Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1

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Der Kultur- und Freizeit-Service
mit Tipps vom 14. bis 20. November

N.Y. Schluss
27784 Punkte

Meinung


Soll Deutschlandeine


Impfpflicht haben?


Ein Pro und Contra 4


Politik


Imbosnischen Flüchtlingslager


Vučjak herrschen


katastrophale Zustände 6


Panorama


Extremes Hochwasser


richtet in Venedig


große Schäden an 8


Feuilleton


Imneuen Buch von Jürgen


Habermas fragt die Vernunft


nach dem Erbe der Religion 9


Sport


Wiewird der künftige


Präsident Herbert Hainer


den FC Bayern verändern? 21


Medien, TV-/Radioprogramm 39,
Forum & Leserbriefe 38
Kino · Theater im Lokalteil
Rätsel 39
Traueranzeigen 24


Es ist schwer zu sagen, ob sich die Oscar-
Akademiein Kalifornien zumindest ein
wenig mit der Geschichte Nigerias aus-
kennt. Ob die Mitglieder wissen, wo das
bevölkerungsreichste Land Afrikas liegt
und welche Sprachen dort gesprochen
werden. Für viele Nigerianer erscheint es
eher unwahrscheinlich, dass sich das Aus-
wahlgremium des berühmtesten Film-
preises schon einmal genauer mit ihrem
Land beschäftigt hat.
„Wir haben es uns nicht ausgesucht,
von wem wir kolonisiert wurden“, schleu-
derte die nigerianische Schauspielerin
und Regisseurin Genevieve Nnaji der Aka-
demie entgegen, nachdem ihr Film „Lion-
heart“ nicht zur engeren Auswahl der bes-
ten internationalen Filme zugelassen wur-
de. Weil, so die Akademie, im Film zu viel
Englisch gesprochen werde und zu wenig
in einer lokalen Sprache.
Es klang so, als wüsste man in den USA
nicht, dass auch in anderen Ländern auf

der Welt Englisch gesprochen wird, es wie
in Nigeria offizielle Sprache ist.
„Lionheart“ erzählt die Geschichte ei-
ner jungen Nigerianerin, die das Trans-
portunternehmen ihres Vaters überneh-
men will und mit ihrem Bruder um die
Gunst des Patriarchen konkurriert. Es ist
ein Blick auf den Alltag in Nigeria, der oh-
ne den Fokus auf Hunger, Terror und
Krieg auskommt. „Lionheart“ lief erfolg-
reich auf Festivals und ist die erste Netflix-
Produktion aus Nigeria.
Was in Hollywood wenig interessierte,
dort zählte man die Minuten zusammen
und errechnete, dass in nur zwölf der
95 Minuten Igbo gesprochen wird. Da es
laut Regelwerk mehr als die Hälfte sein
sollten, wurde der Film disqualifiziert.

„Der Film repräsentiert die Art, wie wir
Nigerianer sprechen. Das beinhaltet Eng-
lisch, das eine Brücke ist zwischen den
mehr als 500 Sprachen in unserem Land,
das uns näher zusammenbringt“, schrieb
Regisseurin Nnaji, was die Akademie aber
nicht von ihrer Entscheidung abbrachte.
Im Gegenteil, Anfang dieser Woche wur-
de ein weiterer Film disqualifiziert, der
die Geschichte nigerianischer Prostituier-
ter in Wien erzählt. Wieder sagte die Aka-
demie: zu viel Englisch, zu wenig lokale
Sprache. Was viele Nigerianer wütend
machte. In den sozialen Medien fragen
viele, ob Hollywood sich gezielt Konkur-
renten vom Leibe halten möchte.
Denn Nollywood, wie die nigerianische
Filmindustrie genannt wird, hat Holly-

wood mittlerweile überholt, zumindest
was die Zahl der produzierten Filme an-
geht, mehr als 2000 sind es im Jahr. Nach
Berechnungen der Wirtschaftsprüfer Pri-
cewaterhouseCoopers soll sich der Um-
satz bis 2021 auf etwa sechs Milliarden
Euro fast verdoppeln. Ein Markt, der auch
für amerikanische und europäische Medi-
enkonzerne interessant wird. Der franzö-
sische Fernsehsender Canal Plus kaufte
jüngst eine nigerianische Produktions-
firma, auch Netflix will expandieren.
Die Filme werden immer aufwendiger,
das Niveau steigt. Nur ein Oscar bleibt
Nigeria verwehrt, weshalb viele das Ende
der Fixierung auf den Englischanteil
fordern. Das, so sagen aber selbst manche
nigerianische Filmemacher, würde
womöglich dazu führen, dass britische,
australische und kanadische Produktio-
nen die Preise abräumen. Regisseure wie
Genevieve Nnaji würden die Konkurrenz
nicht scheuen. bernd dörries

von hubert wetzel

Washington –Zumersten Mal seit zwei
Jahrzehnten beschäftigt sich das US-Parla-
ment wieder vor laufenden Kameras mit
der Amtsenthebung eines Präsidenten.
Die Demokraten begannen am Mittwoch
die öffentliche Anhörung von Zeugen, mit
deren Aussagen sie ihre Forderung nach ei-
nem „Impeachment“ gegen Präsident Do-
nald Trump wegen dessen Umgang mit
der Ukraine untermauern wollten. Trump
sprach von einem „Schauprozess“.
Vor dem Geheimdienstausschuss des
Abgeordnetenhauses sagten zwei rangho-
he Diplomaten aus – der geschäftsführen-
de US-Botschafter in der Ukraine, Bill Tay-
lor, sowie der für Europa zuständige Vize-
staatssekretär im State Department,
George Kent. Beide bestätigten, dass

Trump ihrer Ansicht nach die Ukraine
durch massiven Druck dazu zwingen woll-
te, Ermittlungen gegen den aussichtsrei-
chen demokratischen Präsidentschaftsbe-
werber Joe Biden und dessen Sohn Hunter
zu beginnen. Unter anderem habe Trump
die Auszahlung von Militärhilfe an die
Ukraine sowie einen Washington-Besuch
des ukrainischen Präsidenten Wolodimir
Selenskij davon abhängig gemacht, dass
dieser sich öffentlich zu den Ermittlungen
verpflichte. Trump habe eindeutig ein Ge-
gengeschäft im Sinn gehabt, so Taylor. Er
sagte auch, einer seiner Mitarbeiter habe
erfahren, dass Trump sich am Tag nach
dem Gespräch mit Selenskij telefonisch
bei Gordon Sondland, dem US-Botschafter
bei der EU, nach den Ermittlungen gegen
die Bidens erkundigt habe. Für die Demo-
kraten eine „vernichtende“ Enthüllung.

Hunter Biden hat in den Jahren nach
2014 für den ukrainischen Gaskonzern Bu-
risma gearbeitet. Trump behauptet, dass
Joe Biden, damals als US-Vizepräsident für
die Ukraine-Politik der USA verantwort-
lich, und sein Sohn in Korruption und Ne-
potismus verstrickt gewesen seien. Er ver-
langte von Kiew daher über Mittelsmän-
ner – allen voran seinen Anwalt Rudy Giu-
liani – Ermittlungen gegen Burisma und
die Bidens. Die Demokraten sehen darin ei-
nen Verstoß gegen US-Wahlgesetze. Diese
verbieten es Kandidaten, Wahlkampfhilfe
jeder Art aus dem Ausland anzunehmen.
Auch Taylor und Kent betonten, wie un-
gewöhnlich und irritierend Trumps Forde-
rungen an Kiew gewesen seien. Sie hätten
dem US-Interesse, die Ukraine als Verbün-
deten gegen Russland militärisch und poli-
tisch zu stärken, widersprochen. Er habe

daher wahltaktische Motive vermutet, so
Taylor. Die Demokraten bemühten sich, ih-
re Untersuchung als alternativlos zur Ver-
teidigung von Verfassung und Demokratie
in Amerika darzustellen. Es gehe nicht um
politische Meinungsunterschiede, son-
dern um die Frage, was der Präsident dür-
fe, sagte Adam Schiff, der Vorsitzende des
Geheimdienstausschusses. Der Kongress
habe die Pflicht, dagegen vorzugehen,
wenn ein Präsident die Verfassung breche.
So wollen die Demokraten den Vorwurf
der Republikaner kontern, einen nur
politisch motivierten Rachefeldzug gegen
Trump zu führen. Diese Anschuldigung er-
hob vor allem Devin Nunes, der ranghöchs-
te Republikaner im Geheimdienstaus-
schuss: Die Ermittlung sei eine „sorgfältig
koordinierte Schmutzkampagne“ von Me-
dien und Demokraten.  Seite 2

Xetra Schluss
13230 Punkte


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Mittwoch-Lotto(13.11.2019)
Gewinnzahlen:17, 18, 20, 29, 38, 44
Superzahl: 0
Spiel 77: 3281466
Super 6:6 3 1 2 9 1 (Ohne Gewähr)

Geht das wirklich?UnserAutor hat zwei
Kinder und kein Auto. Er kommt auf Ur-
laubsreisen trotzdem gut zurecht – und
entspannt an sein Ziel. Meistens jeden-
falls.  Seite 33

Berlin– CDU-Chefin Annegret Kramp-
Karrenbauer will das deutsche Sozial-
system umfassend reformieren. „Schon
im nächsten Jahr“ sollen alle Sicherungs-
systeme überprüft werden, forderte die
Verteidigungsministerin am Mittwoch auf
dem Wirtschaftsgipfel derSüddeutschen
Zeitungin Berlin. Das sei „ein großer
Punkt auf der Reformagenda“.
Geprüft werden sollten sowohl die Halte-
linien zur Rentenhöhe als auch die Lebens-
arbeitszeit und die Pflegeversicherung.
„Wir haben ein Sicherungssystem aufge-
baut, das heute an die Grenzen des Mach-
baren und des Möglichen stößt.“ Man müs-
se deshalb prüfen, was man an Leistungen
künftig gewährleisten wolle und „was es
uns kosten soll“. Man müsse neu bewerten,
„wie wir mit den Herausforderungen des

Generationenpaktes umgehen und der
Rentenversicherungen“.
Für die SPD dürfte die Ankündigung un-
gelegen kommen. Die Sozialdemokraten
hatten die nach langen Verhandlungen ge-
rade noch gelungene Einigung auf eine
Grundrente zur Bedingung für die Weiter-
führung der großen Koalition bis 2021 er-
hoben. Sie sei „eine wichtige Vorausset-
zung“, hatte Vizekanzler Olaf Scholz er-
klärt. Die von der CDU-Chefin angekündig-
te Überprüfung des Rentensystems dürfte
die Bereitschaft schmälern, das Bündnis
fortzusetzen. Darüber soll ein SPD-Partei-
tag Anfang Dezember entscheiden.
Die CDU-Chefin nutzte den Auftritt we-
nige Tage vor dem für Ende November ge-
planten Parteitag nicht nur, um sich vom
Koalitionspartner abzugrenzen und Kriti-

ker in den eigenen Reihen zu befrieden.
Sondern auch, um eine „Reformagenda
für Deutschland“ zu präsentieren. Sie kam
damit ihrem innerparteilichen Rivalen
Friedrich Merz zuvor, der angekündigt
hat, auf dem Parteitag eine wichtige Re-
formrede halten zu wollen. „Ich freue mich
sehr auf diesen Parteitag“, betonte die Par-
teichefin. Befürchtungen, dass andauern-
de Kritik an ihr auf dem Parteitag durch
Auftritte ihrer politischen Konkurrenten
befeuert werden könnte, wies sie zurück.
„Wenn Friedrich Merz angekündigt hat,
dass er einen Debattenbeitrag liefern will,
ist das genau das, was ich als Parteichefin
erreichen will“, sagte sie.
Auch außenpolitisch steckte Kramp-
Karrenbauer das Terrain neu ab. Sie such-
te ausdrücklich den Schulterschluss mit

Frankreichs Präsidenten Emmanuel
Macron, der für seine Äußerung, wonach
die Nato „hirntot“ sei, harsche Kritik ein-
stecken musste. Außenminister Heiko
Maas (SPD) hatte gewarnt, die Nato zu „un-
terminieren“ und Europa zu spalten.
Kramp-Karrenbauer sagte dagegen, alle
Fragen, die der französische Staatspräsi-
dent zur gemeinsamen Verteidigungs-
und Sicherheitspolitik gestellt habe, seien
„in unserem ureigenen Interesse“.
Die Verteidigungsministerin forderte
die europäischen Staaten auf, enger zusam-
menzurücken. Der globale Wettbewerb
könne nur „gemeinsamen mit unseren Ver-
bündeten und insbesondere mit unseren
Nachbarn in Europa“ gewonnen werden.
„Wir brauchen ein besser funktionieren-
des Europa.“ cerstin gammelin

Berlin– Der Rechtsausschuss des Bundes-
tagshat den AfD-Abgeordneten Stephan
Brandner als Vorsitzenden abgewählt. Das
ist ein einmaliger Vorgang in der Geschich-
te des Parlaments. Der Ausschuss reagier-
te damit auf mehrere Eklats, die Brandner
ausgelöst hatte. dpa  Seiten 4 und 5

Hongkong– Den dritten Tag in Folge ha-
ben Demonstranten in Hongkong am Mitt-
woch Teile der Finanzmetropole zum Erlie-
gen gebracht. Demonstranten warfen
Brandsätze und verwüsteten Straßen, der
U-Bahn-Betrieb wurde teilweise einge-
stellt. dpa  Seite 7

Gaza/Tel Aviv– Bei israelischen Luft-
angriffen im Gazastreifen auf Ziele des Isla-
mischen Dschihad sind nach palästinensi-
schen Angaben zwölf Menschen getötet
worden. Mehr als 60 weitere seien verletzt
worden, teilte das Gesundheitsministeri-
um in Gaza mit. Gleichzeitig kam es erneut
zu massivem Raketenbeschuss auf israeli-
sche Ortschaften.dpa  Seite 7

München– Auf niederländischen Auto-
bahnen gilt bald grundsätzlich Tempo 100.
Mit dem Beschluss versucht die Regie-
rung, europäische Grenzwerte für den Aus-
stoß von Stickoxiden einzuhalten. Sie war
gezwungen zu handeln, weil laut einem
Gerichtsurteil sonst Tausende Bau- und In-
frastrukturvorhaben gestoppt würden. Mi-
nisterpräsident Mark Rutte sprach von ei-
ner „beschissenen“ Maßnahme, die aber
nötig sei, um Arbeitsplätze im Bausektor
zu retten. kit  Seite 7

Euro▶


HEUTE


Die SZ gibt es als App
fürTablet und Smart-
phone: sz.de/zeitungsapp

Vor allem im Westen kann es regnen oder
schneien, Schneefallgrenze bei 500 bis 700
Meter. Sonst wechselnd bewölkt oder neb-
lig-trüb. Schauer sind die Ausnahme, ein
bis neun Grad.  Seite 38 und Bayern

Kramp-Karrenbauer mahnt Rentenreform an


Die CDU-Chefin will schon 2020 Kosten, Leistungen und Lebensarbeitszeit überprüfen lassen


Muttersprache verboten


Oscar-Akademie disqualifiziert nigerianische Filme


AfD-Politiker


Brandner abgewählt


Proteste in Hongkong


eskalieren


Mehrere Tote bei


israelischen Luftangriffen


Zeugen sagen gegen Trump aus


Die Demokraten treiben das Amtsenthebungsverfahren wegen der Ukraine-Affäre voran.


Der US-Präsident sieht sich zu Unrecht verfolgt und beklagt einen „Schauprozess“


Dow▲


Angriff auf die Autoindustrie: Tesla baut Großfabrik nahe Berlin Wirtschaft


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FOTO: DPA

Niederlande führen


Tempo 100 ein


Die Regierung will damit die
Stickoxid-Belastung reduzieren

Vorhang auf: Mit den Befragungen des US-Botschafters in der Ukraine, William Taylor (stehend, links), und des Diplomaten George Kent (rechts) beginnen die öffentlichen
Anhörungenim US-Kongress in Washington zum Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump. FOTO: SAUL LOEB/POOL/EPA-EFE/SHUTTERSTOCK

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ES (Kanaren): € 3,80; dkr. 29; £ 3,50; kn 30; SFr. 4,

Dax▼


(SZ) Am Beispiel der Mitfahrgelegenheit
lässt sich schön veranschaulichen, warum
es häufig so schwerfällt, das Sinnvolle zu
tun. Denn sinnvoll ist es ohne Zweifel, ein
Auto bis unters Dach zu füllen: Für die Men-
schen an Bord wird die Fahrt günstiger,
und die Natur freut sich ebenfalls, wenn sie
nur aus einem Auspuff vollgequalmt wird
und nicht aus fünf. Die Kosten sinken also,
für alle. Doch um welchen Preis! Das Pro-
blem ist weniger, dass die Lehne des Vor-
dermanns den eigenen Knien in die Quere
kommt; an menschenrechtswidrig einge-
schränkte Beinfreiheit sind moderne Rei-
sende ja gewöhnt. Das Problem ist, dass
die Mitfahrgelegenheit dieser Enge das
Einzige nimmt, was sie halbwegs erträg-
lich macht: die Anonymität des Massenver-
kehrsmittels. Im Flugzeug darf, ja soll man
auch die allzu eng angeschmiegte Neben-
frau anschweigen. In der U-Bahn darf, ja
muss man über den auf die Pelle gerückten
Nachbarn hinwegsehen sowie über alles,
was die ungewollte Nähe so mit sich bringt.
Die Intimität des Autos dagegen nötigt zur
Konversation, zur sozialen Teilhabe. Es ist
wie im Fahrstuhl: Small Talk unter Frem-
den, die der Zufall in die gleiche Blechbüch-
se gesteckt hat – mit dem Unterschied,
dass das Ganze nicht nach fünf Etagen, son-
dern erst nach fünf Stunden vorbei ist.
Die Hölle, das sind die anderen – diesem
Satz dürfte auch Greta Thunberg aus der
ein oder anderen Perspektive zustimmen.
Und doch ist die Nachricht, dass die 16-jäh-
rige Schwedin eine Mitfahrgelegenheit ge-
sucht und gefunden hat, ausnahmsweise
weniger Ausdruck ihrer Bereitschaft, alles
zu tun, um nicht in ein Flugzeug steigen zu
müssen. Vielmehr beweist sie, dass sich
das Sinnvolle und das Angenehme verbin-
den lassen. Thunberg hat ihren digitalen
Daumen nicht am Straßenrand, sondern
am Meeresstrand ausgestreckt, und es ist
kein Auto rechts rangefahren, sondern der
KatamaranLa Vagabonde. Der wird sie nun
über den Atlantik nach Europa bringen,
rund zwei Wochen dauert der Törn. Die
Skandinavier wissen eben: Sharing ist su-
per, aber doch nicht mit dem Car! Im Segel-
boot ist die Beinfreiheit groß, die Kopffrei-
heit noch größer. Es bietet Raum für Gesell-
schaft, wenn sie gewünscht, und Einsam-
keit, wenn sie gebraucht wird. Privatsphä-
ren dürfen sich überschneiden, müssen es
aber nicht. Das Boot ist gemütlich unter
Deck und grenzenlos darüber, die Luft ist
frisch und ist sie mal dick, entweicht sie so-
fort. Im Auto gibt es einen Fahrer und vier
nutz- und machtlose Passagiere – eine
Bootsfahrt dagegen ist ein Gemeinschafts-
projekt. Es gibt immer irgendwo ein Seil,
an dem gezogen werden muss.
Und wenn doch Langeweile aufkommt:
Segelknoten üben geht immer. Das könnte
Greta Thunberg dann auch auf der UN-Kli-
makonferenz in Spanien helfen, dem Ziel
ihrer Reise. An Knoten fehlt es auf solchen
Konferenzen nie – wohl aber an Menschen,
die sie zu entwirren wissen.


DAS WETTER



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