Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

Zeitenwende


20 Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 ·························································································································································································································································································


fürvieleMenschendashöchsteZiel
ist,berühmtund wohlhabendzu
sein.DasfasziniertvieleLeute.Ich
habejaselberanTV-Showsteilge-
nommen.Vielemachendaeigent-
lich nur mit,weil sie denken, man
kann ganz schnellrelativ berühmt
werden und vielGeld verdienen,
ohnehartzua rbeiten.
PAPP:DenkenSie, dasistdieheu-
tige Generation oder dievorzehn
Jahren? Ichglaube,heuteistdasein
bisschen anders: mitExtinctionRe-
bellion und den anderen Ökobewe-
gungen–denengehtesnichtdarum,
berühmtzusein,sondernaufdieser
Erdeweiterlebenzukönnen.
MICHALSKY: Siehaben voll-
kommenrecht. Da passiertgerade
etwas,unddasistinteressant.Aber
was man eben nicht unterschätzen
darf, ist, dass das nur ein Teil der
Leuteist.Ichfindedastoll,dassdie
das machenund will es auch nicht
schlechtmachen.Essindviele,aber
es ist eben nicht die ganzeGenera-
tion.
PAPP: Es sind vielleicht noch
nicht alle,die sozusagengegen das
System rebellieren. Aber deswegen
sagenwirja,wirmüssenetwasiniti-
ieren.
MICHALSKY: Nicht alle,die da
demonstrieren,habengrundsätzlich
etwasgegendasSystem.
ZVIERIEVA:Ichmeine das Sys-
tem, wie die Kleidungproduziert
wird.
MICHALSKY: Wiegesagt, ich
find das immer gut, wenn man auf
dieStraßegeht,umfürseineRechte
zu kämpfenoder um etwas anzu-
prangern,wasnichtinOrdnungist.
Gerade,wenn man bedenkt,dass
wir 30 JahrefriedlicheRevolution
feiern.AberesistauchvielHeuche-
leidabei.


WiemeinenSiedas?
MICHALSKY:Ichwohne gegen-
über voneinem großen Hostel, in
dem viele Schulklassenabsteigen.
Wenn ich abends nach Hause
komme,kommendieauchvonihren
Ausflügen,und 90 Prozent der Kids
tragen riesige Papiertüten vonMo-
dediscounterninden Händen.Die
wollen konsumieren und denen ist
dasegal,obdasFairtradeodernach-
haltig ist. Diewollen neue Klamot-
ten.
PAPP: Es muss aber nicht nur
Druck auf den Verkäufer oder den
Konsumentenausgeübtwerden, es
muss auch gesetzlichreguliertwer-
den. DieProduktionder Fastfas-
hion-MarkenzumBeispiel.
MICHALSKY: Aber ihr könnt
doch die Leute nicht dazu zwingen,
genausozulebenwieihr.
ZVIERIEVA:Dabinichaberande-
rerMeinung.SieverkaufeneinenLe-
bensstil. Warumsagen SieIhren
Kunden nicht, ich bleibe nur bei
HauteCouture,ichproduzierenicht
mehr Sofas undTeppiche,weil ich
dasnichtmehrbrauche.Ichkonzen-
trier emich nur auf die hochwertige
Kleidung.Siekönnten ein positives
Vorbildsein.
MICHALSKY: DasBeispiel ist
jetzt aber ein bisschen schwierig.
MankauftsichjanichtallezweiMo-
nateeinneuesSofaodereinenTep-
pich.
ZVIERIEVA: Es gibt auch solche
Menschen.
MICHALSKY:Also,diekenneich
nicht.Wennichdiekennenwürde,
würdeichdastollfindenfürmeine
Sofas undTeppiche.Esg ibt Stu-
dien,diezeigen,dassfürdieLeute
dasWohnenwichtigerist,alsesvor
30 Jahren war.Dag eht es umCo-
cooning, man will gemütlich zu
Hause sein. DenLeuten ist das
wichtig.Aber ein Sofa kaufen sich
die Leute im Durchschnitt alle
zehnJahre.


AberfinanzierenSieihreHauteCou-
turenicht imGrunde mit denPro-
duktenderanderenLinien?
MICHALSKY:Ichredegrundsätz-
lich nicht über Geschäftszahlen,
aber die Haute Coutureist für
mich wichtig,weil es mein kreati-
verLeuchtturmist. Da entwickle
ich meineIdeen und auch die
Strahlkraft. Undfür viele Leute ist
die Sonnenbrille dann eben auch
das,was sie sich alsAbendkleid
oder alsKostüm oderBlazer nicht
leistenkönnen.


Istdas Ihr Konzept vondemokrati-
scherMode?IndemSieinj ederPreis-
klasseetwasanbieten?
MICHALSKY:Wenn ich die Mög-
lichkeithabe,ja.Würdeichmachen.

Karina undNika, können Siedas
nachvollziehen?
ZVIERIEVA:Nein.
MICHALSKY:WeilSiegrundsätz-
lich eine andereEinstellung zum
Konsumhaben.
ZVIERIEVA:Genau.
PAPP: Für mich ist dieFrage,ob
Siesichals Designerüberhauptvor-
stellenkönnen,dassModeohnedas
Verdiktdes Besitzensexistiert.Wirin
unserer Tauschkultursprechenüber
Dinge,die wir nicht besitzen müs-
sen.
MICHALSKY: Dieser neue so-
ziale oder auch sozialistischeGe-
danke,das ist IhrLebensmodell.
Dazusageich,dasfindeichtoll.Es
ist genugPlatz für uns alle da, und
wenn Siesol eben möchten, dann
könnenSiedas gerne machen.Ge-
nausomüssenSiemirdas Rechtzu-
gestehen,dassichmitmeinembes-
tenWissenundGewissendieDinge
mache,wieichsiegutfinde.Nurzu
sagen, wir machen das so,wie ihr
das sagt, da sind wir ja fast schon
wiederbeieinerDiktatur.

KarinaundNika,Siesindim Grund
auchTeildes Systems.Wenndie Mode
nicht produziertwürde, würden
Leute Sachen nicht kaufen, würden
LeuteSachennichtverschenken.
NIKA ZVIERIEVA:Esg ibt aber
schonganzvieleSachen.Überlegen
Sienur,wie viel Kleidung und auch
Essenpr oJahreinfachweggeworfen

wird. Weilniemandsiebrauchtoder
haben möchte oder sie sich leisten
kann.
MICHALSKY: Da haben Sieja
vollkommenrecht, aber jeder ein-
zelneMenschmussdochschlauge-
nugsein.
PAPP:AberSiehabendiesenEin-
fluss.
ZVIERIEVA:Unddie Verantwor-
tung!
MICHALSKY:Nein,ihrhabtdas.
PAPP: Wirhaben ein paar tau-
send Followerauf unserem Insta-
gram-Account...
MICHALSKY:Nein, jederKonsu-
ment hat diePower.Jeder Mensch,
derhierwohnt,hatdieseVerantwor-
tung.

AufIhrem Instagram-Accountvon
„Found_on_the_street“ ist dieMode
auf denBildern auch sehr schön in-
szeniert.Dasmacht ja auch wieder
Lustaufmehr,oder?
PAPP: Aber da kommen wir zu-
rück zurBotschaft dahinter.Wir ha-
benjaschonüberdieInfluencerauf
Instagramgesprochenundüberden
Lifestyle,den sie verk aufen. Unsere
Botschaft aber ist, man braucht gar
nichtszukaufen.
MICHALSKY:Dasist euer Life-
style,und der steht euch auch zu.
Abernichtjederwilldas.
PAPP: Ichsage auch nicht, dass
mandenMenschenverbietensoll,
Dinge zu kaufen.Aber man kann
den Jugendlichen, die nachMode
suchen, auch Alternativen dazu
zeigen. Macht in euren Ortschaf-
ten Tauschläden auf, wo alleSa-
chen hinbringen und holen kön-
nen.Werdetkreativ.

MICHALSKY:Unddaw ollt ihr
mirmeineKreativitätverbieten!
ZVIERIEVA:Garnicht.Aberesgibt
eine Verantwortung auf beidenSei-
ten.Sietrageneine Verantwortung.

Jetztkannsichaberlängstnichtjeder
die nachhaltig produzierte Haute
Coutureleisten.
MICHALSKY: Mankann aber
trotzdembewusstkonsumieren.Ich
glaube an Konsumieren, aber an
sehrbewusstesKonsumieren.
POPP,ZVIERIEVA:Ja,wirauch.
MICHALSKY:Ja,aber Siewollen
eher weniger als konsumieren.Sie
wollen tauschen.Ichglaube daran,
weil es bei vielen Leuten einfach
noch dieBegehrlichkeiten gibt, und
mein Wunsch wäre, dass man be-
wussterkonsumiert.

Dann können wir uns eigentlich
darauf einigen, dassSiealle drei
den gleichenAnspruch haben, dass
man nachhaltiger konsumieren
sollte.
MICHALSKY: Grundsätzlich
stimmenwirüberein,dassdieMen-
schenmaleinbisschennachdenken
sollten. Dann würde sich da schon
eine ganzeMenge ändern.Aber ich
bin vollkommen gegen jegliche
FormvonBevormundung.Ichfinde
dasbewundernswert,dassihrdasso
radikal macht, aber ihr könnt nicht
erwarten, dass das 82Millionen an-
dereLeute in derBundesrepublik
auchsomachen.

Könnte man sich vielleicht eine
freundlichereForm vonBevormun-
dung vorstellen, etwa eineKonsum-
AmpelfürKleider?

MICHALSKY:Dasistjaauchwie-
der Regulation undVerbot vonet-
was.

DerEntwicklungshilfeminister Mül-
lerhatjaden„grünenKnopf“entwi-
ckelt.WiefindenSieden?
MICHALSKY:Ja,daw irdschon
lange dran gearbeitet.Dasist so ein
neuesSiegel,damusstdubestimmte
Sachenerfüllen,unddannkommtes
andeineKlamotten.Dasistvollkom-
menüberflüssig,weiljeder ,derlesen
kann, merkt, dass es schon be-
stimmteProduktionssiegel gibt, die
bezeugen, was nachhaltig produ-
ziertwurde.
ZVIERIEVA:Dasstimmtnicht.Es
gibt vielleicht ein paarzertifizierte
Marken,aberoftistdasauchGreen-
washingvonden Firmen, die sich
ökologischerdarstellen,alssiesind.
MICHALSKY: Es gibt aber schon
einpaarseriöseunterdiesenSiegeln.
Werwill, kann sich darüber infor-
mieren. DazuhabennurvieleLeute
keineLust.

Viele Käufer sind misstrauisch.Die
sagen, dass ja auch die teurenMar-
ken imAusland produziertwerden
und man daher ruhig billig kaufen
kann.
ZVIERIEVA: Teuer bedeutet ja
auchnichtunbedingtnachhaltig.
PAPP:EinfürallegültigesGesetz
könntefürdieVerbrauchertrotzdem
sinnvoll sein.ZumBeispiel in der
Hinsicht, dassWaren, die schlecht
produziertsind,hierinDeutschland
gar nichtverkauft werden dürften.
Daswürde denKonsumenten mehr
nutzen,dennsiesindjaeinzelnund
habennichtsovielMacht.

MICHALSKY:Doch,doch!Money
makestheworldgoround.Siehaben
sich entschieden, kein Geld oder
wenn, dann nurwenig Geld an je-
mandenzugeben,dereinenKleider-
laden hat.Wenn es voneuch viel
mehrgebenwürde,dannwürdendie
Kettendasschmerzlichmerkenund
sichdaraufeinstellen.
ZVIERIEVA:MeineFrageisttrotz-
dem, werhat Verantwortung dafür,
diese Wertezut ransportieren?Bei-
spielsweise ist es für berühmtePer-
sonen viel einfacher als fürKarina
mit16000Followern.
MICHALSKY:DannerwartenSie,
dass ich mich hinstelle und sage:
Hörtmal zu Leute,abh eute arbeite
ich nicht mehr,ich verkaufe nichts
mehr,ich möchte kein Designer
mehrsein?Dannmussichnatürlich
auch meine 35 Mitarbeiterentlas-
sen.
NIKA ZVIERIEVA:Nein, aber Sie
könnten erklären, ich produziere
jetzt nur noch Haute Couture. Ich
mache ab jetzt keine Schuhe mehr,
nicht,weildieSchuheschlechtsind,
sondern,weilichnichtmöchte,dass
noch mehr produziertwird, als wir
schon haben. Niemand braucht 20
PaarneueSchuhe,sondernvielleicht
zweioderdreiproJahr.
MICHALSKY:DasglaubenSiefür
sich. Aber es gibt andereLeute,die
möchtendieFreiheithaben,sich
PaarneueSchuhezukaufen.

Wer20Paar Schuhe kauft, fährtda-
für aber vielleichtkein Auto.Man
müsste dann ja alle Lebensbereiche
durchreglementieren,oder?
ZVIERIEVA:Ja,klar.AberModeist
wirklich schädlichfür die Umwelt,
die Branche steht an Platz 2inder
Welt.
PAPP: Es gibt den Slogan eines
Bio-Supermarktes,der lautet„Kauft
weniger“. Könntesich die Mode-
branchedasnichtauchzueigenma-
chen?
MICHALSKY:IchhabemeinGe-
schäft ja umgestellt.Ichverkaufe
nicht mehr so große Stückzahlen
wie vorher.Ich verkaufe aber im-
mer noch Mode,und das ist für
mich eine Totalaussage;mit Schu-
hen,mitHandtaschen,mitBrillen,
mit Schmuck. Es war mir eben
wichtigerzu wissen,wo es her-
kommt und weresnäht. Ichper-
sönlichhabe nicht mal ein Auto.
Ichkonsumiereund das auch
gerne,aber ich habe mich ent-
schieden,dasnurzutun,wennich
mich voneinem anderen Teil
trenne,sodass ich nicht automa-
tischmehrhabe.Ina nderen Berei-
chenversucheichdasauchzuma-
chen. Trotzdem wärefür michIhr
Leben keine Alternative. Ichfinde
super,dass Siedas machen.Viel-
leicht werden Sieauch mehr.Aber
problematisch wirdesimmer
dann, wenn eineGruppe anderen
Menschen etwas verbieten und
Freiheitenwegnehmenwill.Damit
habeicheinganzgroßesProblem.

Wasmuss sich ändern in derBran-
che?
PAPP: DieModeindustrie muss
gesetzlich kontrolliertwerden. Die
Verantwortung für dieProduktion
darfnichtnuraufderSeitedes Kon-
sumenten liegen, indem er etwas
nichtkauft.DieVerantwortungmuss
auch auf derSeite der Produzenten
liegen.
ZVIERIEVA: Ichfinde,dass
auchdieLädeneineArtSozialpro-
gramm durchführen könnten, in-
dem sie dieSachen zumBeispiel
auch verleihen, nicht nurverkau-
fen.BeiderKindermodezumBei-
spiel. Kinder wachsen ja schnell,
die nutzen einPaar Schuhe viel-
leicht nur einmal oder gar nicht.
Daskönnten sich größereKetten
durchausleisten.
MICHALSKY:DieBranche wird
sich vonalleine regulieren.Denn
letztendlich ist derKonsument der
König.UndwennderkeineLusthat,
ein T-Shirtfür 2,99 Euro zu kaufen
oder eineJeans für 7,99Euro,dann
wirdesd iebaldauchnichtmehrge-
ben. Aber solange das Menschen
wollen,wirdesd asgeben.Daskann
man nur überBildung undErzie-
hungverändern.

DasGesprächführtenChristine
DankbarundMarcusWeingärtner.

„Die Modeindustrie


muss gesetzlich


kontrolliertwerden.“


„Es gibt Leute,die


möchtendie Freiheit haben,


sich 20 Paar neue


Schuhe zu kaufen.“

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