Die Welt - 09.11.2019

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andagen, Kompressions-
strümpfe und Schuheinla-
gen: Damit ist Hans Bruno
Bauerfeind reich geworden.
Zweihundert Millionen Eu-
ro sollen er und seine Familie mittler-
weile besitzen – für die Bewohner des
thüringischen Zeulenroda sind das fast
biblische Ausmaße. Und tatsächlich
wurde der Unternehmer dank seiner fi-
nanziellen Unterstützung in einem
Fresko-Wandgemälde in der örtlichen
Dreieinigkeits-Kirche in unmittelbarer
Nähe der zwölf Apostel verewigt.

VON ANNE KUNZ

Der großzügige Mäzen, der in dieser
Kirche einst getauft wurde, zählt zu den
126 Einkommensmillionären im Bundes-
land Thüringen und laut einem aktuellen
Ranking der Zeitung BILANZ sogar zu
den 1000 reichsten Deutschen. Damit ist
er eine Rarität. Zu dem exklusiven Club
gehören nur zehn Familien aus Ost-
deutschland. In westdeutschen Groß-
städten wie Frankfurt, München oder
Hamburg ist die Zahl der Einkommens-
millionäre um ein Vielfaches höher.
Die Zahlen sind Indikatoren für einen
tiefen Riss. Denn auch an der Spitze von
Einkommen und Vermögen gibt es 30
Jahre nach dem Fall der Mauer immer
noch gewaltige Unterschiede zwischen
neuen und alten Bundesländern. Die
Vermögen in der ehemaligen DDR sind
laut einer Auswertung des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung
(DIW) im Schnitt nur halb so hoch wie
die im Westen.
Dabei hat der Osten in den vergange-
nen Jahren deutlich aufgeholt: Die Ar-

der weit zurück, wie die Zahl der Millio-
näre deutlich zeigt. Und es spricht vie-
les dafür, dass sich das in den kommen-
den Jahren kaum ändern wird. So gab es
2016 in Sachsen nur 175 Menschen mit
Gesamteinkünften von mindestens ei-
ner Million Euro. Das höchste zu ver-
steuernde Einkommen lag bei 5,5 Millio-
nen Euro, wie aus einer Antwort des
Sächsischen Staatsministeriums der Fi-
nanzen auf eine kleine Anfrage der Lin-
ken hervorgeht. Die Großverdiener
wohnten vor allem in den Städten: 37
Millionäre lebten in Dresden, 36 in
Leipzig und 16 in Chemnitz.
In Thüringen lag laut den aktuellsten
Daten des zuständigen Landesamts für
Statistik im Jahr 2015 die Zahl der Ein-
kommensmillionäre mit 126 immerhin
um 25 höher als im Vorjahr. Dabei hande-
le es sich überwiegend um Einkommen
aus Gewerbetrieben oder deren Veräu-
ßerung, so die Behörde. Die meisten Mil-
lionäre wohnten in Erfurt, Jena und dem
Landkreis Saalfeld-Rudolstadt.
In westdeutschen Ländern ist die
Zahl ungleich höher: In Bayern gab es
laut dem zuständigen Landesamt für
Statistik im Jahr 2015 fast 5000 Ein-
kommensmillionäre – und damit etwa
6 00 mehr als im Jahr zuvor. Mehr als
die Hälfte davon stammte aus Ober-
bayern. Die höchste Dichte an Einkom-
mensmillionären war dort im Land-
kreis Starnberg mit etwa 19 Millionä-
ren je 10.000 Einwohner zu verzeich-
nen. Bundesweit ist die Millionärsdich-
te seit vielen Jahren im Hochtaunus-

kreis vor den Toren Frankfurts am
höchsten: Dort ist statistisch jeder 360.
Einwohner Einkommensmillionär.
Laut Markus Grabka vom Berliner
DIW wird es noch viele Jahre dauern,
bis sich derartige Ansammlungen von
Reichtum auch im Osten bilden – wenn
überhaupt. „Bisher muss man die Mil-
lionäre in der ehemaligen DDR mit der
Lupe suchen“, sagt er. Die meisten von
ihnen seien Zugezogene aus dem Wes-
ten nach der Wende.
Zu schwer wiegt noch immer die Last
der Vergangenheit. So entstand in den
Nachkriegsjahren der weltberühmte
deutsche Mittelstand – und damit das
wichtigste Rückgrat der westdeutschen
Wirtschaft. Im Sozialismus hingegen
war dies unmöglich. Ostdeutsche Be-
triebe wurden enteignet und verstaat-
licht. Familienunternehmer wie die
Bauerfeinds flohen in den Westen. „Ei-

nen Mittelstand vergleichbar mit dem
im Westteil des Landes gab es in der
DDR faktisch nicht“, sagt der DIW-Ex-
perte. Und auch selbstständige Hand-
werker hätten es schwer gehabt. Nach
der Wende kamen zwar einige Unter-
nehmer aus Heimatverbundenheit wie-
der – so auch Bauerfeind – aber bei wei-
tem nicht alle. Es gebe immer noch zu
wenig mittelständische Unternehmen,
große Konzerne hätten nur selten ihre
Zentralen im Osten der Republik. Dax-
Konzerne sucht man vergeblich.
Die existierende Industriestruktur
wurde nach der Wiedervereinigung zu-
dem größtenteils von der Treuhand zer-
schlagen. Viele verbliebene Unterneh-
men taten sich nach 40 Jahren Sozialis-
mus mit der Umstellung ihrer Produkt-
welt schwer. Zu schnell und radikal war
damals der Wechsel zur Marktwirt-
schaft. Nur wenige ostdeutsche Unter-
nehmen konnten sich als gesamtdeut-
sche Marken etablieren. Zu den weni-
gen Ausnahmen zählt die Rotkäppchen-
Sektkellerei. Allerdings gehört diese in-
zwischen der westdeutschen Eckes-
Chantré-Getränkedynastie.

Und ein Vermögensaufbau war für Pri-
vatleute während der DDR nur schwer
möglich. Das wenige Geld, was ihnen
blieb, konnten sie nur aufs Sparkonto le-
gen. Die Anlage in Aktien oder Invest-
mentfonds war schlicht nicht möglich.
„Das erklärt auch, warum die Differenz
zzzwischen Ost und West beim Nettover-wischen Ost und West beim Nettover-
mögen mit steigendem Lebensalter zu-
nimmt“, sagt Grabka. Während bei den
2 1- bis 25-Jährigen der Unterschied bei
5 000 Euro liegt, beträgt dieser bei den 51-
bis 55-Jährigen 51.000 Euro und erreicht
bei den 76- bis 80-Jährigen 133.000 Euro.
Zusätzlich drücken aber auch das ge-
ringe Lohnniveau nach der Wiederver-
einigung, die nach wie vor höhere Ar-
beitslosigkeit und geringe Marktwerte
von Grundstücken und Häusern das
Vermögen vieler Ostdeutscher – wobei
Immobilienbesitz in weiten Teilen Ost-
deutschlands ohnehin relativ gering
verbreitet ist. Der Anteil der Personen,
die zur Miete wohnen, ist deutlich hö-
her als im Westen der Republik. Aber
gerade Immobilienbesitzer profitierten
in den vergangenen Jahren aufgrund
der Niedrigzinsen und der damit ver-

bundenen Flucht in Sachwerte von
deutlichen Wertsteigerungen.
„Es war ein Fehler, nach der Wie-
dervereinigung, die Immobilien der
DDR an die Kommunen abzugeben“,
sagt DIW-Experte Grabka. Man hätte
sie besser den Bürgern übertragen.
Stattdessen verkauften die meisten
ostdeutschen Kommunen diese wei-
ter – meistens an Investoren oder
Wohlhabende, die sogar steuerlich be-
günstigt wurden. „Heute sind viele
Westdeutsche Vermieter von Ost-
deutschen“, sagt Grabka. Entspre-
chend fehlt eine reiche Oberschicht.
Insbesondere in Mecklenburg-Vor-
pommern ist das durchschnittliche
Geldvermögen pro Haushalt mit gut
30.000 Euro deutlich geringer als im
Bundesdurchschnitt. Nur in Thürin-
gen, den Städten und deren umliegen-
den Regionen gibt es eine höhere Zahl
an Wohlhabenden. „Doch bis sich das
ändert, werden noch einige Jahre ver-
gehen“, sagt Grabka. „Es braucht ei-
nen langen Atem und eine nachhaltige
Strukturpolitik, die auch den Mittel-
stand fördert.

„Millionäre muss man mit


der Lupe suchen“


Hohe Vermögen


sind im Osten


Deutschlands


weiter eine


Seltenheit. Das


liegt an den sozialen


Strukturen in der


DDR und den Fehlern,


die nach der


Wiedervereinigung


begangen wurden


Pavillon im Park von „Schloss
Wackerbarth“: In Sachsen gibt es
nur 175 Einkommensmillionäre –
damit ist das Bundesland im
Osten sogar Spitzenreiter

LIGHTROCKET VIA GETTY IMAGES

/ FRANK BIENEWALD

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09.11.19 Samstag, 9. November 2019DWBE-HP


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15:


Egon Krenz unterbricht nach Winters Rede die Tages-
ordnung der ZK-Sitzung und verliest den vierseitigen
Entwurf der neuen Reiseregelung, die gerade in der Res-
sortabstimmung ist. „Wie wir’s machen, machen wir’s
verkehrt“, kommentiert Krenz: „Aber das ist die einzige
Lösung, die uns die Probleme erspart, alles über Dritt-
staaten zu machen, was dem internationalen Ansehen
der DDR nicht förderlich ist.“ Nach einigen Detailände-
rungen nicken die ZK-Mitglieder die Regelung ab und
setzen die Diskussion über die Lage fort.

17:


Der italienische Korrespondent Riccardo Ehrmann be-
kommt einen Tipp: Er solle doch bei der Pressekonfe-
renz ab 18 Uhr nach dem Reisegesetz fragen.

17:


Krenz steckt den Entwurf der neuen Reisereglung Gün-
ter Schabowski zu, dem Sprecher des Politbüros. Angeb-
lich sagt er: „Gib’ das bekannt. Das wird ein Knüller für
uns!“ Doch das ist eine nachträgliche Erfindung. Auf sei-
nen Zettel notiert sich Schabowski nämlich nur als dritt-
letzten Punkt „Verlesen Text Reisegesetz“

CHRONIKDES MAUERFALLS – 15:50 - 17:


UF DIESEM ZETTEL MACHT SICH GÜNTER SCHABOWSKI
EINE NOTIZEN FÜR DIE PRESSEKONFERENZ UM 18 UHR

DES MAUERFALLS – 15:50 - 17:


UF DIESEM ZETTEL MACHT SICH GÜNTER SCHABOWSKI


andagen, Kompressions-
strümpfe und Schuheinla-
gen: Damit ist Hans Bruno
Bauerfeind reich geworden.
Zweihundert Millionen Eu-
ro sollen er und seine Familie mittler-

Trotzdem liegen die neuen Bundeslän-
der weit zurück, wie die Zahl der Millio-
näre deutlich zeigt. Und es spricht vie-

HRONIK


EINE NOTIZEN FÜR DIE PRESSEKONFERENZ UM 18 UHR


andagen, Kompressions-
strümpfe und Schuheinla-
gen: Damit ist Hans Bruno
Bauerfeind reich geworden.
Zweihundert Millionen Eu-

beitslosigkeit ist gesunken, Wirt-
schaftskraft, Lebenserwartung und Le-
benszufriedenheit sind gestiegen.
Trotzdem liegen die neuen Bundeslän-
der weit zurück, wie die Zahl der Millio-

HRONIKDES MAUERFALLS – 15:50 - 17:


AUF DIESEM ZETTEL MACHT SICH GÜNTER SCHABOWSKI
SEINE NOTIZEN FÜR DIE PRESSEKONFERENZ UM 18 UHR

DES MAUERFALLS – 15:50 - 17:


PICTURE ALLIANCE / DPA

/ OLIVER BERG

10 WIRTSCHAFT DIE WELT SAMSTAG, 9. NOVEMBER 2019


Ein interessantes Leben ging zu Ende.

Rolf Venohr


* 9. Februar 1935 † 1. November 2019

Traurig habe ich Abschied genommen,
es bleiben Liebe, Dankbarkeit und Erinnerung.

Helga Venohr

im Namen aller Angehörigen

Die Urnenbeisetzung findet im Familienkreis statt.

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