Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
EINE PUBLIKATION VON SMART MEDIA

08 INTERVIEW DR. ULRICH WESSELS


Die digitale Transformation verändert die Art und Weise, wie Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf ausüben. Dr. Ulrich Wessels,
Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, sieht darin potenzielle Vor- und Nachteile. Welche dies sind, verrät er im Interview.

INTERVIEW SMA

»Wo ›Legal Tech‹ draufsteht,


muss immer auch ›Anwalt‹ drinstecken«


Zur Person

Dr. Ulrich Wessels hat sein rechtswissen-
schaftliches Studium in Münster und Frei-
burg absolviert. Nach einer Auslands-
station in London und Promotion mit dem
Thema »Testamentsvollstreckung an ei-
nem Kommanditanteil« ist er seit 1988 zur
Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seit mehr
als 20 Jahren betreut er als Rechtsanwalt
Mandanten im zivil- und verwaltungs-
rechtlichen Bereich mit Schwerpunkten im
Medizin und Arzthaftungsrecht, Familien-
recht sowie Bau- und Beamtenrecht ein-
schließlich Disziplinarrecht.

Dr. Wessels, kommenden Monat jährt


sich Ihre Wahl zum Präsidenten der


BRAK erstmals. Welches Fazit ziehen


Sie nach dem ersten Amtsjahr?


Mein persönliches Fazit: Enttäuschung über


die Rechtspolitik. Im Wesentlichen ist berufs-


politisch nichts geschehen, obwohl wir uns


nach Kräften für die Interessen der Anwalt-


schaft eingesetzt haben. Aufgrund der vergan-


genen langwierigen Koalitionsverhandlungen


und des nachfolgenden doppelten Wechsels


im Ministerium der Justiz und für Verbrau-


cherschutz lag die Rechtspolitik zwischen-


zeitlich beinahe vollständig brach. Und das,


obwohl wichtige Reformen anstehen! So ist


eine Gebührenanpassung im Rechtsanwalts-


vergütungsgesetz (RVG) mehr als überfällig.


Die letzte Anpassung liegt über sechs Jahre


zurück. Auch im anwaltlichen Gesellschafts-


recht hätte längst etwas passieren müssen.


Ganz aktuell nimmt jetzt die Diskussion


durch die Veröffentlichung des Eckpunkte-


papiers zum anwaltlichen Gesellschaftsrecht


endlich etwas Fahrt auf. Auch wenn das


Papier nur erste Überlegungen zu dem The-


ma enthält, hat die BRAK sogleich mit einer


Presseerklärung auf kritikwürdige Aspekte


reagiert.


Ansonsten kann ich rückblickend auf das


vergangene Jahr festhalten, dass wir in be-


wegten Gewässern segeln. Der Rechtsmarkt


ist im Umbruch, wir sehen uns Angriffen auf


das Mandatsgeheimnis ausgesetzt, denen wir


standhalten müssen. Zahlreiche Gesetzge-


bungsvorhaben beobachten wir mit Besorg-


nis, sei es im Bereich der Modernisierung des


Strafprozesses, sei es hinsichtlich möglicher


Meldepflichten bei legaler Steuergestaltung.


Es dürfen weder die Kernwerte der Anwalt-


schaft – insbesondere das Mandatsgeheim-


nis – noch Beschuldigtenrechte ins Visier


genommen werden. Derartige Vorhaben sind


mit unserem Rechtsstaat unvereinbar.


Die Digitalisierung erfasst derzeit alle


Branchen und Organisationen. Welche


Auswirkungen stellen Sie fest?


Der Anwaltsberuf ist längst digital. D ie BRAK


hat für jede Kollegin und jeden Kollegen nach


gesetzlicher Vorgabe und auf gesetzlicher


Grundlage ein besonderes elektronisches


Anwaltspostfach (beA) eingerichtet, über das


Anwälte untereinander aber auch mit Gerich-


ten kommunizieren können. Spätestens ab



  1. Januar 2022 sind Rechtsanwältinnen und


Rechtsanwälte flächendeckend verpflichtet,


den Gerichten Dokumente elektronisch zu


übermitteln.


Auch sonst tut sich so einiges: Der Gesetzge-


ber hat kürzlich vier Referentenentwürfe zur


Einführung der elektronischen Akte in Straf-


sachen auf den Weg gebracht. Natürlich be-


obachten wir auch diese Entwicklungen sehr


genau und haben als BRAK eine Stellung-
nahme zu den Entwürfen abgegeben, um die
Interessen Mandantinnen und Mandanten
sowie der Anwaltschaft und zu wahren.

Demnach ist die Entwicklung
eher positiv zu werten?
Grundsätzlich ist nicht zu verkennen, dass
die Digitalisierung – gerade im Bereich Legal
Te ch – Chancen für die Anwaltschaft bietet.
Die Entwicklungen sind im Ansatz positiv
und zukunftsorientiert. Kritisch sind allerdings
hier politische Überlegungen hinsichtlich einer
Öffnung des Rechtsdienstleistungsgesetzes
(RDG) zu sehen. Diese lehnen wir nachdrück-
lich ab. Legal Te ch darf es nicht ohne anwaltli-
che Beteiligung und Beratung geben. Die um-
fassende Befugnis zu Rechtsberatungen kann
und darf nur Rechtsanwältinnen und Rechts-
anwälten zukommen. Nur diese unterliegen
dem anwaltlichen Berufsrecht, insbesondere
der Verschwiegenheitspflicht und dem Verbot
der Vertretung widerstreitender Interessen, und
nur die Anwaltschaft berät Mandantinnen und
Mandanten unabhängig und frei.

Wie könnte die Digitalisierung
konkret zu einer Verbesserung
des Anwaltsberufs beitragen?
Eine große Chance sehe ich für die Qualität
anwaltlicher Dienstleistung. Allein die Daten-
menge, die sich mit Legal Tech verarbeiten
lässt, kann die anwaltliche Beratung noch um-
fassender und damit besser machen.

Zum Verständnis: Was zeichnet Legal
Tech aus und welche Einsatzgebiete
erachten Sie als dafür geeignet?
Durch Legal Tech lassen sich immense Da-
tenmengen verarbeiten und nutzen. Schon

heute arbeiten Kolleginnen und Kollegen mit
automatisierten Tools, um Verträge zu gene-
rieren oder automatisiert Rechtsprechung ab-
zugleichen. Wichtig ist und bleibt, sich nicht
auf diese Tools allein zu verlassen, sondern das
Ergebnis mit anwaltlicher Fachkenntnis zu
überprüfen und zu optimieren.

Und welche potenzielle Gefahren
birgt die Digitalisierung?
Die größte Gefahr sehe ich wie bereits an-
gesprochen in einer Verwendung von Legal
Tech ohne anwaltliche Beratung. So sieht ein
Gesetzesentwurf der FDP-Fraktion eine Öff-
nung des RDG vor. Von Legal Tech-Anbie-
tern wird nach diesem Entwurf lediglich »be-
sondere Sachkunde« verlangt. Eine Zulassung
zur Anwaltschaft muss der Verantwortliche
hiernach nicht haben. Sich im Bereich von
Rechtsdienstleistungen allein auf Algorith-
men zu verlassen, ist im Sinne des Mandan-
ten- und Verbraucherschutzes kein gangbarer
Weg. Oder vereinfacht gesagt: Wo Legal Tech
drauf steht, muss immer auch Anwalt drin-
stecken.

Der Datenschutz ist im digitalen
Zeitalter ein vieldiskutiertes Thema.
Im vergangenen Jahr stand das
bereits erwähnte elektronische
Anwaltspostfach beA wegen »massiver
Sicherheitslücken« in der Kritik. Wie
schätzen Sie die Situation ein?
Datenschutz ist nicht nur in der digitalen Welt
von Belang, sondern auch in der »Papierwelt«
von großer Bedeutung. Für den Anwalt geht
er Hand in Hand mit der Verschwiegen-
heitspflicht. Mit dem beA gab es zu keiner
Zeit datenschutzrechtliche Probleme, ganz
im Gegenteil. Die Nachrichten im Postfach

waren jederzeit durchgehend verschlüsselt. Es
gab Sicherheitsprobleme mit der Client Secu-
rity, also quasi der Brücke zum elektronischen
Postfach. Die Nachrichten selbst waren zu
keiner Zeit betroffen. Die Probleme sind zu-
dem längst beseitigt; dies hat ein Sicherheits-
gutachten einer unabhängigen und namhaften
Gutachterfirma bestätigt. Vor diesem Hin-
tergrund können wir nur dazu raten, daten-
schutzrelevante Informationen über das beA,
statt unverschlüsselt via einfacher E-Mail, zu
versenden.

Wie wird sich durch die Digitalisierung
der Berufsstand der Juristen in
Deutschland insgesamt verändern?
Sprich müssen z.B. die Berufsordnung
der Rechtsanwälte (BORA) oder
die Fachanwaltsordnung (FAO)
angepasst werden, um künftigen
Herausforderungen gerecht zu werden?
Durch die Digitalisierung ergeben sich natür-
lich Änderungen im Berufsalltag. Auch die
Mandanten verlangen nach elektronischer
Kommunikation, wollen nicht mehr nur pos-
talisch, sondern möglichst schnell und direkt
informiert werden. Zwangsläufig muss sich
auch das Berufsrecht mitentwickeln. Die
Satzungsversammlung, das Parlament der
Anwaltschaft, hat dem kürzlich mit einer
Ergänzung der BORA Rechnung getragen.
Zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist die
Nutzung eines elektronischen oder sonstigen
Kommunikationsweges, der mit Risiken für
die Vertraulichkeit dieser Kommunikation
verbunden ist, jedenfalls dann erlaubt, wenn
der Mandant ihr zustimmt.

Zum Schluss: Der digitale Anwalt
mit künstlicher Intelligenz (KI)


  • nahes Zukunftsszenario oder
    für immer eine Fiktion?
    Für mich ganz klar Fiktion. KI wird sowohl in
    beratender oder (prozess-)taktischer wie auch
    in persönlicher Hinsicht die Rechtsanwältin/
    den Rechtsanwalt nie ersetzen können.

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