Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
von felix haselsteiner

D


ie weißen Flecken sind allgegen-
wärtig in Aotearoa, wie Neusee-
land in der Sprache der Maori
genannt wird. Ganz gleich,
durch welchen Teil des Landes man reist,
ob durch den subtropischen Norden der
Nordinsel, die gemäßigten Regionen um
die Cookstraße oder im rauen Süden der
Südinsel, die weißen Flecken in der grünen
Landschaft sind ein ständiger Begleiter:
Schafe, so weit das Auge reicht. 27,58 Milli-
onen lebten 2016 in Neuseeland (Quelle für
alle Zahlen: environmentguide.org.nz), das
macht bei einer Bevölkerung von 4,6 Millio-
nen Menschen etwa sechs Schafe pro Ein-
wohner, womit Neuseeland gemessen an
der Einwohnerzahl auch weiterhin die größ-
te Herde der Welt beheimatet.
Doch ist die Zahl der Schafe ein guter
Indikator dafür, wie sehr sich Neuseeland
in den vergangenen Jahrzehnten gewan-
delt hat. Wie aus einem reinen Woll- und
Fleischproduzenten ein effizientes Ex-
port- und Tourismusland wurde, das heute
für ausgezeichneten Wein und hochwerti-
ge Lebensmittel ebenso bekannt ist wie für
seine traumhaften Landschaften.


Ein kleiner Rückblick: 1982 bewohnten
3,2 Millionen Menschen die zwei Inseln –
und sagenhafte 70,3 Millionen Schafe (un-
gefähr 22 pro Kopf also). Wirtschaftlich
war das global gesehen kleine Neuseeland
nicht allzu bedeutend: Das Bruttoinlands-
produkt betrug 24,35 Milliarden US-Dol-
lar, die Agrarindustrie war der dominieren-
de Wirtschaftszweig, etwa 463 000 Touris-
ten reisten damals nach Neuseeland. Fast
vier Jahrzehnte später hat sich Neuseeland
zu einem der beliebtesten Reiseziele der


Welt entwickelt: 2018 kamen 3,82 Millio-
nen Touristen in das Land, die überwiegen-
de Mehrheit aus dem nahen Australien, ge-
folgt von China, den USA und Großbritanni-
en. Neuseeland ist längst nicht mehr nur
ein Land für Abenteurer und Backpacker,
der Tourismus ist luxuriöser und komfor-
tabler geworden: Lodges auf der Nordinsel
mit Zugang zu einigen der weltbesten Golf-
plätze gibt es ebenso wie hochpreisigen Ski-
tourismus in den alpinen Regionen auf der
Südinsel. Die wirtschaftliche Entwicklung
ist überaus positiv, mittlerweile liegt das
BIP bei rund 210 Milliarden US-Dollar.
Neben dem Tourismus setzt das Land
mehr und mehr auf Exporte und eine Diver-
sifizierung der Wirtschaft. Die Nachfrage
nach Schafwolle hat seit den Achtzigerjah-
ren stark abgenommen, doch Neuseeland
fand andere Wege, um seine günstigen kli-
matischen Bedingungen zu nutzen: 99 Pro-
zent des im Land produzierten Lamm-
fleischs etwa werden exportiert. Auch im
Obstanbau hat Neuseeland eine führende
Rolle eingenommen: Etwa ein Zehntel der
weltweit angebauten Kiwifrüchte kommt
aus Neuseeland, Tendenz steigend. Das bes-
te Beispiel für die Veränderung des Landes
hin zum Produzenten hochwertiger Nah-
rungsmittel ist jedoch die Weinindustrie:
1995 produzierten die neuseeländischen
Weinbauern 56 Millionen Liter Wein, 2018
waren es 301 Millionen Liter. Auf beiden In-
seln wird mittlerweile Wein angebaut,
Hauptregionen sind Marlborough auf der
Südinsel und die Hawke’s Bay auf der Nord-
insel. Während in den Neunzigerjahren fast
ausschließlich Sauvignon Blanc angebaut
wurde, haben inzwischen auch andere Sor-
ten an Bedeutung gewonnen: Pinot Noir,
Chardonnay, Pinot Gris und Merlot.
Neuseeland gilt als grünes Paradies in
der südlichen Hemisphäre – und verän-
dert sich dadurch: 131 500 Einwanderer
hatte Neuseeland 2017, die meisten aus
Australien, Großbritannien und China. Die
Einwanderungsgesetze sind streng, die Re-

gierung von Premierministerin Jacinda Ar-
dern mit dem rechtskonservativen Außen-
minister Winston Peters von der Partei
New Zealand First hat die Anforderungen
für qualifizierte Einwanderung weiter ver-
schärft: Ihr Ziel ist es nach eigener Aussa-
ge, die Quote damit jährlich um etwa
20000 Einwanderer zu senken.
Ardern, eine progressive und äußerst be-
liebte Premierministerin, sieht die Proble-
me vor allem in der Infrastruktur, Bevölke-
rungswachstum sei vor ihrer Zeit „zu we-
nig geplant gewesen“, sagte sie in einem In-
terview 2017. Auch ein reiches Land wie
Neuseeland hat mit Problemen sozialer Un-
gleichheit zu kämpfen: Vor allem in den
Großstädten des Landes sind die Immobili-
enpreise seit Anfang des Jahrtausends
massiv angestiegen, laut einer Studie der
Universität Yale leben dadurch 40 000
Menschen – ein Prozent der Bevölkerung –
auf der Straße oder in Notunterkünften,
was die höchste Rate in allen entwickelten
Ländern weltweit ist. Die Einwanderungs-
politik hängt direkt damit zusammen: Die
Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, auslän-
dische Investoren, die die Preise nach oben
treiben, deutlich einzubremsen.

Touristen bekommen von diesen Politik-
maßnahmen nicht allzu viel mit – außer
bei der Einreise: Neuseelands Grenzkon-
trollen am Flughafen sind überaus peni-
bel. So dürfen keinerlei Lebensmittel mit
ins Land gebracht werden, im Einreisefor-
mular muss die Frage, wann der letzte
Aufenthalt in einem landwirtschaftlichen
Betrieb war, beantwortet werden, und
Schuhe, die Spuren von Gras oder Erde auf-
weisen, werden von den Einwanderungsbe-
hörden sogar gereinigt.
Man will in Neuseeland nichts dem Zu-
fall überlassen und seinen Ruf als grünes
Paradies auf keinen Fall aufs Spiel setzen –
und setzt daher auf mehr Ökologie: Bis
2028 will die Regierung eine Milliarde Bäu-
me pflanzen und so ein Gegengewicht zur
Viehwirtschaft aufbauen, die für zu hohe
Methanemissionen und Wasserverschmut-
zung verantwortlich ist. Von Aufforstung
sollen nicht nur die Forstbetriebe, sondern
auch die Touristen profitieren: Die weißen
Schafe auf grünem Gras sollen bald nicht
mehr das einzige Landschaftsbild sein, das
Besucher in Erinnerung behalten.
Überhaupt bietet Neuseeland weitaus
mehr als nur tolle Ausblicke: Auch wenn
der Zuzug streng reglementiert wird, die In-
sel im Pazifik ist und bleibt ein Einwande-
rungsland mit einer diversen, gastfreundli-
chen und weltoffenen Bevölkerung.

Es dampft rund um den Lake Rotorua.
AusSpalten, unter Steinhaufen hervor,
auf Plätzen, in Vorgärten oder Hinterhö-
fen. Da sind plötzlich aufblubbernde
Tümpel und Gehwege, die so warm sind,
als hätte sich die Gemeinde dafür eine
Fußbodenheizung geleistet. Und immer
wieder riecht es nach faulen Eiern. Denn
die Gegend zwischen Rotorua und Tau-
po ist eine der aktivsten geothermischen
Regionen weltweit. Viele Einwohner nut-
zen die natürliche Wärme zum Kochen,
Duschen und Heizen.
Vor allem aber haben die heißen Quel-
len Rotorua zu einem Kur- und Badeort
gemacht, der an einem See mitten in ei-
ner Caldera mit einem Durchmesser von
16 Kilometern liegt. Da der Vulkan zum
letzten Mal vor 240 000 Jahren so richtig
ausgebrochen ist, hält sich die Sorge in
Grenzen. Wanderwege führen zu Dampf-
becken, Schlammtöpfen, bunten Terras-
sen und Vulkanseen, deren Wasserstand
um mehrere Meter differiert, je nach-
dem, wann man hineinschaut. Knapp au-
ßerhalb der Stadt schießt bis zu zwanzig
Mal am Tag ein Geysir dreißig Meter in
die Höhe. Man kann die Gegend getrost
ein vulkanisches Wunderland nennen.
Am heißesten geht es in Hell’s Gate
her. Eine Dampfkammer heizt natürli-
che Wasserreservoirs, die durch Risse im
Gestein Pools speisen. Temperaturen
und pH-Wert schwanken von Pool zu
Pool, ebenso der Schwefelgehalt. Mal
ploppt es grau und dick, mal klar, mal
dampft es bis zu den Wolken hinauf,
dann zischt es, wenn Oberflächenwasser
auf heiße Felsen fällt. Die Namen der Or-
te tun ihr Übriges: Hohepriesterpool,
Teufelsbad, Sodom & Gomorrha, Infer-
no, Dampfende Kliffs.
Die Maori, die zu dem Gebiet Tikitere
sagen, schickten früher ihre Kämpfer
her, zum Wundenheilen. Heute hofft
man dort in Neuseelands einzigem
Schwefel- und Schlammspa auf Linde-
rung bei Arthritis, Entzündungen und
auf eine jüngere Haut. Seinen engli-
schen Namen bekam die Gegend, als der
Dramatiker George Bernard Shaw bei ei-
nem Besuch ausrief: Das könnte das Tor
zur Hölle sein. Jüngst wurden Nasa-Mit-
arbeiter in Hell’s Gate gesehen. Die Hölle
ist denen egal, sie erhoffen sich stattdes-
sen wegen ähnlicher Gesteinsstruktu-
ren Aufschlüsse über den Mars (hellsga-
te.co.nz). anja martin

Bis 2028 will die Regierung eine
MilliardeBäume pflanzen –
als Ausgleich für die vielen Schafe

Der Tourismus wird luxuriöser:


Zuden Backpackern gesellen


sich Golfspieler und Skifahrer


Grün


mit Schatten


Neuseeland ist weltoffen und modern, die


Wirtschaft floriert. Doch auch im vermeintlichen


Paradies nimmt die soziale Ungleichheit zu


Vulkanisches


Wunderland


Geysire und Schlammtöpfe: Es
blubbert höllisch um Rotorua

Die All Blacks, Neuseelands legendäres Rugby-Team, tanzen vor jedem Spiel
den traditionellenHaka, aus Respekt vor den Ureinwohnern des Landes.
Schafe kamen erst später, mit den Siedlern aus Europa. FOTOS: REUTERS, IMAGO

30 SZ SPEZIAL – NEUSEELAND Donnerstag, 14. November 2019, Nr. 263 DEFGH


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