Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1
von philipp bovermann

„Oma ist ganz verknallt in Pepper“, kichert
diejunge Frau. Kein Wunder, denn Pepper
kümmert sich rührend um sie, erkundigt
sich ständig nach ihr. „Wäschst du dir auch
gut die Hände und gurgelst?“ Die alte Da-
me bejaht, Pepper ist zufrieden. „Gut. Hän-
de waschen und gurgeln ist wichtig“. Er
gibt ihr die Hand, will sich zurückziehen.
Als sich ihre Hände berühren, schauen die
beiden sich einen Moment in die Augen.
Die alte Dame lächelt. „Du bist hier, damit
ich nicht verkalke. So ist es doch, Pepper?“
Ja, so ist es. Pepper erinnert sie daran,
dass sie regelmäßig isst, trinkt und ihre Me-
dikamente einnimmt; er tanzt und erzählt
Witze, damit sie geistige Anregung be-
kommt. Das ist Peppers Mission. Pepper
ist ein Roboter – die Szene stammt aus
dem Dokumentarfilm „Hi, AI“, der im Früh-
jahr in den Kinos lief. Sieht so die Zukunft
der Pflege aus, seit die Gesellschaft immer
älter wird und der Pflegepersonalmangel
immer drastischer?


Eine Besucherin des SZ Gesundheitsfo-
rums zum Thema „Pflegerobotik“, das am



  1. Oktober in der Katholischen Universi-
    tät Bayern in München stattfand, empörte
    diese Vorstellung. Lieber wolle sie rechtzei-
    tig abtreten als auf ihre alten Tage „irgend-
    wo mit dem Roboter abgestellt“ zu wer-
    den. Viele Menschen teilen diese Meinung.
    Daniel Flemming, Professor für Infor-
    matik in der Pflege an der Katholischen
    Stiftungshochschule München, präsentier-
    te während seiner Rede die Ergebnisse ei-
    ner Studie. Menschen ab 18 Jahren wurden
    befragt, in welchen Bereichen der Pflege
    sie sich den Einsatz von Robotern vorstel-
    len könnten, etwa als Hilfe beim Aufstehen
    oder im Fall eines Sturzes. Der Gang zur
    Toilette bekam mit 52 Prozent die niedrigs-
    te Zustimmung, die höchste hingegen die
    Aufgabe, an die Einnahme von Medika-
    menten, Speisen und Getränken zu erin-
    nern; 76 Prozent konnten sich das vorstel-
    len. Heißt umgekehrt: Etwa ein Viertel der
    Befragten konnte sich nicht mal für diese
    Aufgabe, für die es bereits Apps gibt, einen
    Einsatz von Robotik vorstellen.
    Möglicherweise liegt das daran, dass die
    Menschen aus Science Fiction stammende
    Bilder von Robotern haben. Sie denken an
    menschenähnliche Maschinen, die spre-
    chen, denken, und gewiss irgendwann Pfle-
    gekräfte aus Fleisch und Blut ersetzen – Ro-
    boter wie Pepper, die derzeit noch nirgend-
    wo massenhaft im Einsatz sind. Robert Rie-
    ner, Professor für sensomotorische Syste-
    me an der ETH Zürich, zeigte in seinem Vor-
    trag zunächst Bilder des Roboters Maria
    aus dem Filmklassiker „Metropolis“ und
    des „Terminators“ aus dem gleichnami-
    gen Film. Was, so fragte Riener, macht ei-
    nen Roboter zum Roboter? Dass er wie ein
    Mensch aussieht? Oder nicht vielmehr,
    dass er sich wie einer verhält?
    Auch Waschmaschinen verhielten sich
    ja teilweise wie Menschen, insofern sie eini-
    ge von deren Aufgaben beim Wäschewa-
    schen übernehmen. Würde deshalb je-
    mand fordern, Wäschewaschen sollte
    nicht von Robotern übernommen werden?
    Auf den Bereich der Pflege übertragen stell-
    te Riener fest: „Die meisten Menschen wür-
    den lieber den Aufzug nehmen als sich von
    der Pflegerin die Treppe hinauftragen zu
    lassen.“
    Riener und sein Team entwickeln der-
    zeit einen Roboter, der tagen kann – ein so-
    genanntes Exoskelett für Menschen, die in-
    folge einer Erkrankung unter Muskel-
    schwäche leiden. Es sieht aus wie eine Ho-
    se und funktioniert auch so: Der Patient
    schlüpft hinein, Sensoren stellen fest, wel-
    che Bewegung er ausführen möchte, Moto-
    ren verstärken diese Bewegung, zusätzlich
    wird die Haltung stabilisiert. Bereits 2012
    hat eine Britin mit einem Exoskelett das
    erste Mal einen Marathon absolviert, trotz


Querschnittslähmung. Sie durchquerte
die Ziellinie 16 Tage nach dem Start, aber
das spielte keine Rolle – es ging nur dar-
um, überhaupt ins Ziel zu kommen. Inzwi-
schen hat sich die Leistungsfähigkeit der
Technik erheblich verbessert.
Um die Entwicklung zu befeuern, hatte
Riener die Idee für den „Cybathlon“, der
2016 erstmals in einem Züricher Stadion
stattfand: ein Wettkampf, bei dem mit ver-
schiedenen robotischen Assistenzsyste-
men ausgerüstete Menschen gegeneinan-
der antreten. Etwa in den Disziplinen Trep-
pensteigen oder Gehen auf der Rampe –
das ist für die Sensoren besonders kompli-
ziert. Für die Armprothesen gibt es einen
Frühstücks-Parcours, auf dem die Wett-
kämpfer unter anderem Brot schneiden,
Butter darauf schmieren und ein Marmela-
denglas aufschrauben müssen.
Auch der Roboter, den Horst Kunhardt
vorstellte, Vizepräsident der Technischen
Hochschule Deggendorf, sieht nicht unbe-
dingt so aus, wie man sich einen Roboter
vorstellt. Sein Team macht ein ganzes
Haus zum Pflegeassistenzsystem. „Dein
Haus 4.0“ heißt ein Modellhaus in Nieder-
bayern, in dem allerlei Sensoren und Hilfs-
mittel verbaut sind: Ein Roboter-Staubsau-
ger zieht geschäftig seine Bahnen; der Ses-
sel misst die Vitalfunktionen; ein digitaler
Medikamentenspender erinnert an die Ein-
nahme der Medikation; der Teppich ruft

bei einem Sturz den Notarzt; sogar die Tür
meldet Alarm an eine Person in der nähe-
ren Umgebung, wenn der Bewohner sie zu
schließen vergisst. „Überwachung im posi-
tiven Sinn“, nannte Kunhardt das. Sie er-
mögliche Menschen, möglichst lang selb-
ständig in ihrer gewohnten Umgebung zu
bleiben. „Gerade bei uns auf dem Land in
Niederbayern“ sei das sehr wichtig.
Diese beiden Projekte zeigen, wo die
Pflegerobotik derzeit steht: „Wir sind, was
die robotischen Systeme betrifft, noch
sehr weit weg vom Patienten selber“, sagte
Professor Flemming. Er berichtet von ei-
nem kleinen, menschenähnlichen Robo-

ter, der älteren Menschen physiotherapeu-
tische Übungen vormachen sollte. Da-
durch, so habe ihm eine Kollegin berichtet,
habe man in den Übungsstunden statt ei-
ner Person – dem Physiotherapeuten –
nun zwei gebraucht: Eine, um den Roboter
zu beaufsichtigen; und eine weitere, um
die Herrschaften zum Mitmachen zu moti-
vieren.
Nur im Bereich der stationären Pflege
würden inzwischen auch Roboter „in der
direkten Pflege“ eingesetzt, sagte Flem-
ming. Zum Beispiel Paro: eine kleine Robo-
terrobbe mit schwarzen Knopfaugen und
einem kuschligen, weißen Fell. Wenn man

sie streichelt, bewegt sie sich ein bisschen
und schließt genießerisch die Augen. Vor al-
lem Demenzkranke erhalten sie zum
Schmusen.
Was ist davon zu halten? Mit dieser Fra-
ge beschäftigte sich Hartmut Remmers,
Professor für Pflegewissenschaft in Osna-
brück, aus philosophischer Sicht; da er er-
krankt war, wurde sein schriftlicher Vor-
trag vom Studienleiter der Katholischen
Akademie in Bayern Johannes Schießl ver-
lesen. Remmers betonte, dass sich das
Selbst des Menschen in Beziehungen bil-
de; ein von sozialem Kontakten isolierter
Mensch könne in diesem Sinn also nicht
wirklich autonom sein – auch nicht in ei-
nem „Haus 4.0“, so konnte man gedank-
lich ergänzen. Remmers leugnete nicht,
dass ältere Menschen von Assistenzproble-
me profitieren können. Er warnte aber vor
der Gefahr, „dass Roboter ein menschlich
fürsorgliches Umfeld in beträchtlichem
Umfang ersetzen“. Der Einsatz von Emoti-
onsrobotern wie Paro sei „deswegen mög-
lichst zu begrenzen“.
Zudem brachte Remmers den „Gerech-
tigkeitseinwand“ gegen die Umstellung
auf Robotik in der Pflege vor. Wenn die
Technik selbst finanziert werden müsste,
könnten dadurch „Trends sozialer Un-
gleichheit befestigt werden“. Die lassen
sich bekanntlich nicht wegschmusen.
Nicht mal mit Babyrobben.

SZ: Sie leiten den Pflegedienst in einem
Altenheim undsind verantwortlich für
70 Bewohner. Für welche Aufgaben im
Pflegealltag wäre ein Roboter eine Er-
leichterung?
Ehinger: Meine Vision wäre eine Hilfe
beim Anheben und Hinsetzen der Bewoh-
ner. Die Pflegekräfte machen sich dabei
den Rücken kaputt. Deshalb gibt es bereits
verschiedene technische Hilfsmittel, etwa
Aufstehhilfen, die den Pflegebedürftigen
mit einem Gurt nach oben ziehen. Aber das
ist sehr umständlich, außerdem braucht
man für verschiedene Schritte unterschied-
liche Geräte. Also macht man es dann meis-
tens doch von Hand. Es muss ja schnell ge-
hen.
Könnten Sie dafür ein Beispiel nennen?
Um etwa baden zu gehen, muss der Bewoh-
ner mit der Aufstehhilfe vom Bett auf den
Rollstuhl, mit dem Rollstuhl zur Badewan-
ne, dort mit der Aufstehhilfe vom Rollstuhl
auf den Lifter, der ihn in die Badewanne
hebt – und häufig will er vorher nochmal
auf die Toilette. Wenn es für all diese Schrit-
te ein einziges Gerät gäbe, wäre das großar-
tig.
Ein Roboter, meinen Sie? Und wie sollte
der aussehen?
Oh, darüber habe ich mir schon viele Ge-
danken gemacht. Klein, wendig. Stark.
Starke Arme! Ich weiß nicht, ob dieses Ge-
rät dann aussehen muss wie ein Raum-
schiffastronaut. Es muss funktionieren
und sollte eher unauffällig sein. Vielleicht
wie ein Rollator, den man um bestimmte
Module erweitern kann, sobald der Pflege-
bedürftige für die entsprechenden Tätig-
keiten Unterstützung braucht. Dann könn-
ten die Menschen die Robotik möglicher-
weise auch leichter annehmen.
Glauben Sie, die Pflegekräfte könnten
durch Robotik Zeit sparen?
Um Zeit geht es nicht, sondern um Erleich-
terung. Darum, seinen Rücken zu schonen.
Die Bewohner brauchen ja trotzdem eine
Begleitung und Zuwendung. Allerdings
könnten die Bewohner dann vielleicht selb-
ständiger mit diesen Geräten umgehen.
Mit dem Rollator gehen sie heute allein ein-
kaufen. So könnte man auch mit roboti-
schen Assistenzsystemen ihre Selbststän-
digkeit und Mobilität fördern.
Haben Sie „Paro“ – einen sogenannten
Emotionsroboter in Form einer kuschli-
gen Robbe – in Ihrer Einrichtung schon
mal eingesetzt?
Nein. Es gibt Menschen, die damit gut klar-
kommen. Aber ich würde das nicht profes-
sionell einsetzen wollen. Wenn jemand ei-
ne solche Robbe von zuhause mitbringt
und das toll findet, ist das schön, aber ich
glaube, wir sollten Beziehungen in der Pfle-
ge anders gestalten.

Wie denn?
Wir gehen individuell auf jeden Bewohner
ein, auf das, was er gerade braucht. Viel-
leicht möchte er länger schlafen oder vor
dem Aufstehen noch ein Glas Wasser trin-
ken. Mal brauchen die Bewohner mehr Un-
terstützung, mal weniger. Man muss jedes
Mal gegenwärtig mit ihnen in Beziehung
treten. Die Kunst ist, sich darauf einzulas-
sen. Das ist Pflege. Das kann man nicht pro-
grammieren.
interview: philipp bovermann

Prof. Dr. Daniel Flemming
Professor für Informatik und Informations-
technologie in Pflege und Sozialer Arbeit an
der Katholischen Stiftungshochschule Mün-
chen
Prof. Dr. Horst Kunhardt
Vizepräsident der Technischen Hochschule
Deggendorf
Prof. Dr. Robert Riener
Professor für sensomotorische Systeme an
der ETH Zürich
Jutta Ehinger
Pflegedienstleisterin im Caritas-Altenheim

St. Vinzenz in Garmisch-Partenkirchen
Prof. Dr. Hartmut Remmers
Professor für Pflegewissenschaft an der Uni-
versität Osnabrück

Moderation:
Prof. Dr. Constanze Giese,
Professorin für Ethik und Anthropologie an
der Katholischen Stiftungshochschule Mün-
chen
Dr. Johannes Schießl,
Studienleiter an der Katholischen Akademie
in Bayern

Pflegerobotik Das SZGesundheitsforum diskutiert Chancen und Grenzen der Automatisierung in der Pflege


Der Roboter passt auf Oma auf


Die Gesellschaft wird immer älter, in der Pflege aber fehlen die Fachkräfte.
Werden bald Maschinen ihre Aufgaben übernehmen?

Die Experten


Jutta Ehinger, 52,ist
leitende Pflegedienstleis-
terin im Caritas-Alten-
heim St. Vinzenz in Gar-
misch-Partenkirchen. Sie
hat Pflegemanagement
studiert und organisiert
heute den Pflegedienst
für die 70 Bewohner des
Heims.FOTO: OH

(^32) GESUNDHEITSFORUM Donnerstag, 7. November 2019, Nr. 257 DEFGH
Niemals ausgebrannt, niemals genervt, fester Händedruck: Sieht so die perfekte Pflegekraft aus? FOTO: BENOIT TESSIERS/REUTERs
Starke Arme
soll erhaben
Jutta Ehinger wünscht sich einen
über Module erweiterbaren Roboter
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