Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

Europäische Verteidigung


Die Rüstungsfirmen sind zu klein


Hervé Guillou, Chef des


Marine-Marktführers Naval,


drängt auf europäische


Schiffsprojekte. Für ihn ist das


die Überlebensfrage.


Donata Riedel, Thomas Hanke
Berlin

F


ür ihre Luftwaffen entwickeln
Deutschland und Frankreich
das neue Kampfflugzeugsys-
tem FCAS und für ihre Heere einen
neuen Panzer. Im Marineschiffbau je-
doch fehlt ein solches Großprojekt.
Dabei wäre es genauso notwendig:
„Niemand von uns hat die kritische
Größe, um im weltweiten Wettbewerb
dauerhaft zu bestehen“, sagte Hervé
Guillou, Chef des französischen Mari-
neschiffbauers Naval Group, im Inter-
view am Rande des French-German
Business Forums von Handelsblatt
und „Les Echos“. „Die europäische
Integration unserer Industrie ist keine
Frage von Idealismus mehr, sondern
eine Überlebensfrage“, sagte er.
Der Naval-Chef will seinen
Deutschlandbesuch für Gespräche
über Kooperationen nutzen. „Wir
können das Unternehmen sein, das
die europäische Industrie konsoli-
diert“, sagte er. Allerdings sei dies
nur mit der Zustimmung der Regie-
rungen möglich. Spekuliert wird in
der Branche seit Längerem, dass Na-
val Interesse an einem Kauf der Mari-
ne-Sparte von Thyssen-Krupp, TKMS,
haben könnte. „Ich weiß nicht, ob
TKMS zu kaufen ist und was die Be-
dingungen der Bundesregierung
sind“, sagte er: „Wenn ich die Bedin-
gungen kennen würde, würde ich
entweder ein Übernahmegebot ma-
chen oder eine Allianz anbieten oder
welche Form der Zusammenarbeit
auch immer gewünscht wird.“
Guillou hält es „für vollkommen
sinnlos, wenn wir in Europa gegenei-
nander antreten“: Der eigentliche
Wettbewerb finde mit den Chinesen,
inzwischen Weltmarktführer, und
den Russen, bald die Nummer zwei,
außerhalb Europas statt, sagte er.
Noch vor 15 Jahren hätten die euro-
päischen Marineschiffbauer unange-
fochten den Weltmarkt beherrscht.
Jetzt drohten sie mit ihrer in nationa-
le Kleinfirmen zersplitterten Unter-
nehmenslandschaft von China über-
holt zu werden. „Ich kämpfe wie ein
Hund um Marktanteile, wenn es nö-
tig ist, aber strategisch ist es für
Europa notwendig, seine Kräfte zu
vereinen“, sagte Guillou.
Auf dem Business-Forum-Panel zur
Verteidigung herrschte über diese
Notwendigkeit Einigkeit. „Wir haben
den EU-Binnenmarkt, aber unsere Si-
cherheit organisieren wir national-
staatlich wie im 19. Jahrhundert. Das
darf doch nicht wahr sein“, sagte Hol-
ger Mey, bei Airbus zuständig für die
Verteidigungsprojekte der Zukunft.
Und der frühere Verteidigungsminis-
ter Franz Josef Jung (CDU), heute Auf-
sichtsrat bei Rheinmetall, sagte, die
deutsch-französischen Gemeinschafts-
projekte dienten auch dazu, die knap-
pen Verteidigungsbudgets effizienter
einzusetzen. Deshalb brauche man
nach dem FCAS und dem Panzer un-
bedingt auch gemeinsam entwickelte
Marineschiffe. „Wir müssen in Europa
Souveränität gewinnen, um nicht ab-
hängig zu werden von Entwicklungen
in den USA“, sagte Jung.

Zwar lobten Mey und Jung, wie gut
ihre Firmen vorankämen beim FCAS
und beim Panzer. Schnell sind die
Fortschritte jedoch nicht, sagte zu-
mindest der Grünen-Verteidigungsex-
perte Tobias Lindner: „Das Verteidi-
gungsministerium hat dem Haus-
haltsausschuss gerade mitgeteilt, dass
es in diesem Jahr kein Geld mehr da-
für beantragen wird“, sagte er. Denn
es gebe ungelöste Fragen: Beim FCAS
sei nach wie vor unklar, wie die Spa-
nier in das Projekt einbezogen wer-
den, wie die Triebwerkshersteller Sa-
fran und MTU kooperieren wollen
und wie die beteiligten Firmen die
Patentrechte später jeweils für ande-
re Projekte nutzen dürfen.
Auch wenn es häufig knirscht bei
Rüstungskooperationen, sehen die
Experten Fortschritte bei der Euro-
päisierung. Dass es die Verteidigungs-
union Pesco gebe, dazu einen 13 Mil-
liarden Euro schweren Rüstungs-Ent-
wicklungsfonds und demnächst auch

eine Generaldirektion für Verteidi-
gung in der EU-Kommission: All das
seien Zeichen, dass die Regierungen
es ernst meinten mit der Zusammen-
arbeit. „Wenn es eine Struktur wie
die Generaldirektion gibt, dann gibt
es auch Leute, die das Thema voran-
treiben“, sagte Ekkehard Brose, Prä-
sident der Bundesakademie für Si-
cherheitspolitik.
Vergangene Woche hat die Bundes-
regierung einer neuen Rüstungsex-
port-Vereinbarung mit Frankreich zu-
gestimmt. Für Zulieferungen bis zu
20 Prozent des Warenwerts gilt künf-
tig, dass sie keine Rüstungsexportge-
nehmigung aus dem Herkunftsland
mehr brauchen. Bei Zulieferungen
sei es schwer, über einen 20-Prozent-
Anteil zu kommen, sagte Guillou. Bei
Joint Ventures werde man sich auch
künftig verständigen. „Die Vereinba-
rung wird die deutsche Industrie
nicht in die Rolle des Juniorpartners
drängen“, sagte er.

Hervé Guillou: Wettbewerb euro-
päischer Anbieter „sinnlos“.

CC BY-SA 4.


Europäer können Machtfragen nicht
mehr ignorieren in einer Welt, die
von den USA und China dominiert
wird, wir müssen unseren eigenen
Platz finden.“ Die „naive Konkur-
renz“, mit der sich die Europäer
selbst China gegenüber auseinander-
dividiert hätten, müsse der Vergan-
genheit angehören. Heute habe die
EU die Aufgabe, Europas Souveräni-
tät zu verteidigen, „sonst werden wir
zur Käsescheibe auf einem amerika-
nisch-chinesischen Sandwich“.
Ding verwies darauf, dass China
mit einem neuen Gesetz die Bedin-
gungen für ausländische Investoren
verbessere. Erzwungener Technolo-
gietransfer werde verboten, geistiges
Eigentum geschützt. Derzeit findet ei-
ne Bewertung durch die Auslands-
kammern in China statt. Kritiker hat-
ten die Bestrebungen der chinesi-
schen Regierung grundsätzlich
begrüßt, aufgrund der vagen Formu-
lierungen und der äußerst inkonsis-
tenten Rechtsdurchsetzung aber gro-
ße Sorge geäußert, ob die Regeln am
Ende auch durchgesetzt werden.
Ding ermutigte die Europäer, „sich
jetzt für volle Reziprozität einzuset-
zen“. Damit ist gemeint, dass China
europäischen Unternehmen diesel-
ben Rechte einräumen muss, die chi-
nesische in der EU genießen. Der
Chinese mit französischer Staatsan-
gehörigkeit argumentierte, dass Han-
delsfragen nicht das wichtigste seien,
sondern Auslandsinvestitionen. Die
würden für China bedeutsamer,
„denn während China für 15 Prozent
der Welt-Wirtschaftsleistung steht,
stellt es nur fünf Prozent der weltwei-
ten Direktinvestitionen“. Mit anderen
Worten: Die Volksrepublik könnte die
Übernahmen europäischer Unter-
nehmen beschleunigen, die schon
heute die EU beunruhigen.
Beaune machte klar, dass Europa
Fakten sehen will: Beim nächsten EU-
China-Gipfel, der 2020 in Leipzig
stattfinden wird, „muss das Investiti-
onsschutzabkommen unterzeichnet
werden“. Die europäische Seite hatte
im April gemeinsam erreicht, dass
China sich zu einem Abschluss der
bereits seit mehreren Jahren laufen-
den Verhandlungen bis Ende 2020
verpflichtet hat.
Ding zeigte sich optimistisch: „Die
Öffnung des eigenen Marktes ist für
die chinesische Führung notwendig,
wenn sie den Lebensstandard der
Bevölkerung halten“ wolle. Und der
sei nach wie vor die wichtigste Vo-
raussetzung dafür, die eigene Legiti-
mität zu bewahren: „Der Traum der
Chinesen ist materialistisch, wenn
der infrage gestellt wird, bekommt
die Führung ein Problem.“ Europas
Unternehmen rief er dazu auf, mehr
rein private Deals in China zu su-
chen, wie es dem französischen
Haushaltsgeräte-Hersteller SEB mit
der Übernahme von Supor gelang.
Nach Macrons Besuch wird man bes-
ser sehen, ob Peking da mitspielt.

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Wirtschaft & Politik
DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210

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