Die Welt Kompakt - 12.11.2019

(Joyce) #1

18 PORTRÄT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,12.NOVEMBER


V


or und nach der Euro-
pawahl waren die tradi-
tionell sehr herzlichen
Beziehungen zwischen
der CSU und der ungarischen Re-
gierungspartei Fidesz sehr fros-
tig, es gab extreme Spannungen
zwischen Orbán und dem EVP-
Spitzenkandidaten Manfred We-
ber (CSU). Orbán trug wesent-
lich dazu bei, dass Webers Kandi-
datur letztlich scheiterte, die
EVP suspendierte Fidesz aus ih-
rer Parteienfamilie. Nun jedoch
sieht es plötzlich nach einem
Neuanfang aus. Orbán verlieh
dem Ehrenvorsitzenden der
CSU, Edmund Stoiber (78), einen
hohen Orden. Der wiederum
überbrachte einen „herzlichen
Gruß“ von Markus Söder und
sagt im Interview, es werde bald
Gespräche zwischen beiden Mi-
nisterpräsidenten geben.


VON BORIS KÁLNOKY
AUS BUDAPEST

WELT:Herr Stoiber, Sie haben
gerade das Große Verdienst-
kreuz der Republik Ungarn ver-
liehen bekommen, für Ihre Ver-
dienste um die ungarisch-baye-
rische Freundschaft. War das
erklärungsbedürftig in Ihrer
Partei? Deren Beziehungen zu
Orbáns Fidesz-Partei waren
zuletzt recht angespannt.
EDMUND STOIBER:
Nein, über-
haupt nicht. Hier ging es ja nicht
um die Beziehungen zwischen
zwei Parteien, sondern um eine
Ehrung durch den Staat Ungarn,
durch Staatspräsident Áder. Im


Ehrung durch den Staat Ungarn,
durch Staatspräsident Áder. Im


Ehrung durch den Staat Ungarn,


Übrigen haben sich Markus Sö-
der und auch Manfred Weber da-
rüber gefreut. Bayern und Un-
garn verbindet eine lange Ge-
schichte enger Beziehungen,
nicht nur in der Wirtschaft, auch
kulturell. Ich habe immer den
Standpunkt vertreten: Ungarns
angestammter Platz ist in der
Mitte eines wiedervereinigten
Europas.


Die Stimmung zwischen CSU
und Fidesz ist also ungetrübt?

Nein, das kann sie auch gar nicht
sein, nach allem, was um die Eu-
ropawahl herum passiert ist. Wir
vertraten die klare Position, dass
der Kommissionsvorsitz nach
dem Spitzenkandidatenprinzip
vergeben werden muss, und un-
ser Spitzenkandidat war Man-
fred Weber. Aber der Sozialist
Frans Timmermans als Wahlver-
lierer hatte nicht die Größe wie
sein Vorgänger Martin Schulz,
den Wahlsieger Manfred Weber
als Spitzenkandidat zu unter-
stützen. Deshalb konnten Ma-
cron und auch Viktor Orbán ihn
verhindern, was natürlich zu
Spannungen und Verletzungen
führte. Aber man darf da nicht
stehen bleiben, das Leben geht
weiter.


Sie haben Orbán einen „herzli-
chen Gruß“ vom CSU-Chef und
bayerischen Ministerpräsiden-
ten Markus Söder überbracht.
Ein Neuanfang?

Ja, einen Gruß, und ich glaube,
dass das auch zu neuen Gesprä-
chen der beiden Ministerpräsi-


denten führen wird. Söder sieht
das historisch enge Verhältnis zu
Ungarn als ein wichtiges Gut an.
Was passiert ist, ist passiert, aber
das hindert uns nicht daran, nach
vorne zu schauen. Auch Manfred
Weberist bereit, als EVP-Frakti-
onschef mit allen, auch mit Vik-
tor Orbán, zusammenzuarbeiten.

Klingt so, als würden sich da
die Wogen glätten. Auch in der
EVP? Dort ist Fidesz’ Mitglied-
schaft immer noch suspendiert.
Wir haben da ein klares Verfah-
ren. Ein Ausschuss von „drei
Weisen“ untersucht, ob Fidesz’
Politik kompatibel ist mit den
christdemokratischen Werten
der EVP, und wird einen Bericht
vorlegen. In zwei Wochen haben
wir den EVP-Parteitag ...

... auf dem die Frage der Fidesz-
Mitgliedschaft aber gar nicht
auf der Tagesordnung steht.
Spiel auf Zeit?
Das geht ja auch nicht so schnell.
Die EVP muss den Bericht der
drei Weisen abwarten und dann
darüber beraten.

Es klingt so, als würden Sie
Orbán langsam wieder ins Boot
holen. Sie sprachen nach der
Ordensverleihung länger mit
ihm als geplant – drei Stunden.
Worüber?
Natürlich nicht nur über die
bayerisch-ungarischen Beziehun-
gen, wir haben lang über die Ent-
wicklung in Deutschland und Eu-
ropa gesprochen – insbesondere
über die ungewöhnlich drasti-
schen Äußerungen Macrons: Eu-
ropa müsse sich als Weltmacht
sehen oder es werde verschwin-
den. In dieser zugespitzten Form
hat das noch niemand gesagt.

Und sind Sie seiner Meinung?
Angela Merkel wohl nicht, sie
kritisierte die Äußerung als Ab-

Angela Merkel wohl nicht, sie
kritisierte die Äußerung als Ab-

Angela Merkel wohl nicht, sie

kehr von der Nato.
Über die Wortwahl kann man
streiten. Bundeskanzlerin Merkel
hat ja auch vor allem in dem Sinne
widersprochen, dass sie diese
WWWorte nicht gewählt hätte. Aber inorte nicht gewählt hätte. Aber in
der Sache gebe ich Macron recht.

Muss dann auch Deutschland
Weltmacht werden, auch mili-

tärisch – im Rahmen der EU?
Deutschland nicht, sondern Eu-
ropa. Natürlich darf sich Europa
nie allein über militärische Stär-
ke definieren. Unser Kontinent
ist eine wirtschaftliche Groß-
macht und eine Wertegemein-
schaft. Unbestreitbar ist aber,
dass sich Europa auch sicher-
heitspolitisch stärker aufstellen
muss.

Aber Deutschland als die
stärkste Macht in Europa
müsste eine solche Weltmach-
tambition maßgeblich voran-
treiben, oder nicht?
WWWenn Macron an der Bestands-enn Macron an der Bestands-
garantie der Nato zweifelt – dass
die USA etwa Estland verteidi-
gen würden gegen einen russi-
schen Angriff –, dann ist das ein
brutaler Weckruf. Früher sahen
wir uns einer ökonomisch rück-
ständigen Sowjetunion gegen-
über, heute sind wir auch mit ei-
nem sehr innovativen und ag-
gressiven China konfrontiert,
das uns in wichtigen Bereichen
technisch voraus ist. Das sind
Bereiche, in denen Europa ge-

meinsam auftreten muss, aber
vor allem auch in der Sicher-
heitspolitik– irgendwann mit ei-
ner gemeinsamen Armee.

Was sagte Orbán dazu? Wäre er
dabei ein Partner?
Ja, ich denke schon, natürlich im
Rahmen der Möglichkeiten sei-
nes Landes.

Muss man den Vorstoß von
VVVerteidigungsministerin An-erteidigungsministerin An-
negret Kramp-Karrenbauer,
in Nordsyrien eine von der EU
geschützte Sicherheitszone
zu schaffen, auch als Impuls
fffür mehr militärische Zusam-ür mehr militärische Zusam-
menarbeit in der EU verste-
hen?
Zumindest ist das eine Idee, die
in Richtung Macron geht und
über die man inhaltlich diskutie-
ren muss, statt sich nur über die
Form des Vorschlags zu entrüs-
ten wie der dauerempörte Au-
ßenminister Maas. Tatsache ist,
dassErdogan und Putin in Sy-
rien Fakten schaffen. Weil sie in
der Lage sind, dort militärisch
aufzutreten. Die EU ist bislang
darauf beschränkt, große Besorg-
nis zu äußern.

Weil sie keine Armee hat. Ver-
standen. Wenn wir schon bei
Frau Kramp-Karrenbauer sind

- wen sähen Sie lieber als Kanz-
lerkandidat, sie oder Friedrich
Merz?

Über die Frage der Kanzlerkan-
didatur werden CDU und CSU
gemeinsam entscheiden. Fakt
ist, dass Olaf Scholz klar für ei-
nen Fortbestand der Großen Ko-
alition steht. Diese wird also
fortgesetzt, wenn er denn als
Sieger aus dem Wahlverfahren
der SPD hervorgeht und neuer
Parteichef wird.


Fortbestehen? Auch nach den
nächsten Wahlen? Mit 40 Pro-
zent der Stimmen?
Sicher nicht. Und im Übrigen
wäre das auch keine „Große Ko-
alition“. Aber jetzt wäre die SPD
gut beraten, ihre innerparteili-
che Situation schnell zu klären
und sich klar zur Koalition zu be-
kennen.

Präsident Janos Ader
verleiht das Großkreuz
des Verdienstordens
Ungarns an
Edmund Stoiber

PICTURE ALLIANCE/ DPA

/ TIBOR ILLYES

„Ungarns Platz ist

in der Mitte eines

wiedervereinigten

Europas“

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber


besucht Ungarns Premier Viktor Orbán – und deutet eine


Annäherung zwischen den zerstrittenen Parteien CSU und Fidesz


an. Auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber sei wieder zu


einer Zusammenarbeit bereit

Free download pdf