Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

SPIEGEL: Herr Müller, warum sollte ein
privater Investor in Berlin noch Wohnun-
gen bauen?
Müller: Weil wir Wohnungen brauchen.
Und damit es da keine Zweifel gibt: Ich
will privates Kapital, und ich will private
Investoren in meiner Stadt haben. Es geht
gar nicht anders. Ein Privater will inves-
tieren und damit Geld verdienen. Das
kann ich ihm nicht übel nehmen. Er kann
mir aber nicht übel nehmen, dass ich sage:
Du kannst in der Stadt nicht machen, was
du willst. In dieser Stadt setzen Politik und
Verwaltung Grenzen.
SPIEGEL: Die Mieten sollen für fünf Jahre
eingefroren werden. Das betrifft etwa
1,5 Mil lionen Wohnungen, die vor 2014
gebaut wurden. Der höchste Preis pro Qua-
dratmeter wäre 9,80 Euro, Nettokaltmiete.
Warum sollte da jemand noch sanieren?
Müller: Für Sanierungen und Modernisie-
rungen gibt es auch mit dem Mietendeckel
die Möglichkeit, die Miete in angemesse-
nem Rahmen zu erhöhen. Vielleicht wer-


den Investitionen verlangsamt und nicht
in dem Umfang umgesetzt, weil übertrie-
bene Renditeerwartungen die Planungen
bestimmten. Aber sie werden nicht un-
möglich gemacht. Und ich bin fest davon
überzeugt: Es wird weiter saniert und auch
modernisiert werden.
SPIEGEL: Sie haben keine Angst, mit dem
Mietendeckel Investoren zu vergraulen?
Müller: Warum sollte ich? Wenn sie in Ber-
lin nicht mehr investieren wollen, wo denn
dann? In Frankfurt am Main, München,
New York gibt es die gleichen Initiativen
zur Mietregulierung. Auch private Unter-
nehmen müssen erkennen, dass der Markt
nicht alles regeln darf, dass die Bürgerin-
nen und Bürger ungeduldiger werden und
erwarten, dass Politik gemeinsam mit pri-
vaten Unternehmen einen anderen, einen
sozialeren Weg einschlägt.
SPIEGEL: Das heißt?
Müller: Ein Investor kann nicht sagen: Weil
die rot-rot-grüne Regierung einen Mieten-
deckel beschließt, mache ich hier nichts

mehr, sondern gehe in eine andere Stadt.
Es wird bundesweit zu mehr Regulierung
kommen. Das hat selbst die CSU eingese-
hen, mit der lange Zeit gar nichts möglich
war. Inzwischen hat Bundesinnenminister
Horst Seehofer verkündet, die Mietpreis-
bremse zu verlängern. Man sieht daran, wie
in allen Parteien neu gedacht wird.
SPIEGEL: Tatsächlich sind Sie ein Getrie-
bener. Ohne die Kampagne »Deutsche
Wohnen enteignen« gäbe es den Mieten-
deckel nicht.
Müller: Diese Kampagne hat die Diskus-
sion verstärkt, das ist richtig. Sie hat die
unterschiedlichen Positionen sehr schnell
auf den Punkt gebracht. Und, ja, der Mie-
tendeckel ist auch eine Antwort auf diese
Initiative. Die Berliner Politik hat damit
gezeigt: Es gibt andere Wege, jenseits von
Enteignungen, die den Mieterinnen und
Mietern helfen können.
SPIEGEL: Also ist der Mietendeckel vor
allem eine Verlegenheitslösung?
Müller: Nein, aber ich rede mich an dem
Instrument nicht besoffen. Der Mieten -
deckel ist nicht der Königsweg, der alle
Probleme löst. Aber er ist ein wichtiger
Baustein im Rahmen unserer Gesamtstra-
tegie: Bauen. Kaufen. Deckeln.
SPIEGEL: Ihre Wohnungspolitik ist erra-
tisch. Bevor Ihre Regierung den Mieten -
deckel beschlossen hat, kaufte die Stadt im
großen Stil Wohnungen zurück. Erst kürz-
lich knapp 6000 Wohnungen und 70 Ge-
werbeeinheiten, für 920 Millionen Euro.
Müller: Das ist doch kein Widerspruch.
Ich will den Bestand an kommunalen Woh-
nungen erhöhen. Und ich habe durch ei-
nen Erwerb auch sofort Mieteinnahmen,
mit denen ich meine Kaufsumme refinan-
zieren kann.
SPIEGEL: Der Mietendeckel schadet nun
Ihrer eigenen Investition, weil er die Ein-
nahmen drückt.
Müller: Es stimmt, in den nächsten Jahren
nehmen wir weniger ein als gedacht, aber
ein Immobilienbestand wird über einen
längeren Zeitraum kalkuliert, und langfris-
tig rechnet sich auch der Preis.
SPIEGEL:Ihr Gesetz nutzt vor allem Gut-
verdienern. Wer eine schöne Altbauwoh-
nung hat, der kann sich freuen, weil er we-
niger zahlen muss. Eine Krankenschwester,
die deutlich schlechter verdient und deren
Wohnung jetzt schon billiger ist, merkt
den Unterschied vermutlich kaum. Ist das
fair?
Müller: Wir haben knapp zwei Millionen
Wohnungen in unserer Stadt, und in 85 Pro-
zent davon wohnen Mieterinnen und Mie-
ter. Diese Menschen werden durch nicht
weiter ansteigende Mieten entlastet. Sie
werden unterschiedlich stark davon profi-
tieren. Aber sie werden profitieren.
SPIEGEL: Sie schaffen einen Wohnungs-
markt mit Insidern und Outsidern. Wer
eine Wohnung hat, kommt gut weg. Wer

78 DER SPIEGEL Nr. 46 / 9. 11. 2019


Wirtschaft

»Es wird schwarze


Schafe geben«


WohnungsmarktDer Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael
Müller, 54 (SPD), über Gewinner und Verlierer des Mietendeckels

PETER RIGAUD / LAIF
Stadtoberhaupt Müller: »Es ist juristisches Neuland«
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