Die Welt Kompakt - 12.11.2019

(Joyce) #1

14 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,12.NOVEMBER


J


uristen melden große
Zweifel an, ob Bundes-
finanzminister Olaf
Scholz (SPD) mit sei-
nem neuen Steuerplan durch-
kommen wird. Scholz will rei-
nen Männervereinen die Steu-
ervorteile streichen, wie er am
Wochenende ankündigte. „Ich
habe erhebliche Zweifel, ob die
Pläne von Bundesfinanzminis-
ter Scholz mit dem grundge-
setzlichen Gleichbehandlungs-
gebot vereinbar sind, solange
sie sich nur auf Männer bezie-
hen“, sagte der Bonner Rechts-
anwalt und Steuerberater Tho-
mas von Holt, der auf das Ge-
meinnützigkeitsrecht speziali-
siert ist.


VON MICHAEL GASSMANN

Der Staatsrechter Joachim
Wieland von der Universität
Speyer teilt diese Einschätzung.
Scholz befinde sich mit seiner
Forderung zwar auf „relativ si-
cherem Terrain“, sie entspre-
che dem grundgesetzlichen
Gleichstellungsgebot. Aber nur
unter einer Bedingung: „Dassel-
be muss natürlich auch für rei-
ne Frauenvereine gelten“, sagte
Wieland gegenüber WELT. Da-
von ist in der geplanten Geset-
zesänderung allerdings nicht
die Rede. „Vereine, die grund-
sätzlich keine Frauen aufneh-
men, sind aus meiner Sicht
nicht gemeinnützig“, sagte der
Finanzminister in einem Inter-
view mit „Bild am Sonntag“:
„Wer Frauen ausschließt, sollte
keine Steuervorteile haben und
Spendenquittungen ausstel-
len“, so Scholz, der sich derzeit
zusammen mit der brandenbur-
gischen Landespolitikerin Klara
Geywitzum den SPD-Vorsitz
bewirbt. Beide betonen die
Frauenrechte in ihrem parteiin-
ternen Wahlkampf. Geywitz be-
zeichnete sich in dem Interview
als Feministin, Scholz hatte das
bereits bei früherer Gelegen-
heit ebenfalls getan.


Bei der CSU, Regierungspar-
tei wie die SPD, stößt Scholz’
Vorhaben auf Ablehnung. Die
drohende Aberkennung der
Steuervorteile sei „absolut
überzogen“, sagte Bayerns Fi-
nanzminister Albert Füracker
in München. Es könne für Ver-
eine gute sachliche Gründe ge-
ben, nur Frauen oder nur Män-
ner aufzunehmen. „Sollen zum
Beispiel Frauenselbsthilfegrup-
pen gezwungen werden, Män-
ner aufzunehmen?“, fragte Für-
acker. Die Frage, wann ein Ver-
ein als „gemeinnützig“ gilt und
damit umfangreiche Steuerpri-
vilegien geltend machen kann,
beschäftigt die Gerichte immer
wieder. So entschied der Bun-
desfinanzhof (BFH) im Früh-
jahr 2017, dass einer Freimau-
rerloge die Gemeinnützigkeit
aberkannt werden müsse, die
Frauen die Teilnahme an ihren
Tempelritualen untersagte.
Ebenso urteilte das Gericht ein
Jahr später im Fall eines islami-
schen Vereins, der die Todes-
strafe befürwortete und von
Verfassungsschützern als extre-
mistisch eingestuft worden
war. Seit April 2019 muss die
globalisierungskritische Orga-
nisation Attac nach einem wei-
teren BFH-Urteil auf Steuer-
vorteile verzichten, hier mit der
Begründung, dass sie sich mit
ihren Aktionen zu sehr in die
Tagespolitik einmische.
Ob Gemeinnützigkeit bean-
sprucht werden kann, entschei-
den in einem ersten Schritt die
Finanzämter anhand der Ver-
einssatzung, ohne gesondertes
Verfahren im Rahmen der nor-
malen Veranlagung. Nach au-
ßen wird die Anerkennung den-
noch oft als eine Art staatliches

Gütesiegel verkauft. Anerkann-
te Vereine zahlen weder Grund-
noch Gewerbesteuern, sie sind
von der Einkommensteuer auf
Einnahmen wie Mitgliedsbei-
träge, Spenden oder Zuschüsse
befreit und können Spenden-
quittungen ausstellen. Als in-
haltliche Leitlinie für eine An-
erkennung dient die Abgaben-
ordnung. Sie zählt 25 mögliche
Vereinszwecke auf, darunter
die Förderung von Wissen-
schaft und Forschung, Tier-
schutz, Sport, Heimatpflege,
Verbraucherberatung oder
mildtätige Ziele. Zudem darf
der Kreis der Personen, denen
die Förderung zugute kommt,
nicht zu klein sein.
Rechtsanwalt von Holt warnt
jedoch davor, jedem Verein
prinzipiell die Öffnung für alle

jedoch davor, jedem Verein
prinzipiell die Öffnung für alle

jedoch davor, jedem Verein

Interessenten als Vorausset-
zung für eine Anerkennung vor-
zuschreiben. „Für viele Vereine
ist das Postulat eines allgemei-
nen Zugangs zu deren Förder-
angebot problematisch“, sagte
er. Sehbehindertenvereinen et-
wa drohe dann der Verlust der
Steuervorteile, obwohl natur-
gemäß kein Nicht-Betroffener
an deren Förderung interessiert
sei. Füracker verwies unter an-
derem auf Männergesangsver-
eine oder Frauenchöre. „Von
deren Engagement profitieren
alle, egal ob Männer oder Frau-
en. Ich halte es für absolut
überzogen, solchen Vereinen
die steuerlichen Vorteile der
Gemeinnützigkeit zu nehmen“,
so der CSU-Politiker.
Nach Einschätzung von
Staatsrechtler Wieland besteht
für die Sängerinnen und Sänger,
deren Zahl in Deutschland in die
Hunderttausenden geht, trotz

des Scholz-Plans kaum Anlass
zur Sorge. „Bei Chören gilt na-
türlich ebenfalls das Gleichstel-
lungsgebot. Aber es kann seine
Grenzen finden, wenn man ein
anderes Grundrecht dagegen
halten kann – in diesem Fall die
Kunstfreiheit“, erläuterte der
Professor. Generell sei das Bun-
desverfassungsgericht aller-
dings zurückhaltend, wenn es
um Ausnahmen gehe. Reine
Männervereine, die sich bei-
spielsweise auf das Brauchtum
als Argument stützten, hätten
kaum Chancen, ihr Steuerprivi-
leg zu behalten. Diese Vereine
müssten sich vorhalten lassen,
eine Vergangenheit zu pflegen,
die das Grundgesetz ja gerade
überwinden wolle. In ganz«
Deutschland gibt es Hunderte
Vereine wie etwa Schützengil-
den oder Sportteams, die aus-
schließlich Männer zulassen.
Welche Vereine gemeinnüt-
zige Zwecke im Sinne der Abga-
benordnung verfolgen, ist letzt-
lich oft Ermessensfrage. Ob
Bundesligaclubs, DFB oder
ADAC eher dem Kommerz oder
der Allgemeinheit dienen, darü-
ber lässt sich diskutieren. Man-
cher Verein dürfte auch Schwie-
rigkeiten bekommen, seinen
Vereinszweck sauber einem der
25 Ziele der Abgabenordnung
zuzuordnen, darunter – so
manche Kenner der Szene –bei-
spielsweise der Bund der Steu-
erzahler. Die Anwendungspra-
xis handhabt solche Fragen bis-
her recht großzügig. Würde je-
doch eine allgemeine Zugangs-
möglichkeit gesetzlich als Vo-
raussetzung für die Gemein-
nützigkeit vorgeschrieben,
könnten die Folgen schwer wie-
gen. Es könnte zu massiven Ab-
grenzungsproblemen kommen,
fürchtet Rechtsanwalt von
Holt: „Dies hätte unabsehbare
Auswirkungen auf unsere zivil-
gesellschaftlichen Strukturen. “
Sein Fazit: „Das Thema ist zu
komplex, um es im Schnell-
schussverfahren anzugehen.“

Bayerische Gebirgsschützen in Bad Tölz. In Deutschland gibt es Hunderte Vereine nur für Männer

PICTURE ALLIANCE/ DPA

/ MATTHIAS SCHRADER

„Dasselbe muss


für Frauen gelten“


Vereine nur


für Männer


sollen ihre


Steuerprivilegien


einbüßen,


fordert der


Finanzminister.


Dabei habe


Olaf Scholz


vieles nicht


bedacht,


kritisieren


Experten

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