Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1
einfach an ein größeres Gesetz angedockt,
in diesem Fall könnte es der Haushalt
für die US-Streitkräfte sein. Dieser Etat
wird momentan zwischen den Parteien
ausgehandelt, bis Weihnachten soll er
verabschiedet sein. Ansonsten könnte
auch Trump selbst jederzeit Sanktionen
verhängen.

Furcht vor den Sanktionen
Das Bedrohungsszenario ist also durchaus
real. Jedenfalls macht sich auf der anderen
Seite des Atlantiks Matthias Warnig große
Sorgen um seine Pipeline: »Es bestehen
nach wie vor erhebliche Risiken, die eine
Fertigstellung gefährden können«, sagt er.
Warnig, Geschäftsführer der Nord Stream
AG, sitzt in einer Ecke des Bistros eines
Hotels in Berlin-Mitte und frühstückt.
Marmelade tropft auf den Schuh, er wischt
sie mit einer Serviette weg. Zurzeit ist er
oft in der Hauptstadt, trifft Politiker, Be -
rater, Anwälte. Sie sollen helfen, das Pro-
jekt zu retten. Es bereite ihm schlaflose
Nächte.
Solche Bekundungen klingen unge-
wöhnlich aus dem Munde eines 64-jähri-
gen Mannes, der schon viel erlebt hat: als
Stasi-Offizier und DDR-Spion, Deckname
»Ökonom«, nach der Wende als Invest-
mentbanker in Sankt Petersburg, wo er
sich mit Wladimir Putin anfreundete. Spä-
ter wurde er Kontrolleur des russischen


Energiekonzerns Rosneft und übernahm
diverse Positionen bei Gazprom.
Für den Kreml boxte er bereits die erste
Nord-Stream-Pipeline durch, gegen alle
Widerstände, vor allem Polen und die
Ukraine stellten sich quer. Heute sei die
Lage »ungleich schwieriger«, sagt er. Mit
den USA habe ein Akteur den Weltmarkt
erobert, der seine Interessen »mit brachia-
ler Gewalt« durchzusetzen bereit sei.
Warnig hat einen Plan B parat für den
Fall, dass Sanktionen den Fortgang des
Projekts stören. Die Rohre könnten zur
Not auch ohne Spezialschiffe verlegt wer-
den: Einige Segmente werden an Land ver-
schweißt, auf See transportiert und dort
von Tauchern installiert. Warnig hat zur
Sicherheit überall in Europa Lager einrich-
ten lassen, in denen Rohre, Ersatzteile und
Betriebsmittel aufbewahrt werden, um die
Verlegung fortzusetzen. Doch ein solches
Prozedere würde das Bauende um weitere
Monate hinauszögern. Das können sich
die Russen nicht leisten.
Zum 31. Dezember läuft nach zehn Jah-
ren der Vertrag aus, auf dessen Grundlage
Russland das Gas durch die Ukraine trans-
portieren darf. Mit jedem Tag, um den sich
das Ostseeprojekt verzögert, verbessert
sich die Verhandlungsposition der Ukrai-
ner. Die Russen stehen unter Zeitdruck,
sie sind in der Pflicht, die Kunden in West-
europa weiter zu beliefern.

Seit dem Sommer 2018 suchen Russen
und Ukrainer, vermittelt von der EU-Kom-
mission, nach einer Übereinkunft. Als sich
im September die Kontrahenten näherka-
men, reiste Richard Grenell, US-Botschaf-
ter in Berlin, umgehend nach Kiew. Schon
öfter hat Grenell auch deutschen Unter-
nehmen offen mit Sanktionen gedroht, um
den Bau der Pipeline zu verhindern.
Diesmal soll er der ukrainischen Regie-
rung geraten haben, die Verhandlungen
platzen zu lassen, heißt es auf russischer
Seite. Die USA planten, die Sanktionen
zu verhängen, so seine Begründung, und
dann würde sich die Position der Ukrainer
deutlich verbessern. Grenell bestätigt auf
Anfrage, die Ukraine besucht zu haben.
Alles andere aber seien »komplett Fake
News«. Er sei dort gewesen, um die US-
Kampagne zur Dekriminalisierung von
Homosexualität zu unterstützen. Auf Twit-
ter findet sich zum fraglichen Zeitpunkt
allerdings auch ein Eintrag der US-Bot-
schaft in Kiew, der Grenell gemeinsam mit
einem ukrainischen Gasmanager zeigt.
Amerika betreibe ein durchsichtiges
Spiel, so sehen es die Pipelinebefürwor-
ter. Die USA bauten »massiv Druck auf«,
sagt Rainer Seele, Chef des österreichi -
schenEnergiekonzerns und Nord-Stream-
2- Anteilseigners OMV, um die Pipeline zu
verhindern und sich so eines Konkurren-
ten zu entledigen: »Diesem Druck dürfen

74 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019

Wirtschaft

THOMAS EUGSTER / NORD STREAM 2
Pipelineverlegeschiff »Solitaire«: 70 000 PS, drei Kilometer am Tag
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