe Pesci und Harvey Keitel.
Mehr noch: Der Streamingdienst möch-
te das Kino kaufen. „The Irishman“ ist
ein Geschichtsbild über die organisierte

Kriminalität an der amerikanischen
Ostküste, das irgendwann in den Fünf-
zigerjahren beginnt und an der Jahr-
hundertwende endet. Es geht um
Gangster, um Gewerkschaften, um Poli-
tik und darum, wie sie alle zusammen-
hingen, um den völkerrechtswidrigen
amerikanischen Invasionsversuch auf
Castros Kuba, um die Wahl von Kenne-
dy, um das Kennedy-Attentat, um die
Morde an den Mafiabossen Albert Anas-
tasia, Joe Colombo und Joey Gallo und
um das bis heute mysteriöse Verschwin-
den des Chefs der Lkw-Fahrer-Gewerk-
schaft, Jimmy Hoffa.
Und diese weit ausgreifende amerika-
nische Legende erzählt Scorsese aus der
Perspektive eines einzigen Mannes, des
Auftragskillers Frank Sheeran (gespielt
von De Niro), eines Mannes ohne Ei-
genschaften, der sein langes Überleben

von De Niro), eines Mannes ohne Ei-
genschaften, der sein langes Überleben

von De Niro), eines Mannes ohne Ei-


seinem Instinkt verdankt: Er weiß im-
mer, wem seine Loyalität zu gelten hat.

VON HANNS-GEORG RODEK

Scorseses dreieinhalbstündiger Film
ist ein riesiges Panorama in Form eines
Kammerspiels und übertrifft doch bei
den Kosten die meisten Blockbuster.
Früher hätten sich MGM oder die Fox
mit solch einem Film geschmückt, heu-
te sitzen dort Buchhalter, die 140-Mil-
lionen-Risiken scheuen, wenn es sich
nicht um Harry Potter versus Luke Sky-
walker handelt. Paramount, Scorseses
erste Wahl, scheute das Preisschild. Die
einzigen, die bereit waren, Scorsese
140Millionen zu geben, waren die Ma-
nager bei Netflix.
Und so hat Scorsese den Vertrag mit
Netflix geschlossen – und seinen Film
so gedreht, als gestalte er für die große
Leinwand. Und er hat sich vertraglich
zusichern lassen, wie schon Alfonso Cu-
arón voriges Jahr bei „Roma“, dass sein
Film im Kino gezeigt werden wird.
Das ist, wie Netflix schon mit „Roma“
bemerken musste, alles andere als ein-
fach. Die Kinos weigern sich nämlich,
sich die Bedingungen von Netflix diktie-
ren zu lassen, der sich als „disrupter“
begreift: mit einem digitalen Geschäfts-
modell die etablierte Konkurrenz zer-
stören. Netflix degradiert die Kinos zu
wenig mehr als einem Erfüllungsgehil-
fen, der dafür gut ist, die Aufmerksam-
keit der Medien auf einen Film zu zie-
hen, von dem sie nach kurzer Zeit aber
selbst nicht mehr profitieren können.
Die Hauptkröte, die sie schlucken
sollen, ist die begrenzte Exklusivität:
Filme dürfen nur zwei Wochen (in Eu-
ropa) oder vier (in den USA) exklusiv
auf der großen Leinwand zu sehen sein,
bevor sie auf der Plattform gestreamt
werden können. Die üblichen „Kino-
fenster“ – also die Exklusivität der Ki-
noauswertung – sind von Land zu Land
unterschiedlich lang, sie können von
drei Monaten bis zu einem Jahr dauern.
Deshalb werden Netflix-Filme von
den großen Ketten und den meisten un-
abhängigen Kinos in Amerika und Eu-
ropa boykottiert. Von den meisten,

aber nicht von allen. NFP, ein kleiner
VVVerleih, brachte „Roma“ in einem Dut-erleih, brachte „Roma“ in einem Dut-
zend Arthauskinos unter; als die Quali-
tät des Filmes sich herumsprach, weite-
te sich der Kreis auf bis zu 40 Leinwän-
de. „Irishman“ startet mit rund 50 Ki-
nos, ein Film solchen Kalibers würde
normalerweise in bis zu 700 Kinos ein-
gesetzt. Die meisten „Irishman“-Kinos
fffinden sich in Berlin in München, aberinden sich in Berlin in München, aber
auch in einem Plex wie dem Nürnber-
ger Cinecittà.
NFP ist erneut der Boykottbrecher,
diesmal gleich fünffach. Er bringt fünf
Netflix-Filme in einige Kinos, außer
dem „Irishman“ zum Beispiel „Marriage
Story“ (mit Scarlett Johannson) und
„The Two Popes“ (mit Anthony Hop-
kins und Jonathan Pryce). In Amerika
sind es sogar zehn, genau jene Produk-
tionen nämlich, von denen sich Netflix
eine Oscar-Chance verspricht – eine
Chance, die sich laut den Regeln der
Akademie nur öffnet, wenn der Film
vorher eine gewisse Zeit in den Kinos
gelaufen ist.
Die deutschen Kinos, die sich auf den
Deal einlassen, müssen sich der Ge-
heimniskrämerei von Netflix unterwer-
fffen, das keinerlei Zuschauerzahlen he-en, das keinerlei Zuschauerzahlen he-
rausgibt. Von jedem Film, der in deut-
schen Kinos läuft, werden die Zahlen an
die Filmförderanstalt geliefert – Netflix
verbietet das. Der NFP-Chef Christoph
Ott hatte Netflix (genauer: den New
YYYorker Weltvertrieb, der für Netflix ar-orker Weltvertrieb, der für Netflix ar-
beitet) um eine Verlängerung des Zeit-
fffensters gebeten – das wurde abge-ensters gebeten – das wurde abge-
lehnt; die Kinos dürfen „Irishman“
zwar länger spielen, ab Beginn der drit-
ten Woche steht er aber bereits auf der
Plattform.
Auf Umwegen kann man an interes-
sante Zahlen kommen. Das CNC (das
französische Äquivalent der Filmför-

sante Zahlen kommen. Das CNC (das
französische Äquivalent der Filmför-

sante Zahlen kommen. Das CNC (das


deranstalt) hat eine Rangliste der meist-
gestreamten Filme und Serien in Frank-
reich aufgestellt. Die Zahlen für Dezem-
ber 2018 sind aufschlussreich – für den
Monat, in dem „Roma“ bei Netflix frei-
geschaltet wurde. Der spätere Oscar-
Gewinner „Roma“ steht auf Platz 263.
Nun ist dies keine reine Netflix-Liste,
kleinere Streaming-Dienste werden
mitgezählt. Aber es ist Frankreich, und
wenn ein Land ein Herz für Filmkunst
hat, dann Frankreich. Platz 263 bedeu-
tet verschwindend wenige Zuschauer,
schon ab Platz 20 fallen die Zahlen rapi-
de ab. So viel zu der Legende von Millio-
nen und Abermillionen von Zuschau-
ern, die gute Filme auf Netflix hätten.
Trotzdem leistet sich Netflix 140 Mil-
lionen Dollar für „The Irishman“, es ist
ein Prestigeprojekt, das den besten Fil-
memachern signalisieren soll, hier seien
sie gut aufgehoben. Weiteres Geld gibt
der Streamer dafür aus, um sich – ob-
wohl sie in seinem Geschäftsmodell nur
Störfaktoren sind – weltweit in Kinos
einzukaufen; für „Roma“ soll NFP eine
Pauschale von 50.000 Euro bekommen
haben, plus den Verleihanteil aus den
Kinoeinnahmen. Das ist, vor allem
wenn man sie mit fünf multipliziert, ei-
ne verlockende Summe in Zeiten, in de-
nen viele kleinere Verleiher schwer zu
kämpfen haben.
Der Kampf wird nicht in Deutschland


  • wo die großen Kinoketten internatio-
    nalen Konzernen gehören –, sondern in
    Amerika entschieden werden. Dort gibt
    es erste Anzeichen, dass die Streaming-
    dienste gewillt sein könnten, sich an die
    traditionellen Auswertungskaskaden zu
    halten. Apple hat angekündigt, seine
    Oscar-Hoffnungen („The Elephant
    Queen“, „Hala“, „The Banker“) zuerst
    regulär in den Kinos zu zeigen, mindes-
    tens sechs Wochen. Amazons Oscar-
    Kandidat „Manchester by the Sea“ hatte
    bereits einen normalen Zwölf-Wochen-
    Lauf in den Kinos. Sofia Coppolas „On
    the Rocks“ (mit Bill Murray als altern-
    dem Playboy) könnte von Amazon
    nächstes Jahr ebenfalls drei Monate
    fürs Kino reserviert werden.
    Netflix befindet sich in der Klemme.
    Seine Kunden erwarten die großen neu-
    en Filme am gleichen Tag, an dem die
    Kinos sie zeigen. Die Kinos werden aber
    ihr Alleinstellungsmerkmal einer mehr-
    monatigen Exklusivität nicht aufgeben,
    und eine wachsende Zahl von Regisseu-
    ren – nicht nur die alte Generation um
    den 76-jährigen Scorsese – besteht da-
    rauf, dass ihre Filme einen substanziel-
    len Kinostart erhalten. Sollte Netflix
    das „Egyptian Theatre“ kaufen, hat es
    zwar eine Ikone der Filmgeschichte er-
    worben und kann seine Oscar-Kandida-
    ten pro forma eine Woche in einem Ki-
    no zeigen. Die Zwickmühle bleibt. Frü-
    her hätte man einfach einen Frank
    Sheeran losgeschickt.


Morgen kommt


Martin Scorseses


ultimativer


Mafia-Film


„The Irishman“


auf die große


Leinwand.


Er ist Teil eines


weltweiten


Machtkampfes


WWWeg da! Leibwächter Frank Sheeraneg da! Leibwächter Frank Sheeran
(Robert De Niro, mit ausgestreckter
Hand) räumt den Weg für den
Mafia-Gewerkschafter Jimmy Hoffa
(((Al Pacino) freiAl Pacino) frei

©

2019 NETLFIX US, LLC.

NETFLIX BEZAHLT


EINEN DEUTSCHEN


VERLEIH ALS


BOYKOTTBRECHER


Netflix


kauft


sich


im


Kino


ein


22


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22 FEUILLETON DIE WELT MITTWOCH,13.NOVEMBER2019


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