Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

(nextflipdebug5) #1

Unerhört


Sierappt, plädiert für „vagina-
le Selbstbestimmung“, schockt
mit ihren Texten die männlich
dominierte Hiphop-Szene. Dr.
Bitch Ray aka Reyhan Şahin
verstört – nicht nur die musli-
mische Gemeinde. In „Yalla
Feminism“ erläutert die pro-
movierte Linguistin ihre Ideen
von Feminismus. Montag,
25.11., 20 Uhr, Literaturhaus.

Gipfelziel


Einmal auf dem Kilimandscha-
ro stehen, das ist der Traum
vieler Bergsteiger. Es war auch
der Traum von Achill Mosers
Vater. Viele Jahre nach dessen
Tod geht dann Achill, nun mit
seinem Sohn, auf den Gipfel in
Ostafrika. Großvater, Vater,
Sohn verbindet der Berg auf
unsichtbare Weise. Montag,
25.11., 19 Uhr, Gasteig.

Der eine flieht aus den USA, um
dem Vietnamkrieg zu entge-
hen, der andere zieht nach New
York, um dort die Karriere zu
machen, die er sich erhofft. Der
Schauspieler August Zirner und
der Kontrabassist Sven Faller
haben ihr Glück jeweils auf der
anderen Seite des Atlantiks
gesucht. Dienstag, 19.11., 19 Uhr
Gasteig.

von stefan fischer

A


m Anfang stand ein kleiner Seufzer.
Der Schriftsteller Lutz Seiler, Träger
des Deutschen Buchpreises, hatte
ihn ausgestoßen bei einer Lesung. Und wie
nebenbei bemerkt, dass sein Verlag diese
Erzählung, die er da gerade präsentierte,
nicht veröffentlichen wolle. Lyrik gerne, so
habe ihn Suhrkamp wissen lassen, und
noch lieber den nächsten großen Roman
nach „Kruso“. Aber keine Kurzprosa.
„Von Rom nach Hiddensee“ ist dann
aber dennoch erschienen, gemeinsam mit
einer zweiten Geschichte, die dem Band
seinen Titel gegeben hat: „Die römische
Saison“ – beim Verlag Topalian & Milani in
Oberelchingen nahe Ulm. Das war im Juni
2016, die Verleger Florian L. Arnold, 42,
und Rasmus Schöll, 32, hatten nun nicht
nur einen Eintrag beim Gewerbeamt, viele
kluge Ideen und einen geheimnisvollen
Namen für ihre Unternehmung, sondern
ein erstes Buch. Mit zwei autobiografisch
geprägten Geschichten übers Scheitern: In
„Von Rom nach Hiddensee“ schildert Lutz
Seiler, wie er in Rom in der Villa Massimo
mit dem Schreiben nicht vorankommt, in
„Die römische Saison“, wie er in dieser Zeit
vergeblich versucht, seinen Sohn in einem
Fußball-Verein anzumelden.
Der Seiler-Trick hat im Jahr darauf im
Übrigen noch einmal geklappt: Anna Kim
hatte 2012 mit dem düsteren Roman „Ana-
tomie einer Nacht“ Erfolg, fünf Jahre spä-
ter folgte der politische Südkorea-Roman
„Die große Heimkehr“. Ihre liebesleichten
Erzählungen indessen waren nicht interes-
sant genug für Suhrkamp. Wieder mach-
ten stattdessen Arnold und Schöll ein auf-
wendig gestaltetes Buch daraus: „Finger-
pflanzen“.
Gewinn tragen diese Titel den beiden
Verlegern nicht ein – aber Prestige. Kim,
Seiler, dazu Stefan Zweig sowie Arno Tau-
riinen sind allesamt Autoren, die aufhor-
chen lassen. Das und die sehr bibliophile
Gestaltung der Bücher – jeder Band ist von
einem professionellen Künstler illustriert,
mit Farbschnitt versehen und fadengebun-
den – haben Arnold und Schöll das Entrée
in den Markt erleichtert: Anfangs haben
die beiden Literaturliebhaber ausgewählte
Buchhändler persönlich kontaktiert, bald
schon wurde Topalian & Milani von der
Verlagsauslieferung GVA und dem Verlags-
vertreter Indiebook als Kunde akzeptiert.
Ein wichtiger Schritt, um tatsächlich in
diejenige Nische des Literaturbetriebes
vorzudringen, für die diese Bücher ge-
macht werden.
Rasmus Schölls eigene Buchhandlung
in Ulm spielt für den Verkauf der Topalian
& Milani-Titel keine wesentliche Rolle.
„Wir sehen sehr deutlich, dass unsere

Bücher überwiegend in München, Berlin,
Köln und Frankfurt gekauft werden“, sagt
Schöll im ersten Stock der Buchhandlung
Aegis in der Breiten Gasse, der gemütlich
möbliert ist und wohin man sich zum
Stöbern, Schmökern oder auch Plaudern

zurückziehen kann. Der Verlag und die
Buchhandlung sind in Ulm jedoch durch-
aus bedeutsam als eine Keimzelle für ein
neu erwachendes literarisches Leben. Auf-
grund der Ausrichtung der Universität sei
Ulm „eine Stadt der Natur- und nicht der
Geisteswissenschaften“, sagt Florian L.
Arnold, der ebenfalls mit am Tisch sitzt.
Sie hat aber eine literarische Tradition.

Der Widerstandskämpfer Ernst Bauer
hat 1946 den Aegis-Verlag gegründet und
bald darauf die Buchhandlung. Gestaltet
hat die Aegis-Bücher Otl Aicher, der seit
1952 mit Inge Scholl, der Schwester von
Hans und Sophie Scholl, verheiratet war.
Eine Gruppe engagierter Bürger, die den
demokratischen Neubeginn in der Stadt
vorangetrieben hat, durch die Kultur und
speziell die Literatur. Ernst Bauers erster
Lehrjunge als Buchhandelsgehilfe war
Siegfried Unseld, der spätere Suhrkamp-
Verleger. Das zweite Treffen der Gruppe 47
hat in Herrlingen bei Ulm stattgefunden.
An diese Historie wollen Arnold und
Schöll anknüpfen. Bereits 2013 hat Arnold,
der als Zeichner, Schriftsteller, Gestalter
und Sprecher arbeitet, die Literaturwoche
Ulm veranstaltet. „Sie war schauerlich
besucht“, erinnert er sich. Für ihn war das
aber kein Grund aufzugeben, im Gegen-
teil: Die zweite Literaturwoche sollte mehr
beachtet werden. Inzwischen ist das kleine
Festival etabliert, gibt es den Verein Litera-
tursalon Donau, dem die beiden vorstehen
und der ganzjährig Lesungen veranstaltet.
Das große Projekt dieses Vereins ist es, in
Ulm ein Literaturhaus zu gründen.

Keine einfache Sache. Wie überhaupt
sich die Dinge nur in kleinen Schritten ent-
wickeln und die Wahrnehmung dessen,
was Arnold und Schöll realisieren – etwa
den Katalog für die Ausstellung über den
Trickfilmer Bruce Bickford vor zwei Jah-
ren – mitunter außerhalb Ulms größer
scheint als in der Stadt selbst. Arnold und
Schöll sind genervt von dem Pessimismus,
der allenthalben „ins System geblasen
wird“, so Arnold – von Leuten, die ein Teil
davon seien: „Ständig zu behaupten, es
bringt nichts, eine Buchhandlung zu über-
nehmen oder einen Verlag zu gründen, ist
falsch.“ Bei Topalian & Milani erscheint Li-
teratur, die es vermag, die Welt zu erklä-
ren. Oder: Möglichkeiten, wie die Welt sein
oder wohin sie sich entwickeln könnte. Des-
halb der hellsichtige Stefan Zweig, der
nicht nur „Die Schachnovelle“ verfasst hat,
sondern ein präziser Analytiker des herauf-
ziehenden Nationalsozialismus war.
Und der Verlagsname? Topalian hieß
der Großvater Arnolds, Milani derjenige
Schölls. Zwei Männer von Welt.

Markt der Unabhängigen Verlage, Literaturhaus,
30.11., 11 - 19 Uhr; 1.12., 11 - 18 Uhr

Jürgen Böttcher, geboren 1931
und Andreas Goldstein, Jahr-
gang 1969, studierten beide
Regie in Babelsberg. Eine Gene-
ration liegt zwischen ihnen
und ihren Filmen. Goldstein
porträtiert seinen Vater Klaus
Gysi, Böttcher einen Funktio-
när im Chemiewerk Buna.
Ein Filmabend. Sonntag, 17.11.,
19 Uhr, Literaturhaus.

Kuba und Mexiko, zwei Länder
mit einem sehr speziellen Ver-
hältnis zu den USA, einer
schicksalhaften Verbindung.
Eine Mexikanerin und ein
Kubaner erzählen Geschichten
von Armut, Überleben und
dem glitzernden schier uner-
reichbaren Sehnsuchtsort im
Norden. Donnerstag, 21.11.,
20.30 Uhr, Literaturhaus.

Bewegte Bilder


Ulm ist eigentlich
eine Stadtder
Naturwissenschaft.
Doch sie hat auch
eine starke
literarische
Tradition

Sehnsucht Über den Atlantik


Gruppenbild mit Arbeiter: Rasmus Schöll (li.) und Florian L. Arnold. FOTO:PATRICK SCHMIDT, ULM

Überzeugungstäter


Rasmus Schöll hat in Ulm eine Buchhandlung übernommen, Florian L. Arnold dort die Literaturwoche erfunden.


Gemeinsam haben sie den Verlag Topalian & Milani gegründet – und sind damit erfolgreich


10 LITERATURFEST MÜNCHEN Donnerstag, 7. November 2019, Nr. 257

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