Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

Annett Meiritz Washington


S


elbst ein Mindestmaß an Kooperation
kommt für Donald Trump nicht infrage.
Bis auf Weiteres hat das Weiße Haus al-
len Regierungsmitarbeitern untersagt,
im Rahmen der Prüfung eines Amtsent-
hebungsverfahrens auszusagen. Viele Zeugen er-
scheinen trotzdem vor dem US-Kongress. Trump
schimpft deshalb über eine „Hexenjagd“, ver-
gleicht die Untersuchung gar mit einem „Lynch-
mord“. Die Ukraine-Affäre, die den Präsidenten
das Amt kosten könnte, provoziert immer neue
Wutausbrüche: Am Mittwoch setzte Trump ein
Dutzend Tweets ab, zürnte über „erfundenen
Müll“, eine „Schande“ und „totalen Betrug“.
Bald dürfte der Druck weiter steigen. Noch an
diesem Donnerstag wollen die Demokraten im US-
Repräsentantenhaus ihr Ziel eines Impeachments
per Abstimmung bekräftigen. Formal eingeleitet ist
ein Amtsenthebungsverfahren damit noch nicht,
aber die Resolution gilt als Vorstufe dafür. Denn sie
macht den Weg frei für eine entscheidende Phase
der Untersuchung. Bislang fanden die Befragungen
im Untergeschoss des Kapitols statt, in einem ab-
hörsicheren Raum mit dem Hinweis „Restricted
Area“. Nun sollen die Befragungen öffentlich abge-
halten werden. Trump droht ein tägliches Kamera -
spektakel über seine mutmaßlichen Verfehlungen.
„Wir machen rasante Fortschritte“, sagte der De-
mokrat Adam Schiff, Chef des Geheimdienst-Aus-
schusses. Tatsächlich geht die Untersuchung unge-
wöhnlich schnell voran. Noch vor Weihnachten soll

das Impeachment-Verfahren offiziell beschlossen
und an den US-Senat übergeben werden. Allein in
dieser Woche erschienen vier Zeugen im Kongress.
Die Stimmung in Washington ist angespannt,
denn die bisherigen Aussagen belasten Trump im-
mens. Viele Befragte stützen den Bericht eines ano-
nymen Geheimdienstmitarbeiters, dessen Be-
schwerde im September dazu führte, dass Demo-
kraten-Chefin Nancy Pelosi grünes Licht für eine
Untersuchung gab. Die Vorwürfe gegen Trump wie-
gen schwer: Er soll seine Macht als Präsident miss-
braucht, Wahlkampfhilfe aus dem Ausland ange-
strebt und womöglich korrupt gehandelt haben.

100 Stunden Zeugenaussagen


Schriftlich dokumentiert ist, dass Trump seinen
ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenski in
einem Telefonat im Sommer dazu drängte, Ermitt-
lungen gegen den 49-jährigen Hunter Biden einzu-
leiten. Der Sohn des demokratischen Präsident-
schaftsbewerbers Joe Biden arbeitete für den ukrai-
nischen Gaskonzern Burisma, während sein Vater
als Vizepräsident von Barack Obama die Geschicke
der Weltpolitik lenkte. Kurz vor dem Anruf fror das
Weiße Haus Militärhilfen in Höhe von 391 Millionen
Dollar ein. Ob Washington die Ermittlungen gegen
Biden zur Bedingung machte, um die Gelder frei-
zugeben, ist eine zentrale Frage in der Affäre.
Fast einhundert Stunden Zeugenaussagen haben
die US-Demokraten gesammelt, und der bisherige
Stand zeichnet ein beklemmendes Bild. In den Be-

Das System


schlägt zurück


US-Präsident Trump wehrt sich aggressiv gegen die Pläne für eine


Amtsenthebung. Zahlreiche Zeugen haben ihn aber bereits belastet.


Jetzt beginnt die entscheidende Phase der Untersuchung.


Ukraine-Affäre


Donald Trump:
Der US-Präsident hat
seinen ukrainischen
Amtskollegen
Wolodimir Selenski
dazu gedrängt,
Ermittlungen gegen
den Sohn von Joe
Biden einzuleiten.

DOUG MILLS/The New York Times

fragungen verdichtete sich der Eindruck einer
Schatten-Außenpolitik, ausgeführt durch Trumps
persönlichen Anwalt Rudolph Giuliani, die War-
nungen alarmierter Beamter ignorierte. Die frühe-
re Botschafterin in Kiew, Marie Yovanovitch, und
die Ex-Sicherheitsbeamtin Fiona Hill beschrieben
zahlreiche Parallelkanäle in die Ukraine. William
Taylor, Geschäftsführer der US-Botschaft in Kiew,
sagte aus, Trump habe die Militärhilfen in der Hoff-
nung auf eine Gegenleistung zurückgehalten. Und
laut Alexander Vindman, Europa-Direktor im Na-
tionalen Sicherheitsrat, veröffentlichte das Weiße
Haus das Telefonprotokoll zwischen Trump und
Selenski nur lückenhaft – was den Verdacht der Jus-
tizbehinderung befeuert.

John Bolton als Schlüsselzeuge


Ein prominenter Zeuge könnte Ex-Sicherheitsbera-
ter John Bolton werden, der sich im September aus
dem Weißen Haus zurückgezogen hat. Bolton hatte
als Chef des Nationalen Sicherheitsrats direkte Ein-
blicke in die Ukraine-Wünsche des Präsidenten.
„Bolton könnte eine ältere Version des jungen An-
walts John Dean sein, der die Wende im Watergate-
Skandal brachte und zu Richard Nixons Rücktritt
führte“, meint die Politikexpertin Elaine Kamarck
von der Washingtoner Denkfabrik Brookings.
Je schneller die Demokraten Trump vor sich her-
treiben, desto stärker gerät das Weiße Haus in Zug-
zwang, eine Verteidigungsstrategie zu erarbeiten.
Der „New York Times“ zufolge wird jeden Morgen
um zehn Uhr eine Sitzung speziell zum Impeach-
ment abgehalten. Außerdem erwägt man in der
Zentrale, zwei Anwälte zu engagieren, die Trump
schon während der Untersuchung darüber, wel-
chen Einfluss Russland auf die Präsidentschafts-
wahl 2016 ausgeübt hat, zur Seite standen.
Trump selbst hält an seiner konsequenten Ab-
wehrhaltung fest. Er schmäht selbst etablierte Be-
amte, die zum Teil noch aktiv für seine Regierung
arbeiten, als Lügner und sogenannte „Never Trum-
per“, die ihm gegenüber voreingenommen seien.
Der Präsident beschwört weiterhin, sein Telefonat
mit Selenski sei in jeder Hinsicht „perfekt“ gewe-
sen: „Es gab keine Gegenleistung, es gab kein Quid
pro quo. Ich habe nichts falsch gemacht.“
Für den Moment kann sich Trump sicher füh-
len, weil die Republikaner die Mehrheit im US-Se-
nat haben. Sobald das Repräsentantenhaus Artikel
für eine Anklage formuliert und das Verfahren be-
schlossen hat, fungiert die zweite Kammer als eine
Art Gericht. Der Senat entscheidet dann über
Trumps politisches Schicksal. Die Republikaner
senden aktuell keine Signale, dass sie sich von
Trump abwenden wollen. Zwar löste seine Ent-
scheidung, amerikanische Truppen aus Nordsy-
rien abzuziehen, Entsetzen in seiner Partei aus.
Auch Trumps Attacken gegen Zeugen will kaum je-
mand unterstützen. Doch als Zeichen der Solidari-
tät stürmten vergangene Woche zwei Dutzend re-
publikanische Abge ordnete den gesicherten Sit-
zungsraum der Im peachment-Anhörung und
prangerten „sowjetische Methoden“ an. Zudem ar-
beiten 50 republikanische US-Senatoren, darunter
der Trump-Vertraute Lindsey Graham, an einer
Resolution, die die Untersuchung als intransparent
verurteilt. Aktionen wie diese sind vor allem sym-
bolischer Natur, aber sie zeigen, dass die Rücken-
deckung bislang stabil ist. Nur drei Senatoren wa-
gen derzeit offenen Protest: Mitt Romney, Susan
Collins und Lisa Murkowski. Ihr Widerstand reicht
aber nicht aus, um Trump des Amtes zu entheben.
Für die dazu notwendige Zweidrittelmehrheit
bräuchte es mindestens siebzehn weitere republi-
kanische Senatoren, die mit Trump brechen. Ein
Grund für die bedingungslose Unterstützung dürf-
te sein, dass der US-Präsident an der Basis nach
wie vor beliebt ist.
Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen spaltet
Trump das Land wieder einmal: Eine große Mehr-
heit der konservativen Wähler ist gegen eine Amts-
enthebung, eine große Mehrheit der demokrati-
schen Anhänger ist dafür. Doch öffentliche Mei-
nungen, betont Brookings-Expertin Kamarck, seien
immer eine Momentaufnahme. „Die Geschichte
zeigt, dass sich Stimmungen sehr schnell ändern
können.“

Es gab keine


Gegenleistung,


es gab kein


Quid pro quo.


Ich habe


nichts falsch


gemacht.


Donald Trump
US-Präsident

Wirtschaft


& Politik


DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


6

Free download pdf