Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.11.2019

(Greg DeLong) #1
Auf Wählerfang
Die Tageszeitung „Libération“ (Paris) kommen-
tiert den Plan der französischen Regierung, den
Fachkräftemangel mit Einwanderungsquoten zu be-
heben:
„Damit wird die Nützlichkeit der Einwanderung für
die Wirtschaft anerkannt, zumindest für bestimmte
Branchen. Allerdings könnten die Quoten wie in Aus-
tralien zu einer deutlichen Verschärfung der Abschie-
beprozeduren führen. Der Teufel steckt in den Ausfüh-
rungsbestimmungen. Unter dem Strich steckt aber ein
politisches Motiv hinter den Plänen: Präsident Ma-
cron wirft die Angel nach Wählern im bürgerlichen
Lager aus.“

Rechtsradikaler Kern
Die „Rheinpfalz“ (Ludwigshafen) schreibt zum Ver-
hältnis zwischen CDU und AfD:

„Die AfD braucht die CDU, vor allem als strategi-
schen Aufbauhelfer. Deshalb fordert die selbst er-
nannte Alternative CDU-Mitglieder auf, sich von der
,Flüchtlingskanzlerin‘ abzuwenden. Für die Union
sind solche Verluste schmerzhaft, für die AfD sind die-
se neuen Mitglieder existenziell für den angestrebten
Weg in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft. Denn
je mehr Bürgerlich-Konservative die AfD in ihren Rei-
hen hat, desto besser lässt sich der rechtsradikale
Kern kaschieren.“

Wichtiger als Parteienhader
Die „Volksstimme“ (Magdeburg) betrachtet das Di-
lemma der CDU nach der Landtagswahl in Thürin-
gen:
„Die Union wird 30 Jahre nach dem Mauerfall zwangs-
weise vor die Frage gestellt, wie sie es mit den Linken
hält. Für die Zentrale keine Frage – Finger weg von

Mauschelei mit der SED-Nachfolgepartei. Der Thürin-
ger CDU hilft das wenig. Denn die zweite Maßgabe
ist, sich tunlichst von der AfD fernzuhalten. Da bleibt
nicht viel Spielraum für die Strategen der Landespar-
tei. Das sehen offenbar 79 Prozent der Bundesbürger
und sogar 91 Prozent der Thüringer laut Umfrage weit
entspannter. Sie können sich eine Koalition mit den
Linken oder eine Tolerierung einer Linken-geführten
Minderheitsregierung vorstellen. Weil ihnen eine sta-
bile Regierung wichtiger ist als Parteien-Hader. Eine
Vorlage, die die CDU in Thüringen nur noch aufgrei-
fen muss.“

Befriedende Wirkung
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt zum Urteil
des Bundesverfassungsgerichtes über die Vereinbar-
keit von Hartz-IV-Sanktionen mit dem Grundge-
setz:

„Karlsruhe pocht auf einen Sozialstaat, der sich nicht
allein auf die kühle Logik von Paragrafen zurückzieht
und im Zweifelsfall zweite Chancen einräumt. Das al-
les gilt ab sofort, was besonders bemerkenswert ist.
Dieses Urteil – und darin liegt seine eigentliche Be-
deutung – kann befriedende Wirkung auf die Gesell-
schaft haben, die in der Bewertung der Sanktionen
tief gespalten war.“

Große Herausforderung für Regierung
„Der Standard“ (Wien) sieht die Sozialdemokraten
am Zug nach dem Urteil zum Arbeitslosengeld II
aus Karlsruhe:
„Die Reparatur der Hartz-IV-Sanktionen wird zur gro-
ßen Herausforderung für die Regierung, nicht nur,
weil die Konjunktur abkühlt und Verteilungskämpfe
heftiger werden. Die SPD wird den Richterspruch
sehr ernst nehmen, um die ,Hartz-Schmach‘, von der

sie sich nie mehr erholt hat, zu tilgen. Sie hat nun al-
les Recht dazu.“

Nur ein frommer Wunsch
Der „Tagesspiegel“ (Berlin) schreibt über den glo-
balen Zusammenhang von Protestbewegungen:
„Bislang wurden als über-nationale, nur global zu lö-
sende Probleme zwei identifiziert: der Klimawandel
und Flüchtlingsbewegungen. Das Beharren auf einem
auf reinem Wachstum basierenden Wirtschaftssystem
wird sowohl den Raubbau an der Natur fortsetzen und
in der Konsequenz auch zu mehr Flüchtlingen führen.
Nur wenn als drittes dringendes Handlungsfeld das
Arbeiten an einer neuen Weltwirtschaft identifiziert
wird, werden wir weniger Proteste in den kommenden
Jahren sehen und nicht mehr. Im Moment ist das aber
nur ein frommer Wunsch.“

STIMMEN DER ANDEREN


Man muss sich schon einige Meter vom
Epizentrum des Streits zwischen Union
und SPD entfernen, damit sich das Bild
aufhellt, das die Koalition in Berlin gera-
de abgibt. Vielleicht müssen es angesichts
des Ärgers über Grundrente, Klimaschutz
und Syrien-Strategie auch mehrere hun-
dert Kilometer sein. In Mainz, knapp 600
Kilometer von der Hauptstadt entfernt,
tritt am Mittwochmittag Malu Dreyer vor
die Presse, um die große Koalition zu lo-
ben. Dreyer ist kommissarische SPD-Vor-
sitzende, in der rheinland-pfälzischen
Staatskanzlei spricht sie aber mehr in der
Rolle der Ministerpräsidentin. Und als sol-
che mache eben das Regieren mehr Spaß
als das Nichtregieren. Sie lobt die sozial-
demokratischen Bundesminister, die für
Familien, Rentner und Arbeitnehmer viel
erreicht hätten. Kinder würden es dank
der SPD aus der Armut schaffen, Paketbo-
ten eine gerechtere Bezahlung bekom-
men. „Die SPD kann sehr selbstbewusst
sein“, sagt Dreyer. Sie habe bei der Zwi-
schenbilanz, die Union und SPD am Mitt-
wochmorgen in Berlin vorgelegt haben,
insgesamt ein „sehr gutes Gefühl“.
Vor allem für den sozialdemokrati-
schen Teil der großen Koalition ist die
Zwischenbilanz eine heikle Sache. Die
SPD hatte die Überprüfung der Regie-
rungsarbeit nach anderthalb Jahren in
den Koalitionsvertrag hineingeschrieben.
So sollten die sehr lautstarken Gegner der
großen Koalition um den Juso-Vorsitzen-
den Kevin Kühnert besänftigt werden. Es
gelang, zumindest vorerst. Inzwischen ist

der Unmut über das ungeliebte Bündnis
wieder gewachsen. Es ist deswegen ent-
scheidend, was die SPD aus der 83 Seiten
umfassenden Halbzeitbilanz macht – und
wer das macht. Denn ein Duo im Rennen
um den Parteivorsitz – Norbert Walter-
Borjans und Saskia Esken – strebt über
kurz oder lang aus der Koalition. Und
selbst wenn Vizekanzler Olaf Scholz und
Klara Geywitz Parteivorsitzende werden
sollten, ist fraglich, ob die Bilanz die Kriti-
ker auf dem Parteitag überzeugen wird.
Unklar ist auch, wie das Verfahren genau

sein wird. Ab Montag werden 41 Genos-
sen, das erweiterte Präsidium, über eine
Beschlussvorlage für den Parteitag An-
fang Dezember beraten. Mitglied dieser
Gruppe ist auch Kühnert. Der verlangte
nun, dass der Parteitag über die Abschaf-
fung von Hartz-IV-Sanktionen abstim-
men soll. Noch ein Konfliktstoff.
Am Mittwochvormittag hatte das Kabi-
nett die Halbzeitbilanz der großen Koaliti-
on gebilligt. Bundeskanzlerin Merkel und
Vizekanzler Scholz äußerten sich nur
knapp dazu. Von 300 geplanten „Groß-
maßnahmen“ seien zwei Drittel vollendet
oder auf den Weg gebracht, sagte Merkel
im Kanzleramt, als die „Wirtschaftswei-

sen“ ihr Jahresgutachten übergaben. „Das
zeigt, dass wir arbeitsfähig und arbeitswil-
lig sind.“ Auch Scholz lobte die Fortschrit-
te, etwa in der Familienpolitik oder beim
Thema Wohnen. „Es ist noch was zu tun“,
sagte er.
So nüchtern, wie Kanzlerin und Vize-
kanzler die Bilanz kommentierten, ist
auch der Tonfall des Textes gehalten.
Man wollte jeden Triumphalismus ver-
meiden, aber klarmachen, dass die Arbeit
der Koalition besser sei, als sie öffentlich
dargestellt werde, heißt es in Regierungs-
kreisen. „Bestandsaufnahme über die Um-
setzung des Koalitionsvertrages durch die
Bundesregierung“ lautet der mühsam ab-
gestimmte Kompromiss, der dieser Zei-
tung vorliegt. Das Konvolut plädiert aller-
dings nicht ausdrücklich für die Fortset-
zung der Koalition, verzichtet sogar auf
eine abschließende Bewertung.
In der Einleitung heißt es lapidar: „Im
Herbst 2019 legen wir hiermit die verabre-
dete Bestandsaufnahme vor. Zusammen
mit den Bundestagsfraktionen von CDU/
CSU und SPD haben wir viel erreicht und
umgesetzt – aber es bleibt auch noch viel
zu tun.“ Natürlich ist wie bei einem Zeug-
nis, das sich Schüler selbst ausstellen, viel
Lob und wenig Tadel enthalten. So heißt
es etwa über das Ziel einer „neuen Dyna-
mik für Deutschland“ in der Einleitung:
„Wir investieren auf Rekordniveau und ha-
ben mit drei Änderungen des Grundgeset-
zes ermöglicht, dass der Bund die Länder
bei Investitionen besser unterstützen
kann. Dabei wahren wir das Prinzip soli-
der Finanzpolitik, senken die Gesamtver-

schuldung und schaffen so auch neuen
Handlungsspielraum für etwaige Krisen.“
Doch neben solch allgemeinem Lob er-
schöpft sich der Text in der Schilderung
des Umsetzungsstands „der wichtigsten
Vorhaben der Bundesregierung“. Dabei
orientiert man sich an den 13 Kapiteln
des Koalitionsvertrages. Die Bestandsauf-
nahme decke „damit also nicht das gesam-
te Regierungshandeln ab“, heißt es. Vom
Streit in der Koalition, von ihren Krisen
ist dort nicht die Rede. Vielmehr be-
schreibt die „Bestandsaufnahme“ die
Maßnahmen, die das Bundeskabinett bis
Mitte Oktober beschlossen hat, Dinge,
die in Kraft getreten sind, und solche, die
sich noch im parlamentarischen Verfah-
ren befinden. Die Überschrift dazu lau-
tet: „Was wir schon auf den Weg gebracht
haben“. Danach folgt gemäß den Kapi-
teln des Koalitionsvertrags jeweils der Ab-
schnitt „Was wir noch vorhaben“.
Der Koalitionsvertrag trägt den Titel:
„Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine
neue Dynamik für Deutschland. Ein neu-
er Zusammenhalt für unser Land“. Dem-
entsprechend widmet sich das erste Kapi-
tel der Bilanz der Europapolitik. Dort
wird etwa die Ständige Strukturierte Zu-
sammenarbeit (Pesco) im militärischen
Bereich genannt. Durch sie und den Euro-
päischen Verteidigungsfonds sei die euro-
päische Sicherheits- und Verteidigungspo-
litik „einen großen Schritt“ vorange-
bracht worden. Auch der Schutz der Au-
ßengrenzen der Europäischen Union
durch ein erweitertes Mandat für die
Grenzschutzagentur Frontex, mehr Perso-

nal und eine bessere finanzielle Ausstat-
tung werden auf der Habenseite verbucht.
Wie schwierig es ist, das Erreichte und
das nicht Gelungene zu trennen, zeigt
sich bei der Beschreibung der Ziele auf eu-
ropäischer Ebene in der Migrationspoli-
tik. So wird noch auf der Habenseite eini-
germaßen unumwunden zugegeben, dass
eine Reform des Gemeinsamen Europäi-
schen Asylsystems mit dem Ziel einer aus-
gewogenen Verteilung von Asylsuchen-
den in der EU bisher nicht gelungen sei.
Die gemeinsame europäische Finanz-
transaktionssteuer, die Frankreich vorge-
schlagen hat, wird sowohl unter der Ru-
brik des Erreichten genannt als auch im
Unterkapitel „Was wir noch vorhaben“.
So verschwimmt bisweilen die Einord-
nung, was allerdings bei langfristigen Vor-
haben nicht verwundert.
Das große Thema der vorigen Legisla-
turperiode, in der ebenfalls Union und
SPD eine Koalition gebildet hatten, war
die Migrationspolitik. Trotz intensiver
Rechtsetzung und vieler Veränderungen
in unmittelbarer Folge der großen Flücht-
lingsbewegung in den Jahren 2015 und
2016 waren noch Vorhaben übrig geblie-
ben, die sich die gegenwärtige Koalition
in ihren Vertrag geschrieben hat.
Als Erfolg wird in der Bilanz die Mög-
lichkeit genannt, dass pro Monat tausend
Familienangehörige von in Deutschland
subsidiär geschützten Migranten nachzie-
hen dürfen – oft kommen sie aus dem
vom Krieg gezeichneten Syrien. Diese ge-
setzliche Möglichkeit gibt es seit dem 1.
August vorigen Jahres, bis zum Septem-

ber dieses Jahres wurden schon 11 600 Zu-
stimmungen zum Nachzug durch das Bun-
desverwaltungsamt erteilt. Als Erfolg fei-
ern die Koalitionäre in ihrer Bilanz auch
das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“,
das den Rahmen für „zukunftsorientierte
und bedarfsgerechte“ Zuwanderung von
Fachkräften aus Drittstaaten gesetzt
habe.
Als Vorhaben in der Migrationspolitik
für die kommende Zeit wird die Weiter-
entwicklung des Ausländerzentralregis-
ters zu einem „zeitgemäßen zentralen Da-
teisystem“ genannt. Das soll asylrechtli-
che Verfahren vereinfachen. Grundsätz-
lich nimmt die Regierung sich vor, Asyl-
verfahren weiter zu beschleunigen, zu ver-
einfachen und zu vereinheitlichen. Ge-
messen daran, wie sehr das Thema in der
vorigen Legislaturperiode die Regierungs-
arbeit bestimmte, wirkt die Zahl der Vor-
haben auf diesem Feld überschaubar.
Die positive Bewertung der eigenen Ar-
beit lässt sich auch daraus ablesen, dass
die Abschnitte über das auf den Weg Ge-
brachte stets deutlich, mitunter um einige
Seiten länger sind als jene, die das noch
zu Tuende beschreiben. Das gilt auch bei
Themen wie „Digitalisierung“, bei denen
bisher nach allgemeiner Einschätzung
noch viel zu wenig geschehen ist. So soll
selbst in der nüchternen Aufreihung klar-
werden, welch gute Arbeit die Koalition
aus eigener Sicht geleistet hat. Wer will,
kann dieses Aufbauprinzip der „Bestands-
aufnahme“ allerdings auch als ein Argu-
ment dafür nutzen, dass diese Regierung
eigentlich nicht mehr viel vorhat.

E

igentlich wären es gute Zeiten
für einen Außenminister. Denn
da auf der Welt so vieles in Un-
ordnung gerät, kommt der Au-
ßenpolitik eine Bedeutung zu, die sie lan-
ge nicht hatte. Man denke nur an den Mitt-
leren Osten, die schwierige Beziehung zu
den Vereinigten Staaten unter Präsident
Trump, das Auftrumpfen eines immer
selbstbewussteren Chinas oder die Proble-
me der Fortentwicklung der Europäi-
schen Union. Ein Außenminister in Ber-
lin hätte reichlich Möglichkeiten, mit Ide-
en und Initiativen der gewachsenen Rolle
Deutschlands gerecht zu werden und zu-
gleich sein eigenes politisches Gewicht zu
vergrößern. Heiko Maas, der seit andert-
halb Jahren das Ministeramt versieht,
nutzt diese Chance indes nur bedingt.
Zwar reist er fleißig rund um die Welt,
eilt von Termin zu Termin, großen Ein-
druck aber hinterlässt er dabei selten. Für
Aufsehen hat der Sozialdemokrat in den
letzten Wochen dennoch gesorgt – durch
Auftritte und Veröffentlichungen, die von
den Politikern anderer Parteien als „un-
fassbar“, „unterirdisch“ oder „peinlich“
bezeichnet wurden.
Es wirkte deshalb wie von geheimer
Hand inszeniert, dass ausgerechnet Maas
am Mittwoch an der Reihe war, in der Re-
gierungsbefragung durch den Bundestag
Rede und Antwort zu stehen. Der jüngste
strittige Punkt, der gleich in der ersten
Frage an den Minister zur Sprache kam,
war ein Namensartikel des Ministers, der
gerade in 26 europäischen Tageszeitun-
gen erschienen ist. Anlass war der Mauer-
fall vor 30 Jahren. Maas dankte darin al-
len, denen die Deutschen dieses Glück
verdankten, den Ostdeutschen selbstver-
ständlich, aber auch den Danziger Werft-
arbeitern, den Freiheitskämpfern der Bal-
ten, Ungarn, Tschechen und Slowaken,
aber auch Michail Gorbatschow und des-

sen Politik von Glasnost und Perestrojka.
Die Vereinigten Staaten von Amerika, die
Schutzmacht Westdeutschlands, kamen
in seinem Artikel nicht vor, auch nicht
George Bush, der – anders als François
Mitterrand und Margaret Thatcher – den
Weg zur deutschen Einheit befürwortet
hatte. Der fehlende Dank an Amerika sei
„ein historischer Fehltritt, der völlig un-
verständlich ist“, schrieb der CDU-Außen-
politiker Norbert Röttgen auf Twitter.
Maas wies im Bundestag darauf hin, dass
in dem Artikel doch „von den Freunden
und Bündnispartnern im Westen“ die
Rede sei und dass es viele andere Verlaut-
barungen und Veranstaltungen gebe, in
denen die „Dankbarkeit gegenüber den
amerikanischen Freunden“ zum Aus-
druck komme. Sehr überzeugend klang
das nicht.
Für weit größere Aufregung hatte der
Auftritt des Außenministers in Ankara
vor anderthalb Wochen gesorgt, entspre-
chend viele Fragen gab es dazu im Bun-
destag. Als er in einer Pressekonferenz
mit dem türkischen Außenminister
Mevlüt Cavusoglu zu dem Vorschlag der
deutschen Verteidigungsministerin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer gefragt wurde,

eine UN-Schutzzone im Nordosten Sy-
riens zu errichten, stellte Maas die Kabi-
nettskollegin bloß. „Überall wird uns ge-
sagt, das sei kein realistischer Vorschlag“,
hatte er geäußert. Mit seinem türkischen
Kollegen habe er deshalb nur ganz kurz
darüber gesprochen. „Für Dinge, die im
Moment eher theoretischen Charakter ha-
ben, hat uns die Zeit gefehlt, weil den
Menschen in Syrien die Zeit für theoreti-
sche Debatten fehlt“, sagte er. Damit ver-
wies Maas die Idee der Verteidigungsmi-
nisterin ins Reich der Phantasie, warf ihr
indirekt noch vor, die furchtbare Lage der
Menschen in Syrien zu missachten. Es
war ein Revanchefoul dafür, dass Kramp-
Karrenbauer ihn nur per SMS über ihren
Vorstoß informiert hatte.
Ob er sich daran erinnern könne, dass
ein deutscher Außenminister jemals „im
Ausland eine Kabinettskollegin der Lä-
cherlichkeit preisgegeben hat“, fragte der
FDP-Politiker Alexander Graf Lambs-
dorff. Und ob er seine Äußerungen be-
dauere. Maas sagte dazu nur, er habe die
Verteidigungsministerin nicht desavou-
iert. „Ich kann außenpolitische Vorstöße
im Ausland nicht unkommentiert lassen“,
sagte er. Und er habe nur darauf hingewie-

sen, dass der Schwerpunkt seines Ge-
sprächs mit dem türkischen Außenminis-
ter ein anderer war. Immerhin gab Maas
zu, es gebe großes Interesse der europäi-
schen Partner an dem Vorstoß von
Kramp-Karrenbauer. Auf die Frage, ob er
ihn unterstütze, antwortete er nur: „Dazu
ist alles gesagt worden, was zu sagen ist.“
Nun kann die Idee der Verteidigungsmi-
nisterin mit Fug und Recht kritisiert wer-
den als eine Initiative, die zu spät kam
oder schlecht vorbereitet war. Von Maas
hingegen sind kaum Vorstöße bekannt.
Auch in der SPD werfen ihm viele vor, er
habe kaum Gestaltungswillen, anders als
etwa Frank-Walter Steinmeier, dessen Sta-
tur er nicht erreicht habe.
Maas war im März 2018 auch deswegen
zum Außenminister gemacht worden,
weil das neue SPD-Führungsduo Andrea
Nahles und Olaf Scholz den bisherigen
Außenminister Sigmar Gabriel loswer-
den wollte. Der hatte seinen Konkurren-
ten um das Amt, den SPD-Kanzlerkandi-
daten Martin Schulz, mit dem Spruch von
dem „Mann mit den Haaren im Gesicht“
beleidigt – und sich dabei selbst jeder Aus-
sicht auf einen Verbleib im Ministeramt
beraubt. Der ruhige Maas schien der neu-

en SPD-Führung im Vergleich zum mitun-
ter irrlichternden Gabriel willkommen
als Ausbund an Ausgeglichenheit. Zudem
hatte er mit der von Gerhard Schröder be-
gründeten Putin-Connection, die Stein-
meier und Gabriel fortsetzten, nichts ge-
mein. Mit kritischen Äußerungen zu Russ-
land machte er sich gleich zu Beginn sei-
ner Amtszeit in Teilen seiner Partei unbe-
liebt. Er sei nicht wegen Willy Brandt,
sondern wegen Auschwitz in die Politik
gegangen, provozierte er die von Russ-
land-Sehnsucht geplagten Alt-Genossen.
Auch sprach er sich zum Ärger vieler Sozi-
aldemokraten dafür aus, das Zwei-Pro-
zent-Ziel bei der Erhöhung der Verteidi-
gungsausgaben zu verfolgen.
Das alles ließ auf einen Aufbruch in
der deutschen Außenpolitik hoffen. Zwar
ist Maas in außenpolitischen Themen
mittlerweile durchaus bewandert, doch
konzeptionelle Vorstöße sind seine Sache
nicht. Mitunter gelingt es ihm, Schlimme-
res zu verhindern, etwa als der heutige
Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich die
SPD-Fraktion im Bundestag darauf ein-
schwor, die Bundeswehr-Mission im Irak
zu beenden. Doch solche internen Vorgän-
ge tragen nicht zu größerem Ansehen bei.
Maas’ Beliebtheit in der Bevölkerung
ist für einen Außenminister nicht überra-
gend, aber auch nicht schlecht, er schafft
es meist in die Top Five der beliebtesten
Politiker. Man kennt den Triathleten als
schmalen Träger von Maßanzügen, als
Partner der Schauspielerin Natalia Wör-
ner, mit der er seit einigen Jahren liiert
ist, und als einen Politiker, der sich laut ge-
gen Antisemitismus und Rechtsextremis-
mus stellt. Mit dieser Mischung aus Mode
und markigen Statements gegen rechts
hat Maas es auf knapp 339 000 Follower
auf Twitter gebracht, ein Spitzenwert im
Kabinett. Dieses Image hat er sich schon
als Bundesjustizminister zugelegt, ein
Amt, das Sigmar Gabriel ihm angeboten
hatte und ihn auf die Bundesbühne holte,
nachdem Maas im heimischen Saarland
bei drei Anläufen auf das Amt des Minis-
terpräsidenten gescheitert war.
In der SPD ist Maas nicht stark veran-
kert, seine Karrierechancen sind im Ange-
sicht des sich vollziehenden Führungs-
wechsels alles andere als rosig. Ob da ein
Eindreschen auf den Koalitionspartner
und ein bisschen Antiamerikanismus
wirklich helfen? Im aktuellen Rennen um
den SPD-Vorsitz hat Maas sich für seinen
Förderer Olaf Scholz ausgesprochen. Ob
der am Ende siegreich sein wird, das steht
noch in den Sternen. Manche in der SPD
sagen, da stützten sich zwei Politiker, die
Alles andere als rosig: Außenminister Maas am Mittwoch vor der Sitzung des Bundeskabinetts Foto dpa beide schwächeln.

Gut 80 Seiten zurückhaltendes Eigenlob


Die große Koalition gibt sich ein betont nüchtern gehaltenes Zwischenzeugnis – für alles Weitere kommt es auf dessen Interpretation an


Von Mona Jaeger, Eckart
Lohse und Markus
Wehner, Frankfurt/Berlin

lock.DRESDEN.Der CDU-Landes-
vorsitzende in Thüringen, Mike Moh-
ring, ist am Mittwoch in Erfurt mit ei-
nem schwachen Ergebnis abermals
zum Vorsitzenden der Landtagsfrakti-
on gewählt worden. Beim ersten Zu-
sammentreffen der auf 21 Abgeordne-
te dezimierten Fraktion stimmten sie-
ben Parlamentarier gegen Mohring.
Einen Gegenkandidaten gab es nicht.
Vor fünf Jahren war Mohring noch
einstimmig gewählt worden.
Das schwache Ergebnis fällt mit-
ten in eine heftige Debatte um die
Ausrichtung der Thüringer CDU.
Nachdem Mohring am Tag nach der
Wahl eine Zusammenarbeit mit der
Linken, die die Wahl gewonnen hat,
nicht ausschloss und dafür von der
Bundes-CDU zur Ordnung gerufen
wurde, forderte der Eichsfelder Land-
rat Werner Henning, eine sachbezo-
gene Zusammenarbeit mit der Links-
partei zu prüfen. Deren bisheriger Mi-
nisterpräsident Bodo Ramelow sei
ein verlässlicher und pragmatischer
Partner. Gegen die Initiative Hen-
nings positionierte sich der bisher
stellvertretende Vorsitzende der
CDU-Fraktion Michael Heym. Er ver-
langte, auch mit der AfD Gespräche
zu führen, für die ein Viertel der Wäh-
ler gestimmt haben. Daraufhin gab es
Forderungen, Heym aus der Partei
auszuschließen. Das wiederum nah-
men 17 CDU-Politiker aus Heyms
Südthüringer Heimat zum Anlass, in
einem Brief für dessen Vorschlag zu
werben, miteinander zu sprechen, je-
doch keine Koalition mit AfD und
Linken einzugehen.
Mohring sagte am Mittwoch, eine
Partei müsse es aushalten, dass es un-
terschiedliche Meinungen gebe. Er be-
kräftigte zugleich, dass die CDU we-
der mit der AfD noch mit der Linken
kooperieren werde. Und er hält an sei-
nem Plan fest, Gespräche mit FDP,
SPD und Grünen über eine Minder-
heitsregierung zu führen, der sieben
Stimmen zur Mehrheit fehlen wür-
den. SPD und Grüne lehnen Gesprä-
che mit der CDU nicht ab, haben aber
bereits deutlich gemacht, in eine Min-
derheitsregierung mit der Linken ge-
hen zu wollen, der nur vier Stimmen
fehlen würden. Thüringens AfD-Chef
Björn Höcke hat CDU und FDP Ge-
spräche über eine „bürgerliche Zu-
sammenarbeit“ angeboten, was beide
Parteien aber ablehnten.

Minister Schmal

Schwaches


Ergebnis


Heiko Maas ist nicht für Mohring


unbeliebt,eine prägende


Rolle spielt er aber nicht.


Zuletzt hat er mit


fragwürdigen Auftritten


für Aufregung gesorgt.


Von Markus Wehner,


Berlin


SEITE 2·DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019·NR. 259 F P M Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

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