Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1

New York– Donald Trumps größtes han-
delspolitisches Problem ist derzeit, einen
Termin und einen Ort für die Unterzeich-
nung des sogenannten „Phase-1“-Abkom-
mens zu finden – jenes Schmalspurver-
trags über die Steigerung der US-Agrarex-
porte nach China, den er mit Peking ausge-
handelt hat. Der „Deal“ klammert alle zen-
tralen Probleme zwischen den beiden größ-
ten Volkswirtschaften der Welt aus, doch da
der US-Präsident Inszenierungen liebt,
muss es nun ein Treffens mit seinem chine-
sischen Amtskollegen Xi Jinping geben. Der
ursprüngliche Plan, das Abkommen Mitte
November am Rande des Gipfels der Pazifik-
anrainerstaaten zu unterschreiben, war ge-
platzt, weil der Gastgeber Chile die gesamte
Konferenz schlicht abgesagt hatte.
Derlei Inszenierungssorgen hätten die
Tausenden US-Firmen gerne, die sich täg-
lich mit den Folgen der Trumpschen Zoll-
politik herumschlagen müssen. Der Präsi-
dent hat mittlerweile Lieferungen aus Chi-
na im Wert von mehr als 360 Milliarden
Dollar mit Strafabgaben von bis zu 25 Pro-
zent belegt, um die Volksrepublik zu zwin-
gen, ihren hohen Exportüberschuss zu be-
seitigen und das Subventionsprogramm
zum Aufbau neuer Weltmarktführer in
wichtigen Zukunftstechnologien zu stop-
pen – bisher ohne Erfolg. Anders als von
Trump behauptet, bleiben die Zollkosten
nur zum geringen Teil an den chinesischen
Lieferanten, sondern vor allem an den ame-
rikanischen Importeuren hängen. Allein
bis Ende August soll die Politik des Präsi-
denten die US-Betriebe bereits mit mehr
als 34 Milliarden Dollar belastet haben.
Während viele Firmen die Zusatzkosten
zunächst in der Bilanz versteckten und nur
teils an die Kunden weitergaben, bleibt ih-
nen mittlerweile nichts anderes übrig, als


die Preise zu erhöhen. Andere versuchen,
die Zölle mit Ausnahmegenehmigungen
zu umgehen. Nach Recherchen des Nach-
richtenportalsAxiossind schon mehr als
44000 entsprechende Anträge beim Amt
des Handelsbeauftragten Robert Lighthi-
zer eingegangen, nur etwa jeder zehnte
wurde bisher genehmigt. Dabei ist völlig
unklar, warum dem einen Gesuch stattge-
geben wird und dem anderen nicht. „Das
Antragsportal beim US-Handelsbeauftrag-
ten ist derzeit der wichtigste Ort der gesam-
ten Weltwirtschaft“, sagte der Handelsan-
walt Daniel Ujczo dem Nachrichtenportal.
LautWall Street Journalhat allein der
Autoteile-Lieferant Arrowhead aus Minne-

sota Tausende Ausnahmeanträge gestellt.
Das Unternehmen kauft Ersatzteile für
Pkw, Rasenmäher und andere Geräte in
China ein und vertreibt diese als Alternati-
ve zu teureren Originalteilen in den USA.
Seit Einführung der Zölle wird auf prak-
tisch jedes Produkt eine Zusatzabgabe von
25 Prozent fällig, das gesamte Geschäfts-
modell steht deshalb in Frage. Weil Lighthi-
zers Amt Firmen rät, möglichst genau zu
begründen, warum Importwaren von den
Zöllen befreit werden sollten, hat Arrow-
head für jedes einzelne Produkt einen eige-
nen Antrag gestellt – von der Dichtung
über den Luftfilter bis zur Zündkerze.
Und noch eine Branche leidet: die Land-
wirtschaft. Ihr ist mit China einer der wich-
tigsten Absatzmärkte für Soja, Mais, Obst
und andere Waren weggebrochen, weil Pe-
king als Vergeltung für Trumps Zölle viele
US-Agrarprodukte mit Importabgaben be-
legt hat. Die Zahl der landwirtschaftlichen
Insolvenzen stieg gegenüber dem Vorjahr
um 24 Prozent, die Schulden aller Farmer
dürften bis Ende 2019 zusammengenom-
men mehr als 415 Milliarden Dollar errei-
chen. Hier soll Trumps „Phase-1-Deal“ Ab-
hilfe schaffen, denn er sieht vor, dass Chi-
na künftig Agrarwaren im Wert von 40 bis
50 Milliarden Dollar pro Jahr aus den USA
bezieht. Das wäre das Anderthalbfache des-
sen, was die Volksrepublik im bisherigen
Rekordjahr 2013 kaufte – und mehr, als die
US-Farmer derzeit überhaupt produzieren
können. Er glaube deshalb nicht, dass die-
ses „aufgeblasene Versprechen“ auch nur
ansatzweise erfüllt werden könne, schrieb
Jeffrey Schott vom Wirtschaftsforschungs-
institut Peterson jüngst. Er könne den Bau-
ern deshalb nur raten: „Verwetten Sie nicht
Ihre Farm auf Trumps Waffenstillstand
mit China!“ claus hulverscheidt

von markus balser

Berlin– Gerade mal zwei Wochen ist es
her, da feierte Bahnchef Richard Lutz, 55,
in Berlin noch die strahlende neue Bahn-
welt. Der Konzern hatte Großkunden auf
ein altes Werkstattgelände am Rande der
Hauptstadt im Grunewald eingeladen.
Neue Sitze, Chatbots, intelligente Ansa-
gen: In einer aufwendig inszenierten Show
führte Lutz zwischen alten Zügen Neuhei-
ten an Bahnhöfen, in Zügen oder im Netz
vor, die Reisenden das Bahnfahren leichter
machen sollen. Die Botschaft: Die Bahn
fährt gerade mit hohem Tempo und neuer
Technik aus der Krise.
Doch hinter den Kulissen gibt es auch in-
tern am strahlenden Image Zweifel. Nach
Informationen derSüddeutschen Zeitung
rumort es gewaltig im Konzern, und zwar
auf mehreren Ebenen. Der Aufsichtsrat ist
unzufrieden mit Teilen des Vorstands, Vor-
stände sind untereinander zerstritten, und
auch Spitzenmanager unterhalb des Vor-
stands vermissen eine klare Linie im Kon-
zern. Die anhaltende Krise des Unterneh-
mens dürfte nach Angaben aus dem Auf-
sichtsrat in Kürze erste personelle Konse-
quenzen haben. Schon am Donnerstag


kommt es zu einem Showdown: Bei einer
Aufsichtsratssitzung erwartet man im Gre-
mium vor allem eine Abrechnung mit dem
bisherigen Güterverkehrs- und Finanzvor-
stand Alexander Doll. Auch die Zukunft
von Personenverkehrsvorstand Berthold
Huber hänge am seidenen Faden, heißt es.
Teile des Gewerkschaftslagers fordern sei-
ne Ablösung. In Vorgesprächen von Auf-
sichtsräten und Gewerkschaften ging es
am Mittwoch auch um seine Zukunft.
Aufsichtsräte sprechen hinter vorgehal-
tener Hand von einer sehr kritischen Situa-
tion im größten deutschen Staatskonzern.
Die Ablösung von Vorständen hat bei der
Bahn eigentlich großen Seltenheitswert.
Doch vor allem Doll scheint kaum zu hal-
ten, weil auch das Verhältnis zu Konzern-
chef Richard Lutz als angespannt gilt. „Es
läuft vieles auf eine Trennung in den nächs-
ten Wochen hinaus“, sagt ein Aufsichtsrat.
Für die Bahn kommen die Probleme zur
Unzeit. Politisch könnte es für den Kon-
zern kaum besser laufen. Für mehr Klima-
schutz im Verkehr stockt die Bundesregie-
rung die Mittel für den Konzern deutlich
auf. Gleich mehrere Milliarden Euro sollen
künftig zusätzlich aus den Steuerkassen
zur Bahn fließen – eigentlich allerdings da-
mit sie ihr Geschäft ausbauen kann. Doch
Probleme im Konzern bleiben nach Ein-
schätzung von Aufsichtsräten schon viel


zu lange ungelöst und drohen Teile der Zu-
satzeinnahmen aufzuzehren – ohne Ver-
besserung für den Kunden.
Da sind Probleme beim Verkauf der Aus-
landstochter Arriva. Der dauert länger und
bringt wohl auch weniger Geld ein als er-
wartet. Arriva wurde immer auf bis zu vier
Milliarden Verkaufswert geschätzt, das
scheint inzwischen außer Reichweite. Vor
allem aber bekommt die Bahn die Krise ih-
rer Gütertochter DB Cargo einfach nicht in
den Griff. Vor eineinhalb Jahren wurde Ex-
Banker Doll deren Chef und sollte genau
das schaffen. Seitdem aber sei die Situati-
on der Tochter schlimmer statt besser ge-
worden, schimpft ein Aufsichtsrat. Lag der
Verlust der DB Cargo 2018 noch bei 190 Mil-

lionen Euro, rechnet der Konzern intern in
diesem Jahr schon mit 300 Millionen Euro
Verlust (Ebit). Ohne Erleichterung bei den
Trassenpreisen hätte sich der Verlust auf
380 Millionen Euro wohl gar verdoppelt.
Insgesamt geht der Konzern nur noch von
1,8 Milliarden Euro Gewinn für das Ge-
samtjahr aus.
Die Bilanz des zuständigen Gütervor-
stands sei verheerend, heißt es im Auf-
sichtsrat und personelle Konsequenzen nö-
tig. Klar ist bereits, dass Doll die Güterspar-
te an den geplanten Neuzugang im Bahn-
Vorstand abgeben soll. Der Aufsichtsrat
will die Chefin der Berliner Verkehrsbetrie-
be, Sigrid Nikutta, für den Posten einstel-
len. Doch auch den Finanzposten könne

Doll verlieren, heißt es weiter. Unklar ist
noch, ob der Konzern den Wert der Tochter
in den Büchern neu bewerten muss. Schon
einmal, im Geschäftsjahr 2015, hatte Car-
go mit 1,3 Milliarden Euro Wertberichti-
gungen den Bahn-Konzern tief in die Ver-
lustzone gedrückt. Die Bahn äußerte sich
zu den Problemen der Gütertochter oder
möglichen Personalien am Mittwoch
nicht.
Auch im Fernverkehr halten die Proble-
me an. In den vergangenen Tagen legte ei-
ne Softwarepanne Dutzende ICEs lahm,
die auf Schnellstrecken teilautomatisch un-
terwegs sind. Sie ließen sich auf der High-
techstrecke München-Berlin nur noch im
Schritttempo fahren. Allein auf der Neu-

bautrasse sind 40 Züge betroffen. Sie wür-
den derzeit durch Fahrzeuge anderer Bau-
reihen ersetzt oder verkehren in Einzelfäl-
len in Umleitung über andere Strecken, er-
klärte ein Bahnsprecher. Dadurch können
sich Fahrzeitverlängerungen von 30 Minu-
ten ergeben. Die Bahn hoffe, die Probleme
in dieser Woche beheben zu können. Die
weiterhin schwachen Pünktlichkeitswerte
des Konzerns geraten damit allerdings wei-
ter unter Druck – und damit auch der zu-
ständige Personenverkehrsvorstand Hu-
ber, dem auch seine Verstrickung in die Be-
rateraffäre zu schaffen macht. Teile der
größten Bahngewerkschaft EVG fordern
derzeit hinter den Kulissen vehement sei-
ne Ablösung.

Die Probleme treffen auf ein Ultimatum
des zuständigen Verkehrsministers. Andre-
as Scheuer (CSU) hatte dem Bahnvorstand
kürzlich eine letzte Frist für Verbesserun-
gen gesetzt. Lutz solle bis zum 14. Novem-
ber Maßnahmen gegen Zugverspätungen
und -ausfälle sowie Personalmangel vor-
weisen. Auch im Bundestag herrscht ange-
sichts der anhaltenden Probleme Alarm-
stimmung. „Wir brauchen dringend zusätz-
liche Milliarden für den Schienenverkehr
und die Bahn“, sagt der Grünen Finanzpoli-
tiker Sven-Christian Kindler. Doch ohne ei-
ne Strukturreform der Deutschen Bahn
mit dem Fokus auf das Gemeinwohl und
die Änderung der Rechtsform drohe das
Geld ohne Wirkung zu versickern.

Nürnberg– Andiesem Mittwochabend
präsentierte Adidas in London den offiziel-
len Spielball der Fußball-Europameister-
schaft 2020. „Uniforia“ heißt er. Erwar-
tungsgemäß sind die Erwartungen beim
Sportartikelhersteller aus Herzogenau-
rach mit Blick auf die EM enorm. Weniger
was den Verkauf der Bälle, als vielmehr die
Geschäfte mit Fußballausrüstung insge-
samt angeht. Erfahrungsgemäß werden
diese durch ein solches Turnier von globa-
ler Strahlkraft enorm beflügelt.


Außerdem steht 2020 mit den olympi-
schen Sommerspielen in Tokio ein weite-
res globales Sportereignis an, von dem Adi-
das profitieren will. Ab sofort kommen
nach und nach die entsprechenden Kollek-


tionen in den Handel und Konzernchef Kas-
per Rorsted geht vor allem deshalb davon
aus, „dass sich das Umsatzwachstum im
vierten Quartal deutlich beschleunigen
wird“. Denn die ersten neun Monate 2019
liefen für das erfolgsverwöhnte Unterneh-
men gut, aber nicht berauschend.
Fehler bei der Beschaffung kosteten zu
Jahresbeginn dem zuständigen Vorstand
Gil Steyaert seinen Job und Adidas viele
Millionen, denn vor allem in den gefrag-
ten, mittleren Preissegmenten brachte
man nicht genug Ware her. Die zweite Jah-
reshälfte werde besser, versprach Rorsted,
trotz allem werde 2019 ein Rekordjahr. Im
dritten Quartal wuchs der Konzernumsatz
währungsbereinigt um sechs Prozent auf
6,4 Milliarden Euro, während der Gewinn
um zwei Prozent auf 644 Millionen Euro
fiel. Deshalb sank der Wert der Adidas-Ak-
tie am Mittwoch zwischenzeitlich.

Die Hoffnungen ruhen bei Adidas nicht
nur deswegen auf 2020, weil es wegen EM
und Olympia wirtschaftlichen Erfolg brin-
gen soll. Es ist generell ein wichtiges Jahr
für Adidas. So wird Brian Grevy, der am


  1. Januar Eric Liedtke als Marken-Vorstand
    ablöst, eine neue Strategie für die folgen-
    den Jahre präsentieren – und wohl auch die
    leidige Dauerfrage beantworten, ob Adidas
    seine seit Jahren schwächelnde US-Toch-
    ter Reebok verkaufen wird oder nicht.
    In den ersten neun Monaten stagnier-
    ten die Reebok-Geschäfte, während die
    Marke Adidas wächst. Auch in der wichti-
    gen Position des Aufsichtsratsvorsitzen-
    den wird es 2020 einen Wechsel geben.
    Nach zehn Jahren wird Igor Landau, 75,
    den Posten aufgeben. Als sein Nachfolger
    wird Bertelsmann-Chef Thomas Rabe ge-
    handelt, der dem Kontrollgremium seit
    Frühsommer angehört. uwe ritzer


„Verwetten Sie nicht Ihre Farm“


Während sich Trump im Glanz des ersten Vertrags mit China sonnt, leidet die Wirtschaft


Aus der Bahn geworfen


Hohe Verluste im Gütergeschäft und neue Probleme mit den Zügen: Das Chaos bei der Bahn dürfte nun auch
personelle Konsequenzen haben. Dem ersten Vorstand droht das Aus, weitere Spitzenmanager könnten folgen

Hoffen auf das Sportjahr


Adidas, eigentlich erfolgsverwöhnt, hatte einige Probleme. 2019 soll alles besser werden


Ein Dauerproblem: die Tochter


Reebok. Die Geschäfte stagnieren


Die Ablösung von


Vorständen ist bei


der Bahn eher selten


DEFGH Nr. 257, Donnerstag, 7. November 2019 (^) WIRTSCHAFT 1MG 19
Blick ins Leere: Die Bahn hat viele Probleme, das bringt die Bahnspitze immer mehr unter Druck und verunsichert die Beschäftigten. FOTO: ANDREASARNOLD/DPA
Ein US-Landwirt erntet Sojabohnen.
Einer der wichtigsten Abnehmer war
bislang China. FOTO: DANIEL ACKER/BLOOMBERG
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