Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

D


er World Jewish Congress hat
eine Studie über Antisemi­
tismus in Deutschland in Auf­
trag gegeben, die vor einigen
Wochen veröffentlicht wurde.
1300 Deutsche wurden befragt.
Laut dieser Studie sind 27 Pro­
zent der Deutschen Antisemiten. 41 Prozent finden,
dass Juden zu viel über den Holocaust sprächen, und
26 Prozent der deutschen Eliten, definiert als Hoch­
schulabsolventen mit einem Jahreseinkommen von
mehr als 100.000 Euro, sind der Ansicht, dass Juden
zu viel Macht in der Weltpolitik hätten.
Die Zahlen sind erschütternd, mit gleichzeitigem
Blick auf den Terroranschlag von Halle regelrecht
gruselig. Ronald S. Lauder, Präsident des World Jewish
Congress, nannte die Ergebnisse alarmierend.
Und doch fällt es einem schwer, diese Umfrage­
ergebnisse in der eigenen Lebenswelt wiederzufinden.
Lebt man in einer Blase? Ist man unsensibel oder blind
oder verdrängt die schmerzliche Wahrheit?
Als Erstes rufen wir deshalb Adriana Altaras an. Die
Theaterregisseurin und Schriftstellerin ist Tochter jü­
discher Partisanen des Zweiten Weltkriegs aus Kroatien,
die in den Sechzigerjahren in Gießen landeten, wo ihr
Vater die jüdische Gemeinde mit aufbaute. Adriana
Altaras inszeniert gerade Puccinis Madame Butterfly in
Heidelberg. Wir erreichen sie während der Endproben.
Sie selbst sei durch die Studie nicht erschüttert
worden, dass der Prozentsatz an Antisemiten etwa so
hoch sei, habe man schon immer gewusst. Im Alltag
habe sie persönlich keine antisemitischen Erfahrungen
gemacht, aber das könne auch mit ihrem Wesen zu­
sammenhängen. »Mir passiert es nicht, aber alle um
mich herum sind in heller Aufregung.« Wenn sie
manchmal zum Gemeindetag der jüdischen Gemeinde
gehe, spüre sie schon, dass sich etwas geändert hat:
»Auch Leute, die sich nicht mögen, rücken zusammen.«
Vor ein paar Tagen sei ihr 19­jähriger Sohn mit
der Studie unterm Arm und einem sehr düsteren
Gesichtsausdruck zu ihr gekommen. Das habe sie
nachdenklich gemacht. Vielleicht neige sie zu sehr
zum Entdramatisieren? Ihre jüdischen Freunde seien
viel alarmierter als sie selbst. Die sagten immer zu
ihr: »Du wirst die Letzte sein, die in Berlin­Schöne­
berg das Licht ausmacht.«
Zwei Tage später ruft Adriana Altaras noch einmal
zurück, diesmal durchaus erregt. Sie wolle noch einmal
betonen, dass sie die Ausnahme sei, alle anderen sähen
das nicht so entspannt wie sie. Sie habe gestern mit zwei
engen Freunden telefoniert, beide höchst erfolgreich
verankert im deutschen Kulturleben, die sähen das
total anders. Sie ertrügen Deutschland nicht mehr,
hätten sie gesagt, weil der deutsche Staat, außer ein
sorgenvolles Gesicht aufzusetzen, nichts gegen den
Antisemitismus unternehme. Sie könnten das Gerede
von Kummer und Sorgen nicht mehr ertragen, der
Kummer und die Sorgen der Deutschen seien ihnen
egal, was für sie zähle, seien einzig Handlungen, und
nichts passiere. Sie dächten ernsthaft darüber nach,
nach Israel auszuwandern, weil sie nicht die sein woll­
ten, die es zu spät geschnallt hätten.
Michael Wolffsohn, Historiker, 1947 in Tel Aviv
geboren, kam 1954 mit seinen Eltern nach Deutschland,
aus dem die Familie 1939 im letzten Moment noch
hatte fliehen können. Bei Wolffsohn kann man sich
immer darauf verlassen, dass seine pointierten Ansichten
quer zu wirklich allen Erwartungshaltungen stehen.
»Methodisch habe ich da meine Zweifel, aber die
Studie kommt gleichwohl zum richtigen Ergebnis«,
sagt er. Er hat sich vorbereitet und geht nun die Fragen
der Studie Punkt für Punkt durch. 40 Prozent seien
also der Meinung, Juden seien überrepräsentiert in
den Medien? »Das ist doch kein Indikator für Anti­
semitismus. Natürlich entspricht die Zahl von Juden
in den Medien nicht proportional den 0,2 Prozent
Juden an der deutschen Gesamtbevölkerung.« Das
habe historisch­soziologische Gründe, weil die jüdische
Kultur immer eine des Wortes gewesen sei. »Wir sind
besser gebildet als der Durchschnitt, und die besser
Gebildeten partizipieren mehr am öffentlichen Leben.
So werden Juden häufiger in den Medien befragt als
irgendein armer Goi.«
Auch dass 48 Prozent der Ansicht sind, Juden seien
loyaler gegenüber Israel als gegenüber Deutschland,
finde er unproblematisch. Natürlich sei Israel für viele
Juden weltweit eine Art Lebensversicherung. Das
führe zu doppelten Loyalitäten, aber das sei eigentlich
eine moderne Haltung. »Nur die vorgestrigen Treitsch­
kes dieser Welt regen sich darüber auf.« (Der national­
liberale Historiker und Antisemit Treitschke hatte den
Juden im Kaiserreich unter anderem mangelnde Lo­
yalität zu Deutschland vorgeworfen. Seine berüchtig­
te Formulierung: »Die Juden sind unser Unglück«.)
»Ob die Befragten Juden kennen, wird dann gefragt.
Natürlich nicht, die paar Hanseln. Aber dann schalten
sie den Fernseher ein, und da quatscht schon wieder
der Wolffsohn.«

»Noch unbeliebter als die Juden sind
die muslimischen Migranten«

Ernst und Flapsigkeit wechseln sich bei Wolffsohn
schnell ab. Dessen ungeachtet, fährt er fort, sei es für
ihn völlig klar, dass der Antisemitismus dramatisch
zugenommen habe, »fühlbar, spürbar«. 27 Prozent
der Deutschen stufe die Studie als antisemitisch ein,
bei früheren Umfragen habe die Zahl immer zwi­
schen 15 und 20 Prozent gelegen. Das sei zwar kein
signifikanter Anstieg, »aber wir Juden fühlen uns un­
sicherer«. Seine Mutter habe ihm einmal eine
Schirmmütze mit Davidstern aus Israel mitgebracht:
»Natürlich gehe ich damit nicht auf die Straße. Da­
für passiert zu viel. 99 Prozent, die auf der Straße an
mir vorbeigehen, werden nichts machen, sondern im
Gegenteil sogar eher freundlich zu mir sein, aber das
Risiko ist da.« Und die Gefahr drohe nicht nur von
Rechts­ oder Linksextremisten, sondern vor allem
auch von Muslimen. Da dürfe man sich nichts vor­
machen, sagt Wolffsohn, dessen Lichtburg Stiftung
in Berlin­Wedding höchst erfolgreich Bildungs­ und
Integrationsprojekte auf die Beine stellt.
Umgekehrt, merkt Wolffsohn gallig an, dürften wir
auch nicht vergessen, dass noch unbeliebter als Juden

die Migranten, besonders muslimische, seien: »Every-
body hates somebody sometimes.«
Stefanie Schüler­Springorum ist Historikerin und
Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung in
Berlin. Auch frühere Studien, sagt sie, seien schon im­
mer auf 10 bis 12 Prozent »Hardcore­Antisemiten«
gekommen und auf 10 bis 15 Prozent »Gelegenheits­
antisemiten«. Wenn man die zusammenzähle, sei man
gar nicht so weit entfernt von den 27 Prozent der jüngs­
ten Studie. Noch mehr verbreitet habe sich indes das
klassische antisemitische Klischee vom Juden, der in der
Wirtschaft und an den Finanzmärkten die Strippen
ziehe: Das könne man als eine judenfeindliche Deutung
der Kapitalismuskrise lesen.
Jetzt bietet sie einen etwas sarkastischen Trost: »16
Prozent haben gesagt, sie hätten eine schlechte Meinung
von Juden. 23 Prozent haben eine schlechte Meinung
von Christen, über 50 Prozent von Muslimen, und bei
Roma und Sinti sind es sogar über 60 Prozent. Wenn
man es in diese Perspektive setzt, dann sind andere
Zahlen noch dramatischer.«
Und dann sagt sie, durchaus mit Tremolo in der
Stimme: »Die Zahlen sind nicht neu. Was neu ist, ist
der Anschlag von Halle. Ich glaube, dass man das anti­
semitische Gewaltpotenzial im Rechtsradikalismus
lange unterschätzt hat. Halle war Faschismus in Rein­
kultur. Es war eben nicht nur ein antisemitischer An­
schlag: Als der Täter an der Synagoge gescheitert war,
hat er sich halt den Dönerladen vorgenommen.«

Die jüdische Buchhändlerin will keine
Antisemitismusexpertin sein

Die Schriftstellerin Deborah Feldman, Jahrgang 1986,
wuchs in New York in der ultraorthodoxen Glaubens­
gemeinschaft der Satmarer auf. Mit ihrer Herkunftswelt
hat sie gebrochen, davon erzählt ihr Bestseller Unortho-
dox, den Maria Schrader gerade für Netflix verfilmt.
Seit einigen Jahren lebt Feldman in Berlin.
Sie könne diese Studien nicht so richtig ernst neh­
men, sagt sie. Vor einem Jahr habe es eine Umfrage
gegeben, wonach alle Juden überlegten, nach Israel aus­
zuwandern. »Da muss ich wirklich lachen. In der gan­
zen Geschichte seit 2000 Jahren gab es noch keinen
Juden, der sich nicht wenigstens einmal überlegt hat,
irgendwohin zu gehen. Das ist nicht neu.«
Wann immer eine solche Studie veröffentlicht wer­
de, fragten sich ihre jüdischen Freunde: »Mit wem
sprechen die denn?«
Und jetzt schaut auch sie sich die einzelnen
Fragen an.
»Also 41 Prozent finden, dass die Juden zu viel über
den Holocaust reden? Als Jüdin in Deutschland denke
ich schon auch: Oh, hier wird wirklich viel über den
Holocaust geredet, aber ich denke nicht unbedingt,
dass es die Juden sind, die das tun. Klar ist, in Deutsch­
land wird viel über den Holocaust geredet. Aber ist das
schlimm? Haben die 41 Prozent zu Protokoll gegeben,
dass das schlimm ist?«
Das Vorurteil, dass Juden zu viel Macht in der Ge­
schäftswelt hätten, werde nie verschwinden. »Ich per­
sönlich kenne sehr viele Nichtjuden in der Geschäfts­
welt, die für meinen Geschmack viel zu viel Macht
haben, aber leider scheint es kein Problem zu sein, wenn
Nichtjuden zu viel Macht haben«, sagt sie süffisant.
Sie sei gerade am vorigen Tag bei einem Sabbat­Essen
gewesen, 15 Freunde. Die Gastgeberin habe da wieder
ihre übliche Rede gehalten vom Mythos der gepackten
Koffer, aber es seien sich alle am Tisch einig gewesen,
dass sie niemanden kennten, der sich das ernsthaft über­
lege. »Das waren Leute aus sehr verschiedenen
Herkunftswelten. Juden aus Frankreich. Es wird ja oft
darüber geschrieben, dass Juden Frankreich verließen,
weil Frankreich ein viel größeres Problem hat als
Deutschland. Aber man hört immer nur, dass sie nach
Israel gehen. An dem Abend waren ein paar Leute da,
die gerade aus dem Elsass nach Deutschland gezogen
waren.«
Die Franzosen seien sehr verklemmt mit allem, was
mit Religion zu tun habe, deswegen könne man sein
Judentum dort nicht auf angenehme Weise ausleben.
In Berlin habe sie das Gefühl, dass das jüdische Leben
zu einem neuen Höhepunkt gekommen sei. »Es ist
unfassbar schön, was für extrem vielfältige Gemein­
schaften, die leidenschaftlich und dynamisch sind, sich
hier bilden.«
Rachel Salamander hat die auf Literatur zum Juden­
tum spezialisierte »Literaturhandlung« in München
gegründet. Lange war sie Herausgeberin der Literarischen
Welt. Als wir sie anrufen, sagt sie rundheraus, sie halte
es für »keine wahnsinnig gute Idee«, zum Thema Anti­
semitismus Juden zu befragen: »Der Antisemitismus ist
ein Problem der deutschen Gesellschaft, kein Thema,
worüber sich nur Juden äußern sollten.«
Dieser Satz wirkt erst einmal sehr einleuchtend
(und nicht gerade motivierend), andererseits: Wer
sonst kann von Erfahrungen mit Antisemitismus aus
erster Hand berichten? »Ich bin keine Antisemitismus­
expertin«, entgegnet sie, »will ich auch nicht sein. Meine
Welt ist die Literatur. Immer wird man gefragt, ob man
sich als Jude bedroht fühlt. Dieses Interesse hat etwas
Sensationslüsternes, dem ich nicht nachgeben will.«
Ein Ton der Bitterkeit ist jetzt stark zu hören. Im
Nachkriegsdeutschland hätten die Juden eine Funktion
gehabt: Der Umgang mit ihnen sei der Test auf die
Demokratietauglichkeit der Deutschen gewesen. »Jetzt
ist Deutschland wiedervereinigt, da sind wir nicht mehr
relevant für die Deutschen.« Anders als in den Zwan­
ziger­ und Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts
stellten sich die politischen Repräsentanten schützend
vor die Juden. Dennoch lebe der Antisemitismus vor
allem in der Privatsphäre fort. »Hannah Arendt soll
einmal gesagt haben: Vor Antisemitismus ist man nur
noch auf dem Mond sicher. Aber: Wer weiß?«
Stefanie Schüler­Springorum zitiert in einem Auf­
satz Adorno mit dem Satz: »Antisemitismus ist das
Gerücht über die Juden.« Zum Wesen des Gerüchts
gehöre das Halbheimliche, Halboffizielle. Es ist nicht
dingfest zu machen und gerade deshalb so ansteckend.
Vielleicht ist es eine Illusion, der infamen Ungreifbar­
keit eines Gerüchts mit Zahlen zu Leibe rücken zu
können.

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56 FEUILLETON 14. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47


I


m Jahr 2019 nach Christus kennt der Glaube
des US­Rappers Kanye West keine Grenzen
mehr. Das Bauamt im Los Angeles County
allerdings schon. Vier flugzeughangargroße Kup­
peln hat West im letzten Sommer auf seinem
Anwesen in den Bergen über der Stadt errichtet.
Gedacht als Zufluchtsort der Heimatlosen und
als Austragungsort jener gottesdienstähnlichen
Sunday Services, mit denen West seit Anfang des
Jahres seine wiederentdeckte Frömmigkeit zele­
briert. In der Hitze von Erleuchtung und Gefecht
setzte sich der Künstler jedoch über so viele Bau­
vorschriften hinweg, dass die Behörde zum
Nachmessen vorbeikam und befand: drei Meter
zu hoch gebaut. West musste die halb fertigen
Holz konstruktionen wieder abreißen.
Teuer ist das sicher gewesen, aber es gibt
auch ein gutes Sinnbild ab für die eigenartige
Bekehrung des Rap­Stars mit dem Über­Ego.
Jesus sollte das Lösungswort sein nach all den
Sinn­ und Schaffenskrisen, die West in den
letzten drei Jahren durchlebt hat. Zwischen
Trump­Verehrung und Pornosucht, wirren Aus­
sagen zur Geschichte der Sklaverei (waren die
Versklavten nicht selber schuld?) und Klinik­
aufenthalten zur Behandlung einer bipolaren
Störung gab der einstige Rap­Reformator ein
Bild des Jammers ab. Nun hat West einen Film
ver öffentlicht und ihn Jesus Is King genannt
(jetzt in deutschen Kinos). Ein gleichnamiges
neues Album gibt es auch, es ist das mittler­
weile neunte des Künstlers und so schnell wie­
der vergessen, wie seine 27 hastig zusammen­
gekleisterten Gospel­Rap­Minuten vorbeizie­
hen. Manche Stücke brechen unvermittelt ab,
andere winden sich um bestenfalls angedeutete
Beats herum.
Im ebenfalls knapp halbstündigen Film aber
stecken Halleluja und Kirchenorgel, eine Bild­
und Chorgewalt, die von Wests spiritueller
Genesung künden. Mit einem Dutzend Sänge­
rinnen und Sängern sowie einem Kamerateam
und dem Regisseur Nick Knight ist West in die
Wüste von Arizona gereist. Dorthin, wo der
Land­Art­Künstler James Turrell seit 1979 an
einem Vulkankrater aus der Zeit des Mittel­
pleistozäns herumfräst, um Tunnel, Säle und ein
Amphitheater zu schaffen. Noch sieht es dort aus
wie im Bunker eines besonders geschmacks­
bewussten Bond­Bösewichts. In fünf Jahren aber
will er fertig sein mit seinem Lebenswerk und
einer Licht instal la tion von bisher ungekanntem
Ausmaß. So erzählt es Turrell seit 20 Jahren in
Interviews.
Kanye West hat ihm nun eine Finanzspritze
von zehn Millionen Dollar gegeben und dann
seine Kameras in Turrells un voll ende ter Kunst
aufgebaut. Natürlich ließ er sich und den
Gospelchor für die überlebensgroßen Über­
wältigungsshows des Imax­Kinos filmen, und
natürlich bläst einen die Wucht der Sounds
und Bilder, die in den Resonanzräumen des
Kraters entsteht, beinahe aus dem Kinosessel.
Als müsste die Macht des Gesangs immer wie­
der geerdet werden, erscheinen zwischen den
Darbietungen des Chors Bibelzitate und
Naturkitsch­Impressionen auf der Leinwand:
Ein Reh hoppelt über eine Wiese, eine Puste­
blume löst sich im Wind auf. Am Ende des
Films hält West sein jüngstes Kind im Arm
und singt es in den Schlaf.
Oberflächlich betrachtet gibt es einige Ge­
meinsamkeiten zwischen West und Turrell.
Beide arbeiten mit dem größten Besteck ihrer
jeweiligen Dis zi plin und ohne Geduld für welt­
liche Begleiterscheinungen wie die Finanzier­
barkeit ihrer Visionen. Jesus Is King verdeutlicht
jedoch vor allem die Unterschiede zwischen
den Willenskraftkünstlern. Während Turrell
lediglich Räume zur Verfügung stellt, in denen
das hereinströmende Licht seine eigenen Ge­
schichten erzählt, geht es West um eine ag­
gressive Besetzung der Räume. Bis in die letzten
Winkel füllt er sie auf mit Kanye­West­
Haftigkeit.
Das war schon immer so bei ihm, auch im
Jahr 2004, als West mit einem Stück namens
Jesus Walks der Durchbruch als Rapper und
Solokünstler gelang. Zwischen profaner Ver­
führung und religiöser Erlösung beackerte der
Song ein Spannungsfeld, auf dem sündiger
Büßer und büßender Sünder als prägende
Figuren der nächsten 15 Hip­Hop­Jahre ent­
standen. Es ist diese Spannung, die in den
Liedern und Bildern von Jesus Is King fehlt,
die sich aufgelöst hat in kirchentägliches
Wohlgefallen.
Für die Kunst ist das schlecht, aber für
Kanye West vielleicht ganz gut. Dort, wo er
seine Kuppeln für die Heimatlosen nicht bauen
durfte, will er nun eine Selbstversorgerfarm mit
Zitrushain anlegen. Der Friede sei mit ihm.

In seinem Kinofilm sucht Kanye West
nach Absolution VON DANIEL GERHARDT

Das Lösungswort


heißt »Jesus«


Der Fotograf Benyamin Reich fotografiert jüdisches Leben in Deutschland

Fotos: Benyamin Reich (3); Kanye West/Bestimage (r.)


»Wi r J u d e n


fühlen uns


unsicherer«


Kurz nach dem Anschlag von Halle erschien eine Studie zum


Antisemitismus in Deutschland. Die Zahlen sind erschreckend.


Was sagen die Betroffenen dazu? VON IJOMA MANGOLD


»Sorgt euch nicht um
euren Leib, was ihr
anziehen werdet.«
(Matthäus 6,25)
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