Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

D


ie DDR ist an demZiel,
die Wohnungsfrage bis
1990 zu lösen, grandios
gescheitert.In den ver-
gangenen 30Jahren aber sei zumin-
dest städtebaulich vielesrichtig ge-
macht worden, sagt Stadtentwick-
lungssenatorinKatrinLompscher.


Frau Senatorin, was habenSieam
9.November1989gemacht?
IchwarabendszuHause,beschäf-
tigt mit meinem kleinenSohn und
meinen häuslichen Pflichten. Ich
habe das weltbewegende Ereignis
erstamnächstenMorgenfrühinder
S-Bahn auf demWegzur Arbeit mit-
bekommen.Nicht sehr spektakulär,
aber auch nicht sehr selten, wie ich
weiß...


Wasist falsch gelaufen in derWoh-
nungsbaupolitik der DDR?Undwas
istgutgelaufen?
Ehrlichgesagt,gabesindenletz-
ten Jahren der DDR nicht mehr viel,
was gut gelaufen ist.Weil sich schon
seitEndeder70er-,Anfangder80er-
Jahreabgezeichnethat,dassdieStra-
tegie,auf der grünenWiese neue
Wohnungenzubauen,dasLandöko-
nomisch und auch städtebaulich
überforderthat.Gutgelaufenist,dass
es dann einen gewissenTrendum-
schwunggegebenhathinzurModer-
nisierungvonAltbauten undErhal-
tungkulturellbedeutsamerGebäude.
AberdasgroßeZiel,bis1990dieWoh-
nungsfrage zu lösen–daran ist die
DDRgrandiosgescheitert.


InwelcherFunktionhabenSiedieZeit
erlebt?
Ichwar noch relativ jung.Ichbin
1978nachderzehntenKlassebeiei-
nem Tiefbaubetrieb in die Lehrege-
gangen. Dortkonnte ichBerufsaus-
bildungundAbiturmachen.Dasging
bis1981.DanachhabeichfünfJahre
inWeimarStädtebaustudiert.Eswar
mit Händen zu greifen, dass es so
nichtweitergehenkonnte.Ichkannte
ja den Kontrast zwischenBerlin und
der Provinz. Ichhatte immerAuf-
träge,etwasmitzubringen,weilesdas
dortnichtgab:ObesTempotaschen-
tücherwarenoderKetchup.Diepoli-
tischen Diskussionen waren hitzig.
Manhattedas Gefühl,eshilftnureine
biologischeLösung,sohabenwirdas
genannt.DiePartei- undStaatsfüh-


rung war überaltert.Nach dem Stu-
dium kam ich an dieBauakademie
der DDR,Institut fürStädtebau und
Architektur.DabeilagendieErkennt-
nisse auf demTisch. Manwusste
schon,dasswiresnichtschaffenwer-
den, neueWohnungen zusätzlich zu
gewinnen,wennwirdiebestehenden
Wohnungennichterhaltenkönnten.

HattenSieind erWendephaseeinBild
davon,wiesichdieStadtBerlinentwi-
ckelnkönnte?
InsgesamtgabeseinBildvonder
Stadt,dassichstädtebaulichnichtso
wahnsinnig unterschieden hatvon
den Stadt-Ideen im Westen. Die
NachkriegsmodernehatjainOstund
West ähnlicheAusprägungen entwi-
ckelt.NurdassdieautogerechteStadt
im Osten einfachvonweniger Autos
beherrschtwar.Undautogerechtwar
sie–aberhallo!

WaswusstenSievonWest-Berlin?
Daswar lustig.Ende ’89/Anfang
’90habenwirerstmalsKartenaufden
TischgekriegtinunsererPlanungsab-
teilung, die auch stimmten.Dieka-
men vomMinisterium derVerteidi-
gung,unddawarenDingevermerkt,
diewir vorhernichtaufunserenKar-
tenhatten.

Wirhabenweitzurückgeblickt.Wenn
wir in dieJetzt-Zeit schauen:Was
wurdeinden30Jahrenseitherrichtig
gemacht?Undwasfalsch?
Städtebaulich ist vielesrichtig ge-
macht worden. DieQualifizierung
der Altbaugebiete ist konsequent
umgesetztworden.Dasisteinganz
großes Plus.Außerdem hat es in
Berlin nie wirklich eineDiskussion
darüber gegeben, dass man den
Plattenbauvollständig diskreditiert
undabräumt.AuchPlanungundEr-
gebniszur Hauptstadtwerdungfinde
ich überzeugend. Wasich wunder-
bar fin de,ist, dass man beimZu-
sammenweben der Stadthälften
große Grünräume geschaffen hat:
DerMauerpark, derPark am Nord-
bahnhofoderderParkamGleisdrei-
eck sind bedeutendeZugewinne für
Qualität in derStadt. Architektoni-
sche Highlights sind eher selten.
AberBerlinistnunmalkeineStadt,
diewieeinFreiluftmuseumfunktio-
niert, was die gebauteUmwelt an-
geht. Wirsind einzeitgeschichtli-

cher Ort, ein OrtinBewegung.Das
allesgehörtaufdie Haben-Seite.

UndwasstehtaufderSoll-Seite?
Wirwissen, dass städtebauliche
AufwertungmitsozialerAusgrenzung
verbunden war–und ist. Unddass
alleVersuchedementgegenzuwirken
durch Modernisierungsförderung
und Selbsthilfeprogramme letztlich
nicht ausreichend gefruchtet haben.
Es sind so viele öffentlicheMittel in
Viertelgeflossen,diejetztsehrschön
sind, die sich aber nicht mehr alle
leisten können.Dabei geht es doch
darum, städtebaulicheIntervention
ohne Verdrängung hinzuzubekom-
men. Aufwertung ohneVerdrängung
ist das uneingelösteVersprechen ei-
nermodernenStädtebaupolitik.

Siewürdensagen,dasswirheutenoch
davonentferntsind?
Ja,sindwir .Wirhabenjetztbessere
Chancen,weilwirwiederindenkom-
munal geförderten Wohnungsbau
eingestiegen sind.Weil wir alle An-
strengungen unternehmen, bei
neuen Quartieren vonvorneherein
eineMischungzukonzipieren.Auch
dasswirkeineGrundstückemehrpri-
vatisieren, ist ein Riesenvorteil.

gemeinheitzusetzen,istdasvölligin
Ordnung.Dann finde ich es wichtig
daraufzuachten,dassWohnungenin
dem Spektrum angebotenwerden,
dassMenschensieauchnachfragen.
Dass sie eben nicht nur hochpreisig
sind, sonderndass wir ein Angebot
fürbreiteSchichtenderBevölkerung
auchausprivaterHandbekommen.

Siesagten:Wennwirineinersozialen
Marktwirtschaftlebenwürden...Tun
wirdasnicht?
Ichwürdesagen,diesozialenRah-
mensetzungen schwächen sich ab.
Im rheinischen Kapitalismus –so
habe ich ihn aus der Geschichte
wahrgenommen–war die Balance
immer dasErfolgsmodell.Dass man
gemeinsam Wirtschaft und Wohl-
standentwickeltunddannauchver-
gleichsweisegerechtverteilt.

UndjetztsindwirinManchester,oder
wie?
Es ist unstrittig, dass durch den
Wegfallder Systemkonfrontationund
insbesonderedurch die neoliberale
Hegemonie,dieübereinensehrlan-
genZeitraumherrschte,dieZügello-
ckerersind.

Waswaren denn die größtenFehler
nach derWiedervereinigung imBe-
reichder Städteplanung?
Es war natürlich einFehler,dass
dieseStadt,dieeinegroßesozialrefor-
merische Geschichte des gemein-
wohlorientiertenWohnungsbaushat,
abEndeder90er-Jahrediesenabrupt
abgebrochen hat.Beialler Unbere-
chenbarkeit derZukunft hilft in der
StadtbauentwicklungStetigkeit.Wir
hättenheutenichtsoeinWohnungs-
problem,wennwirnichtmindestens
zehn Jahregehabt hätten, in denen
unnatürlichweniggebautwurde.Wir
hattenFertigstellungszahlenvonun-
ter5000im Jahr.DasistfüreineStadt
wieBerlinnatürlicheinWitz.

IhreParteiunterstützteinVolksbegeh-
renfür die Enteignung solcherKon-
zerneab 3000Wohnungen.Wasbliebe
dannfürDeutscheWohnen&Co?
EsgehtimKerndarum,dieSozial-
pflichtigkeitdesEigentumsentweder
zu bewahren oder durchzusetzen –
und wenn man keine andereMög-
lichkeit sieht, dann auch dieVerge-
sellschaftungsoption zu eröffnen.

HöchstmöglicheVerwertung wirdes
natürlich weiter geben, wir leben
schließlichimKapitalismus.Aberwo
wirsteuernkönnen,steuernwirjetzt.

Möglicherweise erleben wir gerade
eine ArtZeitenwende:Wieweit wird
dieseZeitenwendegehen?
EshateineWeilegedauert,bisder
Groschen gefallen ist.DenVerkaufs-
stoppöffentlicherWohnungengabes
schon 2006.Trotzdem sind auch da-
nach aus wirtschaftlichenGründen
Verkäufe erforderlich gewesen. 2011
istdie WendeinderLiegenschaftspo-
litik vonstadtpolitischenInitiativen
angestoßen worden. DiePolitik
mussteeinbisschenzumJagengetra-
genwerden.Jetztsetztsieesabersehr
konsequent um.Damit setzen wir
aucheinZeichenüberBerlinhinaus.

WiesehenSiedieRollegroßerImmo-
bilienunternehmen in den kommen-
denJahren?
Wennwirineinerechtensozialen
Marktwirtschaftlebenwürden,dann
wäreesk lar,dasswirauchprivateAk-
teureind er Stadtentwicklung nicht
nurakzeptieren,sondernsogarbrau-
chen.Wenn es uns gelingt, dieRah-
menzumWohleder StadtundderAll-

Dasheißt, eineDeutsche Wohnen,
diesichalsPartnerder Stadtentwick-
lungundvonNachbarschaftenzeigt,
die sich auch noch als sozialverant-
wortungsvoller Vermieter erweist,
hätte vondemVolksbegehren nichts
zufürchten.

Wieist Ihr Verhältnis zum Chef der
DeutscheWohnen,MichaelZahn?
Ehrlich gesagt, kenne ich ihn in
meiner neuenFunktion nicht direkt
persönlich.WirschreibenunsBriefe.
Ichkenne ihn aus meiner früheren
Zeitals Abgeordnete.Daw arermehr-
fach vorden Stadtentwicklungsaus-
schussgeladen.

Wieweit, glaubenSie, kann man ge-
henmitderRegulierung?
Es ist völlig klar,dass aus derBe-
wirtschaftung einesWohnhauses ge-
sichertseinmuss,dassdas Eigentum
erhaltenwerden kann, dass nicht
dauerhaft Verluste erwirtschaftet
werden oder dieSubstanz gefährdet
wird. Dasgilt für alleBesitzer –egal,
ob Genossenschaft, Kleinvermieter,
einstädtischesodereingroßespriva-
tesUnternehmen.Dazukannesauch
gehören, dass manvertretbareMie-
ten nimmt. Es ist dann nicht mehr
okay,wenneszuunangemessenho-
hen Forderungen für Wohnungen
führt, die dasGeld nichtwert sind.
Undwoa uch ganz offensichtlich ist,
dass man das nicht braucht, um die
Beständezuerhalten.

Wiestellen Siesich Deutschland im
Jahr2029 vor?
Ichhabe eine etwasreduzierte
Perspektive:IchguckemirBerlinan.
DieStadtwir dnichtvölligandersaus-
sehen. Wirwerden vielleicht mehr
Grünsehen.DawiraktuelleinePhase
haben, in der sehr viel neu gebaut
wirdund in der wir neueStadtquar-
tierevorbereiten,werden wir 2029
auchschondieerstenErgebnissese-
hen. Wirwerden sehen, dassBerlin
insgesamt wächst.Undwir werden
das,wasBerlinimmerausmacht–die
Mischung im sozialen, funktionalen
und im architektonischenBereich –
auch bei den neuenQuartieren wei-
terverfolgen.AnsonstenbleibtBerlin
natürlichBerlin.

DasIntervie wführten ElmarSchütze
undUlrichPaul.

Zeitenwende


10 Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 ·························································································································································································································································································


BerlinsStadtentwicklungssenatorinKatrinLompscherüberdiedemonstrativeWendeinderWohnungspolitik


desrot-rot-grünenSenats,dieautogerechteStadtOst-BerlinunddasgrandioseScheiternderDDR


„Esdauerte,bisderGroschenfiel“


„Ehrlich gesagt, kenne ich


HerrnZahn in meiner neuenFunktion


nicht direkt persönlich.


Wirschreiben unsBriefe.“


KATRIN LOMPSCHER

... wird am 7. April 1962 in
Ost-Berlingeboren.

...macht 1978 bis 1981 eine
AusbildungmitAbiturzurBau-
facharbeiterin.

....studiertvon 1981 bis 1986 an
derHochschulefürArchitektur
und BauwesenWeimar,ist Di-
plomingenieurin für Städtebau
und arbeitet an der Bauakademie.

... wird im Jahr 1987 Mutter eines
Sohnes.

... ist Mitglied derPartei Die Lin-
ke –1980warsie der SED beige-
treten. 2006 wirdsie Gesund-
heitssenatorinin Berlin undam-
tiertseit 2016als Senatorinfür
StadtentwicklungundWohnen.
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