Der Tagesspiegel - 09.11.2019

(Darren Dugan) #1

F


ür Ute Lindner war alles genau geplant. Als
sie ihr Studium 1982 an der Kunsthoch-
schule Weißensee begann, wusste sie, wie
ihr Leben aussehen würde. In ihrem Semes-
ter studierten fünf Frauen Modedesign. Es
wurde streng nach Bedarf ausgebildet, Hunderte be-
warben sich, ein Studienplatz kam einem Lottoge-
winn gleich. Der schmalen Frau mit dem streng ge-
scheitelten, dunklen Haar, die in ihrem selbst entwor-
fenen Mantel eine elegante Erscheinung ist, merkt
man die Dringlichkeit an, mit der sie von damals er-
zählen will. Die DDR hat ihr restliches Leben geprägt.
Nirgendwo außer in Weißensee konnte man in der
DDR Mode studieren,deshalbkanntensich alleDesig-
ner des Landes, jeder wusste, was der andere konnte.
Ute Lindner war für eine Führungsrolle bei „Exquisit“
vorgesehen, das hatte Arthur Winter bestimmt. Er
war nicht nur ihr Professor, sondern auch Leiter der
einzigen ModemarkederDDR, dieden Versuch unter-
nahm, in Qualität und gestalterischem Anspruch mit
dem Westen mitzuhalten.
Solange die Mauer stand, war sich Ute Lindner si-
cher: Sie war so gut ausgebildet und informiert, dass
sie locker mit jedem mithalten konnte. Sie sagt: „Wir
hätten ad hoc in Paris anfangen können.“ Was sie so-
gar tat. Sie war als Meisterschülerin nach Paris ge-
schickt worden, das Kulturministerium der DDR
hatte ihr den Austausch ermöglicht. Ute Lindner fuhr
hin und arbeitete unter anderem bei Daniel Hechter,
damit sie sich für ihre Aufgaben vorbereiten konnte.
Dort fühlte sie sich nicht fremd, sie war ja gut vor-
bereitet. Sie kannte jede Modezeitschrift, wusste,
was auf den Laufstegen in Paris und Mailand zu se-
hen war. Sie hatte exportierte Stoffe in der Hand ge-
habt und konnte in einer Skizze einem Kleidungs-
stück Eigenleben einhauchen. Was sie nicht gelernt
hatte, war, ihre eigene Designerpersönlichkeit nach
außen zu tragen und damit ein Argument dafür zu
liefern, warum ausgerechnet ihre Sachen einzigartig
sein sollten. Sie ahnte nicht, dass sie das schon bald
brauchen würde.
In der Planwirtschaft der DDR war zu viel Eigen-
sinn nicht vorgesehen. Weder am Modeinstitut noch
bei„Exquisit“ trateneinzelne Designer hervor,es ging

nichtum die individuelle Handschrift.Auch Ute Lind-
ner wusste, sie würde im Kollektiv arbeiten und ein
Produktentwerfen, beidem Qualität und Schnittstim-
menmussten,sodasses möglichstlangegetragenwer-
den konnte. Denn wer hätte sich schon einmal im Jahr
einen Mantel für 500 Ostmark leisten können? Für
viele DDR-Bürger war das unerreichbar.
AlsUteLindnerimApril1988ausPariszurückkam,
merkte sie sofort, dass sich etwas verändert hatte. Sie
unterschrieb zwar einen Vorvertrag, aber bei „Exqui-
sit“warStillstand.„Ichhabegespürt,dasseshiernicht
mehr weitergeht“, sagt sie. Auch die Atmosphäre an
der Kunsthochschule war angespannt. Kommilitonen
stürmten das Sekretariat und verlangten, Einblick in
dieGehälterihrerProfessoren zubekommen.
Auch als nach dem 9. November 1989 nichts mehr
sicher war, wusste Ute Lindner, dass sie als Modede-
signerin arbeiten wollte. Das alte System gab es nicht
mehr, das neue wollte sie, die Designerin aus dem
Osten, nicht, zu sehr hatte sie vom alten profitiert. Sie
war 31 Jahre alt.Aber hattesie nichtendlich alleMög-
lichkeiten, konnte sie nicht einfach anfangen, wie die
Modedesigner im Westen?
„Also sprang ich ins kalte Wasser“, sagt sie. Sie
wollteihreeigeneMarkeaufbauen,ganzgroßmiteige-
nemVertrieb.SchnellhattensichAußenständebeiden
von ihr belieferten Boutiquen angesammelt, die ihre
Schuldennichtbezahlten.1996verkaufteUteLindner
nurnochinihremLadeninBerlin-Mitte,späterinPots-
dam, bis auch das zu teuer wurde. Seitdem kommen
ihre Stammkundinnen inihr Atelierin Panketal.
Es war nicht leicht, aber jetzt ist sie an den Beginn
ihrer Karriere zurückgegangen, um den Bogen zu
schließen. Anfang dieses Jahres organisierte sie die
Ausstellung „Zwischen Schein und Sein“ mit Mode-
grafiken von ihren ehemaligen DDR-Kolleginnen.
Ute Lindner schaffte es, einen unglaublichen Fun-
dus an kreativen Arbeiten ans Licht zu bringen, der
für Jahrzehnte auf Dachböden und Kellern verbor-
gen war. Jetzt bereitet sie die Veröffentlichung eines
Bildbandes mit einer Crowdfunding-Kampagne
(www.visionbakery.com/ModegrafikDDR) vor, da-
mit die Modedesignerinnen der DDR nicht noch
einmal in der Dunkelheit verschwinden.

G


rit Seymour lehnt sich in dem rosafarbenen Sessel
zurück, lächelt und schaut auf den wolkenverhan-
genen Berliner Himmel. Der Gedanke gefällt ihr:
Dass sie genau hier sitzt, wo einst die Mitglieder
des Politbüros über die Geschicke der Stadt be-
stimmten. „Schon dafür lohnt es sich, im Soho House Mit-
glied zu sein.“ Grit Seymour hat ihre Träume verwirklicht,
obwohl die Parteigenossen damals alles versuchten, sie daran
zu hindern.
Die Professorin für Modedesign an der Hochschule für Wirt-
schaft und Technik (HTW) kommt gern in das Gebäude an der
Torstraße, das heute einen privaten Club beherbergt, um über
ihreVergangenheitinderDDRzusprechen.DieistsovollerWen-
dungen und Zufälle, dass sie der Plot zu einem Spielfilm sein
könnte. Genau deshalb berät Seymour jetzt die Produzentin
Tanja Ziegler und Regisseurin Aelrun Goette für den Kinofilm
über eine junge Frau, die als Model für die Zeitschrift „Sibylle“
entdeckt wurde. Es geht um die Mode in der DDR, und die war
fürGritSeymourals junges MädchendasZiel ihrerTräume.
Für eine Modenschau der Kunsthochschule Weißensee fuhr
sie extra von ihrer Heimatstadt Halle nach Berlin, da war sie
schon für ein Medizinstudium eingeschrieben. „Ich dachte, ein
Modestudium gibtesgar nicht.“Am Rande derSchau wurdesie
nicht nur von einer späteren Kommilitonin als Model entdeckt,
dort entschloss sie sich auch, dass sie Mode studieren wollte.


Erst einmal musste sie eine Schneiderlehre beim Modebe-
trieb „Exquisit“ hinter sich bringen. „Ich habe Kleider für Mar-
got Honecker aus französischer Seide genäht“, erzählt sie.
Doch kaum hatte ihr Studium begonnen, war es auch schon
wieder vorbei. Von einer Rückreise aus der Tschechoslowakei
wurde sie aus dem Zug geholt. Eine Schallplatte von Nina Ha-
gen, ein Buch von Max Frisch, eines von Erich Fromm und das
Magazin „Spiegel“ fand die Staatssicherheit in ihrer Tasche –
Grit Seymour stand da schon länger unter Beobachtung. In der
Schule war sie Teil der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“
gewesen, sie hatte sich heimlich mit aus der DDR ausgewiese-
nen Klassenkameraden getroffen.
Auf Bewährung wurde sie in die Produktion geschickt. Statt
Kleider zu entwerfen, stand sie im Kombinat VEB Jugendmode
Mühlhausen am Band und wurde immer wieder gedrängt, in
die Partei einzutreten, um ihren Fehler wettzumachen. Als sie
sich weigerte, wurde Grit Seymour exmatrikuliert. Der 20-Jäh-
rigen war klar, in der DDR würde sie keine Zukunft als Designe-
rin haben. Sie stellte einen Ausreiseantrag.
Bis zu dem Tag im Herbst 1988, als ihr mitgeteilt wurde, dass
sie in wenigen Stunden ausreisen müsse, verdiente sie ihr Geld
weiter als Model. „Warum es keinem auffiel, dass eine uner-
wünschte Person als Covergirl des Magazins ,Sibylle‘ lächelt,ist
mir bis heute schleierhaft“, sagt sie. Nach drei Tagen im
West-BerlinerNotaufnahmelagerfuhr sieandie damalige Hoch-

schule der Künste und traf auf ihren nächsten Professor, den
West-Berliner Designer Uli Richter. Der sah sich ihre Arbeiten
an und immatrikulierte sie mit den Worten: „Nehm’ wa.“
Grit Seymour hatte drei verlorene Jahre nachzuholen, da be-
gannen ihre Kommilitonen zu streiken. Kurzerhand bewarb sie
sich für einen Austausch ans Central Saint Martins College
nach London. Auf der Schule traf sie auf Stella McCartney, Phi-
lip Treacy, Alexander McQueen, die alle eine Weltkarriere vor
sich hatten. „Nach drei Monaten bin ich einfach geblieben und
habe mein Studium beendet“, sagt sie.
Während dieser Zeit modelte sie für internationale Marken.
Am 9. November 1989 wurde sie gerade in Mailand für Giorgio
Armani fotografiert. Als sie von der Grenzöffnung erfuhr, fuhr
siezumFlughafenundbuchteeinenFlugnachSchönefeld.„Erst
alsicheinHotelmitDevisen gebucht hatte,habensiemich rein-
gelassen.“ Endlich konnte sie ihre Freunde wiedersehen.
In den Jahren danach hat Grit Seymour so viel gearbeitet, wie
sie nur konnte – bei Max Mara in Italien, Donna Karan in New
York. Es folgten Jobs bei Boss und Wolford, sie wurde Professo-
rin an der Universität der Künste, vor zwei Jahren wechselte sie
an die HTW. 1998 wurde ein Traum wahr, als sie Chefdesigne-
rin des französischen Labels Daniel Hechter wurde.
Eine Freundin hatte ihr noch zu DDR-Zeiten gesagt: „Du
wirst einmal die erste Ostdeutsche sein, die eine Modenschau
in Paris zeigt.“ Sie hatte recht behalten.

Einschnitt


Befreiungsschlag


Ute Lindnerweiß, wie gut die
Arbeit ihrer Kolleginnen in der
DDR war. Deshalb organisierte
sie eine Ausstellung mit deren
Modegrafiken. Jetzt bringt sie
dazu ein Buch heraus.

Grit Seymourstudierte Mode
im Osten und im Westen. Heute
bringt sie als Professorin ihren
Studierenden die DDR mit
einem Projekt über Mode,
Politik und Rebellion näher.

Grit Seymour begann ihre Karriere als Model in der DDR.
Heute ist sie eine international erfolgreiche Designerin.

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Ein Mantel von Ute Lindner, in den 80er
Jahren fotografiert für das Magazin „Sibylle“.

In der DDR war Mode Luxus. Nur wenige durften


sie gestalten. Ute Lindner und Grit Seymour über


ihre Aufbrüche und Umbrüche.Von Grit Thönnissen


Fotos: Roger Melis, imago/PEMAX Model, privat, HTW

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