Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1
„Das zeigt, dass wir arbeitsfähig und
arbeitswillig sind.“
Angela Merkel, Bundeskanzlerin, zur Halbzeitbilanz der
Großen Koalition, die von 300 geplanten Maßnahmen zwei
Drittel umgesetzt oder auf den Weg gebracht habe

Worte des Tages


EU-Bankenunion


Deutsche


Einsichten


E


in deutsches Tabu ist gebro-
chen: Der Bundesfinanz -
minister gibt seinen Wider-
stand gegen die EU-Einlagensiche-
rung auf. Die Kehrtwende ist be-
merkenswert, aber nicht uneigen-
nützig. Olaf Scholz handelt im urei-
gensten nationalen Interesse.
Die deutsche Blockade gegen ei-
nen EU-Sparerfonds fußte stets auf
der Annahme, dass davon nur süd-
europäische Banken profitieren
und dass deutsche Sparer drauf-
zahlen würden. Doch diese Unter-
stellung erweist sich spätestens
jetzt als falsch. Das Geldhaus, das
aktuell in den größten Schwierig-
keiten steckt, befindet sich nicht in
Italien, sondern bei uns: Die Deut-
sche Bank baut Personal ab und
ringt um ihr Geschäftsmodell. Man
mag sich nicht ausmalen, was ein
Zusammenbruch des größten deut-
schen Geldhauses für die Einlagen-
sicherung bedeuten würde.
Die zwei größten deutschen Kre-
ditinstitute – Deutsche Bank und
Commerzbank – sind im globalen
Wettbewerb derart zurückgefallen,
dass sie nun als Übernahmekandi-
daten gelten. Sie drohen zum An-
hängsel eines ausländischen Geld-
hauses zu werden mit dem Risiko,
dass im Krisenfall Kapital in gro-
ßem Stil aus Deutschland abgezo-
gen wird. Verhindern lässt sich das
nur, wenn die deutschen Institute
in einem integrierten europäischen
Finanzkonzern aufgehen. Folge-
richtig schlägt Scholz jetzt eine
„europäische Rechtsform für Ban-
ken“ vor.
Europäische Finanzkonzerne
können aber nur entstehen, wenn
die EU den Rechtsrahmen für Ban-
ken vollständig harmonisiert – und
dazu gehört nun einmal auch die
Einlagensicherung.
Der europäische Finanzmarkt ist
im Vergleich zur Wall Street ein
Zwerg geblieben. Der Euro konnte
sich nicht vom Dollar emanzipieren
und zu einer echten Weltwährung
werden. Grund dafür ist die regula-
torische Kleinstaaterei auf den frag-
mentierten europäischen Finanz-
märkten. Wenn die Europäer daran
nichts ändern, werden sie den voll
integrierten Finanzmärkten der
Weltmächte USA und China irgend-
wann hilflos ausgeliefert sein.


Die Kehrtwende von Olaf Scholz
hin zu einer EU-Einlagensicherung
hat auch mit der Deutschen Bank
zu tun, sagt Ruth Berschens.

Die Autorin ist Büroleiterin in
Brüssel. Sie erreichen sie unter:
[email protected]


D


as drohende Amtsenthebungsverfah-
ren lässt Donald Trump nicht kalt.
Selbst wenn er bei jeder Gelegenheit
betont, an den Vorwürfen sei nichts
dran, setzte er allein am vergangenen
Wochenende 75 Tweets zu dem Thema ab. Und auch
bei Auftritten wirkt der US-Präsident getrieben, ist
noch angriffslustiger als sonst. Der präsidiale Trump,
der zu seltenen Gelegenheiten durchblitzt, scheint
komplett verschwunden zu sein. Ein Jahr vor den
Präsidentschaftswahlen präsentiert sich Trump nur
noch als Kampagnen-Trump.
Doch das alles sagt nur bedingt etwas darüber
aus, ob seine Tage im Weißen Haus gezählt sind.
Trumps Chancen einer Wiederwahl stützen sich bis-
lang allein auf die vorläufige Bilanz seiner ersten
Amtszeit – und was seine Anhänger davon halten.
Die Bilanz ist wenig überzeugend: Trumps endlose
Handelskriege drohen die US-Wirtschaft zu schwä-
chen. Seine Beliebtheitswerte dümpeln bei unter
50 Prozent, auch weil Trump gar nicht erst versucht,
neue Wählergruppen zu erschließen. Seine Außen-
politik samt dem übereilten Rückzug aus Syrien hat
seine Partei erschüttert. Der Mauerbau zu Mexiko
kommt nicht voran, weil Gerichte Gelder blockieren.
Und im Zuge des drohenden Amtsenthebungsver-
fahrens stößt Trumps Reflex der ständigen Attacke
an Grenzen: Dass er verdiente Militärs und Diploma-
ten öffentlich schmäht, kommt bei Republikanern
gar nicht gut an.
Das Impeachment scheint die größte Gefahr für
Trump zu sein. Doch das ist nicht zwingend der Fall.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Wahlkampfhilfe aus
dem Ausland, mögliche Korruption, eine Schatten -
diplomatie und Justizbehinderung stehen im Raum.
Die Demokraten werden im US-Repräsentantenhaus
gleich mehrere Artikel für eine Anklage zusammen-
tragen können, denn diverse Zeugen haben Trump
schon jetzt in entscheidenden Punkten widerspro-
chen. In dieser Woche revidierte der US-Botschafter
für die EU, Gordon Sondland, seine Aussage und er-
klärte, Trump habe die Militärhilfen für die Ukraine
an Bedingungen geknüpft.
Die Hürden, um Trump aber tatsächlich des Am-
tes zu entheben, sind extrem hoch. Das öffentliche
Interesse an der Ukraine-Affäre ist geringer als bei
den Skandalen um Richard Nixon und Bill Clinton.
Es ist fraglich, ob die Menschen, sobald die öffentli-
chen Zeugenbefragungen beginnen, massenhaft an
den Bildschirmen kleben. Und zumindest der harte
Kern von Trumps Anhängern hält bislang eisern zu
ihm. Die bisherigen Ermittlungen haben kaum etwas
an Trumps Zustimmungswerten geändert.

Dass sich der Präsident in Umfragen stabil hält,
führt eine bittere Wahrheit vor Augen: Ein beachtli-
cher Teil der US-Amerikaner toleriert, was Trump
vorgeworfen wird. Seine Anhänger trauen Trump zu,
Gesetze zu brechen, es schockiert sie nicht. Sie lie-
ben ihn für Steuersenkungen und Flüchtlingspolitik,
für die Ernennung konservativer Richter und dafür,
dass er Waffenbesitzer und Abtreibungsgegner stärkt.
Aus ähnlichen Gründen wenden sich republikanische
Senatoren bislang nicht in Scharen von Trump ab.
Nur der Senat kann den Präsidenten des Amtes ent-
heben, die Republikaner haben hier die Mehrheit.
Die Stimmung dürfte sich erst drehen, wenn klar
dokumentierte Beweise auftauchen oder prominen-
te Zeugen eindeutig illegale Handlungen aufzeigen
sollten. Bislang schweigt der Großteil der mächtigen
Senatoren und setzt weiter auf Trump als Kandidat
für 2020. Und im Rest des Landes lassen sich Gou-
verneure im Wahlkampf von Trump umarmen und
stehen lächelnd daneben, wenn er gegen Einwande-
rer, Klimaschutz und Freihandel wütet.
Das Amtsenthebungsverfahren im Senat dürfte
sich bis in den Februar ziehen. Sollte Trump dort
entlastet werden, sind es noch immer neun Monate
bis zur Präsidentschaftswahl. Neun Monate, in de-
nen sich die Ukraine-Affäre abkühlen kann. Trump
würde Geschichte schreiben: Er wäre der erste Präsi-
dent, der nach einem Impeachment-Verfahren zur
Wiederwahl antritt.
So sind andere Faktoren abseits des Impeach-
ments wichtiger für Trumps Wahlkampf. Gerichte
ringen um die Herausgabe seiner Steuererklärung –
ein möglicher Skandal auf diesem Gebiet würde dem
Präsidenten schaden. Ein Einbruch des Wirtschafts-
wachstums würde Trumps Chancen senken. Poten-
zielle demokratische Herausforderer wie Joe Biden,
Bernie Sanders und Elizabeth Warren sind schon
jetzt beliebter als Trump. Bei den Gouverneurswah-
len in Kentucky und Virginia haben die Demokraten
gerade ebenfalls Stärke bewiesen. Doch das Bild ist
in den Bundesstaaten, die wegen wechselnder Mehr-
heiten über die Präsidentschaftswahl entscheiden,
weniger klar. 2016 gewann Trump die Wahl, weil er
in ebenjenen Staaten knapp siegte. Ein ähnliches
Szenario für 2020 ist nicht ausgeschlossen, sogar
plausibel. Sicher ist im Moment nur eines: Trump,
dessen Wahlsieg das Symptom eines gespaltenen
Landes war, hat die Kunst der Spaltung perfektio-
niert. Er wird sie im Wahlkampf für sich nutzen.

Leitartikel


Der


Unkaputtbare


Ein Jahr vor den
Präsidentschafts -
wahlen ist
Donald Trump
geschwächt. Eine
zweite Amtszeit
ist dennoch
weiter möglich,
analysiert Annett
Meiritz.

Ein


beachtlicher


Teil der US-


Amerikaner


toleriert,


was Trump


vorgeworfen


wird.


Die Autorin ist Korrespondentin in Washington.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse
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DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
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