Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

Zeitenwende


24 Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 ·························································································································································································································································································


P


eterKahanehattenieda-
mitgerechnet,mitseinem
Film „Die Architekten“
einmaleinZeitzeuge der
untergehendenDDRzuwerden.Ei-
gentlich hatte er an eineMacht-
probe mit der Studioleitung ge-
dacht. Nach etlichen gescheiterten
Versuchen, einen seinerStoffe bei
der Defa verwirklichen zu können,
setzte er schließlich alles auf eine
Karte.WäreihmauchdiesesProjekt
versagt worden, hätte er wahr-
scheinlichwiesovieleseinerKolle-
gen undFreunde das Landverlas-
sen.Unddannverließihnstattdes-
sen das Land.Gedreht zurZeit des
Mauerfallswurde„DieArchitekten“
zum letztenKinofilm der DDR.Im
MaiistPeterKahanesiebziggewor-
den. DieWelt hat sich geändert,
abernochimmermusserumseine
Projektekämpfen.ZumGesprächin
einem Kieztreff in PrenzlauerBerg
kommtermitdemSchlüsselinder
Hand. Seit vierzigJahren wohnt er
imHausgegenüber.


HerrKahane,lassenSieunsüber„Die
Architekten“reden.DieDreharbeiten
zum Film begannen imSeptember
1989 und endeten imJanuar 1990.
WährendinIhrerGeschichtedieVer-
sucheeinesAufbruchsinResignation
enden, gerieten dieDinge auf der
Straßein Bewegung.WarenSienicht
versucht, ihr Drehbuch täglich um-
zuschreiben?
Wirhaben tatsächlich angefan-
gen,neueSzenenzuschreiben.Das
meiste davon ist aber später wieder
rausgeflogen.In seiner Grundstruk-
tur ist derFilm so geblieben, wie er
geplant war.Gemeinsam mit mei-
nem Freund Thomas Knauf hatten
wir ja einDrehbuch entwickelt, das
ohneRücksichtaufZensurallewich-
tigenThemenundalleKonfliktedie-
ser Zeit behandeln sollte.Das ent-
stehtnichtvonheuteaufmorgen,es
lässt sich auch nichtvonheute auf
morgenändern.Daswarauchnicht
nötig. Mein Kameramann Andreas
Köfer,aucheinwichtigerPartnerbei
demProjekt,hatalteProtokolleauf-
gehoben, in denen dieDreharbeit
dokumentiertwurde .Die Figuren
unddie Konflikte,allesistgeblieben
wie geplant.Wassich geänderthat,
istdie Tonalität.DerFilmsollteein-
greifen in denProz ess,der ja schon
Mitte der 80er-Jahrebegann. Er
sollteeineaktiveFigurzeigen,einen
Architekten, der sich einmischt, der
für seinProjekt kämpft und auf die
Schnauzefällt,tief resigniertist,sich
aber letztlich doch nicht unterkrie-
gen lässt.Im Grunde ist es auch so
geblieben, nur dass der Schluss das
ScheiternbetontundsichdieTonali-
tätins Tragischeverschobenhat.


Welche Möglichkeiten habenSieals
Regisseur,dieTonalitätzuändern?
VoralleminderMontageundmit
demMusikeinsatz.


Im Schlussbild kotzt dieHauptfigur
DanielBrennernachderGrundstein-
legung für dasBauprojekt, das man
ihmzerstörthat,nebendieEhrentri-
büne.StanddieSzenevonAnfangan
imBuch?
Wahrscheinlich nicht, aber das
weiß ich gar nicht mehr genau.
Nachgedreht, dasweiß ich sicher,
wurdedieSzeneimLokal,indereine
Kollegin unseresProtagonisten da-
vonredet, dass man jetzt im Schutz
der Kirche mehr machen kann.Ge-
dreht haben wir auch bei derDe-
monstration am 4.November auf
demAlexanderplatz.Damalsdachte
ichnoch,dassderFilmvielleichtmit
solch einemBild enden könnte.Da
waren wir noch ganz optimistisch,
dass das eineGeschichte wird, die
den Willen zurVeränderung unter-
streicht. DiePassagehabenwirdann
nicht genommen, derFilm wurde
schließlicheinAbgesang.


Wiehaben sich denn dieEreignisse
draußen auf dieArbeit ausgewirkt?
DieLeute hatten ja auf einmal viele
andereDingeim Kopf.
Wirwollten eigentlich schon im
April89b eginnen, aber dieStudio-
leitung hat unter fadenscheinigen
Vorwänden denDrehbeginn immer
wiederherausgezögert.ImSommer,
alsdie FluchtwelleüberUngarnein-
setzte und wir immer noch nicht
drehten, hatte ich das ersteMaldas


Gefühl, dass unserFilm den Ereig-
nissen hinterherhinken könnte.Wie
schnell dasEnde der DDR kam, hat
natürlich keiner geahnt. Es ist viel
passiertind erDrehzeit.

EinSzenedes FilmspieltamTränen-
palast, dieFrau und dieTochter des
ArchitektengehenindenWesten...
DaswarderbedrückendsteDreh-
tagmeinesLebens.Erl agjanochvor
dem Mauerfall. Wirhatten vom
Grenzregiment mit Mühe eineGe-
nehmigung bekommen, durften
aber nicht dokumentarisch drehen.
Deshalb habe ich zwischen all den
echten Ausreisenden unsereKom-
parsendirigiert.

Es gibt so ein paar historischeTage
aus dem 89erHerbst, an denen die
Zeit Sprünge zu machenschien.Wie
hatsichdasaufdenFilmausgewirkt?
Ichkann die großen Ereignisse
immer mit Drehorten verbinden.
Am Tag, als Honecker zurückgetre-
tenist,habenwirobenimHausdes
Kindes an der Karl-Marx-Allee ge-
dreht.Wirhaben das diskutiert, je-
der anders,aber es gab letztlich
nochkeinengrundsätzlichenZwei-
felanunseremFilmprojekt.Ähnlich
gingesmiram7.Oktober,andemes
zudenbekanntenAusschreitungen
derPolizeikam,undam4.Novem-
ber.Wirklich viel geänderthat der
Mauerfall. Da wusste ich, dass der
Sinn des Films nicht mehr der sein
würde,denwirimKopfhatten.Un-
ser Gegenwartsfilm spielte vonei-
nemTagaufdenandereninderVer-
gangenheit.

GabeseinenMoment,andemSieab-
brechenwollten?
Dengabes.Aberichkonntenicht
einfach aufhören. Da steckt zu viel
Filmdisziplinin mir.Und langsam
wurde mir auch klar,dass man den
Film historisch begreifen könnte,
dassereinDokumentseinwird.Weil
er ganz authentischdie Geschichte
dieser vielen DDR-Bürger erzählt,
die sich einbringen wollten und
nicht durften. EinFilm, der vonde-
nen erzählt, die um ihreHoffnung
betrogenwurden.

Im Mai1990 kam der Film dann
schließlichinsKino.
Undkeinerwollteihnsehen.Das
ist ja auch klar.Auf einmal mussten
sichalleumalleskümmern.Um die
Dinge des Lebens.Eines neuen Le-
bens.Wer guckt da noch solche
Filme.ImMai1990wardiePremiere
beimletztenNationalenFilmfestival
der DDR inBerlin. Einhalbes Jahr
vorher hätte man damit vielleicht
noch etwas anfangen können.Aber
nun? Dasvergangene halbe Jahr
hattedieWeltverändert.

IhrFilmistaucheinGleichnisaufdas
Filmemachen zu dieser Zeit. Die
Kreativen mit ihren großen Ideen
werdenkleingemacht.
In dem Film steckte ja auch
meineBerufserfahrung,übersetztin
die Arbeit eines Architekten. Die
Ideen der Filmemacher und der Ar-
chitekten werden beide starkvon
den jeweiligenGeldgebernkontrol-
liert. Es ist aber auch einGleichnis
auf den Wegeiner großartigenIdee
zur Illusion, undvonder Illusion
zumScheitern.EinGleichnisaufden
Sozialismus.

Nach ZählungvonWikipedia hatte
„Die Architekten“ in der DDR 5354
Zuschauer.
Gefühltkenneichallepersönlich.

Gerade jetzt läuft derFilm wieder in
vielen Sondervorführungen nicht
nurin Berlin,auchFilmklubsinklei-
neren Städten zeigen ihn.Zudem ist
er permanent aufAmazon abrufbar.
Je mehr Zeit vergeht, desto stärker
wirdert atsächlich als historisches
Dokument desJahres 1989 wahrge-
nommen.
Dasfreut mich natürlich.Jeder
Film, egal, wann er spielt, erzählt
auch über seine Entstehungszeit.
WennichheuteeinenFilmüberdie
DDR machen könnte,würde ich
nochmalganzandersrangehen.

Wiesähedasaus?
Da muss ich erst einmal drüber
reden, was mir an denFilmen fehlt,
dieesüberdieDDRgibtunddieich

„VierzigJahrelang


galtenwirals


zuunreifund dann


plötzlichalszualt“


DerRegisseurPeterKahaneüberseineErfahrungenalsFilmemacher


vor,währendundnachdemMauerfall


PETER KAHANE

...wird am 30. Mai 1949 in Prag
geboren,woseineElternnach
derRückkehrausderEmigration
alsKorrespondentenarbeiten.

...beginnt 1973 alsAssistentim
Defa-StudiofürSpielfilme, 1979
beendet er sein Regiestudium an
der Hochschule fürFilm- und
Fernsehen inPotsdam-Babels-
berg.Sein Debüt gibt er 1983 mit
„Weiberwirtschaft“, dieKomödie
„Ete und Ali“ wird ein Publikums-
erfolg.Nach derWende dreht er
zahlreicheFernsehfilme.

...ist verheiratet undVater von
zwei Söhnen. Er lebt im Berliner
StadtteilPrenzlauerBerg.
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