Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

Freitag, 8. November 2019 ZÜRICH UNDREGION 35


INTERNATIONALE AUSGABE


Sirenen sind museumsreif – und doch zeitgemäss

Das ze ntrale Alar mierungsmittel in der Schweiz arbeitet künftig nur noch elektronisch und nicht mehr pneumatisch


ALOIS FEUSI


In der Gemeinde Stallikon amFuss des
Üetlibergs ist am Mittwochvormittag ge-
wissermassen eine Epoche zu Ende ge-
gangen. Montagearbeiter hievten mit
einemLastwagenkran die 35Jahre alte
pneumatische Alarmierungsanlage vom
Dach des alten Schulhauses an derRep-
pischtalstrasse und installierten kurz
darauf auf demWerkhof der Gemeinde
schräg gegenüber ein modernes elektro-
dynamisches Nachfolgemodell.
Das ist an sichkein besonders auf-
sehenerregenderVorgang. Und doch
stand eineReihe vonPolitikern, Funk-
tionären und Medienleuten auf dem
Platz, schaute denMännernbei der
Arbeit zu und liess sich in die techni-
schen Eigenheiten und Unterschiede
zwischen den beiden Sirenenmodellen
einweihen. Denn anders als die übrigen
pneumatischen Sirenen desTyps Tyfon
KTG 10,die in den vergangenenJahren
ersetzt wurden oder in naher Zukunft
noch ersetzt werden sollen, landet dieses
Exemplar nicht auf dem Schrott.


Hörnerund Feuerglocken


Der Mast mit zehn Schallhörnern aus
dem witterungsresistenten Kunststoff
Noryl wird vielmehr dem Museum für
Kommunikation in Bern überlassen. Die
aus dem einstigen PTT-Museum her-
vorgegangene Sammlung deckt näm-
lich nicht nur die Geschichte derPost
ab, sondern auch jene derKommunika-
tion und derKommunikationstechno-
logie ganz generell, wie der zuständige


SammlungskuratorJuri Jaquemet am
Mittwochvormittag in Stallikon erklärte.
Die Alarmierung in Notfällen und
die Warnung der Bevölkerung vor
Feuer oderFeinden ist in der Schweiz
seit dem Hochmittelalter üblich. Unge-
fähr ab demJahr 1200 gab es in den
Städten Nachtwächter mit Hörnern.Ab
ca. 1300 kamen dieFeuerglocken auf,
100 Jahre später begann man, Hoch-
wachten für die Weiterleitung von
Alarmeneinzurichten,und die begin-
nende Elektrifizierung Ende des19.
Jahrhunderts brachte die ersten Sire-
nen. Bis jetzt hatte das Museum für
Kommunikation bloss eine Luftschutz-
sirene aus dem ZweitenWeltkrieg in
seinen Beständen.
Die Armee hatte in der ersten Hälfte
der 1960erJahre mit demAufbau eines
nationalen Sirenennetzes begonnen.
Ursprünglich war es zurWarnung bei
Dammbrüchen der 70 grösseren Stau-
seen desLandes gedacht, aber es sollte
auch bei Zwischenfällen inKernkraft-
werken mitAustrittradioaktiver Strah-
lung, bei Chemieunfällenund natürlich
auch im Kriegsfall zum Alarmieren der
Bevölkerung eingesetztwerden. Erst
im Jahr 2002 ging die Alarmierungans
Bundesamt für Zivilschutz beziehungs-
weise das heutige Bundesamt für Bevöl-
kerungsschutz (Babs) über.
Das Babs, der Zivilschutz des Kan-
tons Zürich und die Geschäftsstelle
Sicherheitszweckverband Albis nahmen
die Übergabe der Stalliker Sirene ans
Museum zumAnlass, die Medien über die
Alarmierung und auch die neuen digita-
len Systeme zu informieren.Benno Bühl-

mann, Direktor desBabs, betonte, dass
der flächendeckende Einsatz von Sirenen
alles andere als ein alter Zopf sei, auch
wenn einigeLänder diesesSystem inzwi-
schen abgeschafft hätten.In Deutschland
zum Beispiel bedauere man diesen Ent-
scheid inzwischen,und man wolle wieder
etwas in dieser Art aufbauen.

Lückenlose Abdeckung


Dankder modernen Informationstech-
nologie werden Alarme undWarnun-
gen inzwischen als Push-Meldungen
über die Alert-Swiss-App und online

auf http://www.alert.swiss übermittelt. Doch
die Sirenen lassen sich nicht ersetzen,
bloss ergänzen. Sie funktionieren auch
bei Stromausfällen, und nichtalle Ein-
wohner schlafen mit eingeschaltetem
Smartphone auf dem Nachttisch, wie
Bühlmann betont.Ausserdemkönnten
bei einem Alarm dieNetzezusammen-
brechen. Und: «Mit Alarmsirenen kann
man die Leute nachts aufwecken und
tagsüber aufschrecken.»
Das Sirenen-System sei nicht bloss
zeitgemäss, sondern es habe auch Zu-
kunft, betont derBabs-Direkto r. Die
Schweiz verfügt über ein dichtes Netz
von rund 5000 stationären und 22 00
mobilen Sirenenanlagen. Inzwischen
sind nur noch 95 pneumatische Sirenen
wie jene, die jetzt ins Museumkommt,
in Betrieb. Sie werden in denkommen-
den fünfJahren ebenfalls ersetzt.Das
Sirenennetz gewährleiste eine prak-
tisch lückenlose Abdeckung und biete
zusammen mit denRadiomeldungen
die Garantie, dass die Bevölkerung bei
Katastrophen und Notlagen alarmiert
und auch informiert werde, erklärt
Benno Bühlmann.
WernerBalmer, Chef Zivilschutz des
Kantons Zürich, lobt die gute Zusam-
menarbeit von Bund, Kantonen und
Gemeinden beim Bevölkerungsschutz.
Der Zivilschutz betreibe die Sirenen,
die Polizei entscheide über die Alar-
mierung, und die Gemeinden sorgten
mit Feuerwehr und Zivilschutz dafür,
dass die Bevölkerung informiert und be-
treut werde.Der Kanton Zürich verfügt

zurzeit über 450 stationäreund 240 mo-
bile Sirenenanlagen.
Aufgrund der Zunahme derBevölke-
rung auch in ländlichen Gebietenkom-
men laufend neue stationäre Anlage
dazu, so in letzter Zeit etwa in Sünikon
in der Gemeinde Steinmaur, in Altikon
im BezirkWinterthur oder in Medikon
in Wetzikon. Man sei im Kanton Zürich
in derLage, innerhalb von 30 Minuten
die ganze Bevölkerung zu alarmieren,
bilanziertRené Hartman, Leiter der
Fachstelle Alarmierung-Telematik beim
Zivilschutz des Kantons Zürich.

Radiusvon rund 1200Metern


Zwischen den Gästen auf dem Schul-
hausplatz in Stallikon steht auch Her-
bert Loretz von der Schweizer Nieder-
lassung des schwedischen Sirenenher-
stellersKockum Sonics. Für ihn sei dies
ein etwas sentimentaler Moment, sagt
Loretz.Er arbeitete vor 35Jahren als jun-
ger Elektromonteur bei der Installation
der pneumatischen Sirenenanlagemit; er
hatte die Stelle einen Monat zuvor ange-
treten,und Stallikon war einer seiner ers-
ten Einsätze. Heute ist Loretz der Chef
der Firma mit neun Angestellten.Das
Unternehmen mit Sitz inDübendorf ver-
kauft in der Schweiz jährlich rund 30 00
Sirenen; bei rund zwei Dritteln davon
sorgt es auch für dieWartung. Die Kun-
den sind neben dem Bund verschiedene
Industriebetriebe und auch Lokomotiv-
hersteller. Die Steuerungen entwickelt
die DübendorferFirma gemeinsam mit
Siemens Albis.Die Sirenen selber wer-
den in Schweden gebaut.
Kockum Sonics war der einzige Her-
steller, der die Anforderungen des 20 17
formulierten neuen technischen Pflich-
tenhefts des Bundes für die elektroni-
schen Alarmierungsanlagen erfüllen
konnte. Die Sirene des energieautar-
ken Typs Tyfonic Delta 8 deckt einen
Beschallungsbereich mit einemRadius
von rund 1200 Meter ab. Die patentier-
ten gefalteten Hörner aus Aluminium-
druckguss arbeiten mit einerLautstärke
von 140 Dezibel und sind aufTempera-
turen zwischen –20 und +60 Grad Cel-
sius ausgelegt.
Die Batterie desTyfonic-Delta-8-Sys-
tem s hat eine Lebensdauer von 6Jah-
ren, und der Preis liegt bei15 000 Fran-
ken – jedoch ohneAnschluss an die zen-
traleFernsteuerung. Das pneumatische
VorgängermodellTyfon KTG 10 war mit
22 000 Frankenwesentlich teurer.Aller-
dings hat es sich miteiner Einsatzzeit von
35 Jahren längst mehr als nu r amortisiert.

Die Zürcher Stadtpolizei


stellt auf E-Autos um


Bis 2021 sollenbereits sieben Fahrzeuge beschafft werden


ANDRÉ MÜLLER

Die Zürcher Stadtpolizei willkomplett
auf elektrischeFahrzeuge umstellen,
zumindest mittel- bis langfristig. Eine
Marktanalyse habe ergeben, dass es
entsprechendeAutos gebe, die die An-
forderungen für gewisse Einsatzzwecke
erfüllten, teilt die Stadtpolizei am Mitt-
wochmorgen mit. Dies namentlich für
die Verkehrspolizei, den polizeilichen
Assistenzdienst und für die zivilenFahr-
zeuge der Kriminalpolizei.
In einem ersten Schritt will die Stadt-
polizei in den nächsten zweiJahren für
die Verkehrspolizei sieben E-Autos be-
schaffen. Die entsprechendeAusschrei-
bung ist seitMontag online zu finden.
202 0 sollen drei, 2021 vier weitereAutos
in denFuhrpark aufgenommen werden.
Für andere Einsatzzwecke gebe es
nochkeine überzeugenden Angebote,
schreibt diePolizei weiter, so zum Bei-
spiel für dieWasserschutzpolizei, die
Interventionseinheit oder die Sicher-
heitsabteilung. Man gehe aber davon
aus, dass schon in wenigenJahrenFahr-

zeuge auf den Marktkämen,welche die
speziellen Anforderungen bezüglich
Volumen und Nutzlast erfüllenkönnten.
Bei Ersatzbeschaffungen vonPatrouil-
lenfahrzeugen will die Stadtpolizei in Zu-
kunft immer prüfen, ob ein E-Auto ver-
fügbar ist, das die Anforderungen erfüllt.
Alle übrigen Kleinbusse undPersonen-
wagen, die diePolizei künftig beschaffen
wird, sollen standardmässig elektrisch be-
trie ben sein,Ausnahmen müssen begrün-
det werden. Damit wolle man die«für die
Polizeiarbeit unabdingbare Mobilität» so
klimaschonend wie möglich sicherstellen.
Dass sich die Zürcher Stadtpolizei für
E-Autos interessiert und sich diesbezüg-
lich auch schon bei derBasler Stadtpoli-
zei – die seit eineinhalbJahren mitTes-
las auf Streife geht–erkundigt hat, war
bereits seit September bekannt.Auch die
Kantonspolizeien Zürich und St. Gallen
haben zumTeil bereitsFahrzeuge mit
alternativemAntrieb im Einsatz. Es gilt
allerdings noch einige Herausforderun-
ge n zu lösen, zum Beispiel, weil dasLa-
den derBatterien länger dauert als ein
Tankvorgang.

Die pneumatische Sirene von Stallikonkommt nun ins Museum. ENNIO LEANZA / KEYSTONE

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