Focus - 02.11.2019

(Barré) #1

Der schwarze Kanal


Foto: Susanne Krauss

6 FOCUS 45/


Z

u den Journalisten, die ich immer für ihren
protestantischen Enthusiasmus bewundert
habe, gehört der Kollege Bernd Ulrich von
der „Zeit“. Ulrich war schon grün, als die
Mehrheit der Journalisten noch an den Klas-
senkampf glaubte. Kaum jemand hat Angela
Merkel als Klima- und Flüchtlingskanzlerin
so schöne Girlanden geflochten wie der langjährige Politik-
chef der Hamburger Wochenzeitung.
Wie alle wirklich Überzeugten drängt es den Mann
von der „Zeit“ zu mehr als dem Leitartikel. Manche
Journalisten beschreiten den Weg vom Medienmenschen
zum Politiker, Ulrich nimmt den Weg vom Journalisten
zum Guru. Nachdem er vor zwei Jahren schon radikal
dem Fleisch abschwor („Das Früh-
stück ist für mich ein Fest: geschro-
tetes Getreide, nachts eingeweicht,
vielleicht zwei getrocknete Datteln,
... ein Schluck Leinöl“), hat er nun
allem entsagt, was das Klima belastet.
„Alles wird anders“ heißt die gerade
erschienene Bekenntnisschrift, in der
er die Läuterung vom Klimasünder
zum Klimaretter beschreibt – ein Titel,
den man durchaus als Programm ver-
stehen darf.
Der letzte Bekehrungsjournalist, an
den ich mich erinnern kann, ist der
„Stern“-Reporter Jörg Andrees Elten,
der nach Poona aufbrach, um über
den Bhagwan-Kult zu berichten, und
als Swami Satyananda zurückkehrte.
Wer weiß, vielleicht werden später
junge Menschen sagen, dass „Alles
wird anders“ auf sie den Einfluss hat-
te, den „Ganz entspannt im Hier und

Jetzt“, Eltens Bestseller über seine Zeit im Ashram, auf die
damalige Generation besaß.
Damit man mich nicht missversteht: Ich finde es toll, wenn
Menschen ihrem Leben eine neue Wendung geben. Wer
eine höhere Berufung spürt, soll ihr folgen. Die Frage ist nur,
ob Journalismus dann noch das richtige Betätigungsfeld ist.
Missionar-Eifer und Skepsis stehen zueinander in einem
eher konträren Verhältnis. Die Klimaaktivisten behaupten
zwar, sie würden sich lediglich hinter der Wissenschaft ver-
sammeln, aber das ist einer von vielen frommen Wünschen.
Die Klimawissenschaft ist nicht so eindeutig, wie oft be-
haup tet wird. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass
der Mensch wesentlichen Einfluss auf die Erderwärmung hat.
Auch die Annahmen zum Anstieg der globalen Temperatur
sind in der Wissenschaftsgemeinde eigentlich Konsens. Wel-
che Auswirkungen der Klimawandel hingegen haben wird,
darüber gehen die Meinungen sehr wohl auseinander.
Wie schnell die Meere steigen werden, in welchem Maße
extreme Niederschläge oder Dürren zunehmen, wo Stür-
me heftiger und häufiger auftreten – all das ist offen
für Debatten. Der Klimaforscher Hans von Storch hat
unlängst daran erinnert, dass auch seine Zunft „keine
endgültigen Wahrheiten“ besäße. Dass jeder Sturm
heute als Vorbote des Weltuntergangs gelte, sei ein
psychologisches Phänomen, kein physikalisches:
„Nicht der Sturm selbst hat sich geändert, sondern
wie wir ihn wahrnehmen.“
Ich bin kein Experte. Daher würde ich mich
wohler fühlen, wenn ich wüsste, dass die Medien
auch in diesem Fall als unab-
hängige Instanz agierten. Der
Journalist ist der Geist, der
verneint. Die Diskrepanzen
im System finden, erkennen,
was nicht passt oder nur zu passen
scheint: Das macht den guten Autor.
Aber mit dieser Auffassung gehöre
ich erkennbar zu einer Minderheit.
Wenn es um die Rettung der Welt
geht, kennt die Medienwelt keine
Parteien mehr, nur noch Mitstreiter.

S


o kommt es, dass schon eine
kritische Frage als Affront
gilt. Der Wissenschaftsjour-
nalist Axel Bojanowski, Chef-
redakteur der Zeitschrift „Natur“
und einer der wenigen Skeptiker
in dem Gewerbe, hat kürzlich von
einer Pressekonferenz des Klimarats
IPPC berichtet, auf der ein britischer

JAN FLEISCHHAUER


Der Journalist


als Klimaprediger


Journalisten werden von Klimaforschern gemein-
hin als Leute betrachtet, die drucken, was man
ihnen sagt. Leider gibt es in den Medien dagegen
kaum Widerstand. Wenn es um die Rettung
der Welt geht, erlischt jeder Widerspruchsgeist

»


Der Verzicht auf den
Mallorca-Flug und auf
den wöchentlichen

Rinderbraten sind sicher
löbliche Entscheidungen.

Der Klimarettungseffekt
solcher individuellen
Notfallpläne wird

allerdings deutlich
überschätzt

«

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