Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
von m. balser, m. hägler,
j.heidtmann und c. kunkel

Berlin/Grünheide/Potsdam– Elon Musk
und der Peetzsee, das ist nicht leicht
zusammenzudenken. Eine Tesla-Giga-
factory in der Urlaubsregion im Südosten
Berlins. Die Gemeinde Grünheide mit
8500 Einwohnern ist bekannt für ihre Wäl-
der und Seen, kurz vor der Einfahrt in den
kleinen Ort begrüßt ein Denkmal zu Ehren
der sowjetischen Soldaten Gäste. Und jetzt
Tesla? Am frühen Morgen hat Bürgermeis-
ter Arne Christiani seine Mitarbeiter im
Rathaus versammelt und ihnen mitgeteilt,
was Elon Musk hier vorhat.
Auf dem kleinen Marktplatz vor dem
Rathaus gibt es immerhin schon mal eine
Elektrozapfsäule. Davor steht an diesem
Morgen ein junger Mann, der ein weißes
Tesla Model 3 fährt. Peer Heineken ist vor
sieben Jahren hierhergezogen und glaubt,
internationales Flair werde der Gegend
guttun: „Das könnte sehr spannend wer-
den.“ Der Hühnerbrater in der Mitte des
Marktplatzes ist etwas zurückhaltender,
die Straßen müssten dann unbedingt aus-
gebaut werden, sagt er.


Das Ziel von Tesla liegt rund vier Kilome-
ter südlich von Grünheide, dort, wo sich
die Bahnstrecke von Berlin nach Frankfurt
an der Oder mit dem Berliner Ring kreuzt.
Vor einigen Jahren wollte hier zwischen
Edeka-Lager und Autohof bereits BMW in-
vestieren, entschied sich dann aber für
Leipzig. Das Areal ist es deshalb schon weit-
gehend erschlossen, der Bau der Fabrik
könnte also schnell beginnen. Ein kleiner
Kiefernwald muss abgeholzt werden, Tes-
la will aber Geld zur Verfügung stellen, um
die dreifache Waldfläche wieder aufzufors-
ten.
Nicht nur in Grünheide ist man ange-
sichts des Tempos von Musk baff. Am Mit-
tag äußerte sich in Berlin auch die sichtlich
überraschte Bundesregierung zu der Ent-
scheidung vom Vorabend. Bundeswirt-
schaftsminister Peter Altmaier (CDU) hält
die Ankündigung des Amerikaners für ver-
lässlich. „Nach all den Gesprächen und
Kontakten, die stattgefunden haben, gehe
ich davon aus, dass dies unterlegt wird mit
konkreten Investitionsentscheidungen“,
sagte Altmaier in seinem Ministerium.


Der Tesla-Chef hatte am Dienstag-
abend die mit Spannung erwartete Ent-
scheidung fast beiläufig bekannt gegeben.
Musk hatte im 19. Stock der Springer-Zen-
trale in Berlin-Kreuzberg den Autopreis
„Goldenes Lenkrad“ in Empfang genom-
men, als er auf der Bühne noch eine „An-
kündigung“ loswerden wollte: Tesla habe
sich beim Bau einer neuen Fabrik für den
Großraum Berlin entschieden, sagte er. Al-
lerdings müsse der Standort schon etwas
schneller fertig werden als der Berliner
Flughafen. Als erstes Modell soll das SUV
Model Y im neuen Werk vom Band laufen.
Tesla hat sich bisher auch wegen Sub-
ventionen für Standorte entschieden. Das
ist branchenüblich, viele Regionen wollen
ein Autowerk haben, aber Elon Musk
macht das besonders exzellent. Für die Fa-
briken in den USA gab es Finanzhilfen,
auch das Werk in Shanghai wird bezu-
schusst. Zugleich wird Tesla dort die Ver-
kaufssteuer für die Wagen erlassen. Nun al-
so Brandenburg: Kann Musk auch dort auf


Hilfe hoffen? Wirtschaftsminister Altmai-
er stellte am Mittwoch klar: „Es ist bisher
nicht über Subventionen gesprochen wor-
den.“ Ein Unternehmer wie Musk tue dem
Land gut und stärke die wichtigste deut-
sche Industrie. „Wir werden sicher in der
Verwaltung das eine oder andere beschleu-
nigen müssen“, sagte Altmaier zum Zeit-
plan von Tesla.
Aus Kreisen der Regierung hieß es, dass
es seit Wochen Gespräche über einen mög-
lichen Standort in Deutschland gegeben

habe – aber auch viel Konkurrenz. Neben
dem Großraum Berlin seien Standorte an
der deutsch-französischen Grenze und so-
gar in Großbritannien im Gespräch gewe-
sen. Mit Emissären von Musk sei auch
über mögliche Finanzhilfen gesprochen
worden, etwa durch die deutsche Wirt-
schaftsförderungsgesellschaft der Regie-
rung, German Trade & Invest (GTAI). Vor al-
lem Brandenburg habe die Pläne forciert.
Dies sei ein Erfolg der Regierung in Pots-
dam, hieß es.

Dort aber weiß man auch um die Proble-
me. So ist der Standort mit öffentlichen Ver-
kehrsmitteln bislang kaum zu erreichen.
Das will die Landesregierung ändern. „Sie
glauben doch nicht, dass wir eine Investiti-
on in diesem Umfang an einem Bus schei-
tern lassen“, sagte Brandenburgs Wirt-
schaftsminister Jörg Steinbach (SPD). Bei
der Pressekonferenz in der Staatskanzlei
in Potsdam beschrieb Ministerpräsident
Dietmar Woidke (SPD), wie es zu dem Coup
kam: 30 Leute hätten seit sechs Monaten

verhandelt, „das ist eine Riesennummer
für Brandenburg“. Alles sei „absolut ver-
traulich“ geblieben. Auch die Nähe zu Ber-
lin habe Musk dazu gebracht, sich für den
Standort zu entscheiden. Ausschlagge-
bend sei aber gewesen, dass „wir Spitzen-
reiter bei der Versorgung mit erneuerba-
ren Energien sind“, sagte Woidke. „Wir kön-
nen klimafreundliche Produkte auch kli-
mafreundlich produzieren.“
Am Dienstag hätten der Tesla-Chef und
der brandenburgische Wirtschaftsminis-
ter noch im Hotel Adlon eine Absichtserklä-
rung unterzeichnet. Tesla wolle bereits im
ersten Quartal 2020 mit dem Bau der Giga-
factory beginnen, 2021 sollen die ersten
Wagen produziert werden. Steinbach woll-
te keine genaue Investitionssumme nen-
nen, die könne sich auch noch ändern, sei
aber auf jeden Fall „ein mehrfacher Milliar-
denbetrag“. Die Landesregierung rechnet
mit rund 7000 Arbeitsplätzen, in der

Gemeinde Grünheide wird bereits an einer
neuen Raumplanung für zusätzliche Woh-
nungen gearbeitet. Die Investition Teslas
wäre die größte in Brandenburg seit der
Wende. Fraglich sei jetzt nur, ob es Elon
Musk gelingt, den ehrgeizigen Zeitplan ein-
zuhalten: eine Gigafactory so schnell aufzu-
bauen wie in Shanghai.
Während Bernhard Mattes, Chef des Au-
tomobilverbands VDA, befand, dass die An-
siedlung von Tesla den Automobilstandort
Deutschland stärkt, fielen die Reaktionen
von Managern einiger deutscher Premium-
hersteller verhalten aus: Man müsse erst
einmal sehen, was da genau gebaut werde.
Tesla ist der große Angstgegner der deut-
schen Autoindustrie – der aber immer
noch nicht dauerhaft Geld verdient. Da lie-
gen Sorge und Spott nah beinander. In den
USA liegen die Verkaufszahlen des Model S
immer noch vor den entsprechenden deut-
schen Oberklassemodellen. Zum Mittel-
klasse-Stromer Model 3 gibt es weder von
BMW noch von Audi oder Mercedes ein ver-
gleichbares Angebot, das der Kunde heute
schon kaufen kann.
Nun ein Werk in Deutschland – das ist
ein direkter Angriff auf die hiesige Indus-
trie. Der aber auch Audi, BMW und Merce-
des helfen könne, glaubt Nord-LB-Analyst
Frank Schwope: „Es tut den Premiumher-
stellern gut, wenn sie Druck bekommen,
das beschleunigt die sowieso nötige Trans-
formation hin zur Elektromobilität.“ Tat-
sächlich sind die deutschen Autobauer im-
mer noch etwas verhalten beim Wechsel
der Antriebsart, aus gutem Grund, kann
man doch nur mit Verbrennern gutes Geld
verdienen. Einzig VW-Chef Herbert Diess
beschwört andauernd und laut die Elektro-
mobilität – als Vorbild hat er seinen Leuten
aber eben auch Elon Musk und Tesla be-
schrieben.  Seite 4

Teslas Entscheidung für Deutschland ist
auch eineEntscheidung gegen Großbritan-
nien. Im Vereinigten Königreich war die
Hoffnung jedenfalls groß, dass der Elektro-
auto-Hersteller einen Standort in England
für seine Fabrik oder sein Ingenieurs- und
Designzentrum wählen würde. Doch dar-
aus wurde aus einem ganz bestimmten
Grund nichts. „Der Brexit machte es zu ris-
kant, eine Gigafabrik in Großbritannien zu
errichten“, sagte Tesla-Chef Elon Musk der
britischen ZeitschriftAuto Expressnach
seiner Entscheidung in Berlin. Die Unsi-
cherheit, die der EU-Austrittsprozess mit
sich bringt, war Musk offenbar zu groß.
Schließlich ist noch immer völlig offen,
wann Großbritannien die Europäische Uni-
on verlässt. Selbst wenn dies wie geplant
am 31. Januar gelänge, gäbe es für Unter-
nehmen keine Garantie, dass es künftig
keinerlei Zölle oder sonstige Handels-
hindernisse zwischen Großbritannien und
der EU gibt. Angesichts der anhaltenden
Unsicherheit hatte zuletzt die Ratingagen-
tur Moody’s den Ausblick für Großbritanni-
en von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Als
Grund nannte die Agentur die Verunsiche-
rung und Lähmung durch den Brexit sowie
eine wahrscheinliche Verschlechterung
der britischen Wirtschaftskraft. AM

Berlin– Peter Altmaier hat es nicht leicht
indiesen Tagen. Schon am Dienstag hatte
der Wirtschaftsminister von der CDU Be-
such von Umweltverbänden, mehr als zwei
Stunden lang ließen sie ihrem Unmut frei-
en Lauf. Besonders über die geplanten Ein-
schränkungen für die Windkraft. Doch
nun bekommt er es mit einem Gegner zu
tun, vor dem der Wirtschaftsminister noch
mehr Respekt hat: der Industrie.
In einem Brandbrief von seltener Klar-
heit stellt sich der Lobbyverband BDI hin-
ter den Klimaschutz – und gegen die ge-
planten Einschränkungen der Windkraft.
Und das nicht allein: der Deutsche Gewerk-
schaftsbund, die beiden großen Energie-
verbände, die Windlobbys BWE und
VDMA – sie alle haben unterschrieben.
„Sehr geehrter Herr Bundesminister, Ener-
giewirtschaft, Industrie, Gewerkschaften
und Zivilgesellschaft erwarten, dass die
Bundesregierung mit Entschlossenheit an
einer modernen, zukunftsfähigen, CO2-
freien Energieversorgung arbeitet“, heißt
es in dem Schreiben. Und: „Die geplanten
Einschränkungen der Windenergie an
Land stellen allerdings die Realisierbarkeit
sämtlicher energie- und klimapolitischen
Ziele der Bundesregierung in Frage.“
Hintergrund ist ein Gesetzentwurf des
Bundeswirtschaftsministeriums. Vorder-
gründig regelt er den Ausstieg aus dem
Kohlestrom. Allerdings enthält er auch
einen Passus, der für neue Windräder ei-
nen Mindestabstand von 1000 Metern
selbst zu kleinsten Siedlungen vorsieht. Re-
gionalpläne, die anderes vorsehen und vor
2015 erlassen wurden, sollen ihre Gültig-
keit verlieren. Zugleich soll mit dem Gesetz
auch das Ökostrom-Ziel der Koalition fest-
geschrieben werden: 65 Prozent bis 2030.
Industrie und Gewerkschaften fällen
ein vernichtendes Urteil über den Vorstoß.
„Es ist uns unerklärlich, dass an einer Rege-
lung zu bundeseinheitlichen Mindestab-
ständen festgehalten wird“, schreiben sie,
„obwohl klar ist, dass damit das Ziel von
65 Prozent erneuerbare Energien in 2030
nicht gehalten werden kann.“ Der Ausbau
der Windenergie an Land werde mit die-
sem Vorstoß „auf lange Zeit massiv er-
schwert, unter Umständen sogar zum Erlie-
gen kommen“.
Das Wirtschaftsministerium argumen-
tiert mit der Akzeptanz neuer Windräder.
Ziel sei es, die Energiewende in Einklang
mit den Interessen vieler hundert Bürger-
initiativen zu bringen, erklärte eine Spre-
cherin am Montag. Im Übrigen könnten
Länder und Kommunen über eine „Opt-
out-Regel“ geringere Abstandsregeln fest-
legen. Doch nun bahnt sich auch innerhalb
der Bundesregierung Streit um die
1000-Meter-Regel an. Der Dissens sei „zu
groß“, um das Gesetz wie geplant am kom-
menden Montag zu beschließen, hieß es
am Mittwoch aus Regierungskreisen. Neu-
er Termin ist der 3. Dezember. Vorläufig.
Die Krise der Windkraft hat ohnehin
längst begonnen. Seit Monaten finden sich
kaum noch neue Projekte, in den ersten
neun Monaten waren so wenig neue Wind-
räder errichtet worden wie noch nie in die-
sem Jahrtausend. Erst vorige Woche hatte
Deutschlands Marktführer bei Windrä-
dern, Enercon, die Notbremse gezogen: Er
strich Jobs für 3000 Mitarbeiter. Auch ein
Krisentreffen in der niedersächsischen
Staatskanzlei am Mittwoch änderte daran
nichts mehr. michael bauchmüller

Luxemburg– Sie ist eine der größten Ban-
ken der Welt, und sie soll Vorkämpferin für
Klimaschutz sein: Die Europäische Investi-
tionsbank (EIB) in Luxemburg gehört den
EU-Mitgliedstaaten und fördert mit günsti-
gen Darlehen den Bau von Straßen oder Da-
tenleitungen, außerdem stellt sie Geld für
kleine Unternehmen bereit. In den Umwelt-
schutz fließen ebenfalls Milliarden; das
Institut ist wichtigster Finanzier von Pro-
jekten gegen den Klimawandel weltweit.
Ursula von der Leyen, die designierte Präsi-
dentin der EU-Kommission, fordert aber
noch mehr grünes Engagement – die EIB
soll Europas Klimabank werden, wie sie
sagt. An diesem Donnerstag soll die Staats-
bank einen wichtigen Schritt in diese Rich-
tung gehen, doch Streit in der Bundesregie-
rung könnte das verhindern.
Im Sommer schlug das Bank-Manage-
ment um Präsident Werner Hoyer, früher
FDP-Staatsminister, neue, klimafreundli-
chere Förderregeln vor. Demnach soll die
EIB von 2021 an keine fossilen Energiepro-
jekte mit ihren billigen Krediten unterstüt-
zen. Kohlemeiler finanziert sie schon lange
nicht mehr – nach der Änderung würden

auch Gaskraftwerke und -pipelines geäch-
tet. Am Donnerstag soll der Verwaltungs-
rat über die künftige Förderpolitik abstim-
men, und Beobachter erwarten eine ganz
knappe Entscheidung.
Das liegt unter anderem an der Bundes-
regierung. Deutschland, Frankreich, Itali-
en und Großbritannien sind die größten Ak-
tionäre mit jeweils gut 16 Prozent der Antei-
le und Stimmrechte. Die übrigen Anteile
verteilen sich auf die anderen EU-Staaten.
Der Vorschlag wird akzeptiert, wenn er
mehr als 50 Prozent der Stimmrechte auf
sich vereint. Deutschland will sich aber ent-
halten, was sich wie eine Nein-Stimme aus-
wirkt. Weil auch andere Staaten wie Polen
und Italien Bedenken gegen den Bann für
Gas-Projekte hegen, könnte der grüne Vor-
stoß scheitern – oder das Votum wird ver-
schoben, wie es bereits bei der Verwaltungs-
rat-Sitzung im Oktober geschah.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) unterstützt den EIB-Plan, doch ein
Sprecher seines Ministeriums sagt, es sei
„nicht geglückt, die gesamte Bundesregie-
rung auf eine einheitliche Position festzule-
gen“. Daher muss sich der deutsche Vertre-

ter im Verwaltungsrat enthalten. Offenbar
leistet vor allem CDU-Bundeswirtschafts-
minister Peter Altmaier Widerstand.
Dabei ist die EIB-Führung Gasfreunden
sogar entgegengekommen. Dafür änderte
sie vorige Woche den Entwurf ein wenig
ab. Jetzt sollen zumindest manche Pipe-
lines ein Jahr länger von Billigkrediten pro-
fitieren, zudem könnte die Umrüstung von
Leitungen für den Transport klimafreund-
licher Gase wie Wasserstoff unterstützt
werden. Um Ländern, die stark von Erdgas
abhängig sind, den Ausstieg zu erleich-
tern, verspricht die EIB, Ökostrom-Projek-
te noch großzügiger zu fördern als ohnehin
vorgesehen. Mehr Hilfe soll es auch für den
Strukturwandel in Kohleregionen geben.
Die Zugeständnisse bei Pipelines gehen
Klimaschützern bereits zu weit. Da diese
jahrzehntelang in Betrieb seien, würden
neue Projekte „wie Blei auf den EU-Klima-
zielen liegen“, sagt ein Sprecher der Grup-
pe Urgewald. Bank-Präsident Hoyer will
trotz des Widerstands aus einigen Mitglied-
staaten an seinen Plänen festhalten: „Wir
werden uns nicht von unseren ehrgeizigen
Zielen verabschieden.“ björn finke

Gut möglich, dass sie geschäumt haben
in denFührungsetagen der deutschen Au-
tokonzerne, als das Foto des Managerkol-
legen Heinrich Hiesinger vor vier Jahren
die Runde machte. Es zeigt den damali-
gen Chef des Thyssenkrupp-Konzerns lä-
chelnd am Steuer eines Model S von Tesla


  • jenes Emporkömmlings, der angetre-
    ten ist, den deutschen Pkw-Herstellern
    den Garaus zu machen. Doch die Aufnah-
    me war nicht als Provokation gemeint.
    Der Firmenboss, zu dessen Konzern etwa
    der Stoßdämpferfabrikant Bilstein zählt,
    besuchte lediglich einen wichtigen Kun-
    den: „Tesla Motors von außen, Thyssen-
    krupp von innen“, dichteten Hiesingers
    Adlaten auf der Facebook-Firmenseite.
    Tesla von außen, deutsche Technik
    von innen: Auch ohne Werk in der Bun-
    desrepublik entwickeln sich die Modelle


des US-Elektroautobauers schon seit Jah-
ren immer mehr zu „deutschen“ Pkw. Da-
bei ist neben Thyssenkrupp beinahe alles
vertreten, was in der hiesigen Zuliefer-
industrie einen Namen hat: von den Mul-
ti-Anbietern Bosch, ZF und Continental
über den Sitzespezialisten Recaro, den
Chip-Hersteller Infineon und den Innen-
raumausstatter Dräxlmaier bis zum
Soundanlagen-Fachbetrieb S1nn. An der
Produktion der Teslas im kalifornischen
Fremont sind unter anderem Maschinen
und Roboter von Schuler, Kuka und Dürr
beteiligt. Mindestens 36 deutsche Tesla-
Zulieferer zählte die Wirtschaftswoche
im vorigen Jahr. Den rheinland-pfälzi-
schen Automationsexperten Grohmann
kauften die Amerikaner gleich ganz – oh-
ne ihn würde die Massenproduktion des
Model 3 wohl immer noch nicht laufen.

Dass Firmenchef Elon Musk der deut-
schen Autoindustrie den Kampf ansagt,
zugleich aber bei ihr einkauft, ist aus sei-
ner Sicht kein Widerspruch. Denn so sehr
viele Tesla-Fahrer ihr Auto auch vereh-
ren, so sehr kämpft das Unternehmen im-
mer noch mit Qualitätsmängeln. Da kom-
men ihm die etablierten deutschen Zulie-
ferer gerade recht. „Es ist schlicht unmög-
lich, ein Luxusauto ohne deutsche Kom-
ponenten zu bauen“, schrieb ein Kolum-
nist der US-Wirtschaftsnachrichtenagen-
turBloombergschon vor gut zwei Jahren.
Das sieht wohl auch Musk so, wie sein
Votum für Berlin und Brandenburg zeigt.
Es sei wichtig, so hatte der schillernde Fir-
menchef schon nach der Übernahme von
Grohmann erklärt, „dass Tesla zumin-
dest in Teilen ein deutsches Unterneh-
men wird“. claus hulverscheidt

Köln– Matthias Zachert ist nicht der erste
Chef, der klimaneutral werden will. Viele
Firmen werben damit, bis zu welchem Jahr
sie keine Treibhausgase mehr ausstoßen
wollen. Und doch ist Zacherts Ankündi-
gung eine Neuheit: Mit Lanxess verspricht
erstmals ein großer Chemiekonzern aus
Deutschland, dass er bis 2040 CO2-neutral
wirtschaften wolle. „Wir werden uns von
schmutziger Chemie trennen“, so Zachert.
Bis 2040 wirkt es zwar noch lange hin.
Allerdings brauchen Chemiefabriken seit
jeher viele Rohstoffe wie Öl, Gas und
Strom. So zeichnete sich alleine Lanxess
im vergangenen Jahr für den Ausstoß von
3,2 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich.
Zum Vergleich: Ganz Deutschland emittier-
te gut 865 Millionen Tonnen. Diese Zahl
muss künftig zurückgehen, damit die Bun-
desrepublik ihre klimapolitischen Ver-
pflichtungen einhalten kann.
Lanxess setzt sich das Zwischenziel, den
Ausstoß bis 2030 zu halbieren. „Das schaf-
fen wir durch unsere eigenen Hände und
Grips“, sagt Vorstandschef Zachert. Bei-
spielsweise will das Unternehmen Anlagen
in Belgien derart umbauen, dass künftig


kein klimaschädliches Lachgas mehr in die
Umwelt strömt. Auch wollen die Kölner ih-
re Fabriken in Indien künftig mit Biomasse
und Solarenergie betreiben statt mit Kohle
und Gas. Derlei Umbauten sollen zunächst
etwa 100 Millionen Euro kosten.
Damit Lanxess danach auch das Ziel für
2040 erfüllen könne, müsse die Politik Rah-
menbedingungen setzen, mahnt Zachert:
„Dafür brauchen wir Netze, dafür brau-
chen wir regenerative Energien, und zwar
zu wettbewerbsfähigen Preisen.“ Ähnlich
äußern sich etwa Stahlhersteller, die für ei-
ne klimaneutrale Zukunft auf Ökostrom
und Wasserstoff setzen. Umso mehr be-
sorgt die Industrie, dass etwa der Ausbau
von Windrädern in Deutschland zuletzt er-
lahmt ist.
Die Firmen reagieren mit ihren Plänen
nicht nur auf den Druck von Politik und Ge-
sellschaft. Auch muss die Industrie in der
EU Zertifikate für CO2-Emissionen kau-
fen. Die EU gibt von Jahr zu Jahr weniger
Verschmutzungsrechte aus; deren Preis
hat sich zuletzt vervierfacht. Zudem plant
die Bundesregierung einen CO2-Preis, der
klimaschädliches Verhalten auch im Ver-

kehrs- und Gebäudesektor verteuern soll.
Unternehmen wie Lanxess befürchten
nun, dass sie künftig doppelt für ihren CO2-
Ausstoß belangt werden könnten.
Lanxess entstand 2004, als der Bayer-
Konzern einige Chemie- und Kunststoffge-
schäfte abspaltete. Seitdem habe Lanxess
die Treibhausgasemissionen bereits hal-
biert, betont Zachert. Dazu hat freilich
auch beigetragen, dass die Kölner ihr roh-
stoffgetriebenes Kautschukgeschäft kürz-
lich abgegeben haben – und eher auf Spezi-
alchemikalien mit niedrigerem CO2-Aus-
stoß setzen. Andere Chemiekonzerne wie
BASF haben ebenfalls angekündigt, dass
sie in den nächsten Jahren zwar weiter
wachsen wollen, ihre Treibhausgasemissi-
onen aber nicht mitsteigen sollen.
Bei Lanxess haben sie sich einen Kniff
überlegt, damit das Klima auch wirklich in
den Köpfen der Manager ankommt: Wie
stark die Emissionen zurückgehen, soll
fortan ein Kriterium sein, an dem sich die
Boni für Führungskräfte bemessen. Mana-
ger wie Zachert sollen künftig also auf ih-
rem Kontoauszug spüren, ob sie Wort ge-
halten haben. benedikt müller

Zu riskant


Berlin will Klimaschutz verhindern


Die EU-Förderbank plant, Hilfen für Gasprojekte zu streichen. Wäre da nicht Deutschland


Ein deutsches Auto


Schon heutestecken in einem Tesla Teile von bis zu drei Dutzend hiesigen Zulieferern


Schluss mit „schmutziger Chemie“


Lanxesswill bis 2040 klimaneutral sein – und macht Boni für Manager davon abhängig


Riesennummer am Peetzsee


Tesla-Chef Elon Musk will seine nächste Gigafactory für E-Autos in der Nähe von Berlin bauen, schon 2021 soll sie in Betrieb gehen.
In Brandenburg ist man baff – und erhofft sich 7000 neue Arbeitsplätze

Tesla-Chef Elon
Musk wird in Zu-
kunft wohl häufiger
in Deutschland sein.
Schon 2021 sollen in
einer neuen Tesla-Fa-
brik in Brandenburg
die ersten Elektroau-
tos vom Band laufen.
FOTO: JAE C. HONG/DPA

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des Investors überrascht


20 HBG (^) WIRTSCHAFT Donnerstag, 14. November 2019, Nr. 263 DEFGH
Diese Bäume müssen weichen, damit in Grünheide die neue Tesla-Fabrik entstehen kann. FOTO:MONIKA SKOLIMOWSKA / DPA
Die möglichen Flächen für Windräder
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Breitseite gegen
Altmaier
In einem Brandbrief warnt die
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