Frankfurter Allgemeine Zeitung - 12.11.2019

(Michael S) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG tWir schaft DIENSTAG, 12.NOVEMBER 2019·NR.263·SEITE 15


Seite16Seite21 Seite


In Dutzenden Ländernstehen


Atomkraftwerke.Dochdie Frage


der Endlagerung istweiter offen.


Vor 2 5Jahren fuhr erstmals einZug


durch den Eurotunnel. Brexit hin


oder her–die Nachfrag esteigt.


Fürje de Semmel einen Bon:Vom



  1. Januar anwerden Bäckereien zur


Belegausgabepflichtverdammt.


KEIN ELÖSUNGSTARKESWACHSTUM MEHR MÜLL


D

ie Beschlüsse derParteispit-
zen vonUnion und SPD un-
terder Überschrift„Grund-
rente“stehen sinnbildlichfür denPo-
litikstil der einstmalsgroßenKoaliti-
on, für denPolitikstil der ÄraMerkel:
Nach zäher bis hitzigerAuseinander-
setzung entstehtein feinziseliertes
Werkstück, das nachallen Regeln der
Kompromisskunstgefertigt ist–mit
einer Oberfläche, die fast jededenk-
bareKritik mitverzierenden Schnör-
keln würdigt.Und die dadurch nicht
wenigeBetrachterschlicht ermüdet.
So wirddas Stückdann erfahrungsge-
mäßüber die parlamentarischen Hür-
den hinwegausgeliefert. Am Ende
können sichdie Koalitionärefeiern,
ein „Versprechen“ umgesetzt zu ha-
ben –wobei sichdie SPD mit demFei-
ernbekanntlichoft schwertut.
Das Problem dieser Ziselierungspo-
litik istleider,dasssie keinem erkenn-
baren Planfolgt undkeine überzeu-
gende Begründung liefert,warumdie
Regierungsarbeit eigentlichfortge-
setztwerden soll–außer dasssich
nochnicht alle Interessengruppen be-
dient fühlen.An der 2013vonUnion
und SPD begonnenenRentenpolitik
lässt sichall das gut besichtigen: Dass
das deutsche Alterssicherungssystem
vomkommenden Jahrzehnt an unter
starkwachsenden demographischen
Lastenächzen würde,warbekannt.
Dassdie beiden Säulender Zusatzvor-
sorge –Betriebs- und Riesterrente–
nicht diegefordert en Traglasten auf-
nehmen, ebenso.Unddassall dies
zur Frageführt, wie sichAlter ssiche-
rung für dieZeit nach 2025verläss-
lichund armutsfestgest altenlässt.
Die Koalition undgroße Teile der
sie stützendenParteien haben sich
darum aber nicht ernsthaftgeküm-
mertund sind anderenKalkülenge-
folgt.Sie haben zwarfortlaufend mit
Begriffen wie „BekämpfungvonAl-
tersarmut“ und„Verlässlichkeit“ han-
tiert .Aber dann ging es um höhere
Renten für Müttervor1992 gebore-
ner Kinder;und für diekoalitionäre
Balancekamdie Renteab63für lang-
jährig beschäftigteund meistgut ver-
dienendeFacharbeiter hinzu.Kosten:
rund 10 Milliarden EurojeJahr.
Mit einerPolitik,die gezielt Alters-
armut bekämpftund Verlässlichkeit
schafft,hattedas wenig zu tun.Und
auchdanachwandten sichUnion und
SPD nicht den angeblichals zentral
erkanntenZukunftsfragen zu. Imver-
gangenen Jahr folgteeine weitere
Rentenaufstockung für Mütter vor
1992 geborener Kinder–diesmalge-
koppelt mit einerZusag eandie heuti-
ge Rentnergeneration, dassihreRen-
tenjedenfalls bis 2025 jedes Jahr min-
dest ensgenausostarksteigenwie die
Löhne der Arbeitnehmer.Auchdas
isteine Regelung, die Bezieher höhe-
rerRenten bevorzugt.Kosten:weite-
re 6Milliarden EurojeJahr.Was

nach2025 daraus wird, istformal un-
geklärt–aber es würde vielFruster-
zeugen, dieZusagedann wegenstark
steigenderKosten einzukassieren.
All dasgehörtzur Bewertung des
aktuellenKompromisspakets, in dem
führendeKoalitionäreeinen „sozial-
politischen Meilenstein“ zu erkennen
glauben. DieWahrheit is t: Die Grund-
rentewirdweder dasVertrauen in
den Generationenvertragstärken,
nochtaugt sie alsKonzeptgegen Al-
tersarmut–unabhängig davon, ob mit
Bedürftigkeits-, Einkommens- oder
ohne jede Prüfung. Denn langjährig
versicherte Arbeitnehmer hatten im-
mer einstarkunterdurchschnittliches

Armutsrisiko–im Gegensatz zu Selb-
ständigen oder Menschen mitwech-
selndem Erwerbsverlauf, die es viel-
leicht nur auf 30 Jahresozialversiche-
rungspflichtigeAnstellung bringen.
Das Beste, wassichzur Grundren-
te festhalten lässt,ist daher:Mit 1,
Milliarden EurojeJahr wirkenihre
geschätztenKosten fast bescheiden
im Vergleichmit früherenPaketen.
Dochwirddas kaum das letzteWort
sein angesichts der neuen „Gerechtig-
keitslücken“, die diese Grundrente
aufreißt.Zumal der Zierratdes Pa-
kets –teils neue, teilshöhereFreibe-
träg efür Wohngeld, Betriebsrenten
und Mitarbeiterkapitalbeteiligungen
–auchnicht gratis zu haben ist.
EineRentenpolitik,die neuesVer-
trauen schaffenwill, müssteals Ers-
tesdefinieren,wasihreZiele sind:
Welche Rolle soll diegesetzlicheRen-
te in Zukunftspielen,welche diekapi-
talgedeckteVorsorge?Welche die
Grundsicherung –und soll dieses
steuerfinanzierte Auffangnetz viel-
leicht irgendwann zu einem Grund-
baustein der Altersversorgung für
alle Versichertenweiterentwickelt
werden, um das umlagefinanzierte
System zu entlasten? Oderwo sonst
soll dieReise hingehen? Darüber lie-
ße sichtatsächlichein wertvoller
Streit führen.Undwenn er entschie-
den ist,kann zielgerichtete Rentenpo-
litik beginnen.
Die einstgroße Koalition hättedie
Möglichkeit dazugehabt. Sie hat sie
nichtgenutzt, sonderndurch taktisch
gesteuertes Herumschrauben am Sys-
temdie Verunsicherungvergrößert.
Die Grundsatzfragen werden trotz-
dem einesTagesgeklärtwerden–spä-
testens, wenn dieKassen leer sind
und die heutigenVersprechen nicht
mehr zu halten sind. DerZeitpunkt
dafür wirdnun etwasvorverlegt.

S


eit Jahresanfang duldetdie
Bankenaufsicht, dassdie Nord-
deutsche Landesbankmit deut-
lichweniger Eigenkapital tätig istals
vorgeschrieben. Dieses Entgegenkom-
menwarfragwürdig und nur zurecht-
fertigen imVertrauen darauf, dassdie
Eigner der NordLBdie Kapitallücke
schließen würden. Diefanden sich
nachlangem Ringen auchdazu be-
reit, stolze 3,6 Milliarden Euroaufzu-
bringen. Da es sichumstaatliche Eig-
ner handelt–die Bundesländer Nie-
dersachsen und Sachsen-Anhalt so-
wie kommunale Sparkassen –, muss
die EU zustimmen. DieKommission
hat sichviel Zeit gelassen, zu prüfen,
ob es sichumeine Kapitalzufuhr
nachmarktwirtschaftlichen Kriterien
handelt.Das sichabzeichnendeVo-
tum zugunstender Nord LB istbedau-
erlich, denn Landespolitikerwerden
darauskaum dierichtigen Schlüsse
ziehen. Dabei hat AndréSchröder,
der FinanzministervonSachsen-An-
halt, schon im Juni sein Amtverlo-
ren, auchweil er der NordLBzuwe-
nig Beachtunggeschenkt hat.Esgeht
im Landesbankensektor um viel Geld
der Steuerzahler.Politiker überbli-
cken die Risiken selten. Besserwäre
es deshalb, die Länder zögen sich
ganz aus den Landesbanken zurück.

RentenpolitikohneKompass


VonDietric hCreutzburg


B


undessozialministerHubertus
Heil (SPD)sprichtvoneinem
„sozialpolitischen Meilenstein“,
der CSU-VorsitzendeMarkusSö-
der voneinem „Gerechtigkeits- und Leis-
tungspaket“: Die Spitzen der schwarz-ro-
tenKoalition haben sichauf einKonzept
zur Aufstockung vonGeringverdienerren-
tengeeinigt und es umetlicheweiter eBe-
schlüsse ergänzt.Sie betreffenetwaBe-
triebsrenten, den Beitrag zur Arbeitslo-
senversicherung und diegeplanteFinanz-
transaktionssteuer.

Wer profitiert von derGrundrente?
1,2 bis 1,5 Millionen Menschen sollen in
den Genussder neuen Leistungkommen.
Die Grundrentezielt auf die Leute, die 35
Jahr egearbeitet,Kinder erzogen oder An-
gehörigegepflegt haben–und damitRen-
tenansprüche zwischen 30 und 80 Pro-
zent eines Durchschnittsverdienerserwor-
ben haben.NachAngaben des Sozialmi-
nisteriums werden vier vonfünf An-
spruchsberechtigtenFrauen sein.

Was ist neu?
Üblicherweise entspricht diegesetzliche
Rentedem, waszuvor eingezahlt wurde,
also den Beiträgen des Arbeitnehmers,
einschließlichderer seines Arbeitgebers.
HinzukommenBeiträgeetwader Arbeits-
losenversicherung.Wehrdienstzeiten, Zi-
vildienstund Erziehungsleistungenwer-
den ebenfalls berücksichtigt.Wer ein Jahr
genauso so viel verdient hat wie der
Durchschnitt der Arbeitnehmer,erwirbt
damit einen AnspruchinHöhe eines Ent-
geltpunkts, derzeit sind das 33,05 Euroim
Westen und 31,89 EuroimOsten; wobei
man im Ostenentsprechendweniger Bei-
trägejeEntgeltpunkt zahlen muss.Wer
45 Jahredurchschnittlichverdient hat,
kommt derzeit auf einenRentenanspruch
von1486,35 EuroimMonat.

Wie berechnet sich die Grundrente?
Die Formel lautet:Die selbsterworbenen
Rentenansprüche der Berechtigtenwer-
denverdoppelt,allerdings maximal auf
80 Prozent des Durchschnittsverdienstes
oder eben 0,8 Beitragspunkte je Jahr.Das
Ergebnis wirddann pauschal um 12,5 Pro-
zentgemindert.NachAngaben desSozial-
ministeriumskommt damit eineFriseu-
rin, die 40 Jahregearbeitet undstets
Prozent des Durchschnittslohnsverdient
hat, auf eine monatliche Grundrentevon
933,66 Eurostatt 528,80 Euro.

Wie läuft die Rechnung konkret?
Wer40Jahrezu40Prozent des Durch-
schnittslohnsgearbeitet hat,kommt auf
16 Entgeltpunkte(40 mal 0,4). Das ent-
spricht heuteder genanntenRentevon
528,80 Euro. Durch die Grundrentewer-
den die erworbenen Entgeltpunktefür 35
Jahreverdoppelt.Das entspricht in dem
Fall dem Maximalwertvon 0,8.Für35 Jah-
re gibt es somit einenZuschlagvonje0,

Punkten,vondem aber 12,5 Prozent unbe-
rücksichtigt bleiben (35 mal 0,4 mal 0,
gleich12,25 Entgeltpunkte). 12,25 Ent-
geltpunkte zu 33,05 Euroentsprechen der-
zeit einerRentevon 404,86 Euro.Zusam-
men mit den ursprünglichen 528,80 Euro
kommt man so auf die 933,66 Euro.

Wiesieht die Einkommensprüfung aus?
Werdurch Einkommen aus anderen Quel-
len auskömmlichlebenkann, sollkeine
Grundrenteerhalten. Deswegen istein
Freibetragvorgesehen, der jährlichange-
passtwerden soll. Dievolle Grundrente
gibt es bis zu einem monatlichen Einkom-
menvon1250 Eurofür Ledigeund 1950
Eurofür Verheiratete.Der steuerfreie An-
teil der eigenengesetzlichenRente sowie
Kapitaleinkünfte sollen hierbei nicht be-
rücksichtigtwerden. Letzteres istwohl
durch pragmatische Erwägungen begrün-
det–mit derAbgeltungsteuer sind diese
demFinanzamt unbekannt.Ineiner noch
nichtgenau definiertenÜbergangszone
knapp oberhalb der Einkommensfreibe-
trägesoll der Anspruchauf Grundrente
schrittweise abgeschmolzenwerden, da-
mit Rentner mit 1249 Euronicht am Ende
durch die Grundrentebesser dastehen als
Rentner mit 1251 Euro.

Wieläuftdie Prüfung praktisch ab?
Niemand soll einen Antrag auf Grundren-
te stellen müssen.Vielmehr soll dieRen-
tenversicherung den Anspruchautoma-

tischermitteln–inengerZusammenar-
beit mit derFinanzverwaltung. Ob das so
einfachundautomatischgeht, wie dieKo-
alitionsspitzen hoffen, steht auf einem an-
deren Blatt.Zudem gibt es vieleRentner,
die bishergarkeine Einkommensteuerer-
klärung abgeben,gerade solche mitgerin-
genBezügen.Nunstellt sichdie Frage, ob
sie dieskünftig tun müssen, um an die
Grundrentezukommen.AufjedenFall
braucht dieFinanzverwaltung neueAus-
wertungsprogramme; ob dieserechtzeitig
fertig werden, istoffen. Müsstedie Ren-
tenversicherungSteuerbescheide einzeln
auswerten, rechnet siemit einemPerso-
nalbedarfvon mehrerentausend Prüfern.

Grundrente–dafür weniger Wohngeld?
Normalerweise richtetsichdas Wohngeld
nachdem Einkommen–Grundsatz:Wer
mehr selbstleistenkann, bekommtweni-
gerauf Kosten derSteuerzahler.Das soll
in diesem Fall ausgeschlossenwerden.
Für Grundrentnersoll es einen eigenen
Freibetrag beimWohngeldgeben.

Was folgt ausdem Kompromiss für den
Zuschuss zur Rentenversicherung?
Schon nachgeltender mittelfristigerFi-
nanzplanung sollteder Renten-Zuschuss
aus dem Bundeshaushaltvon98Milliar-
den Euroindiesem Jahr auf 113,7 Milliar-
den EuroimJahr 2023steigen.Nunkom-
men nachSchätzung derRegierung 1,
Milliarden Eurovon 2021 an jährlichhin-
zu; mitwohl auchsteigenderTendenz.

Wie finanziert das der Finanzminister?
1Milliarde Euroerhofft sichOlaf Scholz
(SPD)vonder geplantenFinanztransakti-
onsteuer,400 MillionenEurowill Sozial-
ministerHeil in seinem eigenen Etat lo-
ckermachen,alsoanandererStelleein-
sparen. Die Finanztransaktionssteuer ver-
suchtDeutschland seit Jahren mit ande-
renwilligen EU-Partnernzusammen ein-
zuführen, bisher erfolglos. Scholz zufolge
istesnun bald soweit, esgehe nur noch
um Details. Dochdas hat er früherauch
schongesagt.Erist nun offenbar ent-
schlossen, die neueSteuer auchimnatio-
nalen Alleingang einzuführen. Vorbild
warzuletzt Frankreich. Dortwirdder
Handel mitWertpapierengroßer und bör-
sennotierterUnternehmenbesteuert,
nicht aber mit Anleihen. DieUnion lehn-
te bisher einen Alleingang ab. ImKoaliti-
onsvertrag istvon einer Einführung „im
europäischenKontext“die Rede.

Wer selbst überden Arbeitgeber vorge-
sorgt hat, sollentlastet werden. Wie?
Bisher gilt bei Betriebsrenten nur eine
Freigrenze von155,75 EuroimMonat für
Krankenkassenbeiträge.Wermehr aus be-
trieblicher Altersversorgung erhält, muss
aufdengesamtenBetragnichtnurdenAr-
beitnehmeranteil, sondernauchden Ar-
beitgeberanteil an dieKassezahlen–so-
garwenn die Ansprüche mit Einkommen
erworbenworden sind, für das seinerzeit
schonSteuernund Sozialabgabengezahlt
worden sind. DieKoalition will nun die
Freigrenze in einen „dynamisierten“ Frei-
betrag umwandeln. Das heißt, nur über
die darüber liegenden Bezügesind sowohl
Arbeitnehmeranteil als auchArbeitgeber-
anteil zu zahlen. „Rund 60 Prozentder Be-
triebsrentner zahlen damit defacto maxi-
mal den halben Beitragssatz, dieweiteren
40 Prozent werden spürbar entlastet“,
heißt es im Beschlussder Koalitionäre.

Was bedeutet derneueFreibetrag für die
gesetzliche Krankenversicherung?
Die Koalitionrechnetmit Mindereinnah-
menvon1,2 Milliarden Eurojährlich. An-
dersals Heil mit der Grundrentebe-
kommt GesundheitsministerJens Spahn
(CDU) nichts zusätzlichaus dem Bundes-
haushalt.Obwohl die Krankenkassen un-
terstarkem Ausgabendruckstehen, sol-
len sie die Mindereinnahmen „vollstän-
dig“ selbstfinanzieren. Konkret heißt
das: Entweder gibt esweniger Leistungen
(weniger wahrscheinlich) oder höhere
Beiträge. Anfangs erhalten dieKassen da-
fürMittel aus der Liquiditätsreserve des
Gesundheitsfonds (900 Millionen Euro
im Jahr 2021, dann 600 MillionenEuro
und im dritten Jahr 300 Millionen Euro).

Was wird zusätzlichzur Förderung der
Altersvorsorge getan?
Arbeitgeber,die Geringverdiener (bis
2200 EuroimMonat) bei der Altersvor-
sorge unterstützen,werden dafür vom
Staat gefördert. Der Zuschussbeträgt 30
Prozentdes Arbeitgeber-Beitragsvonder-
zeit 240 Eurobis 480 EuroimJahr,also
72 Eurobis 144 Euro. Der Höchstsatz soll
sichnun auf 288 Euroverdoppeln.Zum
anderen soll dersteuerfreie Höchstbetrag
für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen eben-
falls verdoppeltwerden, von360 Euroauf
720 EuroimJahr.

Wasist mitdem Arbeitslosenbeitrag?
Der Beitragssatzvonderzeit 2,5 Prozent
des Bruttolohns soll in den Jahren 2021
und 2022 auf 2,4 Prozent sinken. Das ent-
spricht einer EntlastungvonArbeitneh-
mernund Arbeitgebernvon zusammen
1,2 Milliarden Euroje Jahr.Danachsteigt
derBeitragssatzauf2,6Prozent,wasaber
schon die aktuelleRechtslageist.

W


äreesgut, wenn imRat
der EuropäischenZentral-
bank bei wichtigenFragen
immerformal abgestimmt würde und
die Ergebnisseveröffentlichwürden?
Dafür gibt es guteGründe. Präsiden-
tin Christine Lagardestrebt an, die
Geldpolitik auchfür die breiteÖffent-
lichkeit verständlicher zu machen.
Dabeikönntemehr Transparenz hel-
fen. Die amerikanische Notenbank
Fedberichtet viel mehr als die EZB
über dieRegeln, nachdenen sie ihre
Geldpolitikbetreibt,undüberdieSit-
zungen, in denen die Entscheidungen
getrof fenwerden. Dasgewichtigste
Argument in der Eurozonegegensol-
cherleiTransparenzwarbislang, dass
man dieRatsmitgliedervonDruck in
ihren jeweiligenNationalstaaten frei-
haltenwollte. Es rührteaus der Be-
sonderheit, dassdie EZB, andersals
die Fed, Geldpolitik für unterschiedli-
chesouveräneStaaten macht.Viel-
leicht gibt es jaKompromissmöglich-
keiten. Sokönnteman formale Ab-
stimmungen imRateinführen–und
die Ergebnisse anonymisiertveröf-
fentlichen. Auf jedenFall is tesgut,
wenn die neue EZB-Präsidentin mit
neuem Schwung auchviele dieser
grundsätzlichenFragen neu diskutie-
renlässt.

Betont einig:AKK (CDU), Malu Dreyer (SPD)und MarkusSöder (CSU) Fotodpa


ham./cmu.FRANKFURT/HAMBURG.
Die Norddeutsche Landesbank darfaller
Voraussicht nachmit 3,6 Milliarden Euro
der Bundesländer Niedersachsen, Sach-
sen-Anhalt sowie derkommunalen deut-
schen Sparkassen gestützt werden. Nach
Informationen derF.A.Z. hat die EU-
Kommission auf Arbeitsebeneentschie-
den, dassessichbei derRettung der
NordLB durch diesestaatlichen Eigentü-
mer umkeine den Wettbewerb verfäl-
schende Beihilfehandelt. Die Entschei-
dungwarumstritten, und die Prüfung hat
mehr als ein Dreivierteljahr gedauert.
Nachdem Grundsatzbeschlussmussjetzt
nochdie Kommission als Ganzes zustim-
men, die in derRegelden Empfehlungen
ihrerFachabteilungenfolgt.
WegenhoherWertberichtigungenauf
faule Schiffskrediteerfüllt die Landes-
bank in Hannovernicht mehr die Mindest-
anforderungen der Bankenaufsicht an das
Eigenkapital.Zum30. Juni 2019 betrug
die harte Kernkapitalquote 6,63 Prozent
–deutlichweniger,als die EZBverlangt.
Dassdie Aufsicht einAuge zudrückt, liegt

daran, dassdie Länder und die Sparkas-
sen schon zu Jahresbeginn einenRet-
tungsplan mit Kapitalerhöhung und Bürg-
schaftenbeschlossen hatten. Dieser muss-
te abervonder EU-Kommissiongeprüft
werden. Eine Sprecherin der Behörde be-
tonteamMontag, dassder Prozessformal
nochandauert. „DieKommissionsteht
hinsichtlichder Rekapitalisierung der
NordLB in engemKontakt mit den deut-
schen Behörden.Zu diesem Zeitpunkt
wurde nochkeine Entscheidunggetrof-
fen“, sagtesie derF.A.Z.
In den Ländernwar zuletzt die Sorge
gewachsen, dassder Zeitplanwegender
unerwartet langen Prüfung durch die
Kommission nicht mehr zu halten sein
könnte.NachInformationen derF.A.Z.
hatten die beiden Ministerpräsidenten
vonNiedersachsen und Sachsen-Anhalt,
StephanWeil (SPD) undReiner Haseloff
(CDU), zusammen mit denFinanzminis-
tern Reinhold Hilbers(CDU) und Micha-
el Richter (CDU) zuletzt amRande von
Feiernzum Mauerfall in Marienbornam
Samstagdarübergeredet. Dabei wurde of-

fenbar beschlossen, im LaufedieserWo-
cheeinengemeinsamen Brief an die EU-
Kommission zuverfassen und um einen
schnellen Beschlusszubitten. Sprecher
der beiden Länderwollten sichamMon-
tagnicht dazu äußern.
Die Zeit drängt, dennwenn dasRet-
tungsgeld bis Jahresende in derNord LB
ankommensoll, müssen die Landesparla-
mentespätestens im Dezember dem neu-
en Staatsvertrag für die Bank zustimmen
und diestaatlichen Mittel freigeben. Be-
vordie Abgeordneteneinen Beschlussfas-
sen, brauchen sie aber eineverbindliche
Aussageder EU-Kommission, ob die Plä-
ne mit demWettbewerbsrechtvereinbar
sind.Um das zu bejahen, müssen klareBe-
dingungen erfüllt sein: Sokann dieKom-
mission einen Kapitalzuschussöffent-
lich-rechtlicherTräger nurgenehmigen,
wenn sie zu dem Schlusskommt, dass
auchprivate Investoren dieKonditionen
akzeptierthätten. DaswarimFall der
NordLB auchdeshalb fraglich,weil die
beiden Finanzinvestoren Centerbridge
und Cerberus in einem früherenTeil des

Prozesses ein eigenesKaufangebotvorge-
legt hatten, das die Eigner derNord LB
aber als unzureichend ablehnten.Fürdie
Arbeitsebene derKommission gilt der
Markttestfür das offenkundig bessereAn-
gebotder staatlichenTrägeraber offen-
bar trotzdem als bestanden. Damit würde
sie der Sicht der Bundesregierung und der
Länderfolgen,wonachdie Stützung der
Nord LB ein „öffentliches Investment
nachden Regeln der Marktwirtschaft“ ist.
Anders als in Bankenrettungen nach
der Finanzkriseverlangt dieKommission
inzwischenformal keine Auflagen mehr
zur „Heilung eines denWettbewerb stö-
rendenstaatlichen Eingriff s“. Aber die
NordLB mussteein Geschäftsmodell ein-
reichen, das auf eine harte Sanierung hin-
ausläuft: So soll dieZahl derVollzeitstel-
len von5500 auf 2800 bis 3000 sinken.
Die Bilanzsummewirdvon 155 auf 95 Mil-
liarden Euroreduziert. Zwar brocken die
Kosten desUmbaus derNordLB auch
2019 einenVerlustein. Durch die geplan-
tenHilfen soll dieKernkapitalquote aber
trotzdem aufetwa14 Prozentsteigen.

Die Grundrenteist kein
„Meilenstein“, sondern
der nächste Mosaikstein
in einem traurigen Bild.

Wasdie Grundrentealles ändert

Brüssel segnetdie Rettung der Nord LB ab


Arbeitsebene der EU-Kommission sieht in derStützung der Landesbankkeine wettbewerbsverzerrende Beihilfe


DerKompromisszur


Grundrentesteht.Wer


bekommtsie, werzahlt?


Wirbeantwortendie


wichtigstenFragen.


VonManfred Schäfers


und DietrichCreutzburg,


Berlin


Nord LB im Glück


VonHanno Mußler


Klarheit in der EZB


VonChristian Siedenbiedel

Free download pdf