Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1
Premier Edouard
Philippe: „Souveränität
bei der Zuwanderung
wiederherstellen.“

reuters


Frankreich

Härte und Auswahl bei Migranten


Paris öffnet sich für
Zuwanderung im Falle
offener Stellen. Illegale sollen
schneller zurückgeführt
werden, auch in der EU.

Thomas Hanke Paris

M


it einer Mischung aus Härte
und mehr Offenheit will
Frankreich „seine Souverä-
nität bei der Zuwanderung in unser
Land wiederherstellen“, sagte Pre-
mier Edouard Philippe am Mittwoch
und stellte ein Paket an Änderungen
vor. Einerseits soll die Zahl der Asyl-
bewerber gesenkt, sollen mehr illega-
le Zuwanderer abgeschoben werden.
Andererseits will Frankreich mehr
Ausländer aufnehmen: Die Zahl der
ausländischen Studenten will man
verdoppeln, und es sollen mehr
Fachkräfte angeworben werden.
Seit Wochen hält Frankreichs
Staatspräsident Emmanuel Macron
das Thema Zuwanderung in der öf-
fentlichen Debatte, mit dem Ziel, der
extremen Rechten den Wind aus den
Segeln zu nehmen. Seine Regierung
stellt das vor ein Problem: Sie soll
Härte gegenüber illegaler Migration
zeigen und auch die Zahl der Asylbe-
werber verringern, gleichzeitig aber
das Asylrecht schützen und auch den

Anforderungen der Wirtschaft besser
gerecht werden.
Letzteres soll durch die vereinfach-
te Anwerbung von ausländischen
Fachkräften geschehen. „Jedes zweite
Unternehmen, das offene Stellen hat,
findet keine geeigneten Bewerber“,
sagte Arbeitsministerin Muriel Péni-
caud. Das bisherige Verfahren für die
Einstellung von Ausländern, die nicht
aus der EU kommen, sei viel zu
schwerfällig. Bis März nächsten Jahres
solle ein neues Instrument in Kraft
treten, das die Anwerbung erleich-
tert. Es würden jährliche Listen darü-
ber erstellt, wo wie viele Leute ge-
braucht werden, „man kann das auch
Quoten nennen“, sagte die Ministerin.
Allerdings handele es sich weder um
starre Größen, noch seien sie auf be-
stimmte Nationalitäten bezogen. Es
gehe um Berufe und Qualifikationen.
Frankreichs größtes Problem, was
illegale Zuwanderung angeht, sind
Personen aus dem Maghreb, vor al-
lem aus Algerien, die legal mit einem
Visum einreisen und dann untertau-
chen. Die Regierung zieht es vor,
nicht darüber zu reden: Die Bezie-
hungen zu Algerien sind zu heikel.
Offizielle Zahlen gibt es nicht. Ma-
cron sprach das Thema kürzlich sehr
allgemein in einem Interview an:
„Wir vergeben immer mehr Visa, es
gibt keinerlei Kohärenz.“

Am Mittwoch wurde das Problem
kursorisch erwähnt: „Wenn es einen
verbesserten legalen Zugang gibt, sol-
len die Länder sich verpflichten, ihre
Bürger zurückzunehmen, wenn sie
nach Ablauf eines Visums illegal in
Frankreich bleiben“, sagte Europami-
nisterin Amélie de Montchalin.
Innenminister Christophe Casta-
ner vertrat die harte Seite der neuen
Politik. „Wir wollen weniger Asylan-
träge und schnellere Ausweisungen“,
sagte er. Es gebe zu viele „sekundäre
Wanderungsbewegungen“ angeblich
gerade aus Deutschland. Gemeint
sind Flüchtlinge, die bereits in einem
EU-Land einen Asylantrag gestellt ha-
ben, dann aber nach Frankreich
kommen und einen weiteren stellen.
„30 Prozent der Menschen, die einen
Asylantrag stellen, haben bereits
mindestens einen weiteren in einem
anderen Land abgegeben“, sagte Cas-
taner. „Diese Leute werden wir
schneller zurückbefördern.“ Das
klingt wie eine Rückkehr zur Dublin-
Regel. Dabei sagte Macron kürzlich,
man dürfe nicht mehr die ganze Last
den EU-Staaten aufbürden, in denen
Flüchtlinge zuerst ankommen – Ita-
lien, Griechenland und Spanien. De
Montchalins Sprecher sagte Donners-
tag, man wolle „Dublin öffnen“. Für
absolute Notfälle haben die Innenmi-
nister einiger Länder eine Verteilung

vereinbart. Doch die allgemeine Ver-
teilung der Flüchtlinge sei zwar „in-
tellektuell interessant, aber sie muss
auch mit allen Ländern funktionie-
ren.“ Sprich: Das wird wohl nichts.
Die Flüchtlingsbehörde Ofpra solle
„schneller die Anträge der Leute be-
handeln, die kein echtes Schutzbe-
dürfnis haben“, sagte Castaner. Wo-
ran die Behörde diese Menschen er-
kennen soll, sagte er nicht. Unter das
Thema Abschreckung fällt auch die
Ankündigung Castaners, drei neue
Haftanstalten für illegale Zuwande-
rer einzurichten und Lager von
Flüchtlingen wie das im Nordosten
von Paris aufzulösen. Dort hausen
viele Menschen am Rande der Auto-
bahn unter erbärmlichsten Bedin-
gungen.
Verschärfen will die Regierung
auch den Zugang zur medizinischen
Versorgung. Jeder Migrant, egal ob
legal oder illegal, hat in Frankreich
Anspruch auf ärztliche Hilfe im Not-
fall. Gesundheitsministerin Agnès
Buzyn kündigte an, dass es bei der
Versorgung im Notfall, etwa bei an-
steckenden Krankheiten, bleibe.
Doch soll eine Wartefrist von drei
Monaten gelten, bevor Asylbewerber
in die reguläre Krankenversicherung
kommen können. In den Medien
wird viel über angeblichen Medizin-
tourismus nach Frankreich berichtet.

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Europa
DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
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